Dienstag, den 30.Januar
Alltag in N.
Dann andererseits das Alte Testament, das Buch, das ein Volk, das sich im
Exodus befindet, über Jahrhunderte zusammenhält. Das ist die alte
Macht der Bücher. Jetzt kommt Gutenberg und die Reformation. Mit ihr
die Auflehnung, die Emanzipation von einer zentralen Ordnung. Das ist jetzt
büchergesättigt. Die ganze bürgerliche Revolution besteht
aus dem Kampf von Büchern. Und das ist Öffentlichkeit: dass ich
mich äussere und darauf Antworten erhalte, dass ich meine intimen Erfahrungen
selbstbewusst mit anderen austausche.
Im tiefen Raum des Internets
Sie haben gesagt, mit dem Internet komme ein neuer Gutenberg . . .
. . . weil wiederum jeder sich ausdrücken kann. Zwar zunächst unqualifiziert.
Die ersten Druckschriften von Gutenberg sind furchtbaren Inhalts. Oder die
Flugschriften im Bauernkrieg.
Sie raten also dem Suhrkamp-Verlag dringend, auf Online-Publikationen umzustellen?
Nein. Die erste Reihe publizistischer Online- Portale besteht aus Medien
wie «Spiegel online» oder «NZZ online» usw. Dahinter
die zweite Ebene, wo sich jeder äussern darf. Dann gibt es eine dritte
Ebene, und da hört das Unqualifizierte auf. Stattdessen: Neuerfindung
der Gründlichkeit und des Kommentars. Die Formen, die uns da begegnen,
sind unakademisch geordnet, und die einzelnen Elemente können kurz sein,
Filme von drei Minuten zum Beispiel. Die Komplexität wächst mit
der Vernetzung. Wir können in der Tiefenebene des Internets die alten
Gründlichkeiten wiederbeleben. Bis hin zu Thomas von Aquins Methode
des Kommentars. Das Einzige, was wir nicht wiederbekommen, ist der Autor,
der ruft «hier bin ich, ich verwandle alle Herbstblätter in eine
traurige Stimmung».