Der Essay war seine Stärke: Hans Wollschläger
20. Mai 2007
Alle, die Hans Wollschläger kannten, aber auch alle, die über ihn
redeten oder schrieben, mussten sich eingestehen, dass sie seinen Leidenschaften
nur zum Teil - oft zum geringen Teil - folgen konnten. Kein anderer Name
der deutschen Nachkriegsliteratur ist so fest an künstlerische Wahlverwandtschaften
und bedingungslose Loyalitäten gebunden wie der Hans Wollschlägers.
Einmal erwählt, war dem Objekt seiner Bewunderung lebenslange Treue
sicher, die sich in hingebungsvoller philologischer Arbeit niederschlug.
Da war die frühe Karl-May-Biographie (1965) und das jahrzehntelange
Werben um einen angeblich unterschätzten, als „Jugendautor“ abgestempelten
Epiker; die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Arno Schmidt, der neben vielem
anderen eine gemeinsame Übersetzung von Poes Gesamtwerk entsprang; die
große Friedrich-Rückert-Edition, der bis zuletzt Wollschlägers
Einsatz galt.
Literaturkritik war respektvoll, aber ratlos
Und da sind die kürzeren und längeren Essays, seine eigentliche
Form, seine Paradedisziplin, in der er zu den paar Großen der letzten
Jahrzehnte gehörte. Vielleicht gab es auch das nur einmal in der deutschen
Literatur: einen Schriftsteller, Essayisten und Herausgeber von solchen Graden,
der zwar die eigene Position mit hochfahrendem Sprachgestus verteidigte,
aber nie aufhörte, ein Jünger zu sein. Im Alter von zweiundsiebzig
Jahren ist Hans Wollschläger jetzt in Bamberg gestorben.
Auf der Strecke blieb sein ehrgeizigstes literarisches Projekt, der Roman „Herzgewächse
oder der Fall Adam“, dessen erster Teil 1982 erschien und dem (trotz
des Gerüchts, Arno Schmidt habe die Fortsetzung gelesen) keine weitere
Lieferung mehr folgen sollte. Vor den experimentellen Verfahren, der Anspielungsfülle
und den verschiedenen Schrifttypen dieses Buches stand die Literaturkritik
respektvoll, aber einigermaßen ratlos da.
Versuchung, „Ulysses“ zu verbessern
Zu Recht: Was darin begonnen wurde, konnte nicht eingelöst werden, und
jenseits der routinierten Verbeugung vor dem avantgardistischen Wollen dieses
Künstler- und Bewusstseinsromans bleibt festzuhalten, dass Wollschläger
kein Erzähler und der Roman eindeutig nicht seine Gattung war. Am Ende,
so berichtete einer seiner Freunde, habe er jedem Satz eigener Fiktion misstraut
und kaum noch ein Wort gelten lassen.
So ist es nicht als Ironie, sondern als zwingende Lebenswendung aufzufassen,
dass einer der originellsten Köpfe der deutschen Literatur erst als
Diener zu echtem Ruhm kam, nämlich mit seiner hochgelobten Übersetzung
von James Joyces' „Ulysses“ (1975). Auf Lesungen erzählte
Wollschläger, der ein glänzender Rezitator war, der Übersetzer
sei hier und dort naturgemäß versucht gewesen, den epochalen Roman
ein wenig zu verbessern. Dass er ihn in dieses Deutsch brachte, wird der
Nachwelt aber reichen.
Durch tausende Seiten Theologenprosa gekämpft
Das Bewusstsein eigener Überlegenheit hat sich im stilistischen Gestus
des Kirchenmusikers und psychoanalytisch geschulten Schriftstellers durchaus
niedergeschlagen. Auch in dem, was man seinen aufklärerischen Furor
nennen muss. Ihm verdanken seine Leser hier brillante, dort wütende
und in ihrer Wut enervierende Seiten. In den kirchenkritischen Büchern „Die
bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem“ (1973) und „Die Gegenwart
einer Illusion“ (1979) zum Beispiel rennt Wollschläger ein paar
offene Türen zu viel ein, und allein bei dem Gedanken, dass er sich
durch viele tausend Seiten Theologenprosa gekämpft hat, um den endgültigen
Essay gegen Helmut Thielicke zu schreiben, wird einem flau.
Der pausbäckige Titel eines Thielicke-Buches, „Zu Gast auf einem
schönen Stern“, muss dem Mann aus Bamberg, der sich ein wenig
als Nachfolger von Schopenhauer und Karl Kraus begriff, wie gellender Hohn
in den Ohren geklungen haben.
„
Die Masse erdrückt, auch mit ihrer Zuneigung“
Nimmt man die Produktion der letzten Jahre und Wollschlägers Stellung
im deutschen Literaturbetrieb, bleibt der Eindruck eines ewigen Jünglings,
der dem Versprechen auf die eigene Größe dicht auf den Fersen
blieb, am Ende aber seine Energien - es muss seine Wahl gewesen sein - auf
zahlreiche kleinere und mittlere Aufgaben verteilte, darunter die Streitschrift „Tiere
sehen dich an“ (2002), die bewegende Erinnerung an seinen Lehrer Adorno
(“Moments musicaux“, 2005) und die Bündelung seiner literaturkritischen
Schriften in zwei Bänden unter dem Titel „Von Sternen und Schnuppen“ (2006).
Am Beispiel von Glenn Gould hat Wollschläger über die „Kultfigur“ geschrieben,
was er selbst tief empfunden haben dürfte: „Die Masse erdrückt,
auch mit ihrer Zuneigung; wälzt sie sich ihrer nächsten Begeisterung
zu, so lässt sich mit dem hinterbliebenen Rest nichts mehr anfangen;
nichts ist so tot wie der Kultus von gestern.“
In diesem Sinne also wird er nicht sterben können. Längst erscheint
beim Wallstein Verlag in Göttingen eine Gesamtausgabe, die seiner würdig
ist und die editorische Verstreuung seines Werks beenden wird. „Ich
meide ,die Menschen' keineswegs“, hat Hans Wollschläger einmal
mit apartesten Anführungszeichen gesagt, „ich fürchte sie
nicht und hasse sie nicht; ich bin nur - sagen wir - zunehmend wählerisch
im Umgang mit ihnen geworden.“ Auch für Bücherleser ist das
eine meisterhafte Lektion.
Text: F.A.Z.