SPIEGEWL-ON-line
Zweifel an der Zukunft des Dollar

...Die Umfrage spiegelt das schwindende Vertrauen internationaler Investoren in den US-Dollar wider. "Im Augenblick gibt es da drau§en gro§e Sorgen Ÿber die negative Entwicklung der US-Finanzen", sagte Larry Hathaway, Chefškonom der UBS, der "Financial Times". Allein in diesem Jahr ist die WŠhrung um fŸnf Prozent abgerutscht - so tief wie nie zuvor.

Die horrenden Staatsschulden zwingen Inhaber von Dollar-Reserven, ihre Anlagen stŠrker zu streuen, das hei§t auf andere WŠhrungen zu verteilen. In China sollen von den 200 Milliarden Dollar, um die die Devisenreserven im ersten Quartal 2011 gewachsen sind, nur ein Viertel in den Dollar geflossen sein. Peking hatte die Geldpolitik der Amerikaner zuvor massiv kritisiert.
Weltbank-PrŠsident Robert Zoellick hatte erst vergangenes Jahr ein neues WŠhrungssystem vorgeschlagen, das auf verschiedenen LeitwŠhrungen basieren kšnnte. Neben dem Dollar und dem Euro nannte Zoellick den Yen, das Pfund und den Renminbi....


BERLINER ZEITUNG
Dem großzügigen Denker und Pragmatiker des Theaters Ivan Nagel zum 80. Geburtstag
MATTHIAS LILIENTHAL
Die typische Ivan-Nagel-Geste kennt jeder, der mit ihm Gespräche geführt hat: Er legt den Kopf schief, zögert, und man kann zusehen, wie jemand denkt. Das ist keine Marotte. Er versucht sich Zeit zu verschaffen zum genauen Nachdenken. Und dann kommen sorgfältig gewählte Worte, die viel mit Erinnerung zu tun haben. Vor ein paar Wochen waren wir im Café Einstein, und es ging um den gerade begonnenen Libyen-Krieg. Er verwies darauf, dass diesmal der nicht geliebte Außenminister richtig gelegen habe; wo käme man da hin, wenn man die territoriale Integrität von Völkern nicht respektieren würde. Auch wenn es in dieser Sache sehr schwer fallen würde. Dass Ivan die weltweite politische Gegenwart nicht nur wahrnimmt, sondern sich oft auch scharfe Urteile über sie bildet, zeigt, dass er sich keine Altmeister-Lorbeer-Ruhe gönnt.

Richtig kennengelernt habe ich Ivan kurz nach der Wende, bei den Verhandlungen über die Volksbühnen-Intendanz Frank Castorfs, dessen Chefdramaturg ich wurde. Ivan hatte ein berühmt gewordenes Gutachten geschrieben, in dem er vorschlug, aus der Volksbühne ein Schwimmbad zu machen - oder aber sie einer jungen begabten Truppe mit einem Regisseur an der Spitze zu geben, die das Theater neu erfinden würde. Auf diese Weise wäre das Theater innerhalb von drei Jahren tot oder berühmt. Er sagte aber nicht dazu, wer diese Retter sein könnten.

Es setzte darauf ein wochenlanges Rätseln darüber ein, von wem Nagel da gesprochen haben könnte. Auf diese Weise machte er Castorf und seine Mannschaft schon im Vorfeld zum Mythos und hängte die Latte ziemlich hoch - rückblickend wird mir heute dabei schlecht. Es gab dann unendliche Gespräche mit der interimistischen Theaterleitung. In jenem Bereich zwischen DDR und Noch-nicht-Bundesrepublik war vieles einfach nicht geregelt und drohte zerredet zu werden. In das Volksbühnen-Neugründungsteam entsandte Ivan dann Dirk Nawrocki, einen Schauspieler, der bei Castorf in Anklam gespielt hat, 1984 in den Westen ging und später, 1994, an Aids starb. Mit Nawrocki kam das Projekt in Fahrt. Ihm, nicht mir, wie immer geschrieben wird, hat die Volksbühne Christoph Schlingensief zu verdanken.

Ivan betrieb eine Art dramaturgische Beratung. Er bezog sich auf Regisseure wie Peter Stein oder auch Matthias Langhoff. Wenn wir uns mit ihm trafen, sprach er immer so lange, bis er erreicht hatte, was er wollte: dass es niedrige Eintrittspreise gab, dass man keine Kompromisse bei dem Ensemble machte. Als dann alles auf die Schiene gesetzt war, war er froh, dass er endlich wieder an seinen Schreibtisch zurück konnte.

Bei einer Preisverleihung erzählte Ivan die sprachlos machende Geschichte, wie er, der in Budapest geborene Jude, den Holocaust überlebt hat: Er wurde von den Eltern in ein Kinderheim gegeben und musste die ganze Zeit unter dem Namen Fritz und so tun, als verstünde er kein Deutsch. Diese Selbstverleugnung hat ihm das Überleben gesichert.

Nach dem Krieg wollte er in Budapest studieren, aber man ließ den Bürgerlichen nicht. 1948 flüchtete er in die Schweiz, lebte als Staatenloser in Heidelberg, in Paris und dann in Frankfurt am Main, wo er Philosophie bei Theodor W. Adorno studierte, welcher sich für den "unerwünschten Asylanten" einsetzte und verhinderte, dass man ihn des Landes verwies.

Ivan, der seine Karriere als Kritiker begann, wirkte in den 1960ern als Chefdramaturg in München, 1972 bis 1979 als Intendant am Hamburger Schauspielhaus und später in Stuttgart. Er versuchte immer, die wichtigsten Regisseure an sein Haus zu holen und ihnen einen möglichst großen Raum zur Entfaltung zu gewährleisten. Dafür stehen natürlich besonders die großen Inszenierungen von Peter Zadek am Hamburger Schauspielhaus. Die vielleicht schönste Aufführung dieser Zeit, die ich sah, war der "Othello" mit Ulrich Wildgruber und Eva Mattes. Es waren einfache und plakative Wirkungen, wie die schwarze Farbe von Wildgrubers Körper, die abfärbte, oder das Ablegen des toten-nicht-toten Körpers Desdemonas über die Wäscheleine. Ausgrenzung wurde auf einmal anders erfahrbar. Diese Art von Theater war intellektuell und zur gleichen Zeit komisch. Eine Tradition, die in den letzen Jahren verloren ging.

In Hamburg erfand Ivan das Theater der Nationen. Das erste internationale Festival mit großen Gastspielen zum Beispiel aus New York vom Squat Theatre, die eigentlich auch aus Budapest kamen. Wenn ich ihn erzählen hörte, wurde Hamburg tatsächlich zu der großzügigen und weltoffenen Stadt, die es immer sein wollte.

Nach der Hamburger Intendanz zog er sich nicht in die deutsche Provinz zurück, sondern ging für die Frankfurter Allgemeine Zeitung nach New York. Er war in der Welt zu Hause. All den internationalen Austausch, der in den 1990er-Jahren so wichtig wurde, lebte er schon einmal vor. Und dies lange bevor die Flugpreise derart unanständig in den Keller gingen - was eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von internationalen Theaterfestivals, wie wir sie heute kennen, bildet.

Ivan lebt immer mehr das Leben eines Denkers und Schreibers. Anrufen sollte man nicht vor dem Mittag. Er macht die Nacht zum Tag und stürzt sich in die Interpretation von Historienbildern, in denen er nicht Geschichte sieht, sondern eine Szene. Dann legt er wieder den Kopf schief, und nimmt sich so viel Zeit wie für die Genauigkeit beim Erinnern, Interpretieren und Formulieren nötig ist. Ich glaube das größte Geburtstagsgeschenk ist, dass Suhrkamp seine Schriften in einer Werkausgabe veröffentlicht. Die Schriften zum Drama und zum Theater sind bereits erschienen.

Er ist leider dem Theater dadurch ein wenig verloren gegangen. Er möchte nur das Gute sehen, und das ist im Theater mit seinen vielen Irrtümern nicht so einfach. Wenn er dann aber neben jungen New Yorker Theatermachern sitzt, dann wird er wieder zu dem jungen Mann, der auf eine unglaubliche Art und Weise Nachdenken und die Naivität der Begeisterung verbindet.

------------------------------

Foto: Der Jubilar Ivan Nagel

Foto: Der Gratulant Matthias Lilienthal war Chefdramaturg im "Tot-oder-berühmt"-Team, das unter Frank Castorf die Volksbühne neu erfand. 2002 gründete er das Hau, dessen Leitung er im Sommer 2012 abgibt.

Es waren die Zeiten des grossen Einflusses von Adorno in den Universitäten, Ivan Nagel im Theater und der Gruppe 47 auf dem Buchmarkt.

Als die Volksbühne in Berlin auf diese Weise entstand, wurde das renomierte Beckett-Schiller Theater geschlossen und damit waren unsere Pläne eines anderen Theaters erledigt. Der Abschied von der Bühne nach den grossen Monologen einer Endzeit wurde genommen. Heute spricht I.N. vom Ende des grossen Theaters auch wie er es meinte. In dem Theater Kortner's am Beginn unserer Zeit, als wir uns kennen lernten, waren wir uns eins, wenn auch wohl aus verschiedenen Gründen, und da begannen die versch. Wege.