9. Dezember 2012

aus der Gedenkfeier für Käthe Reichel
am 2. Dezember 2012
im Deutschen Theater Berlin


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Text HJS, vorgetragen von Michael Schweighöfer

Als ich damals 1952/53 nach Berlin kam, von Rostock als Schüler, bei Brecht 8mm Filme vom Don Juan einer Inszenierung seines Assistenten Benno Besson zu zeigen, bat Brecht solche Aufnahmen auch von seinem offiziell abgelehnten Urfaust zu machen. So lernte ich Käthe Reichel kennen, die darin als Gretchen auftrat. Später, viel später erzählte mir Hans Mayer, dem damals von Brecht ins Vertrauen gezogene Berater, vom Urfaust zugunsten des späteren Faust 1 abgeraten zu haben, denn es sei eine zu sehr auf die Gretchen-Geschichte konzentrierte Urfassung zu dem gesellschaftlich viel wichtigeren fertigen Faust 1, aber, dass Brecht eben gerade darum diese Gretchen Story wollte, um Käthe Reichel nahe zu sein. Überhaupt sei Brecht einmal vor ihrem Fenster in Berlin nachts vom Baum gefallen. Und so erzählten sich damals alle eben diese Geschichte der besonderen Vorliebe Brechts und von demUnmut aller anderen. Käthe Reichel fiel uns, denn wir waren zu zweit aus Rostock gekommen, sofort auf. Dort von einem Faust 1 und 2 mit Isolde Günther als Gretchen mit Stoff und Rolle auf dem Theater im traditionellen und durchaus achtbarem Sinne im grossen Umfang bekannt geworden, waren wir speziell neugierig zu sehen was Brecht nun damit wohl gemacht habe. Selbst unser Interesse an Norbert Christian unseren Mentor, auch für französische Filme in Westberlin, an seinem Mephisto auch aus Rostock extra geholt, verblasste neben diesem Gretchen anders als die gewohnten von Bildern der 20er und 30er Jahre unserer Vorstellungen. Und wir waren jung und fühlten uns in Sachen Mädchen sehr zuständig. Darum konzentrierten sich die Aufnahmen, die ich auswählen konnte und ohne Brechts Einwirkung, besonders auf sie und ihre Szenen. Dazu kam, dass ich mich, gerade wegen dieser Jugend auf beiden Seiten der Kamera, traute nahe ranzugehen, für Grossaufnahmen ohne Zoom, also selbst auf der Probebühne, wo dieser Durchlauf extra dafür stattfand. Mit Brecht unten, der dies besondere Interesse sicher gern verfolgte, was ich ahnte, dass er mich also nicht verwies. So kommt es also zu den relativ vielen Käthe Reichel-Szenen im Urfaust Brechts 1953 in Grossaufnahmen und wir war alle drei Komplizen. Brecht hatte den verhindernden Aufsichtsfunktionären ein Schnippchen geschlagen, Käthe Reichel, die noch junge, war ernstgenommen worden und wir konnten dabei sein mit der Kamera der Geschichte.

Als ich Käthe Reichel vor einiger Zeit wiedersah, in Buckow, abseits in ihrem Häuschen des Waldes, das ihr Brecht geschenkt hatte und das sie gerade am diesem Tage auch amtlich zu eigen aus dem Becht-Nachlass erhielt, nahe dem Brechthaus um die Ecke, war sofort klar, sie hat ihn nie verlassen, nun nach über 60 Jahren atmete jedes Wort, jede Geste sein Lob. Wie man es sich wünscht, aus gelebter Liebe und gemeinsamen Tun. Er hatte mich mit ihr bekannt gemacht als eine ihm dienende und so über alle Jahre auf den Theatern und in Filmen als Grosse ihres Fachs, eine Gezeichnete, aus sich, aus Liebe, immer einfach und in der geheimnisvollen Musik ihrer Bewegungen und Worte, was mehr.

Aber noch etwas. Im kleinen Häuschen am Wald plötzlich erzählte sie von sich. Von Ihrer Mutter, wie nie gehört und spielte diese vor, sang ihre Lieder, vermischt mit Hinterhof- Gesängen Brechts, und dann wieder von der Herkunft aus den Wäldern hinter den Bergen und vom Lande und, wie nie gehört, sagten die Freunde, Geschichten über Geschichten, es war Winter und draussen früh dunkel und kalt, mit ihren Vögeln aus dem Wald an den Fenstern, als ob es eben wäre und selbst erlebt, abenteuerliche Szenen, von Männern und Urgrossvätern als Gutsbesitzer und missbrauchte Frauen, die zu in die Städte fliehenden Müttern wurden -man lese ihr letztes Buch Dämmerstunde aus dem letzten Jahr, das damals entstand-, alles leider nicht aufgenommen und mir nicht gelungen es auf die Bühne zu bringen. Wie soll ich das, rief sie traurig, wie denn das. Was für eine schöne Frau im Alter ihres reichen Lebens,in ihrer grössten Rolle: sie selbst, und so allein mit sich, am Rande des Sees am selben Ufer weiter hinten. Dachte ich als ich ging.