Leser Antwort SZ
von einem Herrn Fellmann nach Lektüre der bestellten Texte zum Thema München 850 Jahre Geschichte im dortigen Magazin. Im Zusammenhang mit meiner dortigen Zeit und etwas dazu eventuell in der Akademie zu sagen.

Leider kamen wir zu dem Schluss, dass die Texte für das SZ-Magazin nicht
verwendbar sind. Wir konnten auch nach gründlicher Durchsicht keinen
journalistischen Impetus erkennen
, wie wir ihn üblicherweise für alle Texte
im SZ-Magazin als zwingend nötig erachten. Das mögen sympathische,
nostalgische Rückschauen
sein, aber es würde uns schwer fallen, unseren
Lesern zu erläutern, warum wir ihnen diese Erinnerungen an Figuren der
Vergangenheit präsentieren, die dann doch keine grundlegend neuen Einblicke
zulassen
.
Es mag sicher andere Zusammenhänge geben, in denen diese Texte ideal wären,
von der Festschrift bis zum Sammelband – aber im SZ-Magazin wären sie nicht
gut aufgehoben.

Mit Herrn Huber hatte ich ursprünglich besprochen, dass wir eine Ausgabe
planen, die sich kritisch / böse / satirisch mit der Stadt München und ihrer
Kultur auseinandersetzt. Ein Abgesang auf Zeiten, in denen hier noch
großartige Menschen wirkten, hätte da eventuell reingepasst
.

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Walter Sedlmayr (*)

Hierneis-Heimat

 

sah ich in Fassbinders Pioniere von Ingolstadt und erinnere mich an ihn in den Kammerspielen als Charge für spiessige Typen. Ihn für den Hierneis, als Koch durch die Schlösser im Original zu drehen war der Witz. Als Koch des Königs und nun erfolgreicher Geschäftsmann seiner Branche. Seine Erinnerungen hatte ich zu den Recherchen des Ludwig als Requiem eines jungfräulichen Königs gefunden. Zuerst war an diese Figur im Kosmos des Ludwig selbst gedacht, dann wurde daraus der separate Monolog von 90 Minuten, auch weil der Vertrag über den Ludwig im kleinen Fernsehfilm(ZDF) keine Nebenauswertung, auch nicht von Motiven im Detail, in einem anderen Programm vorsah. Das Fernsehen konnte sich nur 60 Minuten vorstellen, eigentlich gab es einen Vertrag über 50 Minuten, wozu ich Witz und Information zu Ludwig, der im BR immer gefragt war, garantierte. Sedlmayr musste abends auf die Bühne, alle 3 Wochen, und so mussten wir schon früh nachmittags abbrechen. Drehen hiess zwischen den Gruppen der Besucher sich schnell einzufädeln. Und morgens kam er zurück im Extrawagen vom Assistenten G.von Halem gefahren, was einen müden Helden bedeutete, denn eine Stunde vorher musste er geweckt werden und jemand (G.v.H.) neben ihm sitzen, auf dem Bett, dass er nicht wieder wegsackte und einschlief und musste überhaupt bei Laune gehalten werden. Sofort machte er sich die Figur zu eigen, ergänzte mit eigenen Worten, ich mit dem Kameramann Reichmann vom Dokumentarfilm gewohnt zu reagieren auf Eigenes und aber nicht gewillt einen Dokumentarfilm über W.S. zu machen, brachte die Mischung von Ludwig und RW, aus den Königsgeschichten bekannt, er immer aus den unteren Sicht aus Feldmoching und misstrauisch wiewohl neugierig auf das Verwandte seiner homoerotischen Sensibiltäten der bösen Welten, war immer mehr bereit die Sache ernst zu nehmen. Bald er kannte er seine Macht und stellte Forderungen was Nennung und Geld betraf mit Drehabbruch und höchster Gefährdung des Ganzen. Denn alles stand, und das ist des Filmes Megakathastrophe. Wir riefen seinen Anwalt Norbert Kückelmann zu Hilfe, der, neugierig schon aus dem Verfahren um die Blutenburger Madonnen-Geschichte mit diesem Mandanten besonderer Art vertraut, half der Produktion loyal nach beiden Seiten, und mühevoll ging es weiter. Ab und zu tauchte ein finsterer Kumpel im Auto auf, chauffierend, aus dem Milieu, den S. auf eine Weise -wie auch wir das anderes erlebten- karnifelte, dass Rache eines Tages nicht überraschte. Immer zwischen den Gruppen der Besucher und manchmal auch unter ihnen dann frecher, hinterfotzig, erfand er und kam durch, professionell und erfindungsfroh, wie wir, immer dabei und vorneweg. Er dankte auf den Wegen des Erfolgs daraus durch Nennung, war auch persönlich freundlich, wenn sich auch bei mir eine Weiterführung nicht ergab. Er unter anderen, nein, allein war er singulär auf seine Weise, die hier gut zusammenkam mit dem anderen der höchsten Ebene von Bayern und Königswelten im letzten Akt der Wagnerschen Überhöhung, nun von unten gesehen, auf vielfache Weise. Brecht, der Erfinder von Sekretärs-Geschichten seines Cäsars, hätte sich gefreut. Diesmal ganz sicher.

(*)

III. POCCI

Konrad Pocci (*)

Pocci-Heimat

begegneten wir auf der Suche nach einem ländlichen
Quartier in der Nähe Münchens in der Mitte der 60er Jahre. Am
Starnberger See lag dass verlassene Schloss in Ammerland.
Bei Nachfragen verwies man uns zu einem Gehöft nahebei, wo der
Besitzer Graf Pocci wohne. Dies halbzerfallene Bauernhaus mit
niedergebrochenen Ställen und Koppeln statt Park rundum bewohnte
Pocci mit seiner halbwüchsigen Tochter allein seit sich die sich von
ihm getrennte Frau gestorben war. Seitdem hatten sie das Schloss
fluchtartig verlassen. Alle Schubladen standen halbvoll offen wie 45
im Osten nach den Plünderungen der Russen und der herumstreunenden
und nun befreiten Gefangenen. Die Treppen voll mit liegen gelassenen
oder auf dem Wege verlorenen Dingen. In einem Raum die Mappen und
Alben und Erstausgaben des grossen Ahnherrn Franz. Unter den
bayerischen Königen in Hofämtern und zuvor aus Italien
zugewandert,hatte er noch Richard Wagner gekannt und karikiert und
den Kasper Larifari erfunden, für die Puppen der Kinder, eine
bayerische Nobilität aus Boccaio'schem Witz und Erbschaft der
Comedia del Arte mit familiärer Kenntnis von Natur und Menschen
seiner Umgebung am Hof und in der Stadt, wie auf dem Lande hier.
Nun sass der Konrad Pocci als letzter seines Stammes in männlicher
Linie mit einer Mutter Oppenheim, wegen halbjüdischer Abkunft im
Kriege mit Pocci'schem Wappen auf dem Koppelschloss ohne
Offiziersrang, ein Narr seiner Zeit und so eben dieser, dem
Heldentod Entkommen, und philosophierte vom Erbe heute und Ende
aller Dinge auf einem Holzklotz in der Sonne, Fussball und
Schlagzeug spielend der 30er Jahre noch mal im Schloss, auf dem
Unimog zum Tanz fahrend im Regina als Figur des Films, der nun
entstand wie zum letzten Auftritt seines Geschlechts, so auch auf
der Jagd von Fasanen, die er vorher aussetzte, Bayern als schönste
Beute gerade so. Seine Philosophie war: alles lassen und als Grabmal
monumentalisieren im Verfall. Er heiratete dann die Freundin der
Tochter, das Schloss verkauft, nach seinem Tod, wechselte ins
Immobilienschicksal kalter Leute. Unser Kasperl alter Texte mit
heutigem Inhalt kletterte und fiel durch Staub und alte Flaschen
hinabtorkelnd im Film. Heute ist da alles kleen und ex. Es war das
Aus des Westens, mit dem der damalige neue deutsche Film von
Oberhausen, fixiert auf städtische Sozialkritik, nichts anfangen
konnte. Die Dokumentation über die Pappenheim'sche Familie von
Strobl Tichawsky wurde berühmt wegen des Hohns, zwei Jahre vor 68.
Die Franzosen erkannten auf den Festivals die poetische Tristesse
als reale Kraft eines ästhetischen Ausdrucks der Zeit. Es war die
westliche Variante dessen, was sich Osten durch staatlich
verordneten Untergang vollzog.


I.
Hans Sedlmayr

Nach München kam ich, weil Berlin als Fluchtort für Ostzonenflüchtlinge unzugänglich war, wegen der Aufnahme-Quote der Länder und Berlin überlaufen war. So fuhr ich nach Berlin während der Ferien, immer. In München war die Universität und dort sehr schnell Hans Sedmayr das Zentrum, der Flüchtling nach 45 aus Wien. Audi Max. Immer voll. Alle Fakultäten. Da ging man hin. Da traf man sich. Ich, Kunstgeschichte im Nebenfach, 2. Nebenfach. Alle Prüfungen jedes Semester für das Stipendium, Honnefer Modell immer dort, 110 Teilnehmer des Seminars, das war übersichtlich, bei den Germanisten tausende. Die sogen. Münchenprüfung bei seinem Assistenten Huballa, hiess alle Museen, jedes Bild, jeden Gegenstand, die Stadtgeschichte wissen, zu Fragen allgemein Literatur und Epochenstile. Wer da durchkam, war einen Schritt weiter. Er selbst hager, spitzes Profil, wie man sich einen Buchhalter vorstellt, im Reich Gottes, mit geistiger Spannkraft und überraschender Humor immer dabei, gefürchtete Instanz, die letzte. Bekannt für seine Systeme, des Denkens, Klarheit der Darstellung, Forderungen optisch-gedanklicher Analysen, belesen in den Seitenfächern latein, griechisch, englisch, französisch, italienisch, in Literatur und Wissen des Fachs, grosse Prospekte des Warum und Wofür und Woher, faszinierende Potenz eines Lehrers. Einmal kam er rein, ans Pult hinauf, vor allen, 800 Plätze, voll, und eröffnete die Vorlesung, jede Woche 2 Doppelstunden im Auditorium Maximum, Sie wissen, was heute für ein Tag ist, der 20 Juli, Sie wissen ich bin gehalten, etwas dazu sagen, und Sie wissen, was darüber denke. Er war aus Gründen der nähe zum 3. Reich aus Wien nach 45 emigriert. Dann begann er seinen Stoff. Wir waren erstaunt. Nicht aufgeregt, nicht empört, nicht bereit zu folgen, eher es als Kuriosum anzunehmen. So war er. Und eben offen.. Nach 60 Jahren keine peinlichen Entdeckungen. Sicher auch niemanden geschadet. Etwas Achselzucken. So war er eben, Getuschel, einziger. Erste Arbeit, zur Aufnahme, bei ihm persönlich, ob überhaupt geeignet und bei ihm, Botticelli Beweinung Christi, Alterswerk, aus der Pinakothek, er war erstaunt, Nicht Lieblingsbild junger Seminaranwärter, später Proseminar, galante Szenen im Garten, Aufgabe, Rinaldos Verführung, vor ihm it. 18.Jahrhundert Seminaralltag des Meisters, so das Rigorosum mit ihm Auge in Auge, Angst, mildes Schulterklopfen. Er war eine Institution. Viel später las ich sein Buch über seine Kindheit auf dem Lande Das goldene Zeitalter, geschrieben im Schützengraben, Russland, auf der Wache. Jetzt verstand ich ihn und warum ich wohl Gnade fand als Aussenseiter. Der Vater Verwalter auf grossen Besitzungen, wusste, was es heisst, nur einen Weg frei zu halten von Unkraut, täglich, hatte einiges frei bei ihm. Den Parsifal am Ende vorgelegt, vor seinem Tode, Stoff und Wagner mochte er nicht, dachte es sei ein Witz, schade. RW als Gegenfigur des Verfalls?

 

II.
Fritz Kortner *

Kortner-Heimat

K. (Wiener, Flüchtling auch, aus Amerika nun zurück) war damals die dominierende Figur auf dem Theater als Regisseur der Zeit. Viel Bewunderung, viel Wut, immer Aufregung, einmal Spiegeltitel geworden. Es war unter den Jungen üblich, heimlich, gebückt, oben in den hinteren Reihen den Proben auf der Bühne zu folgen. Ich, nach dem Studium, Regieassistent in den Münchner Kammerspielen, inzwischen beim Fernsehen als freier Mitarbeiter, mit Spezialgebiet der Theaterpremieren, kannte mich hinter der Bühne und beim Eingang(Pförtner!) gut aus und es war mir möglich auch mit Kameras von oben und von hinten leicht heimliche Aufnahmen zu machen, wie sonst keinem, so von den Kortnerproben von Hoppe und Hinz mit aktueller Sendung am selben Abend(noch auf Zelluloid von 16-18 Uhr mit Schnitt und persönlichem Kommentar), Samstagabend, mit Protest des Hauses, zukünftigem Aufnahmeverbot, bis er selbst eingriff und lachend einlud zu kommen, wenn ich was Neues mache von Anfang an, das war dann Kabale und Liebe im Auftrag des BR, aber an R.H von den Oberhausenern des sog. Jungen deutschen Films mit Abbruch der Produktion aus Angst vor Kortner und dem blindlings besessenen und unzurechnungsfähigen Anhänger des Meisters, eines Kortner, der damals gerade seinen Skandal(Norbert Kappen zum Nazi der Proben gemacht) wieder mal überstand. So wurden es Aufnahmen mit 3 Kameras der aktuellen Abteilung des BR und alles etwas aus der Norm. 16 Stunden Material in 3 1/2 Tagen. Aber ein Dokument von diesem Mann. Vorher der Eklat und die Entfernung des unter Antisemitismus verdächtigten Schauspielers für alle Zeiten. Wie sollte das gehen. Gerade dann. Eine Szene nur eine, und die am Schluss, sonst nichts. Mit Kamera auf Ihn, heimlich, unbemerkt, aber doch und da Mikrophon immer dabei. Kortner war wie ein Lämmchen. Er hatte immer recht. Alles logisch, für den 3. in der Ferne. Wehe, wenn er sich gegen einen festbiss. Tölpel, zu dem er sie machte so. Rechthaberisch er und viel Servilität um ihn. Zynismen auch. Aber Grösse der Gedanken. Spielerische Freude am Ändern, Gestaltungen von Ideen. Wortgetreu, mit eigenen Eingriffe in den Text. In die Höhe. Das Pathos, das er mit seinem Sinn für Realismus absicherte. Absoluter Meister seines Faches. Authentisch, autoritär, Autorität. Warum machte er, wie entstanden die Krisen, oft darüber nachgedacht. Er brauchte sie zur schöpferischen Ruhe danach. Als Selbstopferung auch, Aderlass der wilden Psyche, seine Frau Hanna brauchte er zum Zusammenhalten der verschiedenen Explosionen. Im zweiten Film mit ihm, den Monologen (Shylock bis Faustende) wählte er mich zum Feind und Aderlass der Anspannung, einer wohlgeplanten, und das war falsch und ungünstig, ich musste rebellieren, aber wir standen es durch, entladen in grosser Belastung, seine Frau musste helfen, Everding als Geschäftspartner vor der Kamera war hilfreich, aber er, der Meisterschüler, hätte den Film nie machen können, gegen Kortner selbst, gegen sich, so musste es sein, so wurde ich zum blonden Gegner, ich, der den Film als Einziger garantierte. Alles vor der Kamera, sorgfältig herausgeschnitten dann. Man hätte es nicht senden mögen ohne ihn zu beschädigen. Der Film beruhigte ihn später. Mit gemurmelter Gratulation. Und mir wurde er der Anfang aller anderen. Nach der Schule im Fernsehen von Münchens Regionalprogramm.

(Siehe auch: Kortner Menüs*)

Freitag, den 6. Juni
zur Reise nach München und Einladung dort eventuell was zu sagen.