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Fortsetzung der Notizen zum Thema
Der Verlorene Auftrag II
unter besonderer Berücksichtigung
des Nachtrags zum Fall
Oskar Werner
bis Ende November 1995

 

 

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Zur Situation
Geplant war die Vorlage einer Entdeckung. Als Filmvergleich zweier Theatererscheinungen durch Regie und Darstellung. Und in Tonaufnahmen  (Faust) und als Buch. Das Verbot der Nachkommen verhindert nun in Bild diese Vorlage und Diskussion aus banalen Gründen. Die daraufhin zusammengestellten Notizen des Falls wenigstens als Dokumentation zu publizieren wurden durch Abwehr aller befragten Verlage -  im Klima dessen, wo wir nun sind, seit dreissig Jahren - zum Beispiel der Freiheit in Deutschland heute, die wir zwar haben wie nie zuvor, die wir aber meiden aus freiem Willen. Vergleiche, Unterscheidungen, Meinungen, Entgegnungen, Antworten als Ausdruck des Lebens aufgegeben, ohne äußeren Druck und Zwang zu verweigern, es sei denn dem des Markts, - eine gespenstische Szene 50 Jahre nach Hitler, Unerheblich der Fall, das Thema, der Mann, die Form, außer Konsens der moralischen Correctness geistiger Lebensneugier? Wir leben in einem toten Land. Und das wäre dann der größte Verlust, - und nicht erst seit heute. Erst wenn wir das nicht mehr sagen müssen, im Privatdruck nun auf eigene Kosten und ohne Diktatur und monarchische Zensur,hätten jene Emigranten ihr Werk vollendet - notfalls gegen sich selbst und im Dienst ihrer auch sehr alltäglichen Interessen. Und das wäre dann wieder die polarisierende Ergänzung in uns.
Verloren ist viel, das Schlimmste aber wäre, es nicht sagen zu dürfen. Ein Zurück erscheint unmöglich, denn nur aus uns selbst kann Neues weiterführen. Aus eigenem Leben, eigener Geschichte und immer ausserhalb des Gefängnisses des Ichs im Übernehmen und Unterscheiden der Welt um uns. Was ist daran böse? Was ist von der Art, es nicht sagen, drucken, lesen zu sollen. Und am Ende das Aus der Kunst, gerade sie, die unser ist und einzig überlebend, wenn da hindurchgegangen.

 

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Die Deutschen der Emigration wurden zu den Ziehvätern der 68er Generation. Warum nicht. Wenn wir Bilanz ziehen, was jene gebracht, diese gelernt haben, was gewonnen, was verloren ist, stellt sich als erstes die Frage, was jene aus der Fremde vermittelt haben, geistig, aus Amerika, im Film, auf dem Theater, in der bildenden Kunst, der Literatur. Uns fallen die Namen ein: Fassbinder, Wenders, Herzog, Kluge, Schlöndorff, Oberhausen, Schröter, und wir denken wohl eher an Frankreich, die Nouvelle Vague, oder Hollywood oder deutsches Melodram als Ursprungszeugnis der Nachkriegsästhetik. Und Stein oder Zadek selbst oder Wilson und die neuen Namen Marthaler und Castorf z.B., sogar Kortner und Brecht, selbst aus der Emigration von dort, stehen eher für ganz anderes als Verdienste aus jenen Schriften der Adorno und Marcuse oder Kracauer, Bloch und andere. Und Beuys und Kiefer oder Richter, Grass und Handke, Th. Bernhard oder Celan und Benn und I. Bachmann? Und Wieland Wagner, für dessen Bayreuth eben jene viel getan, - ist er nicht wie alle aus ganz anderen Quellen (Speer) erklärbar? Was haben jene, außer intellektueller Diskussion und Rhetorik in Richtung bekannter Normen als neue eigene Ästhetik gewonnen aus der Einsamkeit solcher existentiellen Prüfung über die vor der Emigration entwickelten Thesen aus Soziologie und Psychoanalyse materieller Ration hinaus? Die moralische Herausforderung in ästhetischen Normen legte der bekannte Raster höllischer Dimensionen über die einstmals himmelwärtsstrebenden und nun tief gestürzten Brüder und Schwestern. Thersites statt Apollo, eine Kriechtierästhetik, weil alles andere schwach war und versagte? Der Verlust war immens, und Oskar Werner wurde so ein interessantes Opfer, an dem sich Schmerzliches zeigen und betrauern läßt. Die Gewinne dagegen sind aufgewogen nach heutiger Bilanz und erscheinen eher unentrinnbar vernichtend daher als fördernd. Die neuen Freunde aus Übersee (Warhol oder D.Lynch) sind eher aus der Polarität zu verstehen. Die Schwäche unseres Atems im Film nur einer zufällig am selben Abend zu vergleichenden Liebesszene im Fernsehen ist etwa von dem Wert des sozialen Wohnungsbaus im Vergleich zu irgendeiner Skyline amerikanischer Städte. Es hungern weniger Underdogs, jedoch als Kulturnation sind wir abgetreten, wenn wir uns auf diese Ebenen einlassen. Der Verlust nicht nur eines Krieges wird evident. Warum nicht? Eine strafende Niederlage. Gebrochen. Aber es nicht sagen und beklagen zu dürfen, sondern es zu begrüssen als Sieg des Niederen im Menschen und seiner Kunst, ist Bedingung zwar des Sieges, aber Tragik aller Tragik des Menschen in sich. Hier und da.

Generationswechsel?
In Frankreich ging der Weg über Heidegger zu Satre zur Nouvelle Vague. Es waren die Franzosen, die Bayreuth nach Wieland Wagner und 1968 erneuerten. In Italien lernten die Fellini, Antonioni und Rossellini unter Mussolini. Und es waren Italiener, die die Gesamtausgabe Nietzsches in deutsch machten. Von England kamen die Beatles und der Pop, wie aus den USA Andy Warhol mit der Ästhetik des Marktes.
Wenn aber die Deutschen nach Japan heute kommen, verstören sie (Heiner Müller) bis zum Unverständnis oder (Kresnik in Mexiko) bis zur abwehrenden Aggression. Alle Filme und Theaterproduktionen aus diesem Haus hier wurden seit dem Hitlerfilm nur mit ausländischer Hilfe möglich. Und es stellen sich immer, seit Anfang an, die Fragen, warum reagieren Zuschauer und Presse und Universitäten dort anders.

 

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Interessant ist das Versagen vor der Ästhetik der Emigration und ihrer Tugenden einer nicht-ortsgebundenen Naivität. Wenn die Verurteilung oder Verkennung Oskar Werner in den Filmen Hollywoods als Fehlen der Persönlichkeit beschrieben wird, dann ist das bestenfalls als böses Vorurteil aus Europa  zu erklären, das nun selbst verloren ist durch Aura-Verleugnung und Verweigerung seiner künstlerischen Ursprünge.
Das ist bitter für den Urteilenden, wenn es nur nicht Folgen hätte, die wir alle kennen, sobald diese Haltung Schule macht.

Einige spätere Filmrollen hattennoch Schönheit, weil Oskar Werner hier nichts tun durfte,alles sein mußte. Die Eindringlichkeitund Varietät, die kokettnonchalante Rätselhaftigkeit der puren Person setzte sich durch.Der

Einige spätere Filmrollen hattennoch Schönheit, weil Oskar Werner hier nichts tun durfte,alles sein mußte. Die Eindringlichkeitund Varietät, die kokettnonchalante Rätselhaftigkeit der puren Person setzte sich durch.Der

Preis, den man dafür bezahlen muß, pure Person zu bleiben, ist unreif. Aber man kann sich diesen hohen Preis  in klingender Münze zurückzahlen lassen, wenn man die Unreife der Person als ihr Gegenteil verkauft als "eine Persönlichkeit"

(SZ/I.N. Unterstreichungenvom Autor)

    Hier handelt einer mit etwas, was er nicht mehr hat. Indem er es wohl nicht zufällig zum Gegenstand eines Geschäfts machen will. In der Kunst. Hier urteilt der europäsiche Intellektuelle, der Authentizität, Aura, Mythos, prophetischen Geist ohne innere Stimme nicht mehr kannte, ohne Verständnis, woraus das Hollywood seiner besten Möglichkeiten Kunst mache, wenn es diesen Oskar Werner holte, und ohne Bewußtsein, woher er einmal kam, wenn dann in diesem Zusammenhang auch noch die Namen Kinski und Maximilian Schell fallen als Beispiel für Unreife und Scheitern, um das Verdikt des Zeitgeists vernichtend zu etablieren, der uns bis heute in die Verluste jagt, nicht nur der Länder und Städte bis in die Sprache der Gefühle und aller Vernunft, aus der wir geboren.

 

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Warum schweigen.
Man tut das nicht.
Es geht nicht um Kritik,nicht um Vornehmheit.
Es geht um Kunst hier und Management der Verwalter dort.
Marktwert und Macht da und Existentielles hier.
Mozart oder die ewigen Salieris.
Zeit seines Lebens versuchte Mozart, sich in den vielen Orten seines Beifalls und der Wunder, die er hinterließ, irgendwo eine wenigstens stellvertretenden Position zu sichern, wo er neben Lebensbasis auch über Orchester, Instrumente, Chöre, Solisten, Räume und Programme hätte verfügen können, an einem der Höfe der Kirchen, wo die Salieris und deren Schüler alles besetzten und  bestimmten, Gelder, Ästhetik und Zukunft. (Siehe Brecht und die DDR). Während die Nachrichten von den neuen Homburg-Inszenierungen von allen Seiten und die Fausts mit Millionen-Desastern schon voraus zu sehen sind, müssen die anderen betteln. Was Th. Bernhard über seinen Regisseur im stillen Kämmerlein seiner Wahrheit dachte, wird klar, wenn man ihn kennt, und er hat es auch nicht ausgehalten. Brecht kostete es eine Ehre, die er nicht anerkannte, und letztlich Teile seines Werks. Die Orson Welles, Stroheim, Oskar Werner, Glenn Gould sind letztlich die, die alle anderen einmal retten werden, wenn diese Zeit auf der Waagschale liegt. Man wird sie nur an dem Grat ihrer Verweigerung messen, als Maudits des intellektuellen Exils der Nachkriegsdemokratien, wieviel Ehre sie uns bringen. Im Bettelkleid gegen die technokratischen Götzendienste allein ist noch Hoffnung, wenn überhaupt.
Nein, Höflichkeit ist da eher Gleichgültigkeit, mangelnde Bereitschaft, sich einzulassen. Wozu sonst alle Kriege, die sie heilig nannten, wenn nicht in dieser Sache des Summum Bonum Klarheit herrscht und entschiedene Haltung. Damals schon bei Mozart sprachen seine Zeitgenossen von Mord, wieviel mehr ist solches von den Heutigen zu sagen, die da nur mehr verwalten und sich mästen, wo andere hungerten. Der Wein der Demut steht wie immer gegen die Wasser des Hochmuts. Nur ist dies inzwischen schmutzig geworden. Auch in der Anmaßung Zeichen der Bescheidenheit des Machens bloß und einfachen Marktes zu sein. Sagen wir es offen: es geht um Mord. Und wehe den Verrätern. Mord an der Kunst, der noch möglichen. Wenn das eine ist, wird das andere nicht sein. Die falschen Propheten legitimieren das Laster. Und das Richtige einzig ist, den Schock der Barbarei-Konjunktur zu überwinden in jenem alten und immer neuen Glück, das die Kunst bezeugt.

 

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Und wenn wir uns nun fragen, eine Generation später, was alles diese Aufklärer und Hoffnungsprinzipien mit materieller Überwindung der Aura, des Mythos der Seele durch Analyse oder Sozialfixierung in Richtung Konsum des Lebens als Fortschritt des Wachstums denn seien gegen auch nur einen Menschen der Kunst wie Oskar Werner und wofür er steht, nämlich für die Dimension von Kleist bis Goethe, wenn wir also uns fragen, was verloren sein und was dafür gewonnen, indem wir uns umschauen, einmal aller Brutalität des damaligen Wechsels ungeachtet, dann müssen wir sagen, daß es nun um die Substanz geht, nicht nur des Eigenen und der Künste anderer Art, sondern um das Mensch-Sein an sich schon wie das der Natur um uns. Und es geht gar nicht mehr um den Gang, den vielzitierten, wobei man immer den Mut vergaß, sondern um die Haltung nur mehr, aufrecht auf dem Boden eigener Sprache und Natur zu stehen, wenn wir abwägen nun, wozu wir noch fähig nicht nur sind, sondern was auch nur noch zu sehen oder zu hören wäre, einfach wahrzunehmen, wenn doch noch einmal einer etwas wagt oder ist.

 

 

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Man kann den Fall Oskar Werner schnell fertig sehen. Als Säufer mit dem pseudomilden Verräterblick ihn als krank erklären, einen, den man vor sich selber schützen müsse, als arm und tragisch das Ende im Vergleich mit der Höhe seines Beginns, als einen, der sich selbst ein Bein stellt, verrannt, besessen, der und dessen Natur es nicht anders gewollt habe, Hybris in Menschengestalt, als ob er ahnte, warum, um sich schlagend, selbst wenn es die Nächsten waren. Der Haß aber, die Infamie der Sprache, die Verfolgungen und Diffamierungen seiner Feinde sollten aufmerken machen. Es ist, als ob hier eine ganze Generation und Kultur Abschied nehme, nicht verzeihen könne, in krampfhaft böswilliger Umarmung fast vernichtet, das Vaterbild der schönen Zeiten und Erinnerungen, der noch anderen Töne, des hohen Bildes, verlorener Bewegungen der Musikalität, des Heiligen solcher Worte, Taten, Forderungen, Verpflichtungen, die durch ihn erschienen, noch einmal, nun vernichtet in ihm, verhindert, wenn er es behauptet. Das Zentrum ist gemeint, hoch gehalten und weggewünscht, das Herz unserer aller Existenz,  Europas. Das Herz, nicht als Muskel, sondern das heilige. Es war dieser Pakt seit 1968 der Kinder Hitlers und der Erben von Auschwitz, das als Frucht dieser Kultur erkannt und erklärt wurde. Dieser Sieg meiner Generation aber kam nicht aus den Ruinen der Verzweiflung, sondern als Äußerungen der Maden im Speck, als Markt-Wert-Kultur und Spaß-Konsum.

Es wurde nicht schlechte Kunst gemieden und bekämpft oder eine nicht-gewollte der Tragödie dieser Kultur am Beispiel unserer Geschichte wie Hitlers aus der Musik Richard Wagners, sondern als Kleist anders, wie Shakespeare und Gesänge nochmal des hohen Tons, präzise und entschieden gewagt wurden und der "Faust" und die heimatlichen Lieder aus der Kindheit warmen Herzens von unserer Nacht dieses Jahrhunderts bis zu den Träumen, bedrückend und sanft, nicht nur Deutschlands, und mit der äußersten Reduzierung auf den Kern aller Räume und Gestalten bis in uns selbst reduziert wie Mahnung und einsame Folge unserer Geschichte auch, da ging der ganze Morgenthauplan doch noch auf, und zwar geistig, in uns, umgekehrt nicht durch die Zurückstufung einer Kultur auf ihre natürlichen Resourcen, unter Ausschaltung technischer und industrieller Errungenschaften dieses Jahrhunderts, sondern durch Auslöschung der geistigen Authentizität von Natur und Grund aus, und das eben durch uns selbst, verführt vom Angebot der fetten Geschäfte gerade damit, wovon die äußere Naturzerstörung und Nichtachtung der natürlichen Lebensgrundlagen und die böswillige Vernichtung aller anderen Wege, wie hier am Beispiel gezeigt, deutliche Zeichen sind, die ehrliche Beobachter nachdenklich machen müßten über diese neuen Formen des Exils der Emigranten aus der Demokratie in Deutschland nach dem Kriege. Aber die Witterung war sensibel. Und so war die innere Stimme selbst in allen schon tot, und keiner merkte auch nur, was da getan war und gewagt, gerade hier. Und rundum ist nicht mehr Abwehr, aber schwachatmige Impotenz und lallendes Begnügen der Selbstbeschnittenen.
Manchmal schauen sie noch auf den Störenfried, der da etwas will oder hat und weiß, und meistens schon nicht einmal mehr das. Solange doch alles läuft und keiner mehr weint, warum und wie. Aus von Bosheit verfetteten Augen blicklos und tauben Herzens.

Aber damit keine falschen Schlüsse entstehen: Hans Mayer und Bloch als Retter von Bayreuth nach '45, der Erstere mit nachdenklichen Worten zum Ende des Theaters, so A.Kerr nach Ernstnehmen des Films, G. Steiner über Adornos Kunstverbot nach Auschwitz ("George Steiners Kommentar zum  "Fall Adorno"  ...Der Musiktheoretiker habe nur deshalb so eloquent die Verfallsdiagnose verfochten, weil er damit sein eigenes Scheitern als Komponist geschichtsphilosophisch verbrämen konnte." F.R. 17.11.1995),  und über das erstickende Deutschland heute, Tabori über Leni Riefenstahl beim drittenMal Anschauen heute (in Worten, die keiner in deutschen Zeitungen wagte, auch nur zu wiederholen, als sie darüber berichteten), selbst R. Ranicki nach Gedichten rufend gerade nach A. Hierher gehört auch K. Popper und seine Kritik an S. Freud, K. Marx und Schönberg, oder Elias Canetti und seine Bemerkung von der Zuspitzung der Geschichte in Adolf Hitler. Gegen soviel Hörigkeit sonst.
Das alles macht traurig, es nicht von denen der eigenen Generation zu hören, aus der Freiheit der Befreiten, Widerwärtigen, würde Thomas Bernhard sagen, der Autor der Auslöschung, die bis heute keiner erkannt, feige, stumpfsinnig, in einem Milieu, das keine Erforschung neuer Kunst von Grund auf so radikal wie bescheiden, aber aus heutigem Leben zuließe. Wer hier nach Antisemitismus greift, muß wissen, daß er sich in voraufklärerische Denksmuster wie Worte und Modelle von Antichrist und Inquisitionsritualen vielleicht allzu bequem undböse einrichtet. Man sollte denen mißtrauen, sich nicht wegducken und schon gar nicht so handeln, als ginge es nichts an. Hier geht es um Alltag dessen, wofür wir leben. Am Ende, wie hier im Falle Oskar Werner,  neben seiner Kunst um eine Welt, für die er stand.
Dies als letztes Wort, nein, er sagte doch selbst:

"Ich hab von deiner Huld
nicht einen Hauch vertan".

und wenn's nur das gewesen wäre, auf den Blick, als hätt' er Schuld, so müßte doch alles verziehen sein und nicht nur das: wie Oskar Werner es sagt und wann und wo. Verboten, untersagt, im Gelächter der Nachkommen?

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Neben der individuellen Schuld des persönlichen Vergehens wie postmortem Vatermord als Rache  und des Sohnes mit wieviel Tränen auch immer des Vaters, daß er das tun mußte wie in visionärer Ahnung dessen, wie diese Kinder einmal fähig sein könnten, ihn seinen Todfeinden zu übergeben mit dem Todesurteil über seine letzten Dinge, indem sie, diese Kinder, alle Zeugnisse seiner aufrechten Mühen als Produkt krankhaften Wesens vernichten oder verweigern, was sein ganzer Lebensimpuls war bis zum letzten Moment, und nicht, daß eben diese materiellen Erben nun das tun, wozu sie zeitlebens sich nicht hervortrauten, den Vater zu entmündigen und zu verraten im Geiste, und nicht die persönliche Trauer der wenigen, die dies Verbrechen an der Kultur erkennen und der nicht individuelle Verlust solcher Spuren eines künstlerischen Lebens im würdigsten Verlauf des aufrechten Endes ist hier zu bekämpfen, zu beklagen und wenigstens insgeheim zu retten gegen all diese Versuche, jemanden um seine höchste Ehre zu bringen und sei es von den eigenen Kindern. Es ist, angesichts der gerade jetzt so tristen und schwachbrüstigen dokumentierten Bemühungen wieder in Sachen Kleist und Homburg oder Faust, von allen Seiten mit aller Zukunft und ihrer Großprojekte aus höchster Staatskasse finanziert, besonders schmerzlich, eben diese andere Kunst nicht vorhalten zu dürfen, die mit kleinstem Aufwand und größtem Anstand zeigt, wie es sein muß und war. Gerade in Zeiten der Kunstverweigerung und unser aller Verkrüppelung durch das, was sich als solche Kunst nicht mal schmerzlich verkauft, auf diesen verzichten zu müssen, wo es noch um jenes Summum Bonum ging von Leben und Welt, ist geradezu fatal, da nicht nur der Kulturschock unseres Untergangs uns verarmt, sondern wir Gefangene wurden jener Erziehung, die erfolgreich alle lebens- und weltkräftigenden und -rettenden Möglichkeiten der Kunst bestritt und mit sich hinabzieht, was noch war und sein könnte.
Das ist schlimmer als Wut und Trauer über Mord und Sieg des Bösen in der Kunst im Babylon-Recht unserer Zeit des Marktwert-Protzens. Es geht nicht nur letztes Zeugnis verloren, daß und wie wir waren, und eben Kunst, die noch im Sterben und dann erst ganz zu sich kommt, wie unser Einssein mit ihr als Balsam den vereinzelten Kennern aus gleicher Tüchtigkeit, wo auch immer, zur Stärkung, es ist eben diese Verhinderung eventueller Kräftigung zu neuen Taten, die, auf fürchterliche Weise dadurch getötet, alle Hilfe und Neuerung verlöschen läßt, wo auch immer andere Wege und Keime sich Stützung erhoffen könnten. Vor der Letzte-Bänder-Ästhetik versagen sie alle, die, die da urteilen, aus dem Ungeist der Zeit Beauftragte, wie auch sollten sie anders. Das ist das Paradox, das es auszuhalten gilt. Verantwortliche des Desasters, sind sie nicht fähig und berufen, die Verantwortung ihres eigenen Untergangs zu tragen, dessen Klagezeugnis sie den anderen leidend auferlegt im Gelächter ihrer Unvernunft. Und das, nachdem die Grossen sich schon längst aus lautem Betrieb dieser Fatalität entfernten und nur mehr untersagte Spuren legen. Nachfolgelos und sterbensmüden Endes letzte Zeichen.

 

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"Incurably insane" nannten sie Ezra Pound. Wer? Wer hatte es nötig? Warum? Er war für den Faschismus des Duce eingetreten. Oder war es seine Kunst? Kunstkritik in der Totalität der Demokraten, wenn sie gesiegt haben.
Am Ende seines Lebens verstummte er.
Incurably insane.
Wie Knut Hamsun, F. Celine oder E. Jünger?

      "Pound liest. Ist er der Priester, der eineMesse zelebriert? Seine Stimme scheint vonweither zu kommen, aus einer anderen Welt,einer anderen Zeit. Durch welche Maske spricht er, wenn er spricht? Welche Persona spricht aus ihm? Ist dies die Stimme Homers, Cavalcantis, des Wolkensteiners? Für Augenblicke ist mir, als hörte ich Trommeln im Hintergrund, als käme der Klang der Flöten aus dem Tal herauf. Pound betont Wort für Wort, rollt das R, wechselt denRhythmus, zieht einzelne Silben in die Länge,und das Ende eines Satzes singt er, hält den Tonüber ausgedehnte Perioden. Plötzlich scheint ihn Müdigkeit zu überfallen, dann schreit er einzelneWorte hinaus, treibt Worte und Sätze voran, steigert sich, stürzt ab, holt tief Atem und verfällt wieder ingleichmäßigen Singsang."

 

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Und weil nun wieder in die Arena gestiegen werden muß, die Arena des Kampfes, der Auseinandersetzungen und der Unterscheidungen als Arena der Kritik ursprünglicher Bedeutung,  dann geschieht es nicht um der eigentlichen Lust willen, auch wenn Erkenntnis daraus wird, die viel schmerzloser im besten Leiden bei Betrachtung und Vorführung der hinterlassenen Bilder und Töne entstünde, so daß deren Verweigerung und Vernichtungsabsicht nun zum Aufschrei führen muß wie das Lied der Trauer angesichts der globalen Vernichtungsaktionen vom Urwald unserer Tropen

Tropen bis in die unserer Seelen hinein. Und wie sollte anders reagiert werden angesichts der Brutalität, mit der hier ein Mensch gehetzt wurde, der Mozart näher war und Shakespeare als alle die, die da kläffen, und wie anders sollte man handeln, als suchen nach dem Warum, das man finden muß. Wie nämlich nicht nur ein Mensch, sondern seine ganze Kultur und darin wir beseitigt wurden und wofür. So entsteht Tragik, auch ihre Form, die am Ende nur noch möglich ist im Abseits der Öffentlichkeit von Gerichten und Mordtendenzen aller Medien. Was aber zugleich neue Freiheit schafft und das Gesehene dann nach dem Nein der öffentlichen Werkzeuge und Apparate und ihrer Händler und Verhinderungen aus Lähmung und Angst zu jenen Tabus auch führt, die so verhandelt werden dürfen, dies wäre sonst nicht mehr möglich. Triumph für die Sieger? Größte Schande für die Freiheit und deren täglichen Schänder. Wer ihnen folgt, ist arm oder geschändet.
Da ist die "heilige Kuh des Regietheaters" als künstlerische Ideologie des Aufklärungsbetriebs und dessen Sturz. Mit dem Beispiel des "Homburg" von 1972 verglichen mit  dem Kremser "Homburg" von Oskar Werner und sein Abtritt seitdem. Und das geht bis in die feuilletonistischen Nostalgien der '68er Veteranen, wenn sie ehemaliger großer Zeiten gedenken (S.L./FR und B.H./DIE ZEIT). Und da ist das Tabu der interessanten und auch legitimen, aber auch speziellen und genau zu definierenden Partnerschaften jener '68er mit den Inellektuellen aus der Emigration zu beiderseitigem Nutzen, warum auch nicht, mit aber Begrenzungen und notwendigen Entwicklungen oder "Ablösungen". Kapitel "Auschwitz und die Kunst mit Kunstverbot". (Einer Kunst aus Aura, Mythos, Poesie und Leidenschaft, nur weil sie das Desaster nicht verhindern, sondern eher beglaubigen half.

 

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Es stellt sich die Frage nach dem Bestand des Theaters ohne Texte aus unserer Zeit, die den Alten gleich wären an Gewicht als einer Kunst. Eventuell aus noch akademisch bemühtem Handwerk, aber ohne Entwicklung. Es ist die Frage, ob noch Kunst sei nach Auschwitz im hochsubventionierten Kehraus der Satyrspiele und Farcen als Alibihandlungen unter den Ablasshändlern der Selbstbeschmutzungs-Rituale mit der Regie als künstlerischem Akt anstelle der Texte. Es wird darauf ankommen, ob über Zitat ohne eigenen Boden der schöpferischen Phantasie und ob durch Montage mit Assoziation und Affirmation eigene Identität gefunden werden kann des authentischen Ichs, aus dem Herzen und neu. Denn einmal wird in jedem Land, in jedem Leben auch die Träne ihre Form suchen, und arm die, die dann ohne Vorbereitung sind. Aber wenn wir die Ursprünge unserer Darstellungsgesetze suchen, des Theaters nach Griechenland, wird vielleicht dort Antwort kommen für den Ausdruck neben den heutigen Betriebsarragements aus Ensemblefixierung und Höhlenraum in den Städten des sozialen Wohlstands. Nun leben wir nicht im Griechenland der damaligen Zeiten und können die wesentlichen Gründe des geistigen Erbes aus unseren ermatteten Ritualen nur studieren, um das Gefundene in unsere Möglichkeiten zu übersetzen. So müßte die Landschaft, in der die Theater damals offen lagen,  in entsprechende Form gebracht werden, was eben nicht das Bühnenbild sein muß, wie heute gebräuchlich, und so müßte der Chor, aus dem Darsteller und dann das Ensemble und auch alle Dialoge entstanden, und so müßte die Anwendung der Masken verstanden werden und übertragen, wenn wir unsere Gesetze erfüllen wollen in diesem Erbe heute. Man kann die Landschaft in den heutigen Höhlen unserer Räume mit Projektionen ersetzen und am besten aus uns aus der Ästhetik des freien Zweck-Films übertragen, und so wird man den Chor in der Musik wiederfinden und - nach der Oper - in musikalische Normen unserer heutigen Zugänge, des Worts und dessen Gesang, zu dem das Wort dann werden kann auf seiner höchsten Höhe.
Diese Höhe des Gesangs ist als Routine der Pathologie der Zeit manieristisch, da ohne Grund aus dem Text des Autors. Wenn aber aus dem Grunde einer entschiedenen Haltung mit gewaltigem Atem  geprüften Sinnes und abgesichert in der grenzüberschreitenden Koordinate höchsten Sinnes, wird dies immer das hohe C sein aller Darstellungskunst, besonders, wenn aus Innigkeit getragen.
Die Masken richtig deutend, würden wir am Ende uns selber zu finden und darzustellen aufgerufen sein, wenn alles fällt, in jener Form des Ichs, das hinter jeder Maske sich verbirgt und um das es letzlich geht,aber immer eingebettet in jenen göttlichen Bezirk, in dem damals die Haine der Theater gerne lagen und dem Himmel verpflichtet waren, den wir ausgesperrt in den Ruinen unserer Zeit und nun aus uns selber zu holen haben. Gerade die Menschen, die beginnen, die Erde zu verlassen und damit unsere Natur und die gewohnten Elemente, in die Sternenräume des Intellekts, sollten Maß nehmen und sich vergewissern am Geist der alten Seelenmysterien immer neu,ihren neuen Weg mit gewohnter Hilfe vielleicht besser zu wissen.

Fortsetzung folgt

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