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Angemeldet als "Langner"
17.01.2011 13:49
„Wenn ich meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“

Die Gemäldegalerie in Berlin zeigt Werke von Caravaggio im Kreis anderer Meister, die auch in der Licht-Schatten-Manier gemalt haben. Von Ingo Langner
Caravaggios „Der ungläubige Thomas“ in Berlin.
Foto: IN
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Nach Aristoteles ist ein Drama dann tadellos konstruiert, wenn Ort, Zeit und Handlung einheitlich bleiben. Theaterpraktisch gesprochen: das Leben und Sterben eines Oedipus, Hamlet oder Danton behält immer dann seinen von Sophokles, Shakespeare und Büchner intendierten Sinn, wenn es in Theben, Helsingör oder Paris verortet bleibt und nicht unter den Zurichtungen egomanischer Regisseure zu einem dekonstruktiven Nichts verkommt.

Oberflächlich betrachtet, lässt sich das von den Werken der Maler und Bildhauer nicht sagen. Kunst bleibt Kunst, ganz gleich, an welchem Ort man das jeweilige Werk plaziert. Aber ändert sich wirklich nichts an Wirkung und Aussagekraft einer Madonna der Geburt, wenn man sie aus Sant' Agostino entfernt und stattdessen ins Museum stellt? Würden auch dort noch, wie es in der römischen Basilika nicht selten geschieht, schwangere Frauen für eine glückliche Entbindung und kinderlose Ehepaare um Fruchtbarkeit beten? Wohl kaum. Was jedoch geschieht mit ihrer Beter anziehenden Aura, wenn sie ihres ursprünglich sakralen Kontextes beraubt wird? Siecht sie dahin?

Caravaggios „Ungläubiger Thomas“ war nie ein Altarbild. Das Bild gehörte in die Privatsammlung von Kardinal Giustiniani, bevor der preußische Hof es erwarb. Derzeit hängt es allerdings nicht an seinem Stammplatz im Potsdamer Schloss Sanssouci, sondern in der Berliner Gemäldegalerie. Wo es, gemeinsam mit zwei anderen in Deutschland „ansässigen“ Meisterwerken, nämlich „Amor als Sieger“ und „Johannes der Täufer“, in einer „Hommage an Caravaggio“ präsentiert wird und zu der auch eine kleine Anzahl von Werken anderer Künstler gehört, die allesamt in der berühmten Licht-Schatten-Manier Caravaggios gemalt sind, als wären sie von ihm inspiriert worden; neben anderen solche von Rembrandt (Gleichnis vom reichen Kornbauer), Peter Paul Rubens (Die Schlüsselübergabe), Diego Velazquez (Die drei Musikanten), Francesco Boneri (Die Austreibung der Wechsler aus dem Tempel), Georges de La Tour (Die Auffindung des Heiligen Sebastian), Gerard van Honthorst (Die Befreiung Petri), Dirck van Baburen (Die Fußwaschung Christi) und Jusepe de Ribera (Die Madonna mit dem Kind und dem hl. Bruno)

Wie mag es einem völlig „unbeleckten“ Betrachter gehen, der vor dem „Ungläubige Thomas“ steht und nichts von seinem biblischen Inhalt weiß? Was sieht er, wenn er die von einer unsichtbaren Lichtquelle messerscharf ausgeleuchteten vier Männer anschaut? Was empfindet er beim Anblick eines Zeigefingers, den der am weitesten vorn stehende Mann in die entblößte Seitenwunde eines mit einer fast weißen Toga Bekleideten bohrt? Auf dessen beider Handrücken sich zusätzlich noch eine kreisrunde dunkle Narbe befindet? Sieht er eine sadomasochistische Szene? Nimmt er die achselzuckend zur Kenntnis? Entdeckt er den Riss im Gewand auf der linken Schulter des Thomas, der in Form und Größe ein Zwillingsbruder der fleischlichen Wunde ist?

Wieviel muss man wissen, um zu verstehen, was Caravaggio hier zeigen wollte? Reicht es, wenn man nachliest, wer Thomas und Caravaggio waren – nämlich der erste ein Jünger Jesu und der zweite ein Maler der Frühbarock – und auf welchen biblischen Kontext sich das Thema des Bildes bezieht – nämlich auf zehn Verse im 20. Kapitel des Evangeliums nach Johannes?

Und was sehen jene, die historisch, kunstgeschichtlich und sogar theologisch vollkommen auf der Höhe der Zeit sind, aber nicht an den auferstandenen Christus glauben? Also solche, die zwar diesen neutestamentlichen Satz des Jüngers Thomas kennen: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“, und die auch wissen, dass sich acht Tage darauf Jesus mit diesen Worten an Thomas wandte: „Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“, die aber statt selbst an Christus zu glauben, der These anhängen: „Wer noch vor einem Heiligenbild kniet, kann seine wahre künstlerische Bedeutung nur unvollständig erfassen.“

Denn solch säkularer Nonsens wird tatsächlich innerhalb der Kunsthistorikerzunft vertreten. Danach sind Gläubige partiell erblindet. Dabei trifft offenkundig das Gegenteil zu: Nur wer dafür auch das geistige Rüstzeug mitbringt, kann Heiligenbilder und religiös konnotierte Kunst in all ihren Dimensionen vollständig erfassen.

„Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Wenn sich ein Maler, also ein Mensch, dessen ganze Kunst auf dem Sehen und dem Darstellen des Gesehenen fußt, dem Thema des ungläubigen Thomas stellt, hat er es notwendigerweise mit einem Paradox zu tun. Umso mehr, wenn er ein Christgläubiger ist und mit seinen Werken zum Glauben hinführen will. Ganz ohne Zweifel war Caravaggio sich dieser Problematik bewusst. In seiner Thomas-Version ist es das Drama des Glaubens, das seiner Natur nach sich in dem immerwährenden Spannungsfeld von Sehen, Nicht-sehen und Glauben befindet, kongenial eingefangen. Die Augen des Thomas sind dort zwar auf die Wunde gerichtet, aber sie sind verschleiert. Thomas sieht aus wie einer, der in sein eigenes Innere blickt. Was sich dort anbahnt, ist eine radikale Erkenntnis: dort steht das fleischgewordene Wort. Es hat unter uns gewohnt. Es wurde am Kreuz geschlachtet. Was ich gerade berühre, ist Christus, Gottes Lamm, das hinwegnimmt die Sünden der Welt. Das ist eine wahrhaft existenzielle Erkenntnis. Sie trennt die Erlösten von den Verdammten. Zu ihr zu gelangen, ist überall möglich. Auch in einem Museum.

„Hommage an Caravaggio: 1610/2010“. Bis zum 6. März in der Gemäldegalerie in Berlin. Der Katalog kostet 14,80 Euro.

 

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Ingo Langner
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