DIE WELT
Freitag, 12. Juli 2002     Berlin, 20:06 Uhr
     

Peter Paul Rubens ist der Größte - jedenfalls der Teuerste  
Hut ab: Rubens (1577-1640), schon zu Lebzeiten als Malerfürst anerkannt, schlägt über 400 Jahre nach seiner Geburt alle Preisrekorde. Hier ein Selbstbildnis

Von Godfrey Barker und Gerhard Charles Rump
Mehr als 1600 Sammler überfüllten die Auktionssäle beim Auktionsgiganten Sotheby’s in London, der zusammen mit Christie’s den Kunstmarkt bei Versteigerungen dominiert. Hierher kommen die fetten Fische, auf Sammlerseite ebenso wie bei den Kunstwerken. London und New York bringen die großen Preise, Kontinentaleuropa ist nur Absatzmarkt für preiswertere Sachen.
Nicht nur El Greco und Rembrandt standen zum Kauf an, sondern vor allem ein Hauptwerk von Sir Peter Paul Rubens (1577–1640): „Der Kindermord von Bethlehem“ („Massacre of the Innocents“), das erst vor kurzer Zeit als Rubens-Gemälde identifiziert worden war. Es stammt aus dem Besitz einer österreichi

schen Familie in Stift Reichersberg, idyllisch zwischen Schärding und Braunau am Inn gelegen. Dort dachte man, das Bild stamme vom Rubens-Schüler Jan van den Hoecke.
Das Horror-Bild wurde für den Rekordpreis von 45 Millionen Pfund (mit Aufgeld 49,5 Millionen) – das sind gut 73,5 Millionen Euro – dem Londoner Antiquar Sam Fogg zugeschlagen, der sich im Auftrag eines bisher ungenannten Kunden gegen das unermesslich reiche Getty-Museum (Ausstieg bei 41 Millionen Pfund) und einen anonymen Telefonbieter durchsetzte. Dem Londoner Altmeisterhändler Johnny van Haeften war bei 34 Millionen Pfund die Puste ausgegangen, Noortman aus Maastricht hatte noch bis 36 Millionen mitgezogen.
Mit diesem Preis setzt sich Rubens an die Spitze der Bestenliste und entthront damit van Gogh, dessen Portrait des „Dr. Gachet“ der 1990 umgerechnet 59,8 Millionen Euro erreichte. Picasso („Frau mit verschränkten Armen“, umgerechnet 56,7 Millionen Euro) und Renoir („Au Moulin de la Galette“, umgerechnet 56,2 Millionen Euro) rutschen einen Platz tiefer. Bisher tauchten in der Liste der 20 teuersten Bilder nur zwei Alte Meister auf, Pontormo und Rembrandt. Jetzt ist der Dritte da, und das auf Platz eins.
Der Rekordpreis bestätigt einen Trend: Die Alten Meister kehren zurück. Die bedeutenden Altmeisterhändler Konrad Bernheimer (München und London) und Otto Naumann (New York) haben sich auch entsprechend geäußert. Die „Kalenderkunst“ der Impressionisten und der Klassischen Moderne, die den Markt im Hochpreissegment seit 30 Jahren beherrscht hat, tritt den Rückzug an.
Der in Siegen geborene Flame Rubens ist ein würdiger Spitzenreiter, denn zusammen mit Namen wie Velázquez, Michelangelo, Tizian, Leonardo und Rembrandt ist der unumstrittene Malerfürst des Barock der Inbegriff des großen Künstlers überhaupt. Er ist der Star der Gegenreformation, ein gefeierter Künstlerfürst, der auch in höchsten diplomatischen Diensten stand. Als er sich nach Schloss Steen zurückzog, erkundigten sich gekrönte Häupter nach seinem Wohlbefinden. Auf dem Kunstmarkt hat Rubens – am besten bekannt für Bilder vor allem mit weiblichem Personal mit der so genannten „Rubensfigur“, fleischreich und zartrosa – bisher beachtliche, aber nicht solche Höhen erreicht. Das bisher teuerste Rubens-Gemälde wurde 2000 bei Sotheby’s in New York für umgerechnet etwa acht Millionen Euro versteigert („Porträt eines Mannes als Mars“), gefolgt von einem Kopf des heiligen Johannes des Täufers (1998 am gleichen Ort, umgerechnet etwa 5,5 Millionen Euro) und einem „Wald im Morgengrauen, mit Hirschjagd“ (Christie’s, London, 1989) für damals drei Millionen Pfund (umgerechnet etwa 4,5 Millionen Euro).
Zu Zeiten des New-Economy-Booms hätte kaum jemand gewagt, sich einen Alten Meister aufzuhängen – da zählten Impressionisten, Moderne und Zeitgenossen. Die Trendwende hat zwar auch etwas damit zu tun, dass bedeutende Werke Alter Meister immer knapper werden. Hier manifestiert sich aber auch die Neigung der Sammler, das immer noch in erstaunlichen Mengen vorhandene freie Geld in inhaltsreiche und handwerklich hoch kompetente Kunst zu investieren. Obwohl investieren vielleicht das falsche Wort ist: Wer so hoch einsteigt, weiß, dass ein „return on investment“ kaum möglich ist. Die Höchstpreisbilder sind meist Millionengräber. Sie sollen der Psyche des Sammlers wohl tun, nicht seiner Börse.