Abstumpfung mit Styroporplatten
Nicht nur in Frankfurt lebt die akademische Mittelschicht gern im Gründerzeithaus. Doch das Wohnen unter den hohen Decken alter Gemäuer trübt die Bundesenergiebilanz. Architekten betrübt noch mehr der deutsche Dämmstoffwahn.

Von Marie Katharina Wagner

Viele Architekten fürchten, dass die Ästhetik von Altbauten unter Maßnahmen der energetischen Sanierung leiden könnte
22. September 2010
Jürgen Werner tut viel für das Klima. Er berät Hausbesitzer, die Energie sparen wollen. Er hat für die Stadt Frankfurt eine Broschüre verfasst über die energetische Sanierung von Gründerzeitbauten. Wenn sein Architekturbüro neue Häuser baut, dann sind es Niedrigenergie- oder Passivhäuser. Alles vorbildlich im Sinne des Klimaschutzes.

Aber wenn man sehr streng sein will, ist Jürgen Werner auch ein Klimasünder. Beim Anblick seines eigenen Wohnhauses müssten sich einem zertifizierten Energieberater wie ihm eigentlich die Nackenhaare sträuben: eines Altbaus im Frankfurter Nordend, wo die urbane Bildungsmittelschicht lebt, in hohen Räumen, hinter verzierten Fassaden, unter schiefergedeckten Satteldächern. Man könnte auch sagen: Hinter undichten Ziegelmauern und schlecht schließenden Fenstern, unter durchlässigen Dächern. Eine schlechtere Energiebilanz haben nur frei stehende Häuser aus den fünfziger oder sechziger Jahren.

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Drei Gründerzeithäuser im Frankfurter Nordend: Rechts das Original, ganz links eines mit außen gedämmter Fassade
15.000 Gründerzeitgebäude stehen in Frankfurt, etwa jeder vierte Frankfurter wohnt in einem. Weniger als ein Prozent dieser Gebäude, schätzt Werner, ist energetisch saniert. Bis 2050 sollen es fast alle sein. So steht es im Entwurf für das Energiekonzept der Bundesregierung, das am nächsten Dienstag verabschiedet werden soll, denn, so heißt es da, „auf den Gebäudebereich entfallen rund 40 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs und etwa ein Drittel der CO2-Emissionen“.

Ursprünglich sollte die Sanierung mit Zwang durchgesetzt werden

Zwar wurde Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) in seinen ambitionierten Plänen für die energetische Gebäudesanierung gebremst. Ursprünglich hieß es in dem Konzept, der gesamte Gebäudebestand solle bis 2050 auf den Standard „Nullemission“ gebracht werden, was bedeuten würde, dass die Häuser fast gar kein CO2 mehr ausstoßen und ihren restlichen Energiebedarf über regenerative Energiequellen decken. Durchgesetzt werden sollten die Sanierungsmaßnahmen mit Zuckerbrot und Peitsche: Förderung für rechtzeitige Sanierungen, steuerliche Nachteile für Eigentümer, die sich nicht an die Anforderungen halten.

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Darüber empörte sich nicht allein Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU). Auch die Hauseigentümer waren aufgeschreckt. Der Generalsekretär der Eigentümergemeinschaft „Haus und Grund“, Andreas Stücke, sprach von einer „Zwangsorgie“. Da würde es sich für manche Besitzer eher lohnen, ihre Häuser abzureißen, zumal der „Amortisationspunkt“ der Investitionen nach 30 Jahren so spät komme, dass viele Eigentümer ihn gar nicht mehr erleben würden. Nun wurden Röttgens heißblütige Ziele in Berlin Ramsauer-gedämmt: In der Koalition wurde ein Kompromiss formuliert, in dem die Losung „Nullemission“ nicht mehr vorkommt. Stattdessen soll der CO2-Ausstoß der Gebäude bis 2050 um 80 Prozent gesenkt werden, und zwar ohne Zwangsmaßnahmen.

Längst nicht alle Energieberater sind seriös

Auch so stoßen die Pläne auf Skepsis, und zwar selbst bei jenen, von denen man denken würde, sie könnten sich über den Ehrgeiz der Politik freuen. Zum Beispiel bei Peter Tschakert, seit 20 Jahren Mitarbeiter des Energiereferats der Stadt Frankfurt und dort zuständig für die Sanierung von Altbauten. Als er sich vor 25 Jahren mit Gleichgesinnten in Frankfurt zum Energieberaterstammtisch traf, kamen fünf oder sechs Leute. Heute, sagt er, müsse man für alle, die sich hier Energieberater nennten, eine riesige Halle mieten. Und längst nicht alle seien seriös.

Tschakert arbeitet lange genug in der Energiepolitik, um zu wissen, dass Entwürfe auf dem Papier nicht gleich die Realität verändern. Also begegnet er den Plänen der Bundesregierung mit einer Mischung aus Gelassenheit und Unglauben. Gerade erst habe die Bundesregierung wegen der Wirtschaftskrise einen Teil der Fördermaßnahmen für energetische Sanierung gekürzt und damit das wachsende Interesse wieder unterbrochen. Und jetzt wolle sie es auf einmal wieder ankurbeln? Tatsächlich hatte Ramsauer erst am vergangenen Freitag im Bundestag die Kürzung der Fördermittel für die Gebäudesanierung von 1,35 Milliarden Euro in diesem auf 436 Millionen im kommenden Jahr verteidigt. Auch die Handwerker, sagt Peter Tschakert, könnten der ständig novellierten Energieeinsparverordnung, die laut Energiekonzept 2012 abermals verschärft werden soll, schon jetzt nicht mehr folgen. Sie wüssten oft nicht, welche Anforderungen sie beim Bauen zu erfüllen hätten.

Je aufwendiger saniert wird, desto länger bleibt die Baustelle
Und auch Jürgen Werner, der sich doch in Erwartung zahlloser Sanierungsaufträge schon die Hände reiben könnte, hält die Pläne der Bundesregierung für „völlig unrealistisch“ und „schizophren“, wenn man sehe, dass Teile der Förderung gerade gestrichen würden. Röttgens ursprüngliches Ziel der „Nullemission“ sei, jedenfalls was Altbauten angehe, „totaler Blödsinn“ gewesen.

Eine Außendämmung ist effizienter als von innen

Um den CO2-Ausstoß seines eigenen Wohnhauses um 80 Prozent zu senken, müsste sich Werner auf ein paar Monate Leben auf der Baustelle einstellen. Neben einem neuen Heizsystem müsste man bessere Fenster einbauen, außerdem Dach, Keller und Außenwände dämmen. Und weil eine Dämmung von außen um ein Vielfaches effizienter ist als von innen, könnte das im schlimmsten Fall so aussehen: Die schöne Fassade mit ihren Fenstergewänden und Gesimsen aus Stein würde abgeschlagen, auf den Putz würde eine acht bis zwölf Zentimeter dicke Schicht aus Styropor, Mineralfaser oder Hartschaum geklebt, und nur wenn der Eigentümer ein bisschen Sinn für Ästhetik hätte, würden die Verzierungen später als Nachbildungen aus Putz wieder aufgesetzt. Und falls der Ästhetiksinn des Eigentümers besonders ausgeprägt wäre, würden die nachgebildeten Verzierungen in Material und Farbe vielleicht noch irgendwie an das Original erinnern. Von Fördermaßnahmen für Ästhetik aber steht nichts im Energiekonzept.

Also macht sich Angst breit unter Architekten, denen nicht nur das Klima, sondern auch die Baukultur ein Anliegen ist. Der Begriff des „Dämmstoffwahns“ ist zum geflügelten Wort geworden. Auf einer Internetseite für Architekturwettbewerbe wurde neulich dazu aufgerufen, Fotos der absurdesten Dämmprojekte einzureichen. Zwar gibt es Sondervorschriften für denkmalgeschützte und schützenswerte Häuser und Fassaden, aber denen unterliegen nicht alle Altbauten – und umgangen werden sie außerdem.

„Reine Kulissenarchitektur“

Dann passiert etwas, was man nur drei Blocks entfernt von Werners Wohnhaus besichtigen kann. Drei baugleiche Gebäude aus der Gründerzeit stehen da nebeneinander, ein jedes hinter einem gepflegten Vorgarten mit Rosenstock und Windspielen. Ganz rechts steht das Haus noch im Originalzustand, in hellem Beige gestrichen, die Fenster mit Sandstein-Verzierungen geschmückt. Nebenan wurde die Fassade „entstuckt“, sie hat keine aufgesetzten Verzierungen mehr, dafür einen Anstrich in kühner Grau-Rosa-Beige-Kombination. Das Haus ganz links wirkt von ferne wie sehr frisch gestrichen, in blassem Rührei-Gelb, um die Fenster sind weiße Verzierungen angebracht, die kleiner, flacher und schlichter sind als beim Original. Erst wenn man sich nähert, fällt auf, wie klobig und künstlich die Hülle wirkt. Klopft man daran, klingt es hohl, als sei das Ganze eine Attrappe, die Vortäuschung eines Hauses. Weil man die Fenster nicht weiter nach vorne versetzen kann, liegen sie in tiefen Höhlen, „Schießscharteneffekt“ heißt das bei Architekten. Was wäre, wenn alle Altbauten irgendwann so aussähen? „Schlimm wäre das“, sagt Werner. „Reine Kulissenarchitektur.“

Viele Architekten lehnen die energetische Sanierung alter Gebäude ab. Einer der bekanntesten ist der Berliner Architekt und Professor an der ETH Zürich Hans Kollhoff. Lange bevor das Energiekonzept bekannt wurde, schimpfte er schon, dass mit der Einhüllung der Gebäude in eine künstliche Schicht jede architektonische Qualität verlorengehe. Nun sagt er, Deutschland übertreibe es mal wieder als einziges Land „mit der CO2-Panik“. Politische Regelungen wie jene im Energiekonzept würden dafür sorgen, dass „geistlos und stumpfsinnig Fassaden ruiniert werden, und das wird dann auch noch gefördert“. Wenn man Häuser mit Natursteinfassaden von außen dämme, sehe das „immer teuflisch“ aus. Auch die Innendämmung sei keine Ideallösung. Gegen sie spricht vor allem der Verlust an Wohnraum, aber auch die Gefahr von Schimmelbildung, falls sie, wie so oft, nicht fachgerecht angebracht wird.

Die Steinwolle-Lobby kämpfe gegen die Styropor-Lobby

Zwar würden ständig neue Materialien erfunden, sagt Kollhoff, etwa ein Stoff, den man unter die Tapete setze. „Und dann schlagen Sie einen Nagel in die Wand, und die Dämmung ist dahin.“ Hinter dem ganzen Streit stehe eine gigantische Industrie, „da kämpft die Steinwolle-Lobby gegen die Styropor-Lobby“, und niemand wisse genau, was mit dem Material in zwanzig Jahren passiere.

In der Broschüre, die Jürgen Werner für die Stadt Frankfurt geschrieben hat, rät er den Besitzern von Gründerzeithäusern, die geschmückten Straßenfassaden von innen zu dämmen und nur die schlichten Hofseiten von außen. Aber das wäre dann kaum so effektiv, wie es sich die Bundesregierung in ihrem Energiekonzept vorstellt. „Wir haben dafür noch keine Lösung im Moment“, sagt Werner. Das Denkmalschutzamt verfalle in Panik, weil ihm die Zeit davonlaufe. Es gebe zwar Pilotprojekte einer Vakuumdämmung mit Materialien aus der Raumfahrt, aber das sei noch viel zu teuer und aufwendig.

„Die künstlichen Fassaden sehen oft nach 'Disney' aus“

Der Energiepolitiker Tschakert ist eher als der Architekt Werner bereit, für den Klimaschutz die Ästhetik hintanzustellen. Das seien rein persönliche Empfindungen, während die Vorteile für das Klima sich mit Zahlen belegen ließen. Auch wenn selbst er findet, dass die künstlichen Fassaden oft nach „Disney“ aussehen. Trotzdem, „wenn das Geld nicht da ist“, sagt er, „dann muss man über Kompromisse nachdenken, die vielleicht ein wenig faul sind, aber für 85 Prozent der Bevölkerung tragbar“.

Hans Kollhoff ist pessimistischer. Nur fünf Prozent der Bevölkerung, glaubt er, würden überhaupt einen Unterschied zwischen einem außen gedämmten Haus und einem im Originalzustand sehen. „Es gibt eine schleichende Abstumpfung gegenüber den sinnlichen Werten unserer Städte“, sagt er. Und doch habe er noch Hoffnung. Immerhin nehme die Sehnsucht nach alten Dingen wieder zu, Schlösser würden wieder aufgebaut. „Und man kann doch nicht seine Geschichte entsorgen, um CO2-frei zu leben.“

Text: F.A.Z.