61Es gibt Beifall, der tödlich ist, und es gilt sehr genau zu unterscheiden, auf welchem Niveau dabei welche Interessen oder Ströme
berührt werden. Die Fans der Großen mit ihren auswechselbaren Bewegtheitsanfällen in der Sucht nach seelischer Vulgarität wie auch nach dem die Klarheit der Töne zuschmierenden Gefühlspedal können gefährlicher werden
als die bösen Blicke der Feinde, aus deren Höllen Erkenntnisse zu wachsen vermögen, wenn man es zuläßt, wie aus den süßen Himmeln des Lobes aber nie. Das alles wußte so einer wie er, immer gefährdet durch seine
anziehende Aura erotischster Unschuld. Und so ging er auf der Höhe seiner Ruhms, das Burgtheater verlassend, um diesen Ruhm einzig sich zu holen, wo er legitim ist, am Firmament jener Götter, wo die Liebenden
Unsterblichkeit fanden. In der Deutlichkeit des ihm eigenen Ausdrucks. 62Ein Gescheiterter. So werden die
Karrieristen unserer Öffentlichkeitshure sagen. So fragte er auch zuweilen sich selbst. Da kam zusammen, was großes Handwerk und etwas wie letzte Kunst sein muß, unerbittlich und zu erdulden mit einer Todesnähe, so daß
man sich fragen muß, ob das denn legitim sei als Forderung an den Spielenden des Lebens und der Welt, zu sterben als Preis der Kunst. Nein. Aber wenn es geschieht, nicht zu fordern von den Göttern oder Menschen wie eine
Last der Gnade, dann verstummen alle Fragen in unserem tiefsten Inneren, und nur noch Hoffen ist, es zu bestehen in Werken dessen, der das muß und darf. Und doch, auch ohne dies tönende Urgestein
der Bühne, muß und kann Theater sein. In Zeiten ohne neue Partituren wird es neben dem Dienst mit dem Hut in der Hand und in Zeiten ohne Hut mit eigener Produktivität sich verbinden. Es wird eine andere Größe verlangt
sein, im Raum, den es zu beleben gilt, jene Kunst des Theaters neu zu finden und zu definieren, die - mit ihren Mitteln beantwortet - auf andere Ebenen des Verstehens führt, woraus der Sinn entsteht, warum und wofür wir
sind und sei es schwer zu tragen, sowie, wenn es leicht wird, in der Tiefe uns zu verankern, daß wir waren: Mit immer den Möglichkeiten, die die Zeit uns gibt, im humanen Spiegel, solange diese Kunst noch ist. Und wir
in ihr. Aber wenn die Gunst der Zeit und des Ortes uns solchen Solitärs des Welt- und Lebensechos teilhaftig werden läßt, so sollte eben, um dessen ganze Fülle und Kraft aufzunehmen und - ungetrübt durch
Eigeninteressen - alles getan werden , ihn zum Leuchten zu bringen als Dienst an uns selbst und uns zur Freude, wie Oskar Werner hier seine Arbeit an den Partituren vor ihm verstand. Karajan durfte Oistrach
begleiten, sagte er mit wässrigen Augen und schlingernder Stimme 1983 in der Wachau zur Eröffnung seines Festivals. Und als er so von K. sprach, verbeugte er sich tief. Und ist nicht auch Mozart nur der Griffel
Gottes, den sie in der Natur erkannten, in seiner ? Wie er sich verstand ? 63Die letzten Jahre Oskar Werners
unterschieden sich von den früheren dadurch, daß sein physischer Verfall sichtbar zunahm. Durch Alkoholeinwirkung und in der ungebrochenen Isolation in Liechtenstein, wo er über 30 Jahre lebte, und zuletzt in der
Donauebene bei Krems. Zehn Jahre zuvor hatte er also zuletzt in Salzburg den "Hamlet" gespielt. Dann sich entschlossen, 1981 eine Platte mit Liedern, wie er sie aus Wien kannte, so zu machen, oben auf den
Bergen in seinem Haus in Liechtenstein, wie man diese Lieder beim Heurigen singt oder auf der Bühne bei Raimund oder Nestroy, die oft vom Tod, von der Liebe, dem Wein und vom Leben handeln. Er überlegte und
betrieb, ein "Faust"-Projekt zu produzieren mit sich als Faust und Mephisto, und er organisierte, finanzierte, spielte den "Prinzen von Homburg" in Krems 1983. Der danach geplante "Cäsar"
am Burgtheater wurde ihm daraufhin abgesagt. Noch ein großer Auftritt im Wiener Musikvereinssaal am 3. Februar 1984 bei vollem und jubelnden Haus - es wurde sein Abschied von Wien, der auf einem Videoband dokumentiert
ist. Das letzte Mal sehen wir ihn einige Worte Weinhebers sprechen, zwei Tage vor dem Tode am 21.Oktober in einer Sendung über seinen Freund Ernst Fuchs, aufgenommen in Oskar Werners Wohnzimmer in Thallern bei Krems.
Dies "Ich hab sonst nix, drum leb' ich gern", nun mit einem wie gereinigten Äußeren, den jungen Jahren ähnlich, aber aus anderem Wissen jenes "Du siehst mich manchmal an, als hätt ich Schuld. Ich hab von
deiner Huld nicht einen Hauch vertan", in dessen Wort-Gesten man neue Souveränität genau beobachten kann. Was zeichnet diese letzten Jahre für die Kunst aus ? Eine nochmals aufflackernde Aktivität
in der Zerrüttung seiner Erscheinung. Alles unter Einsatz des Lebens. Vom Tode gezeichnet. Eine Kunst, von der man nicht mehr aufsteht. Ohne Spiel, ohne Maske. Kunst, die Leben geworden ist im Zeichen des Endes.
Wie auch immer gebrochen, es wird noch einmal alles gewagt. Eine Kunst entsteht, die sich des Todes bewußt ist wie der Krieger, der weiß, daß er nur siegen wird unter Einsatz des Lebens und daß er die Schlacht
nicht verlassen wird als Lebender. Aber ein Leben, das zur Kunst geworden ist, des Sterbens reif. Nun Nietzsche gleich, den Oskar Werner nie gesprochen. Abseits, total, endzeitbewußt. Alle Zeugnisse zuletzt sind
Lebensäußerungen dieser zum Leben gewordenen Kunst des Todes. Wenn man ihn ernst genommen, die Sprache seiner Kunst, würden wir den Ernst der Worte noch einmal tragen müssen, die er hier durch eigenes
Leben und Schicksal belegte und geworden war angesichts dessen, was hier geschah. Als dieser todeswunde Oskar Werner aus seiner Hülle stieg und diese Worte sagte: "Ich will den Tod, der mir erkannt, erdulden
!"Und dieser Homburg des todeswunden Kleist weiß, was er sagt, wie noch nie, gerade mit der letzten Kraft seines ganzen Einsatzes:
"Es ist mein unbeugsamer Wille ! Ich will das heilige Gesetz des Krieges, das ich verletzt im Angesicht des Heeres, durch einen freien Tod verherrlichen!"
Was für Worte, so verstanden! Hatte dieser Oskar Werner nicht auch heilige Gesetze verletzt, Gesetze des Theaters, seiner Kunst, des Lebens, an Frauen, Kindern, Freunden, auch seiner Kunst , und mußte es tun im Traum
seiner Liebe, die ihm aufgetragen, und trat nun dafür ein, und sie sahen es nicht, hörten nichts ? Wie er da vor sie hintrat und mit halb herabgesunkenem Arm, wie mit müdem Flügel im Flug, stehenblieb und einfach
sagte:
"Nun" - mit unendlich langer Pause, eingedenk dessen was er sagte - "O Unsterblichkeit, bist Du ganz mein! Du strahlst mir durch die Binde meiner Augen....."
Wer hätte je so etwas gehört, auf einfachen Brettern eines Wirtshauses in der Provinz? Und ringsum nur Gelächter. Was für ein Abgang. Nun vertuscht von den eigenen Kindern. Wie Verschweigen
aus Scham ? Und war doch, ist doch Überwindung des ganzen Weltkreises, dem er trotzte, zuletzt in ihm selbst.
So ist noch keiner abgetreten. Gesehen hat es wohl niemand, was hieß, daß es niemand ertragen konnte. Denn, wie er litt, so starb er. Auf der Bühne. Seines Lebens. In der ganzen Fülle seiner nun erst voll gereiften
Kunst. Er hat am Ende die immer geforderte Unbestechlichkeit erlangt, daß Kunst, wie man sie für richtig hält, nicht zu verkaufen sei, damit es kein Verrat werde, mit dem letzten Einsatz belegt. Mit dem Tod seiner von
ihm erkannten Größe, wo Leben und Kunst eins werden. Unerbittlich. Wer darf noch lachen, wer noch sich verstecken, wer auf sich zeigen. In der Zerstörung seiner selbst fand er sich und erst ganz als Gast "am Tisch
der Götter", wie er es immer gewollt, in der Musik, zu der er damit wurde, aber des klassischen Welttheaters und sonst nichts. 64So wurde er zum Outcast, der sich selbst ins Abseits brachte ? Der Letzte der Gefeierten, wie keiner seitdem mehr und das zurecht, von früh an in Mozart-Zusammenhängen gern
genannt, durch die Heiterkeit der Phantasie und zu der Schwermut seines Klangs und auch durch die Strenge seiner Ideenfülle gehalten. Ein bohrender Vorwurf für seine Zeitgenossen.. Nicht verboten, nicht
verbrannt, wenigstens nicht zu Lebzeiten, in einem freien Land und seiner Sinne mächtig, durfte er alles, einer, der sich zurückgezogen, der sich aufbäumte, wartete, unleidlich sperrig, wie Stroheim in Hollywood unter
denen, die ihn verehrten und töteten am Ende, zurückgezogen auf seine Terrains, in seinem Haus in Liechtenstein, mit Hund Schani, von elektrischen Zäunen umgeben; in der Trautsohngasse in Wien, und zuletzt im
gemieteten Bungalow in der Donauebene bei Wien, Briefe empfangend und versendend, Filmproduzenten treffend, unverschämte und devote, die er hinausschmiss, abwartend, grübelnd. Er versäumte Nietzsche, Hölderlin, Benn,
Novalis, Brecht, z.B. Th.Bernhard, Kortner; ein Graus waren ihm Fassbinder und Handke; P.Stein blieb unerwähnt und wurde abgelegt in allgemeinem Abscheu vor der Zeit. Niemand fragte ihn, was er zu erzählen hätte.
Natürlich schlug er um sich. Er saß da und ätzte, wies ab, beleidigte, verletzte. Die Mutter, die harte, ehrte er: immerhin 80 Bänder mit Grüßen zu ihrem achtzigsten Geburtstag brachte er noch von seinen Kollegen, den
Größten, zusammen. Frauen kamen und gingen, verließen ihn nach und nach ganz in seiner Nähe und blieben oft in der Ferne treu, auf verschiedenen Ebenen. Er war das "auslaufende Modell" zur Zeit des
aufgekommenen Regietheaters, das uns heute wieder verdächtig wird, so daß wir in Ruhe ihm gerecht werden können. Damals aber kam er im Bewußtsein der Zeit nicht mehr vor. Wenn er auftauchte, erntete er Hohn oder nicht
einmal Beachtung. Ohne Aufgabe und zugleich aufgegeben, war er bis zuletzt ein beissender Kritiker seiner Zeit und des Betriebs, was sie ihm nicht verziehen wie Thomas Bernhard oder Kortner, als die Reizworte Regie und
Theater als Betrieb Kaskaden der Wut auslösten. Eine lächerliche Figur ? |