für diese Stigmatisierung mit dem Judenstern unserer Zeit auf den Bildern werden sie Täter sich noch mal in der Hölle ihres Endes verantworten müssen

Der Berner Galerist Eberhard W. Kornfeld beurteilt die Ereignisse um die Beschlagnahme von Cornelius Gurlitts Kunstsammlung als eine Medienhysterie. Er stand selber in geschäftlichem Kontakt mit dem Münchner Kunsthändler.
Die Geschichte beginnt für uns mit einem kurzen Telefon gegen Ende Oktober. Ein Journalist des Magazins «Focus» sei am Apparat, er wolle mit mir sprechen. Er stellt mir die Frage: «Sagt Ihnen der Name Cornelius Gurlitt etwas?» Ich erinnere mich einer Jahrzehnte zurückliegenden Geschäftsverbindung und sage «Ja». Die zweite Frage: «Hatten Sie zu ihm geschäftliche Kontakte?». Ich sage wahrheitsgemäss «Ja». Darauf ein kurzes «vielen Dank» und Ende des Gesprächs.

An einem Tag im September 2010 fährt dieser mittlerweile achtzig Jahre alte Cornelius Gurlitt mit der Bahn nach Zürich. Auf der Rückfahrt wird er von Zollbeamten kontrolliert. Das Billett nach Zürich und die schnelle Rückreise am gleichen Tag machen ihn offensichtlich verdächtig. Er trägt in bar 9000 Euro bei sich, eine Vorschrift besagt, dass man bei einem Grenzübergang höchstens 10 000 Euro im Portemonnaie haben darf. Trotzdem fragen die Zollbeamten nach, woher das Geld stamme. Gurlitt nennt die «Galerie Kornfeld» in Bern. In Wirklichkeit liegen die letzten geschäftlichen Kontakte 23 Jahre zurück, aber in irgendeinem Vernehmungsprotokoll bleibt der Name «Kornfeld» hängen.

Harte Massnahme
Aufgrund dieses Vorfalls wird Cornelius Gurlitt überwacht. Er hat eine Wohnung in München und einen Wohnsitz in Salzburg, beide Behausungen korrekt angeschrieben mit «Gurlitt», aber offensichtlich ist er in München nicht gemeldet. Das macht ihn höchst verdächtig. Es wird eine Hausdurchsuchung angeordnet, auf dem Esstisch des Junggesellen liegen Essensreste und geöffnete Konserven, vorhanden sind auch Lebensmittel mit abgelaufenem Verfalldatum. In nahezu allen Presseberichten ist deshalb von «einer vollkommen vermüllten Wohnung» die Rede. Die Beamten stossen auf einen grossen Bestand an Kunstwerken, viele Bilder mit und ohne Rahmen, der weitaus grösste Teil sauber in Mappen aufbewahrt, es ist der Lagerbestand des Kunsthändlers und Kunsthistorikers Hildebrand Gurlitt aus Düsseldorf, 1956 bei einem Autounfall umgekommen, nach dem Tode seiner Frau Helene später die Erbschaft der Kinder Gurlitt.

Da die Sammlung offensichtlich in keiner Steuererklärung deklariert ist, verfügt die Polizei die Beschlagnahmung. Das ist eine harte Massnahme. Es sind 96 Gemälde, 140 Aquarelle, 299 Zeichnungen und 675 Blatt Druckgrafik von sehr unterschiedlicher Qualität, längst nicht alles Meisterwerke. Die Ermittlungen beginnen, sie ziehen sich über viele Monate hin. Juristisch fassbar ist Cornelius Gurlitt vermutlich nur über Steuervergehen, die sich über lange Jahre erstrecken. Die Ermittlungsbehörden nehmen sich nahezu zwei Jahre Zeit, offensichtlich zu lange. Bei den Behörden ist ein Leck; Akten, gestohlen, zugespielt oder per Zufall, kommen in die Hände der Journalisten des «Focus». Am 4. November platzt die Bombe, mit einer provozierenden Titelseite: «Der Nazi-Schatz. Sensationsfund nach siebzig Jahren. 1500 verschollene Kunstwerke, u. a. von Picasso, Matisse, Chagall, Marc und Dürer. Wert: über eine Milliarde Euro?». Dazu als Fotomontage ein Brustbild Hitlers vor einem Bild von Franz Marc. Reisserischer geht es nicht mehr.

Ab Seite 64 beginnt der Artikel, hebt die schwer fassbare Figur Cornelius Gurlitt hervor und hält auf Seite 72 fest: «Von Zeit zu Zeit verkaufte Gurlitt eines der Meisterwerke. Er bot die Bilder Galerien und Auktionshäusern in der Schweiz und in Deutschland an. Mit dem Erlös finanzierte Gurlitt sein Eremitendasein.» Der Artikel erstreckt sich über 11 Seiten, auf der zehnten Seite des Artikels figuriert halbseitig eine Foto (aufgenommen in der Besenkammer) mit der Legende: «Eberhard Kornfeld, Galerist, Bern. Kornfeld hat in der Vergangenheit mit Cornelius Gurlitt Geschäfte gemacht – und einige seiner Werke weiterverkauft. Dies erklärte der bedeutende Galerist gegenüber ‹Focus›.» Aus den «Galerien und Auktionshäusern in der Schweiz und Deutschland» hat man nur uns herausgepickt – für uns mit schweren Folgen.

Der Artikel löste eine Medienhysterie von seltenem Ausmass aus; der Fall wurde international breit übernommen: Ich war plötzlich der ganz grosse Bösewicht. Jede Zeitung stürzte sich auf das Thema ohne jegliche Rücksicht auf präzise Information. Es hagelte Wünsche nach Interviews. Die Titelseite des deutschen Boulevardblattes «Bild», erschienen auch am 4. November, lautet «Kunst für 1 Milliarde Euro. Nazischatz in Müllwohnung entdeckt», ebenfalls begleitet von einer Foto Hitlers. Andere Schlagzeilen gipfelten in «1500 von den Nazis geraubte Kunstwerke aufgetaucht, die Spuren führen nach Bern». Ein Westschweizer Radio lässt noch am 12. November wissen: «La Suisse au cœur de l'affaire des 1500 tableaux volés par les Nazi.»

Über uns ballte sich eine mediale Katastrophe zusammen: Anfeindungen kamen – andererseits, zum Trost, aber auch viele spontane Sympathiekundgebungen. In der Presse hagelt es Falschmeldungen: So soll Hildebrand Gurlitt behauptet haben, seine ganze Sammlung sei im Februar 1945 im Bombenhagel in Dresden verbrannt. In Wirklichkeit hat Helene Gurlitt bei einer Befragung ausgesagt, Teile der Dokumente seien in Dresden verbrannt. Die mahnende Stimme des Kunsthistorikers Alfred Weidinger, des Vizedirektors des Wiener Belvedere, geht in der allgemeinen internationalen Pressehysterie unter. Er lässt schon am 6. November verlauten: «Das ist alles ziemlich aufgeblasen. Dass diese Sammlung existiert, das war kein Geheimnis. Im Grunde genommen hat jeder wichtige Kunsthändler im süddeutschen Raum gewusst, dass es das gibt, auch in dieser Dimension – jetzt von einer grossen Entdeckung zu sprechen, ist geradezu lächerlich.»

Hildebrand Gurlitt war sicherlich eine Janusfigur. Einerseits war er, nicht nur als Direktor eines deutschen Museums, ein grosser Förderer der jungen deutschen Kunst und wurde deswegen von den Nazis seiner Stellung enthoben, andererseits beteiligte er sich nach 1940 (vielleicht pekuniär bedingt, er hatte Frau und Kinder zu ernähren) auch als Aufkäufer von Kunstwerken für das geplante «Führer-Museum» in Linz. Es blieben bei ihm auch sicherlich einige Bilder hängen, die heute als «Raubkunst» bezeichnet werden; das ist verwerflich, und dafür haben nun auch die Erben die Konsequenzen zu tragen. Das ändert aber nichts am Grundsatz: Jeder Fall von «Raubkunst» oder Zwangsverkauf aus jüdischem Besitz ist einzeln auszuleuchten. Nicht jede heutige Rückgabeforderung ist wirklich begründet. So hat sich auch die Eidgenossenschaft kürzlich nach einem kostspieligen Prozess in New York erfolgreich gewehrt gegen die verlangte Aushändigung einer bedeutenden Handzeichnung von van Gogh aus dem ehemaligen Besitz von Oskar Reinhart, die er 1933 aus deutschem privatem Besitz angekauft hatte und die im Römerholz in Winterthur aufbewahrt wird.

In Wirklichkeit haben die Alliierten im Rahmen ihrer Aktionen für die Rückschaffung der von den Deutschen während des Krieges geraubten Kunst auch Hildebrand Gurlitt im Visier gehabt. Sie beschlagnahmen 1945 grosse Teile seines Kunstbestandes und transportieren ihn zur Kontrolle der Provenienzen in eine Sammelstelle, den «collecting point Wiesbaden». Fünf Jahre lang wurde überprüft, 1950 gab man Hildebrand Gurlitt nahezu alle Kunstwerke zurück.

Alle Stürme überstanden
Er beteiligte sich 1939/40 in Berlin aber auch am Ankauf von Beständen «entarteter Kunst». Dieser Bestand sollte nach Möglichkeit durch Verkäufe ins Ausland zu Geld gemacht werden, Hildebrand Gurlitt gehörte zu den vier deutschen Kunsthändlern (Ferdinand Möller, Karl Buchholz und Bernhard A. Böhmer), die grosse Bestände ankaufen konnten und so in die Nachkriegszeit retteten. Auch Georg Schmidt, Direktor des Kunstmuseums von Basel, Sozialist, erkannte die Gunst der Stunde. Mit den auf seine Initiative hin vom Basler Grossen Rat bewilligten 50 000 Franken reiste er 1939 nach Berlin und kaufte für die heute lächerliche Summe, damals aber übliche Ansätze kapitale Spitzenwerke von Oskar Kokoschka, Franz Marc, Max Beckmann, Otto Dix, die nun zum Kernbestand der Abteilung der Kunst des 20. Jahrhunderts gehören. Der Wert dieser Werke geht heute wohl in Hunderte von Millionen Franken.

Alles, was nicht ins Ausland oder an die vier deutschen Kunsthändler und einzelne mutige Sammler verkauft werden konnte, wurde 1939 der Fama nach in einem Berliner Feuerwehrstützpunkt verbrannt und damit vernichtet. Ferdinand Möller ist heute in Deutschland der grosse Held. Er gilt als Retter von wichtigen Teilen des Bestandes «entartete Kunst». Hildebrand Gurlitt wird hingegen für die gleiche Tat verteufelt. Sein noch vorhandenes Erbe wird 2012 in München beschlagnahmt.

Auch in der Schweiz lässt keine Zeitung das Thema aus, «Argus», eine Presse-Beobachtungs-Agentur, bei der wir auf Erwähnungen der «Galerie Kornfeld» abonniert sind, schickt für die Tage vom 4. bis 14. November 298 Zeitungsartikel sowie 28 Beiträge in Radio und Fernsehen. In der Flut finden sich auch Artikel und Interviews der beiden eidgenössischen Spezialisten für geraubte Kunst der Jahre von 1937 bis 1945, Thomas Buomberger und Andrea Raschèr. Beide kommen zum gleichen Urteil: Juristisch sei Kornfeld nichts vorzuwerfen, aber die beiden erheben den Moralfinger.

In den letzten Tagen hat sich die Berichterstattung versachlicht. Man beginnt nun die effektiven Hintergründe in Ruhe auszuleuchten und statt mit Schlagworten die ganze Geschichte, die uns wohl noch lange beschäftigen wird, auf wissenschaftlicher und juristischer Basis aufzuarbeiten.

Unser Haus ist 1864 durch H. G. Gutekunst gegründet worden, nächstes Jahr können wir den 150. Geburtstag feiern. In diesen 150 Jahren sind als Firmennamen nur drei Namen in Erscheinung getreten: Gutekunst, Klipstein, Kornfeld. Ein schönes Zeichen von langjährigem Engagement. Wir haben in den vergangenen 150 Jahren verschiedene Stürme erlebt, aber alle überstanden.

Ein vermeintlich sensationeller Fund
her. ⋅Vor zwei Jahren haben die deutschen Behörden in der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt rund 1400 Kunstwerke vorwiegend der klassischen Moderne beschlagnahmt. Viele dieser Werke waren offenbar in der Nazizeit als «entartete Kunst» beschlagnahmt worden. Sie stammten aus der Sammlung des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der von den Nazis mit der Veräusserung von beschlagnahmten Kunstwerken beauftragt worden war. Die Aufdeckung des Falls durch ein deutsches Magazin provozierte einige Aufregung in den Medien, sie wirft auch rechtliche Fragen ohne Ende auf und lässt Emotionen hochkochen, wie die zahlreichen Reaktionen von verschiedenster Seite zeigen. Die NZZ hat in den vergangenen Wochen mehrfach über die Entwicklung des Falls und seine politischen Aspekte berichtet (laufend ab 4. 11.), eine Einschätzung der bis heute veröffentlichten Kunstwerke aus der Sammlung vorgenommen (6. 11.), sich zu der überaus schwierigen Rechtslage geäussert (5. 11. / 7. 11.), die Beschlagnahme «entarteter Kunst» aus kunsthistorischer Perspektive beleuchtet (7. 11.) oder die Geschichte des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt in einen historischen Kontext gestellt (13. 11.).

Die Galerie Kornfeld stand vor Jahren in geschäftlicher Verbindung mit Cornelius Gurlitt, weshalb ihr Name in Zusammenhang mit dem Münchner Kunstfund mehrfach fiel. Auch wenn keine konkreten Vorwürfe erhoben wurden, brachte dies die ehrwürdige Berner Institution doch immer wieder in die Schlagzeilen.

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zugesch. H.C.