Intrige am Kunstmarkt? Familienfehde (wer hat Ÿbrigens bei den anderen Gurlitt-Familienmitgliedern geschaut, was es da an SammelbestŠnden gibt)? Sippenhaftung?
TŠgliche Hatz vulgo Ÿberdosierte Sensationsberichterstattung zu Cornelius Gurlitt, der sich - verdŠchtig! - nie bis selten auf Familienfesten blicken lie§; der zu Nachbarn - kauzig! - Distanz hielt, unerkannt durch Einkaufszentren streifte und - sein VerhŠngnis! - mit 9000 Euro in der Manteltasche von MŸnchen nach ZŸrich reiste. Letzteres brachte den ÒKunstskandalÓ ins Rollen, seine mehr als tausend Werke umfassende Kunstsammlung wurde bekanntlich beschlagnahmt. (Da hatte Herr Gurlitt Pech, unser ehemaliger schšner Finanzminister transportiert nicht lŠppische 9000 Euro, sondern prallgefŸllte Geldkoffer fŸr die Schwiegermama von hier nach da. Aber das ist eine andere, peinliche Geschichte.)
Nun kšnnen wir also erste Reihe fu§frei und mit erhšhtem Unwohlsein miterleben, wie rasant nach einjŠhrigem behšrdlichem Schockschweigen und staatsanwaltlicher Hilflosigkeit massenmediale Hyperventilation gepaart mit politischen Panikattacken Grundwerte der Demokratie sowie bestehende Gesetze ins Wanken bringt. Man kann es sich dieser Tage jedenfalls nicht oft genug vorsagen: Deutschland ist eigentlich ein Rechtsstaat. Und Cornelius Gurlitt ist Erbe einer Privatsammlung - vor allem Òentarteter KunstÓ, die von den Nazis in deutschen Museen beschlagnahmt worden war. Vater Hildebrand Gurlitt griff als einer der vier KunsthŠndler, die offiziell mit dem Verkauf beauftragt worden waren, selbst flei§ig zu. Au§er ihm taten dies Ÿbrigens fŸhrende Museen weltweit, die solcherart ihre Sammlungen der klassischen Moderne begrŸndeten und ausbauten, nicht zuletzt das New Yorker Museum of Modern Art. Restitution wŠre eventuell auch dort ein nštiges und lohnendes Forschungsfeld.
Jetzt wurde in Deutschland, endlich, eine Taskforce eingerichtet, auch um den Verdacht zu entkrŠften, der Staat wolle sich die beschlagnahmte Sammlung nach Gurlitts Tod unter den Nagel rei§en. Politiker jeder Coleur informieren und empšren sich - ebenso zizerlweise, wie Gurlitts Sammlung šffentlich gemacht wird, um zu klŠren, ob Werke darunter sind, die Juden weit unter Marktwert abgepresst worden waren. Dies ist juristisch zumindest umstritten. Restitutionsexperten, die unverdŠchtig sind, ProblemfŠlle unter den Tisch kehren zu wollen, betonen: Nach gŸltiger Rechtslage kšnnen Private Raubkunst haben, so viel sie wollen. Es hŠnge von Gurlitts gutem Willen ab, ob allfŠllige AnsprŸche befriedigt werden. Zumindest, als er den Verkaufserlšs eines Bildes (Max Beckmanns LšwenbŠndiger) mit den Erben des ursprŸnglichen Besitzers teilte, hat er ihn bewiesen.
Das hilflose, auf Zuruf reagierende und keineswegs gesetzeskonforme Vorgehen deutscher Behšrden zeigt, wie fragil der Boden ist, auf dem wir uns fast siebzig Jahre nach Kriegsende bewegen. Raubkunst gibt es nicht nur in Museen, sondern in gro§en Privatsammlungen, zu denen man sich Zutritt verschaffen mŸsste. Wie? Und was ist mit anderen enteigneten GŸtern au§er Kunst? Wohldurchdachte GesetzesŠnderung tut not. Abgesehen davon, dass Deutschland kein mit …sterreich vergleichbares Restitutionsgesetz hat, das Museen zur RŸckgabe zwingt: Eine rasch zurechtgezimmerte Lex Gurlitt wŸrde nur Ungerechtigkeit mit Ungerechtigkeit bekŠmpfen. ( DER STANDARD, 2013)