Die Empörung über das unmögliche Ja
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Die Empörung über das unmögliche Ja
Samuel Becketts Glückliche Tage mit Jutta Lampe und Urs Hefti
im Akademietheater
Eine Frau um die 50. Unterleib hat sie keinen mehr. Die Erde hat
ihn schon verschlungen. Sie wird ihr demnächst bis zum Hals stehen. Ihr
Mann um die 60 haust in einem Erdloch.
Wüste.
Die Frau hat ihre kleinen Rituale. Beten. Zähneputzen. Schminken. Erinnerungen.
Dass sie schon zur Hälfte wieder Staub ist, ist für sie kein Grund
zum Selbstmitleid. Es wird ein glücklicher Tag gewesen sein.
Und sei es, weil der Mann ein halbwegs artikuliertes Wort an sie gerichtet
hat. Er liest Anzeigen vor, aus einer alten Zeitung.
Treibsand
Die Metapher ist für jeden Mittelschüler lesbar: Kaum hat uns die
Erde ausgespuckt, beginnt sie schon wieder, uns einzusaugen; langsam sinken
wir ins Grab, ein Leben lang; jeder Atemzug bringt uns einen näher zu
unserem letzten.
Und schon verlassen wir den sicheren Boden. Da ist einmal die für Beckett
typische, überreiche, kaum endgültig zu dechiffrierende Symbolik.
Ein Revolver, der einen Kosenamen hat, der liebevoll bereitgelegt wird, aber
doch außer Reichweite ist. Ein Sonnenschirm, der Feuer fängt. Ein
Sack, in dem das Leben Platz hat. Ein Wecker, der die Menschen stellt statt
umgekehrt.
Was will uns Beckett sagen? Dass das Leben sinnlos ist? Dass . . .
Völlig falsche Frage. Beckett will uns gar nichts sagen.
Wir selbst
Becketts Texte verweigern uns die gemütliche Rollenteilung da
oben erzählen uns ein paar Figuren was, da unten sitzen wir und können
es ernst nehmen oder nicht, wachen oder schlafen und nachher schön essen
gehen, ganz wie wir wollen. Beckett stellt uns selbst auf die Bühne und
lässt uns uns selbst beobachten. Mitleidlos, aber nicht kalt.
Warum man das betonen muss? Weil es mit Jon Fosse derzeit einen Mode-Dramatiker
gibt, den uns viele als neuen Beckett verkaufen wollen. Daher empfiehlt es
sich, Schöne Tage im Akademietheater zu sehen und nachher
zum Beispiel Fosses Da kommt noch wer im Volkstheater.
Fosse ist eine Sphinx ohne Rätsel, Beckett ist ein Rätsel ohne Sphinx.
Beckett denunziert seine Figuren nicht, er macht ihr hilfloses Strampeln nicht
lächerlich, er missbraucht sie nicht, um verlogene Lösungen anzubieten.
Er spielt auch keine gelehrten Rätselspiele mit seinem Publikum, zur
Ablenkung.
Beckett weigert sich, das Unerträgliche zu tragen, das Unannehmbare zu
nehmen. Er begegnet dem Leben mit Verachtung, indem er es dar- und damit bloßstellt.
Sein Nein zum Schönen, Wahren und Guten ist getragen von
der Empörung, nicht Ja sagen zu können.
Nicht absurd
Es ist das große Verdienst von Edith Clevers Inszenierung, dass sie
einen über diese Fragen nachdenken lässt und nicht über
Fragen der Regie. Hier geht es um den Text. Clevers Arbeit zeigt auch, wie
falsch es ist, Beckett als absurdes Theater zu verharmlosen.
Jutta Lampe als Frau bietet eine beeindruckende Leistung bis zur
Erschöpfung. Urs Hefti versucht nicht, als Mann Lacher zu
schinden. Christoff Wiesingers Bühne verzichtet auf surreale Verniedlichungen.
Verdienter Jubel für alle, vor allem für Lampe.
Guido Tartarotti