Die geraubten Werke wurden mit Hilfe des evangelischen Kunstdienstes im Schloß Niederschönhausen in Berlin gegen Devisen ins Ausland verkauft. Klammheimlich bediente sich aber auch die eine oder andere Nazigröße aus den Beständen. (jW)

Jene Werke der »entarteten Kunst«, die nicht für den Verkauf ausgesucht worden waren, wollte der Vorsitzende der »Verwertungskommission«, Franz Hofmann, der dem Chefideologen der Nazis Alfred Rosenberg nahestand, so schnell wie möglich verbrennen. Aber die Mitglieder, die für Preise und Verwaltung der konfiszierten Kunstwerke zuständig waren, zögerten noch.

Schaut man hinter die Kulissen, so zeigt sich ein Machtkampf zwischen Joseph Goebbels und Rosenberg. Der hatte 1938/39 vorübergehend die Oberhand über den Reichspropagandaminister gewonnen, so daß Hofmann, der 1934 vom Kunstkritiker des Völkischen Beobachters zum Direktor der Städtischen Galerie Münchens aufgestiegen war, nun Chancen sah, wenigstens die verbliebenen Bilder doch noch zu vernichten. Hofmann schrieb an Goebbels, daß ein »öffentliches Interesse an einem Gesamtabschluß der ganzen Aktion« bestehe. »Ich schlage deshalb vor, diesen Rest in einer symbolischen propagandistischen Handlung auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen und erbiete mich, eine entsprechend gepfefferte Leichenrede dazu zu halten.«1

Als Hofmann die Kommission im Februar 1939 erneut drängte, stellte der Kunsthändler Karl Haberstock den Antrag, ihn »vor dem Vernichtungsakt von der Verantwortung dieser Maßnahmen zu entbinden«.2 Haberstock, Mitglied der NSDAP seit 1933, war Vertrauensperson von Hitler, Goebbels und Hermann Göring. Als Fachmann gehörte er der Kommission an. Keine wichtige Entscheidung der Einrichtung über Verkäufe, Verträge, Preise usw. wurde ohne ihn gefällt.

Goebbels’ Rolle in dieser Angelegenheit war ambivalent. Er mußte einerseits die offizielle Linie vertreten und Hitlers Befehle umsetzen. Andererseits liebte er diese Kunst, besonders die von Edvard Munch, Emil Nolde und Ernst Barlach. Zudem ging es dem Propagandaminister schlecht. Um die Jahreswende 1938/39 wurde er krank und depressiv. Seine Frau und Hitler setzten ihn unter Druck, seine Liebesaffäre mit der tschechischen Schauspielerin Lida Baarova zu beenden. Er arbeitete wenig und nur mühsam. Wer ihm nicht wohlgesonnen war, nutzte dies aus, insbesondere taten dies Rosenberg und Hofmann, so daß Goebbels schließlich seine Einwilligung zur Bilderverbrennung gab, geben mußte.

Die Mitglieder der »Verwertungskommis­sion« beschlossen dennoch, den Bestand erneut durchzusehen und doch noch verkäufliche Bilder auszuwählen. Das dürfte im Sinne Goebbels’ gewesen sein und auf Absprachen mit ihm beruhen. Am Ende steht jedoch die Vernichtung. So wird die Mitarbeiterin in der Verkaufsstätte Schloß Niederschönhausen, Gertrud Werneburg, von Hofmann angewiesen, die jetzt noch im Depot lagernden Bilder aufzulisten, damit diese endlich verbrannt werden konnten.

Zwar akzeptieren manche Historiker bis heute die amtliche Version, daß die Bilder am 20. März 1939 verbrannt worden seien, aber seit den 1980er Jahren bestehen Zweifel. Es gibt in der Tat keine Zeugen, keine Fotos, und auch Werneburg erklärte, sie sei nicht dabeigewesen. Sehr wahrscheinlich wurden Papier, Pappe, Holzwolle und Holz verbrannt, um Hofmann und Rosenberg Vollzug vortäuschen zu können. Wäre Hofmann dabei gewesen, hätte er sich sicherlich dieser Tat gerühmt.
Das Ende der Verkaufsaktion

Nach diesem Einschnitt setzte im Schloß eine neue Verkaufsphase ein, eine Art Ausverkauf für die jetzt noch verbliebenen Werke. Sie wurden verramscht. Auch der Bildertausch, d.h. viele »entartete Werke« gegen ein oder wenige »deutsche« Werke nahm abenteuerliche Formen an. Diese vorletzte Phase war hektisch und chaotisch, so daß die ordentliche Werneburg nicht mehr wußte, wie sie Buch führen sollte: »Geradezu verschenkt, weil die eben Dollars haben wollten. Die haben sich dann gesagt: Na, Dollar? Wenn wir vier Dollar geben, dann kriegen wir eben auch ein Bild! – Da haben sich die Leute also bereichert, kann ich ihnen sagen.«3

Ende Mai 1939 stellte die Mitarbeiterin die letzte Verkaufssendung – für den Baseler Museumsdirektor Georg Schmidt – zusammen. Dann war ihre Tätigkeit beendet, nicht aber die des evangelischen Kunstdienstes, für den sie arbeitete. Ohne Vorbesichtigung wurde weiter verkauft, verschleudert, entwendet. Die Wanderausstellung »Entartete Kunst« schloß am 20. April 1941. Ihre Ausstellungsstücke wurden der Verkaufsschau im Schloß Niederschönhausen zugeteilt. Eine große Anzahl der noch vorhandenen Kunstwerke kaufte der Händler Bernhard Böhmer Ende Juni 1941 für 24000 Schweizer Franken.

Danach liefen die Devisengeschäfte aus. Am 6. Dezember 1941 bilanzierte die »Verwertungskommission« die Deviseneinnahmen auf umgerechnet 516397 Reichsmark, dazu aus Görings Verkäufen 165000 Reichsmark, die direkt an die Nationalgalerie gingen. Etwa 3000 Werke waren noch vorhanden. Was bis März 1943 übrigblieb, wurde in den Keller des Propagandaminister­iums gebracht. Böhmer ließ diese Restbestände Ende desselben Jahres auf sein Grundstück nach Güstrow bringen.

Auch der Kunstdienst zog um die Jahreswende 1943/44 mit all seinen Beständen nach Güstrow, in die Nähe des Böhmerschen Grundstücks in ein Haus, das ursprünglich Goebbels für sich hatte bauen lassen; seine Absicht war gewesen, aus Güstrow eine Art Gegenkolonie zum Künstlerdorf Worpswede zu machen.
Kunsthändler Hildebrand Gurlitt


Die Mitarbeiterin Gertrud Werneburg über die Einstellung der Händler beim Kauf geraubter ­Kunstwerke: »Wenn wir vier Dollar geben, dann kriegen wir eben auch ein Bild!« (mit dem Gemälde »Das Leben« von Edvard Mun
Foto: Dittrich Verlag GmbH
Von den deutschen Kunsthändlern waren vier privilegiert. Sie kauften die im Schloß gelagerten Bilder mit US-Dollar oder Schweizer Franken bzw. tauschten sie gegen Bilder alter Meister. Es handelte sich um Bernhard Böhmer, Karl Buchholz, Ferdinand Moeller und Hildebrand Gurlitt.

Böhmer spielte eine besondere Rolle: Er und Barlach wohnten nebeneinander in Güstrow am Heidberg und waren mehr als gute Nachbarn. Barlach verdankte Böhmer seine materielle Lebensgrundlage, den Schutz vor Nazibehörden und auch physische Hilfe mit Hammer und Meißel beim Herausarbeiten vieler Skulpturen. Wir verdanken ihm, daß es viele Barlach-Werke noch gibt, etwa den »Schwebenden« mit dem Gesicht von Käthe Kollwitz. Böhmer war sehr reich, und sein wichtigstes Anliegen war es, von Barlachs Kunst so viel wie möglich zu retten. Im Mai 1945, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee, nahm er sich das Leben.

Buchholz, Moeller und Gurlitt überlebten den Krieg, und mit ihnen eine Reihe von Kunstwerken. Wie die Kunsthändler ihr Geschäft nach 1945 fortsetzten, läßt sich nur bruchstückhaft nachvollziehen. Jedenfalls gab es einen schwarzen oder grauen Kunstmarkt für die zahlreichen Interessenten, vor allem in den USA, der Schweiz und England.

Hildebrand Gurlitt steht seit dem 3. November 2013 in den Schlagzeilen. Das Magazin Focus berichtete an diesem Tag vorab aus dem am nächsten Tag erscheinenden Heft, daß die Münchener Polizei im Februar 2012 in der Wohnung seines Sohnes Cornelius Gurlitt 1406 Kunstwerke aus verschiedenen Epochen gefunden hatte. Etwa 315 gehören nach vorläufigen Schätzungen zu den als »entartete Kunst« verfemten.

Am 16. Dezember 1938, also während der Verkäufe im Schloß Niederschönhausen, schrieb Gurlitt an Hans Wilhelm Hupp, Direktor des Kunstmuseums der Stadt Düsseldorf, »daß auf die Dauer die Form, in der ich Kunsthandel betreibe, moralisch und wirtschaftlich sich ausgezeichnet rentiert«.4 Eine Reihe von den Werken, die er im Schloß gekauft hatte, veräußerte er bis 1941 im Keller seiner Kunsthandlung weiter – etwa an das Industriellenehepaar Margrit und Bernhard Sprengel, die in dieser Zeit den Grundstock für das Sprengel-Museum in Hannover legten.

 

Gurlitt unter Betreuung – was das für die Ermittlungen bedeutet

Interview mit dem präsidenten des amtsgerichts 
Wurde ihm der Wirbel um den Kunstfund in seiner Schwabinger Wohnung zu viel?

OVB

 

Cornelius Gurlitt, der heute 81 wird, liegt in einer Klinik irgendwo in Deutschland – der Ort ist geheim. Kurz vor Weihnachten stellte das für ihn zuständige Amtsgericht München Gurlitt unter Betreuung. Was bedeutet das? Und welche Auswirkungen hat es auf die Ermittlungen? Wir sprachen darüber mit Gerhard Zierl, dem Gerichts-Präsidenten.

-Herr Zierl, warum hat das Amtsgericht Gurlitt unter Betreuung gestellt?

Nicht die Justiz hat eine Betreuung für Gurlitt beantragt – sondern die Ärzte. So läuft das in den meisten Fällen, wenn Menschen nicht mehr in der Lage sind, sich um ihre Rechtsangelegenheiten zu kümmern. Das Schreiben der Mediziner ging an uns, Details kann ich wegen der Persönlichkeitsrechte nicht verraten. Jedenfalls ordnete eine Richterin als Eilmaßnahme eine vorläufige Betreuung an.

-Vorläufig?

Ja. Das ist so üblich. Die Richterin hat jetzt ausführliche Gutachten angefordert, wir haben zudem das Amtsgericht vor Ort um Amtshilfe gebeten, auch die kommunale Betreuungsstelle wird Herrn Gurlitt begutachten. Wenn das Ergebnis in vielleicht ein, zwei Wochen vorliegt, wird entschieden, ob die Betreuung weiterläuft.

-Wie stellt man denn fest, dass jemand ein Betreuungsfall ist?

Das ist unterschiedlich, aber oft geht das ungefähr so los: Die Person tätigt ihre monatlichen Geldüberweisungen nicht mehr. Sie holt die Post nicht mehr aus dem Briefkasten. Sie kauft tonnenweise Schokolade ein – aber nichts anderes.

-Wird Gurlitt dazu auch angehört?

Selbstverständlich. Das schreibt das Gesetz vor. Er könnte auch Beschwerde gegen die Betreuung einlegen.

-Was bedeutet denn der Ausdruck „Betreuung“ genau?

Es ist jetzt ein professioneller Betreuer für Herrn Gurlitt da, der zum Beispiel mit den Ärzten über schwierige medizinische Eingriffe reden könnte. Oder seine Rechtsgeschäfte für ihn erledigt.

-Kann man sagen, Gurlitt wurde entmündigt?

Den Begriff „Entmündigung“ gibt es seit vielen Jahren nicht mehr – seit Inkrafttreten des Betreuungsrechts. Der Gesetzgeber hat ihn umgetauft in „rechtliche Betreuung“, weil man die diskriminierende Bezeichnung vermeiden will.

-Also ist das nur ein netterer Ausdruck?

Nein. Der große Unterschied ist: Eine Entmündigung funktionierte nur ganz oder gar nicht. Das Betreuungsrecht macht es möglich, dass man differenziert – ob eine umfängliche Betreuung nötig ist, oder nur für Teilbereiche, zum Beispiel Vermögensangelegenheiten.

-Kann die Staatsanwaltschaft Augsburg weiter gegen Gurlitt ermitteln?

Ja, das läuft parallel. Eine Betreuung, die Ende 2013 angeordnet wurde, hat mit der Frage des Strafverfahrens, in dem es um mögliche Taten, die zuvor begangen wurden, nichts zu tun.

-Aber kann denn ein Gerichtsverfahren gegen Gurlitt eröffnet werden, wenn er betreut wird und zum Beispiel nicht einmal mehr einen Kaufvertrag unterschreiben darf?

Im Prinzip ja. Freilich hängt das vom Sachverhalt ab. Wenn jemand unter Betreuung ist, weil er dement ist, macht ein Prozess keinen Sinn. Ob jemand aus gesundheitlichen Gründen verhandlungsunfähig ist, wird im Einzelfall entschieden. Auch bei Herrn Gurlitt.

-Geht es Cornelius Gurlitt so schlecht, weil ihm der Wirbel um seine Bilder zugesetzt hat?

Dazu müsste ich mit ihm gesprochen haben. Ich mische mich da nicht ein, das ist die Sache der zuständigen Richterin.

-Es gibt Gerüchte, der Freistaat Bayern habe die Betreuung angeordnet, damit er sich Gurlitts Kunstschätze unter den Nagel reißen kann.

Das ist völliger Unsinn. Seine Eigentumsrechte sind von der Betreuung überhaupt nicht beeinträchtigt. Es geht jetzt nur um die Person Gurlitt – und seine Gesundheit.

Interview: Carina Lechner

Anmerkungen
an geheimen Ort, warum
nach welchem Recht
Die Ärzte.
wie kamen die Ärzte zu G. Oder er zu ihnen?
monatliche Geldüberweisungen?nach Entferungung aller verkaufbaren Resourcen
Post nicht mehr aus dem Briefkasten!
essen...?
unter Beobachtung?
Anhörungen, kennen wir aus dem Fall MK./Heidelberg
Anhörung?!
ein Betreuer, der seine Rechtsgeschäfte für ihn erledigt!!!
"Entmündigung"umgetauft in "rechtliche Betreuung"
nur Teilbereiche: Vermögensangelegenheiten

Gerüchte
Eigentumsrechte?
völliger Unsinn
Nur Gesundheit
nur Gurlitt


siehe oben!
Betreuung?sie werden sagen: um ihn zu schützen, vor wem.

im Fall MK/Heidelberg
führte diese Richterin zur totalen Enteignung ihrer selbstgef. Bilder bis zum Tod

Gerüchte
Eigentumsrechte?
völliger Unsinn
Nur Gesundheit
nur Gurlitt


siehe oben!