22. März 2011, 16:52 Uhr

Schädliche Weichmacher
Umweltschützer messen Schadstoff-Rekorde in Kitas

Weichmacher stehen im Ruf, für Föten und Kleinkinder gefährlich zu sein. Ausgerechnet Kindergärten sind dreimal so stark belastet wie der Durchschnitts-Haushalt. Das ist das Ergebnis einer Studie des BUND. Schuld sind demnach die Mengen an weichem Plastik in Kita-Räumen.

Der Fußboden aus PVC, an der Wand eine Vinyltapete, in der Ecke hängen Plastik-Regenmäntel und auch die Tischdecke ist aus Kunststoff, damit sie einfach abgewischt werden kann. In vielen Kindergärten besteht ein beträchtlicher Teil der Einrichtung aus weichem Plastik. Doch das Material birgt ein Gesundheitsrisiko: Weichmacher, sogenannte Phthalate, die es so elastisch machen, dünsten ständig aus oder lösen sich beim Kontakt mit Flüssigkeit oder Fetten.

Menschen atmen die flüchtigen Substanzen ein, nehmen sie mit der Nahrung und zum Teil über die Haut auf. Einige dieser Substanzen greifen in das Hormonsystem ein. Sie können unfruchtbar machen und stehen im Verdacht, Krebs auszulösen. In Spielzeugen dürfen drei Phthalate (DEHP, DBP und BBP) nicht mehr verwendet werden. Zwei weitere Stoffe (DINP und DIDP) sind bei der Produktion von Spielzeug verboten, das Kinder in den Mund nehmen können.

Trotz dieser Verbote sind Kitas überdurchschnittlich stark mit Weichmachern belastet, berichtet jetzt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Umweltschutzorganisation hat die Konzentration von sieben Phthalaten im Staub aus 60 Kindertagesstätten gemessen. Die Proben haben die Einrichtungen im vergangenen Jahr nach einem Aufruf des BUND selbst eingesandt. Zwar ist die Probenanzahl nicht gewaltig, aber sie stammen aus fast allen Bundesländern. Als Vergleich dienten Daten, die das Umweltbundesamt von 2003 bis 2006 gesammelt hat, damals wurden Proben aus 600 Haushalten analysiert.

Das Ergebnis: Im Schnitt sind die Kitas dreimal so stark belastet wie Privathaushalte. Pro Kilogramm Staub wiesen die Tester 3368 Milligramm Weichmacher nach; in den Haushalten betrug der Durchschnittswert 1023 Milligramm. In 40 der 60 untersuchten Kindergärten überstieg der Schadstoffwert den des durchschnittlichen Haushaltes. Mit Blick auf diese Zahlen überrascht es kaum, dass das Umweltbundesamt in einer früheren Untersuchung zu dem Schluss kam, dass - je nachdem welches Modell man anwendet - 30 bis mehr als 80 Prozent der Kinder zu hoch mit Weichmachern belastet sein könnten.

Kleinkinder besonders empfindlich

Der Toxikologe Ibrahim Chahoud von der Berliner Universitätsklinik Charité äußerte sich besorgt: "Die hohe Belastung der Kitas mit Weichmachern ist inakzeptabel. Kleinkinder befinden sich noch in der Entwicklung und reagieren deshalb besonders empfindlich auf hormonelle Schadstoffe. Deshalb müssen im Umfeld von Kindern die Belastungen mit diesen Chemikalien schnellstens minimiert werden."

Der BUND fordert, Weichmacher in sämtlichen Produkten zu verbieten, die im Umfeld von Kindern eingesetzt werden. Die Umweltschützer weisen auf die vielfältigen Alternativen für Weich-PVC hin. Grenzwerte für die Phthalat-Belastung in Innenräumen existieren nicht.

Dass die Weichmacher-Menge auch niedrig gehalten werden kann, zeigt sich auch in der aktuellen Analyse: In der am wenigsten belasteten Kita fanden sich nur 133 Milligramm Phthalate pro Kilogramm Staub - in der am stärksten belasteten waren es 21.711 Milligramm pro Kilo Staub.

Im Rahmen der EU-weiten Chemikalienrichtlinie "Reach" können Unternehmen einige der Weichmacher nur noch mit Sondergenehmigungen verwenden. Ob - und wie oft - diese verteilt werden, ist jedoch noch offen.

wbr

Kita in Nossendorf
Früher Hamann#scher Hof