Preussen Ende 300 Jahre

6. Januar 2002

Offener Brief an H. Kohl, ehemaliger Bundeskanzler,
Sicher werden Sie diesen Brief nie lesen, trotzdem gehört er zu denen, die
geschrieben werden müssen, auch, wenn sie von den Adressaten nie angenommen
werden, geschrieben, wenn Geschichte einen Sinn haben soll. Zu der Sie ja
gehören. Von Anfang her nicht Ihr Anhänger, war ich mehr und mehr und gerne
erstaunt, über Ihre Entschlusskraft und Diplomatie, auch über den Mut,
selbst gegen Freunde, wie mit ihnen zu handeln, als es um die
Wiedervereinigung Deutschlands ging. Über allen Respekt hinaus und die
Fortune des Geschicks. Um so grösser ist mein Entsetzen jetzt, zu sehen, was
das gekostet hat. Sie sahen sich gedrängt, im Osten Ostpreussen, Schlesien,
Hinterpommern und die verlorenen Landschaften dazwischen endgültig
einzutauschen. Es war die mit deutscher Unterschrift versehene Auflösung
preussischer Realität auch auf der Landkarte der Politik. So verstehe ich
auch die Aufgabe der DM als Einstand an die westliche Gemeinschaft in diesem
Zusammenhang. Ein letztes Rudiment aus dem Untergang erstrittener Identität
in einer materialistischen Welt.

Der Verzicht, von ihren Nachfolgern gerne aufgenommen, auf einen unablässig
mahnenden Kampf um die deutschen Kulturgüter in Moskau und Polen, geraubt
nach Hitler'schem Muster, und sei es in neuer Verantwortung gemeinsamer
Hüterschaft zu bergen, liegt schon nahe an dem Verlust, den Sie nun eigens
auf dem Gewissen haben, weil es nicht sein musste und nur eigenem,
vermeintlichem Vorteil in nächsten Wahlen diente. Sie haben ohne Not von
aussen nur zu eigenem Nutzen die Ulbricht'schen Enteignungen von 46 bis 49
sanktioniert. Wie wir heute wissen, - von Ihrem Freunde Gorbatschow selbst
bestätigt: es wäre absurd dahinter eine Forderungvon russischer Seite zu
sehen -, weil Sie es nicht brauchen konnten. Und dafür beugten Sie das Recht
des obersten Gerichts, zogen Ihre Leute von allen Seiten hinein, zu falschen
Aussagen. Um so schwerwiegender, als gerade Ihre politischen Kontrahenten
sich, wie Sie wussten, gar nicht dagegen wehrten, und noch mehr, selbst
zugunsten der SED Nachfolger LPG und PDS, die sich die Hände reiben. Sie
haben sich nach allen Seiten angedient. Ohne Not und wider besseres Wissen.
Das war Verrat. Hochverrat an der alten Kultur des Landes, woher wir alle
kommen, und ich meine nicht die Land-Wirtschaft, und nicht Provinzen, die es
betrifft, wie nicht den Besitzstand der Betroffenen, Entrechteten, die nun
zahlen, sondern Hochverrat an dem metaphysischen Wert von Land und Menschen
und der Kultur der Dörfer und eines anderen Lebens, ohne Grenzen, nur, aber
eben der Natur und unseres Abbildes darin. Nun mag man sagen, die Dinge des
Landes und der Erde und der Tiere und Pflanzen sind Produkte geworden und
haben eine Lobby der anderen Partei, es sei denn sie werden Bio-Waren. Sie
brauchten es nicht, im Gegenteil, Sie brauchten die Wählerstimmen derer, die
glaubten, sie würden begünstigt, durch dieses Untat der Geschichte, was auch
für sie eine Täuschung wurde, denn das Eigentum an Land und Rechten ging
grösstenteils gar nicht an arme Siedlererben, sondern an den Bund, wie bei
Ulbricht später an die Kolchosen des Staates. Und man mag sagen, nur eine
Marginalie auf dem Schachbrett grösserer Spiele und der üblichen Opfer,
Parteienopfer, wenn nicht gerade Sie die Losung von den blühenden
Landschaften im Osten hingestellt hätten, als Vision dessen, was da kommen
möge insgesamt als Leistung Ihres Lebens und Ihrer grössten Tat, und nicht
umsonst wählten Sie eine Metapher aus der archaisch assoziierenden
Bilderwelt biblischer Sprache, dass nun der Fluch auch solcher Rache ist,
sein wird. Was ist dagegen die läppische Spendenaffäre im üblichen
Parteiengezänk für eine Ablenkung von diesem eigentlichen Partei-Opfer einer
historischen Schuld, wo Sie versuchten sich vor dem Gegner keine Blöße auf
der untersten Ebene eventueller Nähe zu Junker- und Nazi-Verdächte des
linken Jargons zu geben. Es brachte niemandem etwas, der Gutes meinte,
wollte. Das Land liegt brach, die Leute laufen weg. Alte Strukturen sind
verödeter als zu Honeckers Zeiten und alles ist nur ein Mahnmal Ihrer
Schande, denn nicht mal eine falsche Ideologie verführte Sie, nur Eigennutz
und kleinhäuslerische Allianzen.

Sie waren es, der die Dörfer zerstörte, der das Land verödete und der die
Menschen elend machte, hoffnungslos und in falsche Arme trieb. Sie haben das
Recht gebrochen, Sie haben sich bereichert, und sagen Sie nicht, dass Sie
kein Geld genommen, wenn Macht im Spiele ist, Sie haben Unheil gebracht, und
das ohne Not und aus vollen Händen, die die Entrechteten beraubten. Schwarz
ist das Mahnmal Ihrer Tat, die alles ursprünglich Erfreuliche schwärzt.
Schauen Sie in die Herzen jener, die da leben, und Sie würden sehen, wie
ernst das ist, ohne Sinn, zwischen dem östlichen Desaster und nun westlichem
Verrat eines noch gerade einmal versuchten Zutrauens. Und Glaubens. Den Sie
immer gerne mit tränenden Augen machten, wenn es heilig wurde oder dem Tod
nahe kam, oder wenn man Sie ehrte, wohl ahnend, wie nahe Sentimentalität der
Maske ist für die Schuld, die Sie nun tragen müssen. Diese Schuld, wird mehr
und mehr offenkundig werden. Sie ist letzlich eine des Geistes, von dem Sie
dann doch nichts wissen, was Sie auch noch ent-schuldigt. In Ihrer Haut
möcht ich nicht stecken. Und wenn ich Sie manchmal, im Mantel dicker Hülle
zittern sehe in falscher Behauptung, ist es wie ein Bild vor dem Richter
ganz anderer Instanzen, des Dantes Würdenträger Hölle. Einsam und
schaudernd, der Schreie voll ist die Öde und Weite solcher Figuren.
Abgewendet gehen wir weiter. Gesenkten Kopfes. Die Trauer dient dem, was hier
verschuldet. Nicht mal der Verachtung dessen, der das verursacht, ganz
kleinen Gewissens.

Wozu sonst wäre es gut jetzt solche Dinge auf mich zu nehmen, ohne Film und
Theater oder Buch-Pläne, und ohne Besitzansprüche, wenn nicht für eine
Aneignung eben jener Art der Erfahrungen und einer Sinngebung, die Erfahrungen
erforscht vor Ort, im Ort dessen, was hier aufgeladen. Und die Ergebnisse
reichen von Verwaltungsbüros dieser Erbschaften und des Kreises oder Landes
bis zu Amtsgerichten und Staatsanwaltschaften, Materialien für diesen
letzten Teil einer biografischen Topografie des Landes, der jede location
sonstiger Drehpläne reich füllen könnte, als bittere Farce dessen, was vor
dem Krieg begänne mit Vorgeschichten der Zeugungsgeschichten und im Krieg
mit Sicherungen und Verlusten. die nach 45 dann historisch wurden als Schuld
dafür tragen, was andere verursachten, die heute sich mästen an der Ernte
der Verluste. Was aber zu belegen wäre von jetzt und Vergehen der eigenen
Generation ist das, was hier anklagt. Und wen denn sonst, als den, der an
obersters Stelle dafür verantwortlich ist. Zu fragen, warum und wofür. Zu
wiegen, was vertan ist.

Denn gerade Sie hätten es wissen müssen. Aus dieser Herkunft. der Geschichte
verpflichtet und Ihren Leuten, wie kleinkariert auch immer und beladen durch
die Zeiten. Wissen um die Folgen. Der, der solche Proben seiner
Entschlossenheit gewagt, als es darum ging, die Einheit zu etablieren gegen
Mehrheiten um ihn. Und wenn schon Rechte umgangen, neu zu gründen gewesen
wären, der Zeit gemäss, warum nicht jenen aufbürden, die dafür geboren und
gewachsen waren, was ihnen zukäme, und nur dann sie zu belasten, wenn sie
bereit gewesen wären, zu übernehmen und zu sorgen, wofür man sie nun neu
belehnte. Also nicht zurückzugeben an solche, die nur spekulative Kräfte und
Interessen hätten, und nur solche zu begünstigen, nochmal, nun aus
demokratischer Errungenschaft, aber mit Lasten, die bereit gewesen dafür das
zu tun, was hier zu tun wäre. Ordnung zu schaffen von Grund auf nochmal, zu
erneuern von innnen, aus dem Geiste mehr des Warum und Wofür, als
Investitionen nur materieller Nutzen. Vertan. Vorbei. Die kalte Enteignung
nach 89 ist frevelhafter als jene von aussen erzwungene und darum nie
beherzt angenommene nach 45, weil ohne Not als Zeichen ganz anderer
Verluste, als die der Niederlage militärischen Natur zu verantworten. Alles,
was heute vielleicht noch geschieht, hier und da, aus persönlichem Auftrag,
gegen alle Behinderungen der offiziellen Instanzen, ist eher Glück, dem
schwarzen, grauen, müden, Strom der Gleichgültigkeiten entrissen nochmal.

Um den kleingeistigen Erpressungs- und Nötigungstendenzen, die Sie geweckt
haben, zu entgehen, wäre es einfach gewesen, aus dem für Notfälle und spätere
Jahre Zurückgelegten stillschweigend das zu nehmen, dem zu entgehen, was so
nun täglich an Erniedrigungen und Betrug oder Hintergehung zu erleben ist.
Es fragte sich nur, soll man das stützen, verachtend das Geschmeiß der Zeit,
soll man, als Nichtkonsument der Kollaboration mit Trash-Konjunktur unseres
Kulturkonformismus, ohne Auftrag stehen und verkommen im Nichts einer
Geschichte, die den Nachkömmling ganz anderer Möglichkeiten nicht will, wie
hier deutlich immer wieder jetzt offiziell bekundet, wenn niemand auch nur
merkt, was da geschah, durch den, der solcherart vor dem Gericht der
Geschichte ganz anderer Richter einmal stehen wird und Antwort geben muss,
wie jetzt entkommen.

Hier spricht einer ohne Hausmacht, keiner der grossen Entrechteten, aber wir
wissen gerade die kleinen Fische, die Bettlerstimme, die Spur am Rande,
haben manchmal mehr Gewicht vor dem, auf den es da ankommt zu urteilen. Wo
wir nun sind. Nicht um grosse Lehen von Königen geht es, und dies Pommern
war lange zwei Jahrhunderte in schwedischer Hand, also vom preussischen
Verhängnis nicht lange betroffen, wie der Vater mit gerechtem Vermögen sich
dort angesiedelt, und es war kein Rittergut, aber ein Gut und kein Schloss,
aber Haus und Hof und Felder dazu, zu säen und zu ernten und anständig zu
sein an seinem Ort, dass ein Leben und eine Welt dort gegründet werden
konnten, von dem aus jetzt wissend gesprochen und gehandelt werden kann und
geurteilt angesichts dessen, was da nun ist, von der Schuld dieser Zeit ganz
anderer Hybris, einer ohne Leidenschaften, und das sind wohl die schlimmsten
vor dem, was uns Maß setzt und Aufgaben und wenn es gut geht Verdienste,
die hier sich umkehren in ihr Gegenteil in begünstigter Zeit.

Dies alles ist schon längst jenseits der Kompetenz eines einzelnen, so sehr
wir dafür stehen müssen, was wir getan in dem, was hier geschieht. Vieles
können wir nicht allein bestimmen, auch zeitweise Beauftragte der Menschen
und Länder. Es liegt in der Luft, wofür wir Werkzeug sind, jeder an seiner
Stelle. Wir wissen, dieser Ort, abseits von allem, im Land und, von der
Welt, wie Deutschland in der Politik dann, wenn es darauf ankommt, und wie
Europa, wenn die grossen militärischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen
anstehen oder wie unser Film eine Marginalie ist, Butzenscheiben-Spaß und
unsere Terroristen selbst rettungslos, lächerliche Romantiker waren, im
Auflehnen, gegen das, was die Welt nun umtreibt, und ich sehe vergrämt und
manchmal tieftraurig und erschrocken die Erkenntnis in den Gesichtern
unserer Mediendemokraten, was soll also dieser Seufzer der Natur dessen, der
nicht weiß, was wirklich gefordert ist, und vielleicht gar nicht von
östlicher Seite damals, uns abzupressen, als letzter Instanz , die aus
gerade diesem Wissen kommt, dem Land, des Landes uns, einer Kultur, die eine
andere war und wäre und ist, alles vielleicht ganz unbewusst, aber
entschieden, nicht rettend, nicht ändernd, die Welt und Leben, aber als
mahnendes Gegengewicht, Zeugnis, das nicht sein darf und soll, doch einzig
das, um das es geht, und seis in nuce, als Keim viel später und woanders
einmal aufzugehen und Zeugnis der anderen Möglichkeiten des Menschen und des
Lebens und der Welt, was früher Kunst genannt einmal war. Dies aber ist
schon lange jenseits dessen, was hier zu verantworten wäre, aber doch
verspielt, vielleicht doch, weil gefordert und gar nicht selbst entschieden,
wie wir alle Werkzeug sind des Geschehens, aber dann wessen?
Wenn wir aber sehen wollen, wie das dann aussieht, dann ist dies der Ort zu
sehen, was das heißt und wie das war einmal muss Form nun finden in dem,
was wir daraus machen, so ungewollt auch immer.

Einen Augenblick noch, vor 11 Jahren, war da die Chance in den jauchzenden
Menschen, die die Mauern durchbrachen, und beobachtet atemlos von allen
Seiten, die es gut meinten, das Gewissen der Welt zu ahnen und die Angst
derer, die den Nutzen haben, aus dessen Abwesenheit, in der und von Kunst
der Götter-Tragik. Real etabliert in jenen runden Tischen aller, ein
anderes Modell. Jenseits der üblichen Parteienhändel. Seitdem ist der Preis
dessen, dass wir still halten, und dessen, der ihnen drauf gekommen,
wegzusperren, zu arretieren den und dies im goldenen Delirieren ferner
Spiele des täglichen eintausend-Platz und Welttheaters im Netz auch dieser
Welt, aber auf ganz anderer Bühne, wie in uns.

 

Fortsetzung   I  8.Januar 2002    *

Fortsetzung  II  9.Januar 2002    *.

Fortsetzung III 10.Januar 2002    *

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