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Die Fälle Jürgen W. Möllemann und Martin Walser: Die Elite
und der Mob / Von Jan Philipp Reemtsma
Frank Schirrmacher hat erklärt, warum die FAZ den neuen Roman von Martin
Walser nicht vorabdruckt (s. FR von gestern). Diese Entscheidung dürfte
richtig sein und gut ist, dass der damalige Friedenspreis-Laudator sie begründet.
Walser phantasiere, so hören wir, in seinem Roman die vermeintliche Ermordung
eines alter ego von Marcel Reich-Ranicki namens André Ehrl-König.
Schirrmacher sagt, was angesichts des dem deutschen Mordregime wider alle
Wahrscheinlichkeit entronnenen Reich-Ranicki über so eine veröffentlichte
Phantasie zu sagen ist. Ich fasse es kurz: es ist eine literarische Barbarei.
Schirrmacher zitiert aus den Druckfahnen des Romans außerdem folgenden
Satz: "Umgebracht zu werden passt doch nicht zu André Ehrl-König",
und interpretiert ihn als Anspielung auf den unsterblichen ewigen Juden. Er
hätte noch mehr sagen können. Walser jongliert nämlich mit
einem der schlimmsten Sätze des von Reich-Ranicki verehrten, von Walser
oft geschmähten Thomas Mann, den er anlässlich der Ermordung Theodor
Lessings durch ein Nazi-Mordkommando geschrieben hat: ein solcher Tod passe
zu ihm.
Wir werden jetzt wieder über Walser sprechen, dessen Rede in der Paulskirche
für Ignatz Bubis der Anlass war, zu sagen, er habe nichts erreicht. Vielleicht
wird der Skandal um Walser dazu führen, dass wir aufhören, über
Jürgen Möllemann zu reden, von dem Paul Spiegel sagt, die Juden
in Deutschland seien nach 1945 noch nie so beleidigt worden wie durch ihn.
Aber eins verbindet Möllemann und Walser; beide haben sich zur Rechtfertigung
ihrer öffentlichen Auslassungen auf den bloßen Umstand berufen,
Applaus erhalten zu haben. Viel Applaus. Beide haben auf jenen Faktor gesetzt,
in dem Hannah Arendt eines der Erfolgsmomente des Nationalsozialismus gesehen
hat, das Bündnis von Elite und Mob. Das Projekt 18, das Möllemann
der FDP aufgeschwatzt hat, soll wohl jugendlichen Überschwang an der
Mündigkeitsgrenze signalisieren und zu dieser Jugendlichkeit gehört
auch, dass Möllemann im Neuen Deutschland eine Kolumne mit dem Titel
"Die neue Zeit" schreibt, die den europaweiten Rechtspopulismus
als Emanzipation der Demokraten hochleben lässt und dafür prompt
Beifall von Jörg Haider erhält.
Was sind die Schlagworte des Populisten Möllemann? Zum Beispiel, dass
man in Deutschland die Politik Scharons nicht kritisieren dürfe. Dafür
erhalte er Beifall. Das ist ziemlich verrückt: die Politik Scharons wird
mehrheitlich kritisiert. Möllemann hat gesagt: "Herr Friedman muss
akzeptieren, dass Kritik an der israelischen Regierung erlaubt ist."
Die Unterstellung, Friedman habe jemals etwas anderes gesagt, ist bodenlos.
Es gibt einen überparteilichen Konsens: die Existenzberechtigung Israels
anzuerkennen. Dieser wird auch von Möllemann nicht in Frage gestellt.
Er sagt nur, dass er, wenn Deutschland angegriffen würde, kämpfen
würde, auch im angreifenden Land. Das war im Kontext der Selbstverteidigung
Israels gegen Terrorangriffe im eigenen Land eine eindeutige Rechtfertigung
des palästinensischen Terrorismus, aber wörtlich hat er das natürlich
nicht gesagt.
Möllemann hat allerdings gesagt, dass Michel Friedman den Antisemitismus
schüre. Diese Aussage hat er inzwischen als unbedacht bezeichnet: "Ich
war zornig und bin aus der Haut gefahren", denn es sei "nicht fair"
gewesen, ihn "einen Antisemiten zu nennen." Wenn man jemanden einen
Antisemiten nennt, dann muss man wohl darauf gefasst sein, dass der so Genannte
zur Widerlegung des Vorwurfs prompt den klassischen antisemitischen Topos
äußert: die Juden seien schuld am Antisemitismus. Irgendwas muss
an denen doch faul sein, dass wir sie seit Jahrhunderten verfolgen. Aber Antisemitismus,
so Möllemann, sei mit "seinem liberalen Menschenbild unvereinbar".
Antisemitismus hätte auch mit einem christlichen, mit einem sozialistischen,
mit einem aufklärerischen Welt- oder Menschenbild unvereinbar sein sollen
und ist es nicht gewesen. Was ist das, Bauernfängerei oder Ignoranz,
oder das Bündnis von Elite und Mob im eigenen Kopf?
Es gibt Antisemiten, deren Denken und Handeln vom Antisemitismus beherrscht
wird, der Typus Streicher oder Hitler. Die sind gut zu erkennen und niemand
würde wohl Möllemann dieser Gruppe zurechnen. Wir leben aber in
Europa und hier gehört nun einmal der Antisemitismus zu den traditionsreichsten
Glaubensrichtungen, und auch dort, wo man sich nicht mehr zu ihm bekennt,
ist er im allgemeinen Gefühlshaushalt überall latent präsent.
Es kann vielen passieren, dass ihnen bei einem Klischee oder einem Argument
plötzlich wohl wird, bloß weil es so vertraut klingt. So wie Norbert
Blüm, der von einem israelischen "Vernichtungskrieg" spricht,
um das Wort endlich einmal nicht nur auf den deutschen Krieg gegen die Sowjetunion
und die Ermordung der Juden durch SS und Wehrmacht anwenden zu müssen,
sondern um es auf den Krieg der Söhne und Enkel der Opfer beziehen zu
dürfen.
Es ist unrealistisch, zu hoffen, irgendeine europäische Nation - und
speziell die deutsche oder österreichische - könne 50, 60, 70 und
mehr Jahre nach dem Holocaust von solchen Affekten frei sein. Es ist eben
aus diesem Grunde unerlässlich, zu verlangen, dass solche Affekte erkannt
und benannt werden. Es ist intellektuell unreif und politisch verantwortungslos,
im Namen eines Generationswechsels, einer neuen Zeit oder einer allfälligen
Historisierung oder Normalisierung eine diesbezügliche Aufmerksamkeit
als "Alarmismus" zu denunzieren.
Jürgen Möllemann richtet seine Strategie politischer Meinungsäußerungen
augenscheinlich an den Anforderungen aus, die an ihn als Lobbyisten gestellt
werden. Möllemann ist ein Populist und weiß, dass man den Leuten
einreden kann, man führe sie an, obwohl man bloß hinter ihnen herrennt
- und dass man sich auf diese Weise an die Spitze einer so geschaffenen Bewegung
setzen kann. "Emanzipation der Demokraten" eben. Möllemann
scheint aber auch gewissen Affektstürmen ausgeliefert zu sein, wie er
hartnäckig demonstriert. Daher stammt das lustige Wort seiner Parteifreunde
vom "Quartals-irren". Noch streiten die Statistiken darüber,
wie erfolgreich der Populismus von Möllemann ist. Dass, wie ein seit
Neuestem umlaufender Witz behauptet, das Projekt 18 darum so heiße,
weil die Neonazis gerne einen Buchstaben-Zahlen-Code verwendeten, also einen
Treff darum Club 88 nennen, weil H der achte Buchstabe des Alphabets ist und
88 Heil Hitler bedeuten soll, ist nicht mal als Witz besonders gut. Dass ihn
möglicherweise irgendein Vollzeitirrer aus der Neonazi-Szene ernstnimmt
und darum FDP wählt, hat Möllemann durch sein Gerede möglich
gemacht.
Es geht darum, Grenzen zu ziehen. Schirrmacher hat dies getan. Politikerinnen
und Politiker der FDP haben das bisher nur angekündigt.
Der Autor ist Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung.
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Dokument erstellt am 31.05.2002 um 21:08:48 Uhr
Erscheinungsdatum 01.06.2002
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