20.11.2013 | Von Özlem Gezer
Ich hatte eine Fahrstuhlfahrt Zeit, um Cornelius Gurlitt davon zu überzeugen, dass ich mit ihm Taxi fahren darf. Es wurde der Beginn einer viertägigen Reise, bei der ich nie wusste, wann sie enden wird. In den Tagen mit ihm hatte ich oft das Gefühl, in eine Zeitmaschine gestiegen zu sein.

 

Cornelius Gurlitt, ein Mann, der sein Hotelzimmer mit Brief reserviert, geschrieben auf Schreibmaschine, unterschrieben mit Füllhalter. Der sich darüber wundert, warum Telefone Nummern auf ihrem Display anzeigen. Seine Welt ist langsam, still, nicht 2013. Cornelius Gurlitt, 80, hat seinen letzten Film im Kino 1967 gesehen, die "Wilde Reiter GmbH". Ein Film von Franz-Josef Spieker, 107 Minuten, eines der ersten Werke des Jungen Deutschen Films. Gurlitt erzählt von der Kinovorstellung, als ob sie am gestrigen Abend gewesen wäre. Er lachte über die Szenen der Komödie. "Sehr amüsant", sei das gewesen. Er schwärmt von seiner letzten Schallplatte, sie ist von Martha Mödl.
Cornelius Gurlitt surft nicht im Internet, er hat keinen Fernseher. Aber er sammelt Zeitungsartikel, die ihm gefallen, bunte am liebsten. Und er hört Radio. In einem Radiobeitrag hörte er, dass die Beamten, die die Bilder aus seiner Wohnung getragen hatten, sagten, er hätte die Kunstwerke zwischen Essensresten und Konserven gelagert. So sei das nicht gewesen, versicherte er gekränkt. Er habe viel Essen zu Hause in den Regalen, aber das habe Gründe. Dann erzählt er von der Eichhörnchen-Aktion der Bundesregierung, 1961. Die Menschen müssten Essen lagern, wie die Eichhörnchen für den Winter, das sei damals der Aufruf gewesen. Für Krisenzeiten, wie jene, in denen Gurlitt jetzt steckt.Er ist ein Mann, der niemandem vertraut, auch nicht dem deutschen Staat, dieser habe schließlich auch Steuerakten von Dieben gekauft. Und er ist verzweifelt, weil er nicht versteht, warum der Staat sein Privateigentum der Öffentlichkeit zeigt - die Liebe seines Lebens - wie er seine Bilder nennt. Der Staat, von dem er selbst nie etwas in Anspruch genommen hätte.Cornelius Gurlitt macht auf mich den Eindruck, als habe er sich entschieden, kein eigenes Leben zu führen, um die Bilder der Familie zu hüten, das Erbe seines Vaters. Mit dieser Aufgabe scheint er sich über die Jahre immer mehr von der Realität entfernt zu haben. Jetzt steht er das erste Mal in seinem Leben im Fokus der Öffentlichkeit, die ihm fremd ist.
Ich hatte nach den vier gemeinsamen Tagen den Eindruck, dass Cornelius Gurlitt nicht nur die Bilder Jahrzehnte lang in die Wände seiner Wohnung gesperrt hat, um sie von der Welt fernzuhalten, sondern sich selbst gleich mit. Er lebt mit einer ständigen Sehnsucht nach früher. Als die Herrensakkos noch drei Knöpfe hatten, statt zwei.Cornelius Gurlitt ist ein bescheidener Mensch, er sitzt in einer Bäckerei und freut sich über ein warmes Croissant, minutenlang. Immer wieder flüstert er, dass dies das Beste sei, was er seit langem gegessen habe. Sein Lieblingsessen sei das Fertiggericht Hühnerfrikassee von Karstadt.Bei jeder Begegnung schüttelt er mir die Hand, zur Begrüßung und zum Abschied, manchmal viermal am Tag. Wir haben in demselben Hotel übernachtet, trotzdem verabredeten wir uns immer zur genauen Uhrzeit, er mag keine ungeplanten Sachen. Unterhaltungen strengen ihn an.
Am letzten Abend sitze ich in seinem Hotelzimmer. Die Nachtlampe brennt und er erzählt, dass er die heutige Welt nicht mehr verstehe. Cornelius Gurlitt bedauert den Niedergang seiner FDP. Die Politiker seien einfach zu langweilig. Ginge es nach ihm, hätte man einen liberalen Hochschulprofessor oder einen Nobelpreisträger an die Spitze der Partei setzen müssen, das hätte die FDP gerettet, meint er.

Gurlitt schwärmt von Konrad Adenauer. Im Gegensatz zu Angela Merkel sei der nie in seinem Leben in ein Fußballstadion gegangen. "Adenauer hätte sich nie in eine Kanzlermaschine gesetzt, um zum Fußball nach Südafrika zu fliegen." Stadien hätten etwas von Siegesgetriebenheit, seien schlecht und böse. Gurlitt sagt: "Ich kann auf die Bibel schwören, dass ich noch nie in einem Stadion war." Es ist einer der wenigen Momente, in denen er sehr stolz wirkt und verlegen lacht.

Liebe Frau Gezer, Sie haben verdienstvollerweise Mitte November Herrn Gurlitt 4 Tage begleitet
und das Ergebnis ist im SPIEGEL eindrucksvoll erschienen.
Das war nach der, wie viele Juristen sagen, unrechtmässigen Konfiszierung der Bilder in seiner Wohnung
in einem gewaltsamen Vorgang.
Ihr Artikel im SPIEGEL und die anderen Beiträge zum Thema in derselben Ausgabe haben also für eine gewisse Öffentlichkeit dieses Vorgangs gesorgt.
Nun ist nach weiteren 4 Wochen, wieder in einem gewaltsamen Vorgang in die Wohnung des Herrn Gurlitt
eingedrungen worden und er selbst seitdem an einen geheimen Ort gebracht worden.
Man sagt, Ärzte hätten eine Betreuung erbeten.
Waren Ärzte zu Herrn Gurlitt gebracht worden oder er zu ihnen, auf seinen Wunsch oder zu verordneten Konsultationen?
Fragen entstehen und ich bitte Sie als einzige Kennerin und insofern die, der er sein Vertrauen geschenkt hat, also als seine Vertraute nun
Ihre Aufgabe wahrzunehmen und, wenn nicht persönlich, so doch als Bürgerin und Journalistin,
danach zu fragen, wo Herr G. sich befindet, ob man / Sie mit ihm sprechen kann und wer der Betreuer ist,
wenn man berechtigte Fragen hat.
D.h. damit wieder Öffentlichkeit hergestellt wird, im nun verschärften Fall einer Freiheitsberaubung womöglich wider Willen
und der Gefährdung eines Menschenlebens.

Sie wissen Herr G. ist alt und seine Gesundheit bedenklich.
Wir sind also, nachdem die Konditionen bekannt sind, alle Zeugen eines gewaltsamen Vorgangs in hochsensibler Sache
und das von Seiten der öffentlichen Organe und wir sind Zeugen des Verschwindens eines Menschen vor aller Augen,
eines Menschen, dem höchste Gefahr droht,
weil man auf seinen Tod wartet mit vorheriger Entwendung seiner Dinge zum Ziel einer Verfügungen darüber nach seinem Tode.

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offener Brief an Özlem Gezer
siehe unten