Gemäldegalerie Berlin † (1998-2013)
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»Besonders aber laßt genug geschehn! / Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn. / Wird Vieles vor den Augen abgesponnen, / So daß die Menge staunend gaffen kann, / Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen, / Ihr seid ein vielgeliebter Mann.«

(Direktor, Faust I, V. 89-94)

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»Wenn es so kommt, wie es sich gerade abzeichnet, dann entledigt sich Berlin einer seiner großen kulturpolitischen Probleme.«

(Stefanie Vogelsang, CDU, auf ihrer Netzseite)

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»Dann lassen wir das mit der Kultur eben sein.«

(Claus Peymann, BE, in ganz anderem Zusammenhang)

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Die Berliner Gemäldegalerie, hochwürdige Monstranz einer der weltweit bedeutendsten Sammlungen sogenannter »alter Meister«, ist tot. Beinahe zumindest: Heimlich, still und leise ging ein Gerücht durch die Stadt, das nun zur Gewißheit sich verdichtete hat; im kommenden Jahr wird das Museum am Kulturforum in seiner heutigen Gestalt für immer geschlossen, Wissenschaftler und Angestellte entlassen oder verstreut werden, und die Gemälde selbst verschwinden zum größten Teil für mindestens eine Generation im Depot.

Grund und Auslöser dieser ganz unfaßbaren Neuigkeit ist die in Aussicht gestellte Schenkung der Sammlung Pietzsch. Das betagte Sammlerehepaar hat die Kulturbureaucraten von Bund und Land dahingehend erpreßt, daß es seinen generösen Dienst an der res-publica mit der Bedingung verknüpfte, das überlassene Konvolut von Werken des 20. Jahrhunderts müsse dauerhaft und vollständig im räumlichen Umfeld der Neuen Nationalgalerie, am Kulturforum also, ausgestellt werden.

Hinter den Kulissen, wie stets in der Demokratur, ist heftig gestritten und gemauschelt worden; die Kunstsinnigen und Verständigen, so hört man, hätten sich bitter gewehrt, bis schließlich der Kulturstaatsminister selbst eine Entscheidung erzwungen habe, die dann so geschickt, tröpfelnd und in Watte gepackt der Öffentlichkeit verabreicht (heute sagt man: kommuniziert) worden ist, daß kaum jemand ihre schreckliche Breite und Tiefe recht aufgefaßt zu haben scheint.

Ergebnis des mafiösen Hinterzimmergeschäftes ist eine von der Bundesregierung euphemisierend als »Museumsrochade« umgelogene Vernichtung gewachsener altkultureller Substanz und Struktur: Die Gemäldegalerie soll ab dem kommenden Jahr geschlossen und mit den nun bewilligten Kleckermitteln von 10 Millionen Euro zu einem Museum für Kunst des 20. Jahrhunderts umgebaut werden. Nur ein kleiner Teil der prachtvollen Bestände soll während der kommenden Jahrzehnte auf der Museumsinsel gezeigt werden, für mehr wäre auch, selbst mit einer »Petersburger Hängung«, kein Platz. Entweder also werden viele der heute lebenden Kunstliebhaber und -kenner diese Schätze nie mehr zu Gesicht bekommen, oder das Bode-Museum wird magazinartig vollgestopft: Giotto kommt ins Treppenhaus, Rembrandt hinter die Garderobe, und Caravaggio naheliegenderweise aufs Herrenklo.

Gegenüber dem Bode-Museum, auf der anderen Seite des Kupfergrabens, soll dann irgendwann einmal ein Neubau für die Bestände der Gemäldegalerie errichtet werden, der, im Sinne des alten Bodeschen Gedankens, die Kunstwerke des Mittelalters und der »frühen Neuzeit« gattungsübergreifend zusammenführt, wobei das Bode-Museum den süd-, und der fragliche Neubau den nordalpinenen Raum abdeckt. Für jenes neue Gebäude aber gibt es weder Konzept noch Zeitplan, keinen Wettbewerb, noch gar eine einzige müde Mark zu seiner Errichtung. Wage Einschätzungen aus gut informierten Kreisen halten eine Eröffnung nicht vor 2030 für möglich. – Dann endlich wird im Erlebensfalle zu bestaunen sein, was schon Wilhelm II., Hitler und Kohl feucht sich erträumten: Der größte Museumskomplex aller Zeiten! Denn selbstverständlich folgt die finale Akkumulation aller Kunst vor 1900 auf der Museumsinsel dem ebenso megalomanen wie unausgesprochenen Ziele, sich mehr als zweihundert Jahre nach der Verschleppung der Quadriga durch Napoleon am Erbfeind schadlos zu halten, den Endsieg zu erringen und also den Louvre in der Größe seiner Bruttogeschoßfläche und der Zahl seiner Exponate zu überbieten.

 

»Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen« – der Bildungsbürger in der Musen Wandelhallen war stets eine einsame, ereignislose Erscheinung

Sicherlich ist nichts bräsiger als eine kulturpolitische Neuauflage der »Querelle des Anciens et des Modernes«, ein Ausspielen alteuropäischer Gemälde im edlen Rahmen gegen das bunte Panorama einer wie-auch-immer verklammerten Moderne. Sicherlich auch braucht Berlin dringend ein angemessenes »Museum des 20. Jahrhunderts«, schon damit die Sichtbarkeit der reichen Bestände der Nationalgalerie nicht mehr von den eitlen Launen eines Udo Kittelmann abhängt, auch um jene Werke aus dem zur Kunstbetrachtung schlechterdings ungeeigneten Keller des Mies van der Rohe-Baus zu befreien. Notwendig wäre ein von Grund auf neues Haus für die Kunst der letzten 120 Jahre, ein Analogon etwa zum »Centre Pompidou«. (Bester Standort hierfür wäre freilich das Kulturforum selbst, also jenes von der Potsdamer Straße zerschnittene, platzunähnliche Niemandsland zwischen Staatsbibliothek, Philharmonie und Matthäikirche, das heute der stadtplanerischen Vision einer »Museumsinsel des Westens« so bissig spottet.)

Die Gemäldegalerie selbst als genuin konservativer Museumsbau der Hilmer-Sattler-Schule wurde für die Präsentation altmeisterlicher Malerei, für diese Sammlung im Besonderen, geschaffen; weder atmosphärisch noch praktisch eigent er sich für zeitgenössische Kunst. Er mag für Flachware von Cézanne, Picasso oder Warhol noch umzubiegen sein, erscheint jedoch für Großskulpturen und Monumentalmalerei etwa von Beuys, Kiefer oder Pollock als ganz ungeeignet. Alptraumhaft ist die Vorstellung jener innenarchitektonischen Vergewaltigung der Säle und Kabinette, die in dem Wahn verbrochen werden wird, den heterogenen Medien, Formaten und Materialien der gewünschten Exponate irgendwie zu entsprechen; es ist, als würde man eine Porzellansammlung in einer Turnhalle ausstellen, und am Ende wird es wieder nur ein weiteres white cube.

Was aber steckt dahinter? – Niemand kann sich Illusionen über das Fehlen jedweden Kunstsinnes in den höheren Sphären der Politik gemacht haben. Früher hätte man besonders die Sozialdemokratie der programmatischen Geringschätzung sog. Hochkultur verdächtigt, weil doch das Anschauen, Verstehen und Lieben solcher Güter stets elitär und niemals sozial ist. Folgerichtig ist unter der Schirmherrschaft von Klaus Wowereit jede greif- und machbare Häßlichkeit, seien es Verkehrsgroßprojekte, Shoppingcenter, Hotels, Regierungs- und Verwaltungsbauten, in Beton geklotzt worden, während die Theater, Opern, Museen und Universitäten bis an den Rand der Ohmacht zur Ader gelassen wurden. In Zeiten des (Kabinetts) Merkel aber, des widerlichsten je dagewesenen Haufens von Geistfeindlichkeit und Ignoranz, gelten solche politischen Richtungszuschreibungen nicht mehr. Man kann sich keine Menschenzusammenrottung vorstellen, der man auf dem Felde von Kunst und Kultur weniger Urteil und emotionale Verbundenheit zutrauen würde, die aus ihren versteinerten, vom Bildungsneid zerfressenen Herzen heraus größeren Haß auf alles Schöne und Wahre entwickeln könnte, das doch zwangsläufig ihre eigene ästhetische wie moralische Nichtswürdigkeit bloßstellt.

Ist also der Pragmatismus ein Nihilismus? Pas-du-tout! – Der Schwachsinn hat Methode, wie der Kulturbetrieb im Bereich der klassischen Musik eindrucksvoll und verbindlich vorgeführt hat. Dort kann man beobachten, wie sich die Formen der Kunstproduktion und -vermittlung ändern, wenn konsequent auf events gesetzt und dafür kontinuierliche, bewahrende Institutionen aufgelöst werden. Schöne Cellistinnen, russisch-rassige Klaviervirtuosen, »große Namen«, Zauberflöte im U-Bahnhof, Wagner in Tel-Aviv, Carmen auf der Seebühne oder vielleicht in Neucölln: All’ das geht gut und läuft immer, weil’s was Besonderes ist, weil man dabeigewesen sein kann. Wer braucht da noch Förderung für Schulchöre, musikwissenschaftliche Forschung oder gar – horribile dictu – die Detmolder Symphoniker?

So entlarvt es die Zeichen der Zeit auch im Bereich der bildenden Kunst, wenn Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, im Deutschlandfunk nach den oben beschriebenen Vorgängen befragt, immer wieder auf die Ausstellung »Gesichter der Renaissance« verwies, die doch gezeigt habe, daß das Publikum (um das es ja geht) auch für vorkubistische Kunst noch zu gewinnen sei, wenn’s nur als Spektakel behauptet, auratisch inszeniert, an der Kasse verknappt und exzessiv vermarktet wird. Die Gemäldegalerie, und dafür liebten und lieben wir sie mit nun tränenden Augen, ist ein Anti-Event. Sie ist fast immer angenehm spärlich besucht, bewirbt sich nicht, agiert ausschließlich aus dem Bewußtsein ihrer konkurrenzlos hohen Qualität, und damit ganz außerhalb des Zeitgeistes; abgesehen davon, daß neun von zehn Museumsbesucher sowieso lieber Pipilotti Rist und Georg Baselitz anschauen als Raffael und Dürer; denn alte Kunst hat keine Lobby und nur wenig Freunde.

Womit denn alles wieder seine unheimliche Stimmigkeit und der herrschende Geist sich wieder als Geist der Herrschenden und der rezenten Zeit offenbart hätte. Bemerkenswert bleibt das weitgehende Schweigen der Qualitätspresse, die sich jede spaltenübergreifende Empörung bis heute versagt hat. Springers Kettenhunde, die sonst jeden Kahlschlag in Westberlin sentimental und demagogisch bejaulen, haben auch nichts zu sagen, da es zum einen ihre eigene nun ganz geschichtsvergessene CDU ist, die dieses Verbrechen beging, und da’s zum andern gerade ihrer Leserschaft alles vollkommen wurscht sein darf.

Tatsächlich hat kein Schreiberling der hundsföttischen Hauptstadtpresse bis heute das Spitzen seiner Feder für nötig befunden, um diesem angenehmsten, sensibelsten und bestgebauten Berliner Museum einen Nekrolog zu widmen, um einen wehmütigen Trauermarsch zu komponieren auf seine wunderbar farbigen Wandbespannungen, seine bequem-gerundeten Holzbänke, sein feines Parkett, die Bekömmlichkeit seines Klimas, den Luxus des großen, wohlproportionierten Atriums, schließlich auf seine Freiheit von preußisch-nationalistischer Kontamination – auf ein Museum kurzum, das den in ihm geborgenen Schätzen aus über 500 Jahren abendländischer Bildkunstgeschichte diente wie ein im besten Sinne altmodischer Kammerdiener seiner Herrschaft: mit harmonisch-selbstbewußter Subordination, aufmerksam, verläßlich und dezent.

Offizieller Widerspruch, auch von Seiten der wohl schockgefrorenen Museumsleute und des kunsthistorischen Establishments, bleibt bisher aus. Unter den Mitarbeitern am Kulturforum, die ihrer baldigen Kündigung entgegensehen, herrscht, wie man hört, nackte Panik. Angemessener Widerstand regt sich unterdessen auf studentischer Seite: Eine Doktorandengruppe des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität bläst zum Skandal und hat eine Netzplattform gegründet; geplant sind Demonstrationen, renitente Öffentlichkeitsarbeit und eine große Sommerauktion, bei der die Werke der Gemäldegalerie »unter Ramschniveau« (Hans-Werner Sinn) verschleudert werden sollen. So billig wie möglich, denn alles muß raus.

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This entry was posted on 21. Juni 2012 at 20:07 and is filed under Bärlîn, Der hl. Krieg, Kulturbetrieb, Kunstgeschichten. Du kannst den Antworten zu diesem Eintrag mit Hilfe des RSS-2.0-Feeds folgen. Du kannst eine Antwort schreiben oder einen Trackback von deiner eigenen Seite schicken.

Eine Antwort zu „Gemäldegalerie Berlin † (1998-2013)“
Dr. Hans-Peter Biege sagt:
6. Juli 2012 um 10:02 | Antwort
Unpolitische Kulturpolitiker! Bedenkt: 2020 wirkt die Schuldenbremse – Großprojekte in Berlin werden verschoben auf den St. Nimmerleinstag. Alte Meister warten dann auf Godot. – Also: Hände weg von der Gemäldegalerie bis die Finanzierung der Alternativen feststeht und ein sinnvolles Konzept vorliegt!
Dr. Hans-Peter Biege, Kulturdezernent a.D.

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Es gibt Theater mit und ohne Vorhang. Wenn mein Vater mir, zwangsweise, durch Eingriff mit dem Messer, mir das ohne Vorhang aufgezwungen haette, waere unser Verhaeltnis heute ein anderes. und wir brauchten wohl der Analysen ohne Ende.Das ist Eine andere Welt.
Da suchen sie überall und raufen die Köpfe auf der Suche nach einem Gebuden und es liegt doch so nah. Voll mit - nsglichkiten der Ferne. Warum.