24. Mai 2011, 11:56 Uhr

Nahost-Offensive
Obama verunsichert jüdische Wähler

Von Marc Pitzke, New York

Mit seiner Nahost-Offensive hat Barack Obama die jüdischen Wähler in den USA verwirrt. Manche Lobbyisten zweifeln bereits an der Solidarität des Präsidenten. Die Republikaner versuchen schon, den Streit als Wahlkampfthema auszuschlachten.

Ed Koch, New Yorks streitbarer Ex-Bürgermeister, mag selbst mit 86 Jahren nicht vom politischen Tagesgeschäft lassen. Er mischt sich weiterhin munter in die Kommunalpolitik ein: Koch wettert gegen Brückenmauten, gegen eine Neuaufteilung von Wahlbezirken oder gegen den derzeitigen Amtsinhaber Mike Bloomberg.

Kochs Lieblingsthema ist aber Israel. Deshalb kommentierte der Demokrat, der sich gerne als ein Wortführer der jüdischen Lobby in den USA sieht, auch die Debatte um Barack Obamas Nahostpolitik - doch mit Beifall hielt er sich zurück.

Er habe kein Vertrauen mehr, dass Obamas "Engagement für Israels Sicherheit wirklich felsenfest" sei, sagte Koch SPIEGEL ONLINE als Reaktion auf dessen jüngsten Nahost-Vorstoß. Im Gegenteil: Obama habe in den letzten Monaten zusehends "Feindseligkeit gegenüber Israel" gezeigt. Koch - der Obamas Wahlkampf 2008 unterstützt hatte - droht deshalb damit, ihm seine Gunst zu entziehen: "Wenn Präsident Obama seine Position nicht ändert, kann ich nicht für seine Wiederwahl stimmen."

Kochs Stimme allein gibt sicher nur wenig Ausschlag. Doch Obamas neuer Nahost-Kurs hat die bisher so treue jüdische Wählergemeinde in den USA gespalten. Traditionell auf Seiten der Demokraten, zeigen sich manche plötzlich verwundert, wenn nicht konsterniert. Obama habe es sich mit der Gemeinschaft "verdorben", schreibt Shmuley Boteach sogar, ein prominenter orthodox-jüdischer Rabbi aus Kalifornien, auf der Website "Huffington Post".

Ob sich das auf den Wahlkampf 2012 auswirkt, ist noch offen. Kritiker wie Koch stören sich an Obamas Hinweis, dass es Frieden im Nahen Osten nur dann geben könne, wenn Israel seine seit 1967 besetzte Gebiete räume. Obama baute die Passage nach langer Diskussion mit seinen Beratern persönlich in die Rede ein. So deutlich hatte das noch kein US-Präsident gesagt.

Verärgert sind die Kritiker auch über Obamas Forderung, Israel müsse mit der Hamas verhandeln. Das sei ja das Gleiche, als habe Franklin D. Roosevelt "ein Abkommen mit Adolf Hitlers Nazi-Deutschland" propagiert, tönte Koch.

Amerikas Judenverbände konnten die neuen Entwicklungen in der Nahost-Politik nur machtlos verfolgen: erst Obamas große Rede am Donnerstag, bei der das umstrittene Grenzzitat fiel. Einen Tag später dann das spannungsgeladene Treffen mit Israels Premier Benjamin Netanjahu im Oval Office. Am Sonntag folgte der klassische Wahlkampf-Termin Obamas bei der jüdischen Lobbygruppe Aipac, dort schwächte der Präsident seine Nahost-Ansprache dann wieder ab.

Die Anspannung steigt, denn ein wichtiger Termin rückt immer näher: Im September stimmt die Uno über die Anerkennung eines palästinensischen Staats ab. Obama hat bereits ein Veto im Sicherheitsrat angekündigt. Nicht nur Juden in den USA fragen sich aber, wie verlässlich dieses Versprechen ist angesichts des "Arabischen Frühlings" - und ob Obama auch andere Vetomächte von einer Ablehnung überzeugen kann.

Parteifinanziers drohen mit weniger Spenden

Der Aipac-Auftritt vor mehr als 10.000 Pro-Israel-Aktivisten war bezeichnend. "USA und Israel: Gemeinsam besser", lautete das Motto der Konferenz. Doch Obama bekam für seine Rede allenfalls höflichen Applaus, mehr nicht. Die Reaktionen von Juden in den USA waren kontrovers. Das Simon Wiesenthal Center bezeichnete den Bezug auf die Grenzen von 1967 als "Rohrkrepierer". Andere dagegen nannten die Äußerungen "Schnee von gestern", etwa David Harris, der Chef des National Jewish Democratic Councils.

Die jüdische Lobby ist bei US-Wahlen ein lautstarkes Zünglein an der Waage. Beim letzten Präsidentschaftsrennen machten Amerikaner jüdischen Glaubens zwei Prozent aller Wähler aus. 78 Prozent ihrer Stimmen entfielen auf Obama, drei Prozent mehr, als der Demokrat John Kerry 2004 geholt hatte.

Schon jetzt beginnen die ersten Parteifinanziers zu murren, wenn auch meist anonym. Er beobachte ein wachsendes Gefühl, dass Obama die US-israelischen Beziehungen gefährde, sagte der ehemalige Aipac-Funktionär Steve Rosen der "Washington Times". "Pro-Israel-Spender, die sich bisher zurückgehalten haben, werden die Suche nach einer Alternative zu Obama nun beschleunigen."

Einer der wenigen, der sich dazu namentlich zitieren ließ, war Milliardär Mort Zuckerman, Verleger der sonst so Obama-freundlichen "New York Daily News". "Ich habe in den letzten Tagen mit vielen Leuten - ehemaligen Befürwortern - gesprochen, die sehr empört sind und sich entfremdet fühlen", sagte er der Agentur Reuters. "Obama wird weniger politische Unterstützung erhalten, weniger Aktivisten für seinen Wahlkampf - und ich bin sicher, dass sich das auch auf finanzielle Hilfe auswirkt."

Republikaner wittern Morgenluft

Kirk Rudy, Vizechef des Democratic National Committee, dementierte Probleme mit dem Präsidenten. "Ich sehe eine sehr ausdrückliche und robuste Unterstützung - auch finanziell - in der jüdischen Gemeinde", sagte er dem konservativen Web-Magazin "Newsmax".

Auch das "Wall Street Journal" konnte neulich für einen Bericht über den schwindenden Rückhalt Obamas bei jüdischen Großspendern nur wenige überreden, sich namentlich gegen den Präsidenten zu bekennen. Michael Adler, ein Top-Spendensammler der Partei in Miami, wurde mit den Worten zitiert, Obama müsse "extrem proaktiv" werden, um die Zweifel an seiner pro-israelischen Haltung zu zerstreuen.

Die Republikaner kämpfen um jeden Dollar der jüdischen Wählerschaft. 2008 gaben sie rund zwei Millionen Dollar für eine Wahlwerbung aus, die Obama als Strohmann der Palästinenser darstellte. Dabei zielten sie vornehmlich auf Staaten mit hohem jüdischem Wähleranteil: Florida, Ohio, Pennsylvania, Nevada. Zum Verhängnis wurde ihnen jedoch Vizekandidatin Sarah Palin, deren erzkonservativen Ansichten in sozialen Fragen überhaupt nicht mit der Haltung vieler US-Judenverbände übereinstimmten.

Jetzt aber wittern die Republikaner angesichts des Nahost-Streits Morgenluft für 2012. So orakelte Bill O'Reilly, einer der lautesten Marktschreier des konservativen Kabelkanals Fox News, dass Obama bei der nächsten Wahl nur noch 65 Prozent der jüdischen Stimmen erhalten werde. Das wäre ein wahlentscheidendes Minus, sollte sich das bislang blutleere Kandidatenfeld der Republikaner bis dahin noch beleben.

Die potentiellen Obama-Herausforderer mühen sich bereits, die aktuelle Debatte auszuschlachten und zum Wahlkampfthema hochzujazzen. Die republikanische Kongressabgeordnete Michele Bachmann flutete den Vorwahlstaat Iowa mit 150.000 automatischen Telefonanrufen, in der sie Obamas Nahost-Rede als "eine Beleidigung für Israel" brandmarkte, flankiert von einer halben Million E-Mails und einer Online-Petition.

"Den Wölfen zum Fraß vorgeworfen"

Minnesotas Ex-Gouverneur Tim Pawlenty, der seine Kandidatur am Montag bekanntgab, warf Obama vor, Israel "den Wölfen zum Fraß vorgeworfen" zu haben. Newt Gingrich nannte Obamas Israel-Linie "gefährlich". "Der Präsident hat einen Fehler gemacht", sagte auch Mitch McConnell, der republikanische Minderheitsführer im Senat, auf Fox News.

Doch die Hoffnungen der Rechten auf einen "Jewish backlash", also eine Gegenreaktion der US-Juden, sind fraglich. Obama machte beim Aipac klar, dass er weiter hinter Israel stehe. "Er hat die Löwen gezähmt", sagte jedenfalls Martin Indyk, der frühere US-Botschafter in Israel, auf MSNBC.

Beobachter vermuten, dass Obama sich den jüdischen Rückhalt noch vor dem Wahlkampf mit einer Reise nach Israel sichern werde. Diese Anregung bekam sein Wahlkampfchef Jim Messina auch schon bei Besuchen an der Basis, etwa im stark jüdisch geprägten Palm Beach in Florida. Eine Israel-Visite stehe "definitiv auf dem vorläufigen Terminkalender", wich er da noch aus.

An diesem Dienstag wird Netanjahu eine Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses halten. Es ist eine Ehre, die nicht jedem Gast zuteil wird und über frühere Kränkungen hinwegtrösten soll, etwa als das Weiße Haus dem israelischen Regierungschef beim letzten Besuch die Veröffentlichung von Fotos aus dem Oval Office versagte.

Darüber ärgert sich Ed Koch bis heute: "Wir alle erinnern uns noch daran, wie unverschämt der Ministerpräsident vom Präsidenten im Weißen Haus empfangen wurde." Um Kochs Stimme muss Obama also noch mehr buhlen.

 

Kochs Lieblingsthema ist aber Israel. Deshalb kommentierte der Demokrat, der sich gerne als ein WortfŸhrer der jŸdischen Lobby in den USA sieht, auch die Debatte um Barack Obamas Nahostpolitik - doch mit Beifall hielt er sich zurŸck.

Er habe kein Vertrauen mehr, dass Obamas "Engagement fŸr Israels Sicherheit wirklich felsenfest" sei, sagte Koch SPIEGEL ONLINE als Reaktion auf dessen jŸngsten Nahost-Vorsto§. Im Gegenteil: Obama habe in den letzten Monaten zusehends "Feindseligkeit gegenŸber Israel" gezeigt. Koch - der Obamas Wahlkampf 2008 unterstŸtzt hatte - droht deshalb damit, ihm seine Gunst zu entziehen: "Wenn PrŠsident Obama seine Position nicht Šndert, kann ich nicht fŸr seine Wiederwahl stimmen."

Dann beglückwünscht er Obama zum Tod Osama Bin Ladens ("Den wären wir los!") und dankt ihm für sein "felsenfestes Engagement für die Sicherheit Israels".