Mittwoch, den 13. März
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Gerufen wurde er "Archie", sein englischer Name lautete Arthur. Er hatte keine leichte Kindheit: Die Mutter starb früh, die Wirtschaftskrise traf die kleine Familie – Arthur, seinen arbeitslosen Vater und seine kleine Schwester, Armen (1920 geboren) – hart. Die einzige Ablenkung von dem Elend, das ihn umgab, boten Gangsterfilme und Comicstrips.


Mit 18 Jahren sah Arthur Pinajian den Schauspieler Paul Muni in dem Film "Scarface" im Kino. Der beeindruckte ihn so, dass er seine eigene Comicserie startete: "Gangster's Guns". Damals arbeitete er in einer Teppichfabrik und begann gleichzeitig, als Cartoonzeichner für die "New York Daily News" zu wirken.

Er wurde zu einem Pionier des Superheldencomics, eines Genres, das in den Dreißigerjahren gerade populär wurde. Sein besonderer Beitrag: Er erfand einen Superhelden, der sich als Frau verkleidete – Madam Fatal. Dann kam der Zweite Weltkrieg. Pinajian wurde eingezogen, er kämpfte in der Ardennenoffensive, die für die Amerikaner so traumatisch war. Er wurde mit dem Bronze Star ausgezeichnet, der amerikanischen Tapferkeitsmedaille. Und er kehrte als ein anderer Mensch zurück.

Arthur Pinajian wollte kein Comiczeichner mehr sein. Er wollte zu einem richtigen Künstler werden. Als ehemaligem Soldaten stand ihm ein Stipendium für GIs zu: Mit 36 Jahren begann er, an der Kunstakademie zu studieren, anschließend malte er, bis zu seinem Tod im Jahre 1999.

Seine Schwester Armen, eine Schönheit, die nie geheiratet hat, verdiente das Geld. Bis 1973 lebten die beiden in Woodstock – zur Zeit des berühmten Musikfestivals hätte es beinahe eine Ausstellung mit Akten von ihm gegeben –, später zogen die beiden in das verträumte Kaff Bellport, das auf Long Island liegt.

Aggressiv erotische Traumfrauen

Armen hatte so viel Geld zusammengespart, dass sie sich die Anzahlung auf einen kleinen Bungalow mit einer Garage leisten konnte. Dort wohnten sie zusammen, er saß in seinem Zimmer auf der Kante der Matratze und malte, malte, malte. Einerseits Akte, oft geradezu aggressiv erotisch, zusammenfantasierte Traumfrauen in verzückten Posen; andererseits aber auch Landschaften, die mit der Zeit immer abstrakter wurden.

Vielleicht hat er da oder hier einmal ein Bild verkauft, aber die meisten stapelte er in der Garage. Er legte eine bemalte Leinwand auf die andere, bis kein Platz mehr war; dann kam der nächste Stapel.

Arthur Pinajian hatte keinen Führerschein (anders als seine Schwester). Wenn er irgendwo hinwollte, fuhr er per Autostopp – oder er ging zu Fuß. Er lebte wie ein Eremit. Etwas anderes als Kunst scheint ihn nie interessiert zu haben. Wusste er, dass er ein Genie war? "Ja, er wusste es", sagt Peter H. Falk, ein Kunstexperte, der an der Hebung des Pinajian-Schatzes beteiligt war. (Gleich, gleich kommt mehr!) Wir befragen ihn in der Galerie Antiquorum in der Madison Avenue, am letzten Tag, an dem dort Bilder von Pinajian verkauft wurden.

"Er ist hier gewesen, in diesem Gebäude. Er sah eine Ausstellung von Willem de Kooning und schrieb ins Gästebuch: "Ich bin viel besser als de Kooning!" Das stimmt: Er ist besser als de Kooning. Warum wollte er dann, dass seine Bilder auf den Müll geworfen werden? "Er war nicht an Öffentlichkeit interessiert. Er war wie ein Mensch, der in einem Laboratorium sitzt und an einem komplizierten Versuch arbeitet – er ganz allein. Er wollte keine Ablenkung. Er litt wohl auch unter einer Zwangsstörung."

Eine zugemüllte Garage

Der letzte Teil dieser Geschichte beginnt mit einer Hochzeit. Als das Jahr 2006 sich dem Ende zuneigte, heiratete Thomas V. Schultz in dem Städtchen Bellport, und sein alter Freund Lawrence E. Joseph flog zu der Hochzeit ein. Beide hatten zudem eine Geschäftsidee: Sie wollten einen alten Bungalow kaufen (am Ende bekamen sie ihn für 300.000 Dollar, ein Schnäppchen) und ihn dann weiterverkaufen, um ein bisschen Geld zu verdienen.

Nur eine Schwierigkeit gab es bei der Geschichte: die Garage. Sie war voller Müll und Gerümpel. Nachdem die beiden Freunde 2007 ihren Kauf getätigt hatten, sagte ihr Immobilienmakler: Die Garage muss unbedingt ausgemistet und neu gestrichen werden, sonst findet sich nie im Leben ein Käufer.

Die beiden trugen das Gerümpel nach draußen, obwohl zumindest einer der beiden die Bilder, die sie da am Rand der Straße abluden wie Schutt, schön und interessant fand – oder doch wenigstens ungewöhnlich. Vor allem die Akte. "Entweder der Kerl hatte mehr Spaß als alle anderen im Dorf, oder er hatte Abos für eine Menge Magazine."

Aber die Cousine des alten Mannes, der früher in jenem Bungalow gelebt hatte, hatte ja nichts dagegen, dass das Zeug weggeschmissen wurde; schließlich hatte er selbst es genauso verfügt. Dies ist nun der Moment, wo die "serendipity" ins Spiel kommt: Der Cousin des alten Mannes, ein gewisser Peter Najarian, kam gerade zu Besuch. Er war selbst Maler, hatte mit dem alten Mann viele Briefe gewechselt.

Und er sagte: So etwas wirft man doch nicht weg. Eigenhändig verscheuchte er das Müllauto, das schon um die Ecke gebogen kam.

Die Entdeckung eines Malers

Thomas V. Schultz und Lawrence E. Joseph waren keine Kunstsachverständigen. Aber sie waren auch keine Barbaren. Thomas V. Schultz sorgte also dafür, dass die Bilder fachmännisch gelagert wurden, fotografierte auch ein paar von ihnen. Er bat einen Freund um Hilfe, der zufällig der Schwager von William Innes Homer war – dem großen alten Mann der US-Kunstgeschichte. Homer war zunächst nicht sonderlich beeindruckt.

Ein begabter Amateur, dachte er, nicht mehr. Es sei denn, die Fotografien, die er zu Gesicht bekommen hatte, wären nicht repräsentativ. Er beschloss, nach Bellport zu fahren und sich die ganze Geschichte anzusehen. Und dann rief er Peter H. Falk an: "Du musst hierherkommen", sagte er. "Ich verspreche dir, es ist keine Zeitvergeudung." Es war keine.

Naturgemäß sind die beiden Geschäftsfreunde, die den Bungalow gekauft hatten, bei der ganzen Geschichte reich geworden: Sie könnten 30 Millionen Dollar für die Bilder des vormals völlig unbekannten Arthur Pinajian bekommen. Diese Meldung ist schon in die Welt hinausposaunt worden, aber nicht darin besteht die Sensation.

Postume Aufmerksamkeit

Viel wichtiger ist, dass hier ein Maler entdeckt wurde, dessen Bedeutung Experten schon mit jener von Paul Cézanne vergleichen. Ja, bestätigt Peter H. Falk, es gibt schon Museen, die Bilder von ihm angekauft haben; dieser Kunstschatz wird also nicht in den Safes von privaten Sammlern verschwinden.

Man wird ihn nicht nur taxieren, sondern auch bewundern: die immer gleichen zwei Hügel, die Arthur Pinajian gemalt hat (wie Monet seinen ewigen Seerosenteich), am Anfang als erkennbares Landschaftssujet, dann wie explodiert und immer abstrakter, aber immer noch deutlich erkennbar mit der Bildsprache der Landschaftsmalerei – und am Schluss seines Lebens wie erlöst in zartestem Pastell.

Kleiner Nachtrag: Es gibt einen Roman von Kurt Vonnegut aus dem Jahr 1987. Er heißt "Bluebeard: The Autobiography of Rabo Karabekian (1916–1988)" und handelt von einem US-Maler armenischer Abkunft. Vonneguts Held beginnt seine Karriere als Zeichner, kämpft im Zweiten Weltkrieg mit, wird mit dem Bronze Star ausgezeichnet, säuft mit den "abstrakten Expressionisten" in der "Cedar Tavern" in Greenwich Village, zieht schließlich nach Long Island und versteckt seine Gemälde in einer Garage. Zufall? Oder hat Kurt Vonnegut diesen Arthur Pinajian gekannt – aber wie nur, wie? – und faul bei der Wirklichkeit abgekupfert?

Sein Held beschreibt sich – wenig schmeichelhaft – als "Fiasko, bei dem ein Mensch die Zerstörung seines Werks und seines Rufes durch Dummheit, Sorglosigkeit oder beides herbeiführt". Das mag für den fiktiven Maler gelten; der wirkliche Arthur Pinajian war kein Fiasko. Er hatte nur keine Lust, am kulturellen Rummel teilzunehmen. Und ob er jetzt lächelnd von Wolke sieben auf uns herunterschaut oder ob ihn die postume Aufmerksamkeit für sein Werk völlig kaltlässt, das ist keineswegs klar.

 

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