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Das Verbot

 

 

 

 

 

 

 

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Nachwort.
Wie also konnte es geschehen, daß das niemand merkte, daß wir alle blind und taub waren, nicht eine Stimme, wie verschworen, gleichgeschaltet, Macher, Medien, Universitäten. Ein ideologischer Pakt ? Lektion gelernt ?  Im Interesse des Fortschritts hiess es damals, politisch, stolz, aufgeklärt, in demokratischer Selbstbespiegelung. Oskar Werner ging nach Hollywood, als seltene Trouvaille aus Europa entdeckt. Im Film  hier konnte man damals von Buff sprechen, ähnlich einer intellektuellen Mafia: "Deutschland, ein totes Land". Wie G. Steiner sagt "erstickend", wo im Film nur noch ausländisches Echo half und fremde Gelder, die Dinge zu produzieren, zu retten, die zu tun waren, da hier recht anschaulich die Kritiker selbst schon die Gelder verteilten, zusammen mit allen Berufsgruppen von Kirchen bis Gewerkschaften, die sich so ihre Richter bestimmten. Als alles einig war, affirmativ und konform, begann im Film der Autorenfilm als "Neuer Deutscher Film" und für das Theater das Regietheater, die neue Macht, wie die Mitbestimmungsmodelle in den Medien und in den Universitäten die neuen Fachschaftsregelungen. Ideologisch korrekt. Was nicht dazugehörte, hatte keine Chance. Darum mußte Oskar Werner gehen, klaglos und unbemerkt. Und jede Äußerung blieb unbeachtet. 1989, als die Mauer fiel, überlegten diese Intellektuellen, ob die Teilung als Strafe für Auschwitz nicht zu akzeptieren war, zitternd mit Blick nach allen Seiten. Erst als die Alliierten mitmachten, in neuer ost-west-politischer Allianz nun, durften auch die Intellektuellen sich langsam in diese neue Situation einlassen, verloren aber alle eifrig gelernten Normen. Und wenn selbst das Begleitorgan der Nachkriegsjahrzehnte, bzw. sein Herausgeber Rudolf Augstein heute davon spricht, daß alles umgedacht werden müsse, dann sollte man wirklich nachdenken, was geistig, ästhetisch und menschlich vielleicht neu zu ordnen sei, nachdem die Politik so weit vorausgegangen und das sogar im eigenen Lande. Wenigstens nachzukommen. Die einstige Avant-Garde des öffentlichen Lebens in freiwilliger Gefangenschaft kritisch Unmündiger und die Lebenslüge der gesamten ästhetischen Geistesmisere stehen hier zur Diskussion. Damals begann es. So konnte es geschehen, daß man diesen Oskar Werner in seinen späten Jahren und seine Tat im Sinne eines kathartischen Bestehens nicht erkannte.Das Geschäft in Sachen Öffentlichkeitsarbeit, die man Trauer nannte, begann. Ein Ablaßhandel zwischen interessierten Regierungen, Machern und Öffentlichkeitsfunktionären. Die niederen Formen der Kunstbeschmutzung (Kortner:"Schmutzkonkurrenten") , selbst die Beschmutzung des subventionierenden Staates und Steuerzahlers wird geduldet für die Erlassung (das Ablassen) der Schuld in historischen Dimensionen. Eine Erniedrigung von seiten der Jungen um an das Geld der Väter-Schuld zu kommen mit ideologischer Flankendeckung von außen. Das funktioniert nur, solange keine Störung kommt von seiten der Unbestechlichen und Nicht-Käuflichen.
Darum mußte man blind sein und taub gegenüber gerade den ästhetisch unerbittlichen Texten der Vergangenheit, die ehrlich und offen vorgetragen, nicht geduldet werden können und nicht erträglich sind. So daß der ewige Angriff der Mittelmäßigkeit, ideologisch besetzt, zu einer fast unbesiegbaren Gewalt wird, der letztlich die Kunst als ein Ganzes unterliegen muß, wie wir an der Erlahmung und Verfettung aller Kunstforderungen um uns erkennen können.
Gerade am Falle dieses Theatermenschen Oskar Werner wird nun nach Erlöschen und Durchsichtigkeit der physischen und geistigen Harmlosigkeit des nachfolgenden Regietheaters Verlust und Opfer deutlich. Und gerade in der armseligen Erscheinung seiner physischen Existenz selber aber - ähnlich den Schmerzensfiguren in der Art Schieles oder Rembrandts -, aus jenen letzten Dokumenten erweist sich diese Tapferkeit der künstlerischen Lebensenergie als rein und von jener geistigen Transparenz, wo eben die Heiterkeit beginnt, wenn sich der Geist vom Körper löst und erhebt;  jene Heiterkeit also, die heute nicht mehr ertragen und darum verlacht werden kann.
Während sich damals ein Genie des Theaters zurückzog und noch ein Jahr vor seinem Tode unter dem Gelächter der Öffentlichkeitsmeute sein Leben wagte, (nachdem Oskar Werner schon vor vielen Jahren diese Betriebsamkeiten endgültig verlassen hatte (Burgtheater 1960, Salzburg "Hamlet" 1970) und - nun verlacht - den Todesstoß auf sich nahm), sitzen jetzt die ehemaligen Kontrastfiguren der sozialen Revolution im Burgtheater und in Salzburg mit einer Monatsgage für die er seinen ganzen "Homburg" mit drei Kameras hätte aufnehmen und schneiden können, von Marktwert sprechend, der zur letzten Rechtfertigung künstlerischer Verantwortung wird. Nicht dies Scheitern vor der Kunst ist fatal oder der Zynismus der ehemals als Aufklärung erklärten Machtgebärde, sondern die ästhetische Fälschung entspricht der sozialen Täuschung von  Anfang an, wie die Verhinderung des traditionellen Handwerks und ganz anderer Aufträge, so daß die Kunst, ihr Publikum und alle Menschen Schaden nahmen. Das ist neben der individuellen Tragik dieses Theatermenschen Oskar Werner der allgemeine Verlust und Verrat eben ganz anderer uns aufgetragener Höhe, die diese Kunst der Darstellung hier gerade in ihrem Ende als Gestalt angenommen hatte.

 

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Zur Situation.
In Berlin  wurde das größte Sprechtheater der Republik geschlossen, die renommierte Schaubühne und das Berliner Ensemble Brechts sind verwaist, - das eine Theater der beiden als Austragshäusl von 68er Nostalgien und Reservebank neuer Debakel des Sommer-Theaters in Salzburg für den Meister, der keiner mehr ist, und, wie man aus diesen Materialien sieht  oder  sehen könnte, nie einer war -, und die Erben tummeln sich (Volksbühne) so laut, schwachbrüstig, wie es sich weder ein Brecht noch Kortner oder Fehling je auch nur hätten bösartig vorstellen können.
Der Film, durch partikuläre Provinz-Subventionen pluralistischer Politik des Nachkriegs-Bundes ins Kleine gelenkt, ist nicht mehr imstande, selbst mit französischer Hilfe eine zentrale Produktionsstätte wie Babelsberg auch nur zu erhalten als ehrliche Konkurrenz zu Hollywood, das nun auch in die Theater der geschlossenen Sprach-Bühnen drängt.

 

 

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Man sieht sie lachen, die Nase rümpfen, verhindern und verbieten, sowohl Vertreter der Öffentlichkeit und sogar der Familie, wenn Hölderlin im Turm seine seltsamen Kreise zieht, im kindlichen Gemüte heiter oder aufgeschreckt, sanfte Verse schreibt. Gelächter des Mordes , von immer den Gleichen. Nur heute zu viele.

 

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So mag dieser Homburg des späten Oskar Werner nicht jung genug sein, wie die "Wiener Lieder" den Lied-Spezialisten nicht genügen und die "Faust"-Fragmente zu fragmentarisch seien. Was aber ist das alles gegen jenen Gewinn, wie er sich in den Worten des von Oskar Werner hochverehrten Stefan Zweig ausdrückt, die dieser für Kleist und den "Homburg" fand, als ob er damit hellsichtig über diesen Oskar Werner selbst in seinen letzten Auftritten gesprochen hätte: "Der Prinz von Homburg ist Kleistens wahrstes Drama, weil es sein ganzes Leben enthält..... Nur Todgeweihte haben dieses höchste Wissen.....diese geisterhafte Musik, die schon selbst wie ein Überklang ins Unendliche ist.......gerade in jener Stunde, da er nichts mehr erhofft: die Vollendung."

 

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Zu den Aufführungen des "Homburg" kamen zuletzt nur mehr sieben Zuschauer. Von den 350 Stühlen der Premiere holten die Leute der Stadt Krems immer mehr weg für andere Veranstaltungen. Trotzdem wurden alle angekündigten Aufführungstermine eingehalten. Oskar Werner sagte:" Ich durfte den Homburg spielen."

 

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Schon 1970 ("Hamlet" in Salzburg) und wieder 1983 aus Anlass des "Homburg" in der Wachau war überall zu lesen, daß der Hauptdarsteller eben nicht Regie zu führen habe. Nach Maßstäben geurteilt, die eine Duse selbst und einen L.Olivier opfern würden  oder auch Shakespeare sofort, ohne Einsicht, daß hier theatralisches Urgestein berührt wird, wo Spielen und Sterben eins werden.

 

Oskar Werner frage nicht mehr ob es rühmlich sei

 

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Es gibt Beifall, der tödlich ist, und es gilt sehr genau zu unterscheiden, auf welchem Niveau dabei welche Interessen oder Ströme berührt werden. Die Fans der Großen mit ihren auswechselbaren Bewegtheitsanfällen in der Sucht nach seelischer Vulgarität wie auch nach dem die Klarheit der Töne zuschmierenden Gefühlspedal können gefährlicher werden als die bösen Blicke der Feinde, aus deren Höllen Erkenntnisse zu wachsen vermögen, wenn  man es zuläßt, wie aus den süßen Himmeln des Lobes aber nie. Das alles wußte so einer wie er, immer gefährdet durch seine anziehende Aura erotischster Unschuld. Und so ging er auf der Höhe seiner Ruhms, das Burgtheater verlassend, um diesen Ruhm einzig sich zu holen, wo er legitim ist, am Firmament jener Götter, wo die Liebenden Unsterblichkeit fanden. In der Deutlichkeit des ihm eigenen Ausdrucks.

 

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Ein Gescheiterter. So werden die Karrieristen unserer Öffentlichkeitshure sagen. So fragte er auch zuweilen sich selbst. Da kam zusammen, was großes Handwerk und etwas wie letzte Kunst sein muß, unerbittlich und zu erdulden mit einer Todesnähe, so daß man sich fragen muß, ob das denn legitim sei als Forderung an den Spielenden des Lebens und der Welt, zu sterben als Preis der Kunst. Nein. Aber wenn es geschieht, nicht zu fordern von den Göttern oder Menschen wie eine Last der Gnade, dann verstummen alle Fragen in unserem tiefsten Inneren, und nur noch Hoffen ist, es  zu bestehen in Werken dessen, der das muß und darf.

Und doch, auch ohne dies tönende Urgestein der Bühne, muß und kann Theater sein. In Zeiten ohne neue Partituren wird es neben dem Dienst mit dem Hut in der Hand und in Zeiten ohne Hut mit eigener Produktivität sich verbinden. Es wird eine andere Größe verlangt sein, im Raum, den es zu beleben gilt, jene Kunst des Theaters neu zu finden und zu definieren, die - mit ihren Mitteln beantwortet - auf andere Ebenen des Verstehens führt, woraus der Sinn entsteht, warum und wofür wir sind und sei es schwer zu tragen, sowie, wenn es leicht wird, in der Tiefe uns zu verankern, daß wir waren: Mit immer den Möglichkeiten, die die Zeit uns gibt, im humanen Spiegel, solange diese Kunst noch ist. Und wir in ihr.
Aber wenn die Gunst der Zeit und des Ortes uns solchen Solitärs des Welt- und Lebensechos teilhaftig werden läßt, so sollte eben, um dessen ganze Fülle und Kraft aufzunehmen und - ungetrübt durch Eigeninteressen - alles getan werden , ihn zum Leuchten zu bringen als Dienst an uns selbst und uns zur Freude, wie Oskar Werner hier seine Arbeit an den Partituren vor ihm verstand.
Karajan durfte Oistrach begleiten, sagte er mit wässrigen Augen und schlingernder Stimme 1983 in der Wachau zur Eröffnung seines Festivals. Und als er so von K. sprach, verbeugte er sich tief.
Und ist nicht auch Mozart nur der Griffel Gottes, den sie in der Natur erkannten, in seiner ? Wie er sich verstand ?

 

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Die letzten Jahre Oskar Werners unterschieden sich von den früheren dadurch, daß sein physischer Verfall sichtbar zunahm. Durch Alkoholeinwirkung und in der ungebrochenen Isolation in Liechtenstein, wo er über 30 Jahre lebte, und zuletzt in der Donauebene bei Krems. Zehn Jahre zuvor hatte er also zuletzt in Salzburg den "Hamlet" gespielt. Dann sich entschlossen, 1981 eine Platte mit Liedern, wie er sie aus Wien kannte, so zu machen, oben auf den Bergen in  seinem Haus in Liechtenstein, wie man diese Lieder beim Heurigen singt  oder auf der Bühne bei Raimund oder Nestroy, die oft vom Tod, von der Liebe, dem Wein und vom Leben handeln. Er überlegte und betrieb, ein "Faust"-Projekt zu produzieren mit sich als Faust und Mephisto, und er organisierte, finanzierte, spielte den "Prinzen von Homburg" in Krems 1983. Der danach geplante "Cäsar" am Burgtheater wurde ihm daraufhin abgesagt. Noch ein großer Auftritt im Wiener Musikvereinssaal am 3. Februar 1984 bei vollem und jubelnden Haus - es wurde sein Abschied von Wien, der auf einem Videoband dokumentiert ist. Das letzte Mal sehen wir ihn einige Worte Weinhebers sprechen, zwei Tage vor dem Tode am 21.Oktober in einer Sendung über seinen Freund Ernst Fuchs, aufgenommen in Oskar Werners Wohnzimmer in Thallern bei Krems. Dies "Ich hab sonst nix, drum leb' ich gern", nun mit einem wie gereinigten Äußeren, den jungen Jahren ähnlich, aber aus anderem Wissen jenes "Du siehst mich manchmal an, als hätt ich Schuld. Ich hab von deiner Huld nicht einen Hauch vertan", in dessen Wort-Gesten man neue Souveränität genau beobachten kann.

Was zeichnet diese letzten Jahre für die Kunst aus ? Eine nochmals aufflackernde Aktivität in der Zerrüttung seiner Erscheinung. Alles unter Einsatz des Lebens. Vom Tode gezeichnet. Eine Kunst, von der man nicht mehr aufsteht. Ohne Spiel, ohne Maske. Kunst, die Leben geworden ist im  Zeichen des Endes. Wie auch immer  gebrochen, es wird noch einmal alles gewagt. Eine Kunst entsteht, die sich des Todes bewußt ist wie der Krieger, der weiß, daß er nur siegen wird unter Einsatz des Lebens und daß er die Schlacht nicht verlassen wird als Lebender. Aber ein Leben, das zur Kunst geworden ist, des Sterbens reif. Nun Nietzsche gleich, den Oskar Werner nie gesprochen. Abseits, total, endzeitbewußt.  Alle Zeugnisse zuletzt sind Lebensäußerungen dieser zum Leben gewordenen Kunst des Todes.

Wenn man ihn ernst genommen, die Sprache seiner Kunst, würden wir den Ernst der Worte noch einmal tragen müssen, die er hier durch eigenes Leben und Schicksal belegte und geworden war angesichts dessen, was hier geschah. Als dieser todeswunde Oskar Werner aus seiner Hülle stieg und diese Worte sagte: "Ich will den Tod, der mir erkannt, erdulden !"Und dieser Homburg des todeswunden Kleist weiß, was er sagt, wie noch nie, gerade mit der letzten Kraft seines ganzen Einsatzes:

    "Es ist mein unbeugsamer Wille !
    Ich will das heilige Gesetz des Krieges,
    das ich verletzt im Angesicht des Heeres,
    durch einen freien Tod verherrlichen!"
     

Was für Worte, so verstanden! Hatte dieser Oskar Werner nicht auch heilige Gesetze verletzt, Gesetze des Theaters, seiner Kunst, des Lebens, an Frauen, Kindern, Freunden, auch seiner Kunst , und mußte es tun im Traum seiner Liebe, die ihm aufgetragen, und trat nun dafür ein, und sie sahen es nicht, hörten nichts ?
Wie er da vor sie hintrat und mit halb herabgesunkenem Arm, wie mit müdem Flügel im Flug, stehenblieb und einfach sagte:

    "Nun" - mit unendlich langer Pause, eingedenk dessen was er sagte -
    "O Unsterblichkeit, bist Du ganz mein!
    Du strahlst mir durch die Binde meiner Augen....."
     

Wer hätte je so etwas gehört, auf einfachen Brettern eines Wirtshauses in  der Provinz? Und ringsum nur Gelächter. Was für ein Abgang. Nun vertuscht  von den eigenen Kindern. Wie Verschweigen aus Scham ? Und war doch, ist doch Überwindung des ganzen Weltkreises, dem er trotzte, zuletzt in ihm selbst.

    "Und jetzt liegt Nebel  / Alles unter mir."

So ist noch keiner abgetreten. Gesehen hat es wohl niemand, was hieß, daß es niemand ertragen konnte. Denn, wie er litt, so starb er. Auf der Bühne. Seines Lebens. In der ganzen Fülle seiner nun erst voll gereiften Kunst. Er hat am Ende die immer geforderte Unbestechlichkeit erlangt, daß Kunst, wie man sie für richtig hält, nicht zu verkaufen sei, damit es kein Verrat werde, mit dem letzten Einsatz belegt. Mit dem Tod seiner von ihm erkannten Größe, wo Leben und Kunst eins werden. Unerbittlich. Wer darf noch lachen, wer noch sich verstecken, wer auf sich zeigen. In der Zerstörung seiner selbst fand er sich und erst ganz als Gast "am Tisch der Götter", wie er es immer gewollt, in der Musik, zu der er damit wurde, aber des klassischen Welttheaters und sonst nichts.

 

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So wurde er zum Outcast, der sich selbst ins Abseits brachte ? Der Letzte der Gefeierten, wie keiner seitdem mehr und das zurecht, von früh an in Mozart-Zusammenhängen gern genannt, durch  die Heiterkeit  der Phantasie und zu der Schwermut seines Klangs und auch durch die Strenge seiner Ideenfülle gehalten. Ein bohrender Vorwurf für seine Zeitgenossen..
Nicht verboten, nicht verbrannt, wenigstens nicht zu Lebzeiten, in einem freien Land und seiner Sinne mächtig, durfte er alles, einer, der sich zurückgezogen, der sich aufbäumte, wartete, unleidlich sperrig, wie Stroheim in Hollywood unter denen, die ihn verehrten und töteten am Ende, zurückgezogen auf seine Terrains, in  seinem Haus in Liechtenstein, mit Hund Schani, von elektrischen Zäunen umgeben; in der Trautsohngasse in Wien, und zuletzt im gemieteten Bungalow in der Donauebene bei Wien, Briefe empfangend und versendend, Filmproduzenten treffend, unverschämte und devote, die er hinausschmiss, abwartend, grübelnd. Er versäumte Nietzsche, Hölderlin, Benn, Novalis, Brecht, z.B. Th.Bernhard, Kortner; ein Graus waren ihm Fassbinder und Handke; P.Stein blieb unerwähnt und wurde abgelegt in allgemeinem Abscheu vor der Zeit. Niemand fragte ihn, was er zu erzählen hätte. Natürlich schlug er um sich. Er saß da und ätzte, wies ab, beleidigte, verletzte. Die Mutter, die harte, ehrte er: immerhin 80 Bänder mit Grüßen zu ihrem achtzigsten Geburtstag brachte er noch von seinen Kollegen, den Größten, zusammen. Frauen kamen und gingen, verließen ihn nach und nach ganz in seiner Nähe und blieben oft in der Ferne treu, auf verschiedenen Ebenen.
Er war das "auslaufende Modell" zur Zeit des aufgekommenen Regietheaters, das uns heute wieder verdächtig wird, so daß wir in Ruhe ihm gerecht werden können. Damals aber kam er im Bewußtsein der Zeit nicht mehr vor. Wenn er auftauchte, erntete er Hohn oder nicht einmal Beachtung. Ohne Aufgabe und zugleich aufgegeben, war er bis zuletzt ein beissender Kritiker seiner Zeit und des Betriebs, was sie ihm nicht verziehen wie Thomas Bernhard oder Kortner, als die Reizworte Regie und Theater als Betrieb Kaskaden der Wut auslösten. Eine lächerliche
Figur ?

Oskar Werner un in dem Kreis herum das Leben jagen

 

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Noch in der Wachau 1983, ein Jahr vor seinem Tode, kündigte er den "Hamlet" wieder an und "Oedipus" für das nächste Jahr im Sommer. Niemand fragte danach, wollte ihn wirklich. Er war, unter den Touristen des Weins und von der hungrigen Meute der Wiener Medien-Szene gehetzt und als Opfer verschiedenster Interessen, dem Ende zugeordnet, nicht mehr auf dem Weg des allgemeinen Interesses. Interessen, - jeder einzelne hat die seinen und die Zeit die ihren, warum nicht, es fragt sich nur, ob sie produktive sind und der Weg ein guter, den wir einschlagen. Hier aber wird dieser übliche Sturz in den Abgrund des sich abwendenden Interesses und eigener Natur zum besonderen Fall, darauf zu reagieren oder diese Konfrontation zu provozieren, zum also kritischen Symptom einer Zeit und ihrer Entwicklung. Und da es um Kunst geht mit sterbenden Göttern, ist größte Aufmerksamkeit geboten, neben der tief sich verneigenden Trauer, mit größtem Erkenntniswert des Geistes, was da  in ihm verloren ging und warum und daß wir alle es zugelassen, angesichts dessen, was nun ist und danach kommen wird. Diese Frage bleibt.

Das sind mehr als biografische Anmerkungen, eher Materialien für ein  Drama, für die Tragödie unserer  Zeit und der Kunst, auch und gerade heute erst wirklich wirksam und von uns zu erkennen. Seiner würdig verabschiedete sich mit ihm nicht nur eine Epoche einer ganzen Kultur. Ihr Mythos die Kunst.

 

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Ernst Fuchs zum Homburg 1983 in der Wachau.
"Oben, auf der Bühne waren mehr Leut als unten im Saal. Aber. Egal, wenn er die Schatten-Figuren um sich hör- und sichtbar dirigierte, Texte nicht gleich wußte, zurechtwies, eingriff, sich alles aneignete, seinen Text nie vergessend, alles genau vor Augen, wenn das einer aufgenommen hätte. Und als er hörte von der Aufnahme und dem Aufführungsverbot: Krank ? Es ist eben ein Unterschied, ob ein Genie krank ist oder a Hausmeister (aber wehe, wenn das Herz der Kunst in die Hände der Hausmeister von Wien gerät). Gelächter ja. Neid. Schadenfreude. das kennen wir ja. (Thomas Bernhard: Der Theatermacher). Und dann der Hamlet. Privat. Zuhaus. Ganz durch. Bis zum Umfallen. Allein und monologisch als letzter Schritt. Der Alkohol. "Unter jedem Grabstein ruht eine Weltgeschichte" ? Aber unter diesem die Wiens, des Faust, der Homburgs und Hamlets. Untersagt".
Kranke Kunst. Wie Horst Janssen, der gerade gestorbene. Und nun bedacht als Exzentriker des Alkohols und der Frauen, als Selbstzerstörer seines Kunst-Egos, das sie vorher gemieden. Verbieten ?  Verbrennen ! Die höllischen Sachwalter erben und die Juristen verdienen, die Funktionäre der öffentlichen Meinung sind endlich bestätigt, man muß ihn vor sich selber schützen. Ein kranker Faust, ein kranker Homburg, kranke Wiener Lieder, das Gelächter siegt. Was für eine Allianz. Des Heiligen Tod, aller Kunst.Von der Kultfigur zum Genie, das die Vision seines Todes aus dem Darsteller nun machte, als er zum Autor wurde seiner selbst.

 

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Es entstand der Plan eines Buches zu Oskar Werners "Homburg", in dem jede optische Bewegung und jedes Schweigen zu sehen wäre, vom Bande herausfotografiert, um nun zu dokumentieren,  - immer parallel zum Text-, wie präzise hier gedacht und gearbeitet wurde. Am Monolog des Homburg selbst. So entstanden ca. 1.000 Fotos mit den dazugehörigen Kleist-Texten in zehn Auftritten von Anfang bis Ende.
Ein Film wurde entworfen mit allen Homburg- Szenen Oskar Werners und von Bruno Ganz aus der Peter-Stein-Inszenierung aus dem Jahre 1973, die heute immer noch Paradigma dessen ist, was die Schaubühne einmal wollte und war. Die einzelnen Szenen mit den beiden Schauspielern gegeneinandergeschnitten.
Heute, nach dem Ende dieser aufklärerischen Absolutheitsansprüche, aber von den gleichen Leuten der Medien etabliert, wird der Verlust und die Fragwürdigkeit des Gewinns gerade an diesem Beispiel einsehbar.
Weiter entstand der Plan einer Aktivierung der fragmentarischen "Faust"-Töne vom Anfang des ersten Teils auf der Bühne, mit den "Wiener Liedern" ergänzt, aus eigenen monologischen Erfahrungen verantwortbar. Denn auch dieser "Faust" war von Oskar Werner monologisch gesprochen, Faust, Mephisto und Schüler in einer Person zusammen, und doch ganz anders, als wenn Quadflieg das tut, wenn er damit auf Reisen geht und anders als Strehler oder früher Gründgens, Kortner (Fausts Tod) oder Minetti.

Daß diese drei Tonaufnahmen (Faust, Homburg und Wiener Lieder) sich gut ergänzt hätten, war klar.
War, wäre geplant, einsehbar und deutlich. Aber es gibt Erben. Kinder in L.A. und Wien. Von verschiedenen Müttern, aber einig, daß hier Krankheit (Alkohol) am Werke gewesen und man daher diese letzten Werke des Vaters nicht mehr vorführen dürfe. ("Das heißt, wir untersagen ausdrücklich......Wir glauben somit im Sinne unseres Vaters, Oskar Werner, zu handeln, da seine Kunst aus Inspiration und Intuition geboren war, die ihm jedoch an seinem Lebensende, durch seine schwere Krankheit, entglitten ist."). Vorsorglich hatte Oskar Werner alle diese und noch andere Ton- und

Oskar Werner bis es am Abend niedersinkt und stirbt

Bilddokumente, die er mit großem finanziellen Aufwand selbst herstellen ließ, immer in andere Hände als die dieser Kinder gegeben, aus denen sie nun zusammengetragen vorliegen. Aber außer für journalistische Einsicht und akademische Analysen ist das wohl bis zum Erlöschen der gesetzlichen Rechte eine wie auch immer sorgsam geplante Verwendung für die Öffentlichkeit nicht möglich, auch wenn diese Dokumente zumindest gerettet werden konnten, da sie der Vernichtungstendenz der Nachkommen entzogen wurden, wie schon gleich nach dem Tode Oskar Werners von diesen alle Platten der Wiener Lieder eingeholt und zerstört wurden.

Um dieser Feindschaft gegen die Gebrechlichkeit der Existenz und Kunst zu begegnen und auch die Thesen wenigstens der Erkenntnisse aus den Materialien geistig vorzuhalten, entstand der Entschluß zur Vorlage dieser Notizen. Die früheren Kritiker des Oskar Werner mögen nun lachend nicken und der Gefahr ihrer Blamage noch einmal entkommen sein.("man muß ihn vor sich selber schützen und verbieten"). Die Familie, die da noch nach dem Tode eine ästhetische und geistige Entmündigung durchsetzt,was sie zu Lebzeiten nicht vermochte, mag nun noch infolge ganz anderer Motive Genugtuung in der Verhinderung von Kunst suchen, wenn sie sonst schon nichts vermag, aber die Anhänger und Verfechter der Durchsichtigkeit auch gerade in Sachen Kunst sollten doch vielleicht Trauer anlegen üb er diese Niederlage wie über den Verlust für das Theater.

 

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Ein Alptraum. Der Sieg der feindlichen Blicke durch die Gestalt der eigenen Kinder in der Ohnmacht des Todes, indem sie das nachgelassene Werk, unter Opfer des Lebens entstanden, vernichten und das unter der Maske vorgegebener Liebe im Sinne des Toten selbst zu handeln, den sie so erst morden, indem sie das von ihm diesem irdischen Leben abgetrotzte Kunstwerk als krankhaft endlich verurteilen, als die ehrenrettende Hand für den Vater sich näherte. Das alles geschieht aus dem Abgrund sehr privater Motive heraus, da sie nicht sehen konnten, wie aus der verwundeten Hinfälligkeit, aus dem Elend des Diesseitigen, aus dem malträtierten Körper das Wunder der Heiterkeit wuchs, wenn alles zur Kunst wurde - und das noch im Todesjahr, je näher dem Ende,umso größer und leichter, als Jenseitigkeit schon, heiter und tränenleicht. Die, die geistig enterbt wurden, nehmen Rache post mortem. Wer ist gesund ? Van Gogh ? Wer zu verstecken? Dostojewski war süchtig, Francis Bacon abseitig, Dylan Thomas, Joseph Roth, Horst Janssen die heiligen Trinker. Ins Abseits der Geschichte, nach dem Maßstab des alltäglichen Feuilletons ? Was bliebe übrig, wenn  der Kleinmut der verstoßenen Erben zum Richter würde, wofür, woraus und wodurch das Heilige der Kunst ist.

 

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Nun ist alles durcheinander. Die liebenden Kinder handeln "im Sinne" des Toten, indem sie ihn vernichten und das, wofür er alles geopfert, mit dem Beifall des Feuilletons, das im Namen des Kranken und des Sumpfs und Debakels sonst der Ästhetik der Pathologie gerade diesen letzten Helden der Poesie verfolgte, des Blondlocken-Kults, aus dem sie ihn nicht entließen.  Und ausgerechnet der Kämpfer gegen die Kunst der Pathologie erweist sich nun  als Streiter für den gerade noch - und wiedergewonnenen Klang aus der gebrochenen Stradivari ?
Oskar Werners Weg, der von der Glanzeshöhe des Burgtheatergenies durch die Wüsten Hollywoods und alle Einsamkeiten des Ichs in  den Bergen seines Rückzugs bis zum Ende in den Donauauen bei Wien zur Erkenntnis jener anderen Töne jener tränenleichten Jenseitigkeit, die derjenige erhobenen Hauptes erreicht, der, alles erduldend, am Ende sich selbst durchschritt, ist nun in der Hand solcher fürchterlicher Erben. 

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