Jetzt ist Hans Neuenfels wieder mal der Buhmann. Und das noch vor der mit Spannung erwarteten "Manon Lescaut"-Premiere am 15. November an der Bayerischen Staatsoper. Der längst zahm gewordene, aber trotzdem immer noch spannende, inzwischen 73-jährige Regisseur ist nämlich schuld daran, dass Tenor-Beau Jonas Kaufmann wieder nicht Sopran-Star Anna Netrebko küssen darf. Denn die Russin hat knapp zwei Wochen vorher abgesagt. Der Grund seien "unterschiedliche Auffassungen über die Titelfigur", so das Theater in einer dürren Presserklärung.


Immer mit Pünktchenschal: der ehemalige Regierabauke Hans Neuenfels
Und dabei galt die hysterisch ausverkaufte, angeblich siebenmal überbuchte Premierenserie als eine der spektakulärsten Novitäten der laufenden Opernsaison. Denn erstmals hätten in der Puccini-Oper um eine verführte, aber sich auch verführen lassende Klosterschülerin aus der französischen Provinz, die als gefallenes Mädchen in einem Sumpf bei New Orleans endet, mit Netrebko und Kaufmann zwei Megasterne der Branche gemeinsam in einer Inszenierung auf der Bühne gestanden. Bisher hatten beide nur ein Berliner Open-Air-Konzert zusammen bestritten.

Und auch die Rollen sind für beide noch frisch. Netrebko hatte die Manon erstmals im März unter der Stabführung von Riccardo Muti an der Oper in Rom mit großem Erfolg verkörpert. Und Kaufmann gab sein Debüt als deren Liebhaber des Grieux im Juni an der Seite von Kristīne Opolais an der Royal Opera in London Covent Garden. Die Lettin, die extra aus einem Vertrag als Mimì an der Metropolitan Opera herausgelöst wurde, wird auch jetzt an seiner Seite in München singen und lieben. Während die Netrebko sich in Rom in ihren Bühnenpartner, den aserbaidschanischen Tenor Yusif Eyvazov, verguckt und später reichlich theatralisch bei den Salzburger Festspielen verlobt hatte, dürfte freilich Ähnliches bei dem seit Kurzem von seiner Frau getrennt lebenden Kaufmann nicht zu befürchten sein. Kristīne Opolais ist nämlich die Frau des umschwärmten Dirigenten Andris Nelsons.

Eigentlich ist Anna Netrebko regie-neugierig

Verwunderlich ist die Netrebko-Absage trotzdem. Einerseits verfügt Altmeister Neuenfels längst nicht mehr über die skandalöse Sprengkraft von früher. Selbst sein könnerisch-surrealer Bayreuther Ratten-"Lohengrin" (in dem Jonas Kaufmann sang und Andris Nelsons dirigierte) ist inzwischen eine Lieblingsaufführung des Publikums, der Kritik und der Mitwirkenden. Und die Netrebko, die noch nie wegen einer ihr nicht zusagenden Regie ausgestiegen war, in München selbst in Doris Dörries grenzwertigem Planet-der-Affen-"Rigoletto" brav ihre Gilda/Prinzessin Leia absolviert hatte, ist eigentlich dafür bekannt, dass sie sich neugierig und völlig unidivenhaft den unterschiedlichsten Operninterpretationen aussetzt, gespannt auf neue Rollenauffassungen ist. Diesmal aber offenbar nicht.


So sah Anna Netrebko als Manon im Rom aus (mit Carlo Lepore als Geronte)
Die Bayerische Staatsoper stehe dafür, "erstklassige musikalische Qualität mit spannenden, mutigen Regieansätzen zu verbinden", kommentierte deren Intendant Nikolaus Bachler den spektakulären Rückzieher. "Dass in Einzelfällen künstlerische Konstellationen nicht funktionieren, kommt in unserem Metier vor." Weiter sagte er: "Es ist Anna Netrebko dennoch zu danken, dass sie sich frühzeitig entschieden hat, die Premiere zurückzugeben. Wir freuen uns auf das Wiedersehen mit Kristīne Opolais und auf weitere Engagements von Anna Netrebko in den kommenden Spielzeiten." Gegenüber Superstars ist man eben nicht nachtragend.

Dass N. als Kollaborateur des Zeitgeists seine Hauptdarstellerin verliert, sollte uns mit Genugtuung füllen. Die ihn bejubelnden Krokodilstränen des Kommentars aus den Medien inklusive. Passt doch. Endlich sagts eine. Schule machen.