Warmherzige Briefe mit scharfen Analysen
Die Korrespondenz zwischen Helmuth James von Moltke und seiner Frau Freya ist faszinierend und tief verstörend

Von Sabine Bader

Gauting - 'Außer dem Leben können sie Dir ja nichts nehmen', schreibt Freya von Moltke an ihren Ehemann Helmuth James, während dieser im Strafgefängnis Berlin-Tegel auf seinen Prozess vor dem Volksgerichtshof und auf seine Hinrichtung wartet. Der 37 Jahre alte Jurist ist Kopf der Widerstandsgruppe Keisauer Kreis und wird vom NS-Regime des Hochverrats bezichtigt. 178 Briefe schreiben er und seine Frau sich in diesen vier Monaten des Bangens und Wartens. Der Gefängnispfarrer Harald Poelchau hatte sie fast täglich unter Einsatz seines Lebens geschmuggelt und so die durch Gefängnismauern getrennten Eheleute eng verbunden.

Die Briefe der beiden sind von beklemmender Offenheit. Sie sind Zeugnisse großer Nähe und Kraft sowie eine scharfe Analyse der politischen und persönlichen Situation. Dass der Briefwechsel überhaupt existiert und komplett erhalten ist, wurde erst 2010 bekannt: Freya von Moltke hatte die Schriften in einem Bienenstock auf dem Gut in Kreisau versteckt. Aus dem gerade erschienenen Buch 'Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel' haben die Schauspielerin Jovita Dermota und ihr Kollege Jochen Striebeck eine faszinierende und zugleich tief verstörende Lesung zusammengestellt, die sie am Donnerstagabend in der Buchhandlung Kirchheim in Gauting dem Publikum präsentierten.

Genau genommen hat die Korrespondenz der beiden kaum etwas von Abschied, auch wenn es darin sehr viel um Tod geht. Sie ist vielmehr der innige Liebesbeweis eines Paares, das mit erschreckender Klarheit Gegenwart und Zukunft im Blick hat. 'Wir haben doch noch ein Weilchen (...) ', schreibt Freya am 17./18. Oktober. 'Jeder Tag wiegt jetzt schwer und erscheint mir als ein großes Glück.' Es ist der 13. Hochzeitstag der beiden. Und James antwortet zwei Tage später: '(...) welch schöner Brief kam an. Ich werde ihn behalten, bis ich ihn vernichte.' Oft sind die Zeilen der Eheleute so warmherzig und eindringlich, als würden beide in Friedenszeiten über eine Blumenwiese im Kreisau spazieren. Und so treffen Moltkes Beschreibungen des Haftalltags, des Prozesses vor dem Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler und seine Analysen der Ausweglosigkeit seiner Situation die Zuhörer wie Keulenhiebe. Jovita Dermota und Jochen Striebeck verstehen es meisterhaft, dieses Spannungsfeld zu nutzen. Säßen sie nicht vorne auf dem kleinen Podium, gut sichtbar für ihr Publikum und ausgestattet mit Manuskript und Leselampe, so könnte man meinen, Freya an ihrem Schreibtisch in Kreisau zu sehen und ihren Mann auf einem wackligen Holzstuhl in seiner Zelle.

Dort schrieb Moltke am 23. Januar 1945, dem Tag seiner Hinrichtung, den letzten Brief an Freya: 'Eben brachte der Wachtmeister mir frisches Fleisch, Schlagsahne und Semmeln. Sonst nichts anderes, als dass ich Dich, mein sehr liebes Herz, sehr lieb habe und dabei bleibts. J.' Kurz darauf wird er in Plötzensee, der zentralen Hinrichtungsstätte des Regimes, erhängt.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.71, Samstag, den 26. März 2011 , Seite 8

So gingen sie in den Tod. Für ein anderes Deutschland. Ein Deutschland ohne Kreisau -in Schlesien- ja, das das ist der Preis, als Folgen des Krieges. Aber auch ohne Nossendorf -im jetzigen Zustand- ohne Rechte, durch uns selbst?