Zugeschickt aus Berlin/EN

Das Bauernopfer...
von Andreas Hoose
Freitag 06.01.2012, 21:50 Uhr

Bei einem Bauernopfer wird natürlich kein Landwirt zum Schafott geführt, jedenfalls in den seltensten Fällen. Beim Schach, dem königlichen Spiel mit den weißen und den schwarzen Figuren, versteht man darunter die Aufgabe eines Bauern, der schwächsten Figur im Spiel, um so einen taktischen Vorteil zu erlangen. Meist wird der Begriff aber im übertragenen Sinne verwendet, beispielsweise in der Politik, wenn etwas Nachrangiges geopfert wird, um etwas Höherwertiges zu erhalten. Königlich geht es dabei meist nicht zu...

Im vergangenen Sommer hatte ich mich darüber gewundert, dass der erst vor Jahresfrist gekürte Bundespräsident derart deutliche Worte ausgerechnet gegen den Bankensektor richtete: Christian Wulff, von Amts wegen moralische Instanz der Republik, war sich nicht zu schade, Missstände anzuprangern, die im Verlauf der Krise immer offensichtlicher geworden waren.

Bei einer Tagung der Nobelpreisträger in Lindau etwa stellte Wulff vollkommen berechtigte Fragen. Etwa die folgende:

„Erst haben Banken andere Banken gerettet, dann haben Staaten Banken gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Wer rettet aber am Ende die Retter? Wann werden aufgelaufene Defizite auf wen verteilt beziehungsweise von wem getragen?“

Unausgesprochen machte der Bundespräsident damit klar, dass am Ende der Steuerzahler für diesen Wahnsinn aufkommen wird. Das war in der Geschichte schon immer so und das wird auch diesmal so sein: Wenn Staaten pleite gehen, dann wird die Allgemeinheit hierfür zur Kasse gebeten. Doch sagen wird uns das in dieser Deutlichkeit natürlich niemand.

Weiter warnte Wulff:

„Politik mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft ist an ihr Ende gekommen. Was vermeintlich immer gut ging - neue Schulden zu machen -, geht eben nicht ewig gut“.

„Ich verstehe, dass viele nicht nachvollziehen wollen, dass Bankmanager teils exorbitant verdienen, dass aber zugleich Banken mit Milliarden gestützt werden. Und Trittbrettfahrer in der Finanzwelt spekulieren weiterhin darauf, von der Politik und damit letztlich von den Steuerzahlern aufgefangen zu werden - weil sie zum Beispiel zu groß sind und zu relevant für den gesamten Wirtschaftskreislauf“.

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/tagung-der-wirtschaftsnobelpreistraeger-die-rede-von-christian-wulff-in-lindau-11124112.html

Auch gegen den Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank hatte Wulff, der Mann mit dem Image des braven Schwiegersohns, mit bemerkenswert scharfen Worten gewettert. Den Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) bezeichnete Wulff als rechtlich bedenklich, Anleihekäufe direkt von den Staaten seien verboten - trotzdem wird die Europäische Zentralbank genau das in Zukunft natürlich immer wieder tun.

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/euro-rettung-wulff-kritisiert-anleihekaeufe-der-ezb-11124526.html

Doch damit nicht genug. In einem ausführlichen Interview mit der „Zeit“ hatte der Bundespräsident auch am Krisenmanagement der Bundesregierung kein gutes Haar gelassen:

http://www.zeit.de/2011/27/Interview-Wulff

Damals fragte ich mich, wie lange es wohl dauern würde, bis der Präsident die Quittung für seine deutlichen Worte bekommen wird.

Jetzt ist es so weit: Eine geradezu lächerliche Kreditaffäre wird auf allen medialen Kanälen derart aufgeblasen, dass der Bundespräsident am Ende darüber stolpern wird. Sollte der private Hauskredit nicht ausreichen, wird man eben noch ein paar andere Dinge aus dem Hut zaubern. Die Präsidentengattin mit ihren etwas kapriziösen Neigungen würde sich hierfür trefflich eignen...

Es ist ein Lehrstück in politischer Gesellschaftskunde, wie das Ganze jetzt inszeniert wird: Nachdem der Stein ins Rollen gekommen ist, melden sich alle möglichen Pappnasen zu Wort und fordern, die Debatte möglichst schnell zu beenden. Das Ansehen des Amtes sei in Gefahr – was die gleichen Leute freilich nicht daran hindert, immer neue Vorwürfe zu konstruieren.

Geradezu lächerlich wird es, wenn man sich die jüngsten Äußerungen der kreditgebenden BW-Bank ansieht: Diese hatte der Darstellung des Bundespräsidenten hinsichtlich des Zustandekommens der Kreditvereinbarung am Freitag widersprochen.

Bei seinem „Befreiungsschlag“ hatte Wulff am Mittwoch in ARD und ZDF gesagt, der Vertrag sei mit einer mündlichen Vereinbarung zwischen ihm und der Bank bereits im November zustande gekommen. Stimmt nicht, erklärt uns jetzt Bank. Ein Kreditvertrag mit Verbrauchern bedürfe der Schriftform. Und schon haben wir, quasi aus dem Nichts, wieder eine Meldung für die Seite eins der Financial Times Deutschland:

http://www.ftd.de/politik/deutschland/:kreditaffaere-bw-bank-korrigiert-wulff/60150463.html

Auch das Gefasel einiger Experten, Wulff sei der Präsident Merkels, sie werde ihn deshalb nicht fallen lassen, können Sie vergessen. Es dient in erster Linie der Tarnung, um den geplanten Präsidentenmord nicht allzu offensichtlich werden zu lassen.

Wer zahlt, der schafft an. Das gilt im Kaninchenzüchterverein genauso wie auf höchster politischer Ebene. Und unsere Politiker sind längst abhängig vom Wohl und Wehe der Banken: Wer sonst sollte ihnen ihre Staatshaushalte über den Kauf von Schuldpapieren finanzieren?

Die Politik, vor den Karren der Finanzindustrie gespannt, macht jetzt den Weg frei für die größte Schuldenorgie in der Geschichte der Bundesrepublik - die Einführung von Eurobonds inklusive. Ein Bundespräsident, ausgerechnet in der größten Volkswirtschaft Europas, der gegen solche Dinge wettert, würde da massiv stören:

Man stelle sich vor, die Kanzlerin lässt ihr Nein zu den Eurobonds fallen und der Bundespräsident fährt ihr in die Parade. In der Sache ändert das zwar nichts, denn der höchste Würdenträger der Republik, manchmal wegen seines fehlenden politischen Gewichts despektierlich als „Grüßonkel“ tituliert, hat die Aufgabe, den Staat zu repräsentieren und sich ansonsten aus dem politischen Tagesgeschäft herauszuhalten.

Dennoch wäre die Signalwirkung verheerend. Vor allem für die Stimmung im Land, denn die Bundesbürger waren schon bei der Einführung des Euro überrumpelt worden und stehen Eurobonds und anderen „Rettungsmaßnahmen“ in der Mehrheit kritisch gegenüber.

Bis April muss allein Italien fast 150 Milliarden Euro an Staatsschulden refinanzieren. Geht dabei etwas schief, wird man schnell handeln müssen. Ein Querulant in den eigenen Reihen wäre das Letzte, was die amtierende Regierung dann gebrauchen kann.

Die (Regierungs)medien werden deshalb jetzt dafür sorgen, dass Christian Wulff bald seinen Hut nimmt. Dabei wird ihnen jedes Mittel recht sein. Es wäre daher ein Wunder, wenn der Bundespräsident das erste Quartal 2012 politisch überlebt...

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Zum Autor:

Andreas Hoose ist Chefredakteur des Antizyklischen Börsenbriefs, einem Service der BörseGo AG, und Geschäftsführer des Antizyklischen Aktienclubs. Börsenbrief und Aktienclub, das komplette Servicepaket für die Freunde antizyklischer Anlagestrategien! Informationen finden Sie unter www.antizyklischer-boersenbrief.de und www.antizyklischer-aktienclub.de