nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Vielleicht auch nicht sehen und hören mochte, nicht konnte und nicht - darf ? 83Woher Oskar Werner seine ästhetischen Axiome nahm. Von Mozart wissen wir, und da wohl eher von der Zauberflöte als letzter großer Prüfungsoper zwischen
Himmel und Erde für die Liebe als vom Figaro. Und von Shakespeare, immer wieder Shakespeare und seine Erben. Auch von seiner Schülerschaft zu Werner Krauß und Michel Simon oder Laughton wissen wir. Aber als er
einmal in noch früheren Jahren danach gefragt wurde und von den optischen Vorbildern sprach, den Figuren und Gesichtern in der Kunst, da sagte er, wer - nach den Griechen - wissen will, wie das abendländische Porträt
aussah, der muß zu Memling gehen. Und wir wissen, woher er seine Kraft nahm. Sie wollten ihn im Betrieb haben als den Großen, aber als einen unter ihnen, eine Betriebsgröße, eine besondere Art der
Selbstdarstellung, am besten durch die bekannten Neurosen der Kunst, die er nie aufgab. Es ist ihnen nie gelungen, auch unter sich, ihn zu erledigen. Aber als er nicht mehr mitmachte, da haben sie ihn behindert,
verkannt, beschmutzt. Das Eigene, die Verluste. Den Verlust. Und je mehr er zu sich kam in der Beschädigung seiner selbst, umso größer war ihre Wut. Er stand für etwas, unantastbar gerade am Ende, an das sie nicht mehr
herankamen, herauf. Er war dabei zum Theater selbst geworden. Am Ende den Faust mit Mephisto und Schüler allein und selbst zusammen sprechend, brauchte er die anderen nicht mehr wie im Homburg, war er der Hamlet noch
einmal in monologischen Separatvorstellungen vor den letzten Freunden und sang er die ganze Zauberflöte mit allen Stimmen- und Instrumentensoli ins Telefon weithin als einsamen Gruß: Wenn der Solitär zur Kunst wird,
unvergleichlich, einsam, und auszuhalten, aber hier ohne jene Liebe, die dies Sehnen der Kunst erst erfüllt im dann liebenden Werk. Das Ende war der Tod in der Katastrophe, die wir kennen, unzugänglich allen, die weit
darunter bleiben werden. Wenn man heute sagt: wie bei den Griechen, ist klar, daß nicht die der EWG gemeint sind, wenn von Kunst die Rede ist, sondern die Alten. So wird man bald einsehen und
unterscheiden, wenn man von Kunst aus Deutschland oder aus entsprechender Sprache und Musik oder Bildern aus diesem Geiste spricht, daß es die alte ist, wenn man diese besondere Opferbereitschaft, Leidenschaft und
besonderen Ernst nur so dann meint. Dieser Oskar Werner wird gerade in all der Gebrechlichkeit seines Endes überleben durch das Zeugnis seiner Haltung, unangekränkelt von den Versuchungen der Zeit und
diese unerbittliche Unsterblichkeit behauptend, die jene Verwundbarkeit der Alten bezeugt, die jung bleiben, solange es Menschen geben wird, die noch welche sind. Das Leben sah dann so aus :
stundenlange Telefonate in viele Richtungen, Briefe täglich, alphabetisch geordnet in seinem Tresor, Tonbandaufnahmen, Videokamera vom ORF, Plattenaufnahmen zu Hause in den Bergen, Polaroids als Nachrichten nach
außen, Videodokumente von den letzten Lesungen und Auftritten (Homburg, Wiener Musikverein), 5000 Bücher (Ex libris Oskar Werner /Autorengaben), teilweise mit den Eintragungen zu seinen Rollen. Die elektronischen Geräte
wurden nach seinem Tode während des Krankenhausaufenthalts seiner Mutter auf dem Trödelmarkt "verdummt". Filme fast täglich und immer wieder Laughton, Werner Krauß und Michel Simon, eigene.
Musik: Schubert, Mozart, Bach am Ende, mit dirigierenden Bewegungen dazu für sich, die Töne in Gestus zu verwandeln. Nicht gefunden hatte er, und darin lag seine ihm eigen Not, eine für seine
künstlerische Erfindungsgabe adäquate Ästhtetik in einer Zeit der Interpreten aus Machtinteresse. Dem künstlerisch schöpferischen Menschen war diese eigene Ästhetik nicht zugänglich und nicht erlaubt und er fand keine
Partnerschaft, in der er das, was die Regie heute beansprucht, mit der ganzen Gewissenhaftigkeit und Inbrunst hätte verbinden können, um daraus in neuer Einheit seiner Kunst schöpferisch im Raum des Theaters oder
in der Bewegung des Films in einer erlösten Form neue Gestalt zu geben. Er hätte in seiner Gestalt und Form auf die Zeit Antwort geben können und zwar auf produktivere Weise erleidend und in passiver Verzweiflung,
also ohne zeitentsprechende Kunst des Marktwerts. 84Ecce homo. Was er auf sich nahm, war, ohne Öffentlichkeit zu leben,
der Mann des Ruhms, ohne Ehre zu sein, von allen verlacht, gedemütigt, angeblich nicht mehr seiner Kunst mächtig zu sein; in der Provinz der Mann des Zentrums, der für die Ersten des Landes bestimmt war, nun unter
Hausnachbarn, Bedienern, ländlichen Menschen, die er zu lieben lernte, reduziert auf letzte Existenzen des puren Seins, im Lebensalltag versinkend, in jener Einsamkeit der Verlassenen, die freiwillig Sich-Widerstehende
umgibt, wie er es nun war, wozu er sich gemacht hatte und wie er sich fühlte. Quälend, unleidlich als Getroffener auch seiner eigenen Natur, die sich nun herausbildete gleichsam als Zerrbild seiner erhöhten
Existenz aus dem Götterhimmel der Kunstansprüche. Und dann zu sehen, wie die anderen das besetzten, was er liebte, wofür er sich geboren fühlte und weswegen er geliebt wurde. All dieses okkupiert von Feinden all
dessen, was er für richtig hielt, kämpferisch - ohne es laut zu sagen, während die anderen sich abgesichert profilierten - und alles schlecht verwaltet zu sehen, vernichtet, was zu halten und zu retten er hoffte. In
der Angst, gescheitert zu sein, nur von dem Wunsch beseelt, einmal noch die Stradivari zum Klingen zu bringen, die er einmal war, die Kinder abstoßend, ahnungsvoll und visionär verstoßend, übriggeblieben unter den
Letzten, die noch um ihn waren und die nun seiner hingeworfenen Existenz wesentlich wurden. Einer, der ihn chauffierte, an den Wirtshäusern vorbei, damit er ankam zum letzten Auftritt und der ihn auf seinen Armen trug
(45 kg zuletzt) berichtet diesen Dialog: Oskar Werner: "Was ham mer heut gspielt ?" Antwort: "Der Gestrandete." Ihn duldete er um sich bei seinen selbstbezahlten Produktionen für das Theater
und die Videofilme, wie auch eine Sekretärin vom Land, die bei ihm war, als er einschlief für immer; und eine junge Frau für die Wärme, die keine war, und eine Ärztin, die er die "Scheinheilige" nannte. Aber
er wußte noch genau, was er sagte vor aller Welt in seinen letzten für das Fernsehen aufgenommenen Gesprächen, die eigentlich Monologe waren, das Leben auf diese Weise noch einmal durchgehend, taumelnd, aber immer
präsent und klar, wenn es um die Götter ging, von deren Kunst er dann, an ihrem Tisch sitzend, aß. 85Fernab zog er seine
Kreise. Vergeblich gegen die Wände trommelnd, im Gefängnis seines eigenen Ichs zuletzt, auf- und abgehend unter den Köchen seiner letzten Zeit, jenseits der Missachtung der Feinde und gar nicht mehr von ihrer Welt. Wie
Friedrich II. mit seinen Hunden nach dem Tod des Kammerdieners, des Geliebten, und wie Ludwig II. unter den Stall-Leuten, Dienern, Knechten der späten Nächte und wie jener H. im Bunker seiner letzten Zeugen aus
Sekretärinnen, Adjutanten und Übriggebliebenen. In der Ferne treu verharrend noch König Lears Närrin, auf der Heide des Verstummten geistige Tochter , die an ihn glaubte, Liebende der Wüste, ohne die es nicht geht, für
allerletzte Botschaften, daß es war. Des Trostes Wahrheit treu, daß es gut gewesen gerade so. 86Das konnte ein Oskar Werner
nicht verstehen und als Kunst nicht gutheissen, wie sie ihn fürchten mußten, wenn er Kleist oder Shakespeare diente. Eine lächerliche Figur deshalb, weil er diesen Ego-Betrieb in der Maske gesellschaftlicher Vokabeln
mit den Worten einer Aufklärung offen benannte, die gerne von der Lebenslüge der anderen fingerzeigend lebte. Ein auslaufendes Modell. Er oder sie, die ihn beerbten ? Was wäre der größere Verlust. Was wäre mehr zu
beklagen. Hier der Verlust einer Zeit, dort einer der Kunst. Auf der anderen Seite die Reife, wenn mit zunehmenden Jahren das von Alkohol verquollene Gesicht durch Erfahrung durchsichtig geworden, wieder im Abgrund des
letzten Augenblicks singuläre Würde bekommt, mit der er sagen konnte, ".....ich hab von deiner Huld nicht einen Hauch vertan", so hielt er, was er in dieser Kunst versprochen, am Ende sich wiederfindend
auf festem Grund und wohlgefügtem Himmel das Lächeln, das diese Kunst immer meinte. Da die Abwägung der persönlichen Vor- oder Nachteile der Bereicherung und der Verluste oder der Machtspiele ziemlich
gleichgültig sein kann, ist die Erkenntnis für den Zustand der Darstellungskunst und des Landes umso gewichtiger. Den bloßen Marktwertinteressen und der geistigen Leere entspricht eine Kunst ohne metaphysische Bezüge
und ohne mythischen Existenzgrund, der vertikal nach oben oder unten wiese. Und wenig Trost bietet unser Wissen, wie rundum die Landschaft der Kultur noch tiefer verödet erscheint. Daß das
Schillertheater, das alte Konkurrenzunternehmen zur Schaubühne während der "Homburg"-Zeit (im selben Jahr der "Homburg" im Schillertheater - Regie Lietzau - von der Presse im Verein böse behandelt
mit allen Folgen bis heute) nun zur Musical-Bühne wurde und zwar mit Hilfe derselben Kräfte, die damals das Regietheater beförderten, ist ebenso witzig wie fatal. Die Weichen wurden damals gestellt. Die Entwicklung ist
erschreckend. Oskar Werner, noch jener der siechen Stunden, hatte in allem recht, und keine Chance gab es für seine Kunst, die jene war, woher wir kommen. Was an Aura der Persönlichkeit verloren ging,
was an Materie der Natur wie dem Geiste, muß heute zwischen den Schnitten, in der Montage zwischen Worten, Tönen (Musik oder Geräuschen) und Bildern gewonnen werden, unter den Menschen, den Dingen der Welt oder in
den verschiedenen Strömen der Gedanken und Figuren eines Menschen, den man dann so neu und anders zeigt, wie der innere Monolog schon vor langem den Weg gewiesen. Der Chor unserer inneren Stimmen ist ein
spannendes Feld. Diese |