Hier handelt einer mit etwas, was er nicht mehr hat. Indem er es wohl nicht zufällig zum Gegenstand eines Geschäfts machen will. In der Kunst. Hier
urteilt der europäsiche Intellektuelle, der Authentizität, Aura, Mythos, prophetischen Geist ohne innere Stimme nicht mehr kannte, ohne Verständnis, woraus das Hollywood seiner besten Möglichkeiten Kunst mache, wenn
es diesen Oskar Werner holte, und ohne Bewußtsein, woher er einmal kam, wenn dann in diesem Zusammenhang auch noch die Namen Kinski und Maximilian Schell fallen als Beispiel für Unreife und Scheitern, um das Verdikt
des Zeitgeists vernichtend zu etablieren, der uns bis heute in die Verluste jagt, nicht nur der Länder und Städte bis in die Sprache der Gefühle und aller Vernunft, aus der wir geboren.
91Warum schweigen. Man tut das nicht. Es geht nicht um Kritik,nicht um Vornehmheit.
Es geht um Kunst hier und Management der Verwalter dort. Marktwert und Macht da und Existentielles hier. Mozart oder die ewigen Salieris. Zeit seines Lebens versuchte Mozart, sich in den vielen Orten seines
Beifalls und der Wunder, die er hinterließ, irgendwo eine wenigstens stellvertretenden Position zu sichern, wo er neben Lebensbasis auch über Orchester, Instrumente, Chöre, Solisten, Räume und Programme hätte verfügen
können, an einem der Höfe der Kirchen, wo die Salieris und deren Schüler alles besetzten und bestimmten, Gelder, Ästhetik und Zukunft. (Siehe Brecht und die DDR). Während die Nachrichten von den neuen
Homburg-Inszenierungen von allen Seiten und die Fausts mit Millionen-Desastern schon voraus zu sehen sind, müssen die anderen betteln. Was Th. Bernhard über seinen Regisseur im stillen Kämmerlein seiner Wahrheit dachte,
wird klar, wenn man ihn kennt, und er hat es auch nicht ausgehalten. Brecht kostete es eine Ehre, die er nicht anerkannte, und letztlich Teile seines Werks. Die Orson Welles, Stroheim, Oskar Werner, Glenn Gould sind
letztlich die, die alle anderen einmal retten werden, wenn diese Zeit auf der Waagschale liegt. Man wird sie nur an dem Grat ihrer Verweigerung messen, als Maudits des intellektuellen Exils der Nachkriegsdemokratien,
wieviel Ehre sie uns bringen. Im Bettelkleid gegen die technokratischen Götzendienste allein ist noch Hoffnung, wenn überhaupt. Nein, Höflichkeit ist da eher Gleichgültigkeit, mangelnde Bereitschaft, sich
einzulassen. Wozu sonst alle Kriege, die sie heilig nannten, wenn nicht in dieser Sache des Summum Bonum Klarheit herrscht und entschiedene Haltung. Damals schon bei Mozart sprachen seine Zeitgenossen von Mord, wieviel
mehr ist solches von den Heutigen zu sagen, die da nur mehr verwalten und sich mästen, wo andere hungerten. Der Wein der Demut steht wie immer gegen die Wasser des Hochmuts. Nur ist dies inzwischen schmutzig geworden.
Auch in der Anmaßung Zeichen der Bescheidenheit des Machens bloß und einfachen Marktes zu sein. Sagen wir es offen: es geht um Mord. Und wehe den Verrätern. Mord an der Kunst, der noch möglichen. Wenn das eine ist, wird
das andere nicht sein. Die falschen Propheten legitimieren das Laster. Und das Richtige einzig ist, den Schock der Barbarei-Konjunktur zu überwinden in jenem alten und immer neuen Glück, das die Kunst bezeugt. 92Und wenn wir uns nun fragen, eine Generation später, was alles diese Aufklärer und Hoffnungsprinzipien mit materieller Überwindung
der Aura, des Mythos der Seele durch Analyse oder Sozialfixierung in Richtung Konsum des Lebens als Fortschritt des Wachstums denn seien gegen auch nur einen Menschen der Kunst wie Oskar Werner und wofür er steht,
nämlich für die Dimension von Kleist bis Goethe, wenn wir also uns fragen, was verloren sein und was dafür gewonnen, indem wir uns umschauen, einmal aller Brutalität des damaligen Wechsels ungeachtet, dann müssen wir
sagen, daß es nun um die Substanz geht, nicht nur des Eigenen und der Künste anderer Art, sondern um das Mensch-Sein an sich schon wie das der Natur um uns. Und es geht gar nicht mehr um den Gang, den vielzitierten,
wobei man immer den Mut vergaß, sondern um die Haltung nur mehr, aufrecht auf dem Boden eigener Sprache und Natur zu stehen, wenn wir abwägen nun, wozu wir noch fähig nicht nur sind, sondern was auch nur noch zu sehen
oder zu hören wäre, einfach wahrzunehmen, wenn doch noch einmal einer etwas wagt oder ist. 93Man kann
den Fall Oskar Werner schnell fertig sehen. Als Säufer mit dem pseudomilden Verräterblick ihn als krank erklären, einen, den man vor sich selber schützen müsse, als arm und tragisch das Ende im Vergleich mit der Höhe
seines Beginns, als einen, der sich selbst ein Bein stellt, verrannt, besessen, der und dessen Natur es nicht anders gewollt habe, Hybris in Menschengestalt, als ob er ahnte, warum, um sich schlagend, selbst wenn es die
Nächsten waren. Der Haß aber, die Infamie der Sprache, die Verfolgungen und Diffamierungen seiner Feinde sollten aufmerken machen. Es ist, als ob hier eine ganze Generation und Kultur Abschied nehme, nicht verzeihen
könne, in krampfhaft böswilliger Umarmung fast vernichtet, das Vaterbild der schönen Zeiten und Erinnerungen, der noch anderen Töne, des hohen Bildes, verlorener Bewegungen der Musikalität, des Heiligen solcher Worte,
Taten, Forderungen, Verpflichtungen, die durch ihn erschienen, noch einmal, nun vernichtet in ihm, verhindert, wenn er es behauptet. Das Zentrum ist gemeint, hoch gehalten und weggewünscht, das Herz unserer aller
Existenz, Europas. Das Herz, nicht als Muskel, sondern das heilige. Es war dieser Pakt seit 1968 der Kinder Hitlers und der Erben von Auschwitz, das als Frucht dieser Kultur erkannt und erklärt wurde. Dieser Sieg
meiner Generation aber kam nicht aus den Ruinen der Verzweiflung, sondern als Äußerungen der Maden im Speck, als Markt-Wert-Kultur und Spaß-Konsum. Es wurde nicht schlechte Kunst gemieden und bekämpft
oder eine nicht-gewollte der Tragödie dieser Kultur am Beispiel unserer Geschichte wie Hitlers aus der Musik Richard Wagners, sondern als Kleist anders, wie Shakespeare und Gesänge nochmal des hohen Tons, präzise und
entschieden gewagt wurden und der "Faust" und die heimatlichen Lieder aus der Kindheit warmen Herzens von unserer Nacht dieses Jahrhunderts bis zu den Träumen, bedrückend und sanft, nicht nur Deutschlands, und
mit der äußersten Reduzierung auf den Kern aller Räume und Gestalten bis in uns selbst reduziert wie Mahnung und einsame Folge unserer Geschichte auch, da ging der ganze Morgenthauplan doch noch auf, und zwar geistig,
in uns, umgekehrt nicht durch die Zurückstufung einer Kultur auf ihre natürlichen Resourcen, unter Ausschaltung technischer und industrieller Errungenschaften dieses Jahrhunderts, sondern durch Auslöschung der geistigen
Authentizität von Natur und Grund aus, und das eben durch uns selbst, verführt vom Angebot der fetten Geschäfte gerade damit, wovon die äußere Naturzerstörung und Nichtachtung der natürlichen Lebensgrundlagen und die
böswillige Vernichtung aller anderen Wege, wie hier am Beispiel gezeigt, deutliche Zeichen sind, die ehrliche Beobachter nachdenklich machen müßten über diese neuen Formen des Exils der Emigranten aus der Demokratie in
Deutschland nach dem Kriege. Aber die Witterung war sensibel. Und so war die innere Stimme selbst in allen schon tot, und keiner merkte auch nur, was da getan war und gewagt, gerade hier. Und rundum ist nicht mehr
Abwehr, aber schwachatmige Impotenz und lallendes Begnügen der Selbstbeschnittenen. Manchmal schauen sie noch auf den Störenfried, der da etwas will oder hat und weiß, und meistens schon nicht einmal mehr das.
Solange doch alles läuft und keiner mehr weint, warum und wie. Aus von Bosheit verfetteten Augen blicklos und tauben Herzens. Aber damit keine falschen Schlüsse entstehen: Hans Mayer und Bloch als
Retter von Bayreuth nach '45, der Erstere mit nachdenklichen Worten zum Ende des Theaters, so A.Kerr nach Ernstnehmen des Films, G. Steiner über Adornos Kunstverbot nach Auschwitz ("George Steiners Kommentar
zum "Fall Adorno" ...Der Musiktheoretiker habe nur deshalb so eloquent die Verfallsdiagnose verfochten, weil er damit sein eigenes Scheitern als Komponist geschichtsphilosophisch verbrämen
konnte." F.R. 17.11.1995), und über das erstickende Deutschland heute, Tabori über Leni Riefenstahl beim drittenMal Anschauen heute (in Worten, die keiner in deutschen Zeitungen wagte, auch nur zu
wiederholen, als sie darüber berichteten), selbst R. Ranicki nach Gedichten rufend gerade nach A. Hierher gehört auch K. Popper und seine Kritik an S. Freud, K. Marx und Schönberg, oder Elias Canetti und seine Bemerkung
von der Zuspitzung der Geschichte in Adolf Hitler. Gegen soviel Hörigkeit sonst. Das alles macht traurig, es nicht von denen der eigenen Generation zu hören, aus der Freiheit der Befreiten, Widerwärtigen, würde
Thomas Bernhard sagen, der Autor der Auslöschung, die bis heute keiner erkannt, feige, stumpfsinnig, in einem Milieu, das keine Erforschung neuer Kunst von Grund auf so radikal wie bescheiden, aber aus heutigem Leben
zuließe. Wer hier nach Antisemitismus greift, muß wissen, daß er sich in voraufklärerische Denksmuster wie Worte und Modelle von Antichrist und Inquisitionsritualen vielleicht allzu bequem undböse einrichtet. Man sollte
denen mißtrauen, sich nicht wegducken und schon gar nicht so handeln, als ginge es nichts an. Hier geht es um Alltag dessen, wofür wir leben. Am Ende, wie hier im Falle Oskar Werner, neben seiner Kunst um eine
Welt, für die er stand. Dies als letztes Wort, nein, er sagte doch selbst: "Ich hab von deiner Huld nicht einen Hauch vertan". und wenn's nur das gewesen wäre, auf den Blick, als
hätt' er Schuld, so müßte doch alles verziehen sein und nicht nur das: wie Oskar Werner es sagt und wann und wo. Verboten, untersagt, im Gelächter der Nachkommen? 94 Neben der individuellen Schuld des
persönlichen Vergehens wie postmortem Vatermord als Rache und des Sohnes mit wieviel Tränen auch immer des Vaters, daß er das tun mußte wie in visionärer Ahnung dessen, wie diese Kinder einmal fähig sein könnten,
ihn seinen Todfeinden zu übergeben mit dem Todesurteil über seine letzten Dinge, indem sie, diese Kinder, alle Zeugnisse seiner aufrechten Mühen als Produkt krankhaften Wesens vernichten oder verweigern, was sein ganzer
Lebensimpuls war bis zum letzten Moment, und nicht, daß eben diese materiellen Erben nun das tun, wozu sie zeitlebens sich nicht hervortrauten, den Vater zu entmündigen und zu verraten im Geiste, und nicht die
persönliche Trauer der wenigen, die dies Verbrechen an der Kultur erkennen und der nicht individuelle Verlust solcher Spuren eines künstlerischen Lebens im würdigsten Verlauf des aufrechten Endes ist hier zu bekämpfen,
zu beklagen und wenigstens insgeheim zu retten gegen all diese Versuche, jemanden um seine höchste Ehre zu bringen und sei es von den eigenen Kindern. Es ist, angesichts der gerade jetzt so tristen und schwachbrüstigen
dokumentierten Bemühungen wieder in Sachen Kleist und Homburg oder Faust, von allen Seiten mit aller Zukunft und ihrer Großprojekte aus höchster Staatskasse finanziert, besonders schmerzlich, eben diese andere Kunst
nicht vorhalten zu dürfen, die mit kleinstem Aufwand und größtem Anstand zeigt, wie es sein muß und war. Gerade in Zeiten der Kunstverweigerung und unser aller Verkrüppelung durch das, was sich als solche Kunst nicht
mal schmerzlich verkauft, auf diesen verzichten zu müssen, wo es noch um jenes Summum Bonum ging von Leben und Welt, ist geradezu fatal, da nicht nur der Kulturschock unseres Untergangs uns verarmt, sondern wir
Gefangene wurden jener Erziehung, die erfolgreich alle lebens- und weltkräftigenden und -rettenden Möglichkeiten der Kunst bestritt und mit sich hinabzieht, was noch war und sein könnte. Das ist schlimmer als Wut und
Trauer über Mord und Sieg des Bösen in der Kunst im Babylon-Recht unserer Zeit des Marktwert-Protzens. Es geht nicht nur letztes Zeugnis verloren, daß und wie wir waren, und eben Kunst, die noch im Sterben und dann erst
ganz zu sich kommt, wie unser Einssein mit ihr als Balsam den vereinzelten Kennern aus gleicher Tüchtigkeit, wo auch immer, zur Stärkung, es ist eben diese Verhinderung eventueller Kräftigung zu neuen Taten, die, auf
fürchterliche Weise dadurch getötet, alle Hilfe und Neuerung verlöschen läßt, wo auch immer andere Wege und Keime sich Stützung erhoffen könnten. Vor der Letzte-Bänder-Ästhetik versagen sie alle, die, die da urteilen,
aus dem Ungeist der Zeit Beauftragte, wie auch sollten sie anders. Das ist das Paradox, das es auszuhalten gilt. Verantwortliche des Desasters, sind sie nicht fähig und berufen, die Verantwortung ihres eigenen
Untergangs zu tragen, dessen Klagezeugnis sie den anderen leidend auferlegt im Gelächter ihrer Unvernunft. Und das, nachdem die Grossen sich schon längst aus lautem Betrieb dieser Fatalität entfernten und nur mehr
untersagte Spuren legen. Nachfolgelos und sterbensmüden Endes letzte Zeichen. 95"Incurably insane" nannten sie
Ezra Pound. Wer? Wer hatte es nötig? Warum? Er war für den Faschismus des Duce eingetreten. Oder war es seine Kunst? Kunstkritik in der Totalität der Demokraten, wenn sie gesiegt haben.
Am Ende seines Lebens verstummte er. Incurably insane. Wie Knut Hamsun, F. Celine oder E. Jünger?
"Pound liest. Ist er der Priester, der eineMesse zelebriert? Seine Stimme scheint vonweither zu kommen, aus einer anderen Welt,einer anderen Zeit. Durch welche Maske spricht er, wenn er spricht?
Welche Persona spricht aus ihm? Ist dies die Stimme Homers, Cavalcantis, des Wolkensteiners? Für Augenblicke ist mir, als hörte ich Trommeln im Hintergrund, als käme der Klang der Flöten aus dem Tal herauf.
Pound betont Wort für Wort, rollt das R, wechselt denRhythmus, zieht einzelne Silben in die Länge,und das Ende eines Satzes singt er, hält den Tonüber ausgedehnte Perioden. Plötzlich scheint ihn Müdigkeit zu
überfallen, dann schreit er einzelneWorte hinaus, treibt Worte und Sätze voran, steigert sich, stürzt ab, holt tief Atem und verfällt wieder ingleichmäßigen Singsang."
96Und weil nun wieder in die Arena gestiegen werden muß, die Arena des Kampfes, der Auseinandersetzungen und der Unterscheidungen als Arena der
Kritik ursprünglicher Bedeutung, dann geschieht es nicht um der eigentlichen Lust willen, auch wenn Erkenntnis daraus wird, die viel schmerzloser im besten Leiden bei Betrachtung und Vorführung der hinterlassenen
Bilder und Töne entstünde, so daß deren Verweigerung und Vernichtungsabsicht nun zum Aufschrei führen muß wie das Lied der Trauer angesichts der globalen Vernichtungsaktionen vom Urwald unserer Tropen |