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Erinnerung.

Das Wort hat heute Konjunktur. Meistens wird es verwendet als öffentliches Bekennen oder Forderung in Verbindung mit Menschenverlusten, an die man sich erinnern soll. Oft ohne individuelle Bewertung, was verloren ging, als den des Verlustes oder der Anzahl.

Wie sehr auch immer die Toten von Dresden und ihre Todeskämpfe unter den Bomben uns vor Augen und in den Ohren sein mögen, der Verlust der vielhundertjährigen Stadt wirkt noch nach, wenn jene schon längst auch eines natürlichen Endes abgegangen wären, so unvergleichbar auch beides sei, in dem, was eine Stadt hervorgebracht und diese Menschen als Stadt geworden.

Wie teuer auch und kaum nachzuvollziehen der Verlust an Menschen war, als sie vertrieben wurden (15 Mill.) aus den Provinzen und Städten Schlesiens, Pommerns im Osten oder Ostpreußens und auch ihr menschliches Leben dort, so ist doch das, was ihre Sprache dort war und das Leben als Form-gewordene Töne und Bilder oder Häuser der Kultur daraus in Kirchen, Theatern, Musiken und Texten ist so unendlich viel mehr Verlust. Für sie und alle. Wie das Aussterben einer Art soviel mehr ist als das Ende eines individuellen Lebens, so oft und soviel und wie auch immer zu beklagen. Der Verlust aber in uns, in der Natur, um uns, täglich und überall, in alten Texten und im Himmel der Götter unserer Seele, ist das Eigentliche, womit wir das bezahlen, was als wir Geschichte sind in alltäglicher Bequemlichkeit und Gigantomanie unseres menschlichen Fortschreitens.

Zum Pariser Projekt. Höhle der Erinnerung Berlin 1997
           Hier zeigt dieses Wort die in einer Höhle versammelten und an die Wände projizierten Taten der Menschen oder Zeugnisse ihrer Existenz an und bezeugt jene Natur, die durch den Menschen verloren geht. Das kann in Bildern geschehen oder in Tönen, der Worte und des Gesangs. So versucht in dem großen Raum der 31 Projektionen in Kassel (documenta 1997).

Oder es kann versucht werden, wie in der Berliner Variante, unter die Erde zu gehen, der oben abgeräumten Häuser, Straßen, Plätze und Gärten als Verlorenes Leben, sowie in den Gegenständen der Kunst darüber von heute, neu zu prüfen, zu kombinieren mit unseren Möglichkeiten, in neuen Taten aus jenen Verlusten, was Schein war oder wert ist, gehalten zu werden, in Augen, Ohren oder Herzen. Einzig da entscheiden wir, was war, und was wir sind oder sein werden.

Wenn in jenem Band aus Berlin nun allein die Worte aus Goethes Faust mit der Musik aus Mozarts Requiem oder die letzten Worte Kleists und Oskar Werners im Prinzen von Homburg in den Gängen der Keller zu hören sind, unter jenen Häusern, wo sie geboren wurden (als Premiere oder geschrieben), dann klingen da Worte, wie verlorene Stimmen, zu einem Gesang, den wir heute empfangen können, wenn wir dazu imstande sind, ihnen die Ehre zu geben, mit neuem Sinn. Den unsere Technik ermöglicht und unser Bewusstsein so damit umzugehen, dass eine Poesie daraus entsteht als Gewinn aus dem Verlorenen und wir Geschichte in ihm.

Nur wo die Erinnerung fassbar wird unseres sinnlich zu erfassenden Geistes, wird sie weiterwirken als Tat unserer Existenz. Alles andere fällt durch den Rost der Geschichte; wie wir diese erheben können, wenn diese Erinnerung Gestalt wird, durch den Geist, den zweifelnden, verzweifelnden, vor dem Gericht dessen, was uns bestimmt und weiterführt.

Materialisierung - nein, betreten der Bezirke aus Mythos und Legende? - auch, Rituale, Exerzitien? - warum nicht, immer neu zu ergründen, bestimmen, erst die Form, die wir wählen, entscheidet über Wahrheit und Unsterblichkeit dessen, was über uns hinausweist. Und wovon die Zeiten leben und wofür wir. Das Gehäuse und schaffend aller Klagen Heimstatt und manchmal auch der Freuden Jubel, wenn es gutgeht, daraus oder davor, sie zu bewahren. Dass wir sind.