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Massaker von Rechnitz
„Beispiel der Banalität des Bösen“
Von Andreas Platthaus

Kannte die Thyssen-Tochter Gräfin Batthyány persönlich: Lord George Weidenfeld
23. Oktober 2007 Über das Massaker an rund 180 Juden im burgenländischen Rechnitz hat der britische Publizist David Litchfield in der vergangenen Woche einen Artikel für die F.A.Z. verfasst (siehe auch: Rechnitz-Massaker: Die Gastgeberin der Hölle), der breiten Widerhall gefunden hat. Nicht das Faktum des Mordes war neu, denn dieser Massenmord ist durch Zeugenaussagen gut dokumentiert, auch wenn der Historiker Wolfgang Benz, der im Deutschlandfunk als einer der ersten Kritiker Litchfields auftrat, behauptete, noch nie etwas davon gehört zu haben.

Tatsächlich neu war für die meisten Experten dagegen Litchfields Vorwurf gegen Margit Gräfin Batthyány, geborene Thyssen-Bornemisza, auf ihrem Schloss in Rechnitz in der Nacht vom 24. auf den 25. März jenes Fest ausgerichtet zu haben, aus dessen Gästen sich die Mörder rekrutierten, die dann die Feier verließen, um „zum Spaß“ Juden zu erschießen. Später soll die Gräfin auch Fluchthilfe für mindestens einen der Beteiligten geleistet haben. Darauf hatten deutsche Behörden das österreichische Justizministerium schon 1963 hingewiesen.

Bis heute eine Mauer des Schweigens

Litchfield wurde bei der Arbeit an einer Heini-Thyssen-Biographie auf den Mord von Rechnitz aufmerksam, recherchierte dessen Umstände und reiste auch an den Ort des Geschehens. Dort sprach er mit einem Mann, der 1945 acht Jahre alt gewesen war und beim Schloss gewohnt hatte. Er berichtete Litchfield von mehreren früheren Erschießungen von Juden, an denen die Gräfin als freudige Zuschauerin teilgenommen habe. Die Familie Thyssen, das weiß Litchfield aus eigener Erfahrung, hat zu allen Vorwürfen an Margit Gräfin Batthyány bislang geschwiegen.

Der österreichische Filmemacher Eduard Erne unterstützt diese Einschätzung. In seiner Dokumentation „Totschweigen“ hatte er 1994 über die bislang vergebliche Suche nach dem Massengrab für die 180 Opfer von Rechnitz berichtet. Im Deutschlandradio Kultur meinte Erne nun, Litchfields Vorwürfe seien eher noch zurückhaltend formuliert. Es habe zwischen der Thyssen-Erbin und den nationalsozialistischen Behörden geradezu eine „Kollaboration“ gegeben. Für die Unterbringung der zur Zwangsarbeit eingesetzten Juden seien auf dem Schloss Stallungen zur Verfügung gestellt worden. Die Fluchthilfe der Gräfin für zwei Hauptverantwortliche des Mordens sei aktenkundig und durch Zeugen belegt. Der Familie Thyssen sei es später gelungen, „sich da fein rauszuhalten“. Auch in Rechnitz selbst stoße man bis heute auf eine „Schweigemauer“.

Konnte Litchfield alle Thyssen-Akten einsehen?

Zum Thema
Rechnitz-Massaker: Die Gastgeberin der Hölle
Der Thyssen-Archivar Manfred Rasch bestritt am vergangenen Mittwoch im Gespräch mit der F.A.Z., Litchfield bei dessen Recherchen Auskünfte oder Akten vorenthalten zu haben. Das widerholte er später gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“. Die von Rasch der F.A.Z. angekündigten Belege für diese Version sind noch nicht angekommen. Litchfield verweist im Gegenzug auf die Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Rasch, in denen das Ausmaß von dessen Verweigerung deutlich werde. Einige Akten seien vor seinem Archivbesuch entfernt worden.

Gegenüber der „Welt“ schließlich äußerte sich der Verleger Lord Weidenfeld über die Persönlichkeit der ihm bekannten Gräfin Batthyány: „Eine eher schweigsame Dame, mit der man sich belanglos unterhielt. Ein Beispiel der Banalität des Bösen.“

dradio.de

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KULTUR HEUTE
18.10.2007

Lauter "Geraune und Hörensagen"

Benz: Judenmassaker als Partyvergnügen ist eine Erfindung

Moderation: Christoph Schmitz

Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz hält die Behauptung des britischen Autors David Litchfield, das Judenmassaker im österreichischen Rechnitz im März 1945 habe während des Festes einer Thyssen-Tochter stattgefunden, für wissenschaftlich höchst fragwürdig. Der Autor lege für seine Behauptungen keinerlei Beweise vor, sagte Benz im Deutschlandfunk.

Christoph Schmitz: Das Massaker von Rechnitz in Österreich 1945 an 200 jüdischen Gefangenen ist bekannt. In der Nacht vom 24. auf den 25. März, am Vortag von Palmsonntag, die Rote Armee war nur wenige Kilometer entfernt, ermordeten NSDAP- und SS-Funktionäre halb verhungerte Zwangsarbeiter, die beim Bau des Süd-Ost-Walls eingesetzt worden waren. So gut wie unbekannt aber war bisher, dass die Ermordung möglicherweise ein Partyvergnügen war. In ihrem Rechnitzer Schloss gab Margit Batthyány am 24.03.1945 ein Fest für die Nazielite des Ortes. Margit Batthyány war die Tochter des Großindustriellen und Hitlerhelfers Heinrich Thyssen-Bornemisza. Um Mitternacht verteilte einer ihrer Gäste, der Ortsgruppenleiter Franz Podezin, an 15 andere Gäste Handfeuerwaffen. Die jüdischen Opfer waren bereits in eine nahegelegene Scheune herangekarrt worden. Sie mussten sich nackt ausziehen, wurden von den heiter gestimmten Betrunkenen geschlagen und erschossen. Nach der Tat feierte man fröhlich weiter bis in die Morgenstunden. Margit Batthyány wurde nie zur Verantwortung gezogen. Dem Anstifter zur Tat, Franz Podezin, hat sie sogar zur Flucht in die Schweiz verholfen. Podezin soll zuletzt in Pretoria gesehen worden sein. Das behauptet jedenfalls der Brite David Litchfield in einem Artikel, der heute in der FAZ zu lesen ist. Die FAZ wiederum hat den Text eins zu eins von der Londoner Zeitung "The Independent" vom 7. Oktober übernommen. Frage an den Antisemitismusforscher Wolfgang Benz in Berlin: Liefert der Brite David Litchfield fundiertes historisches Material, das die Mittäterschaft oder zumindest das Mitwissen der Thyssen-Tochter beweist?

Wolfgang Benz: David Litchfield beweist überhaupt nichts. Er beweist nur - und alles, was er vorbringt zu diesem fraglichen schaurigen Fall, ist Geraune und Hörensagen und Behauptung mit verschwörungstheoretischem Hintergrund.

Schmitz: Aber er insinuiert ja auch mehr die Mittäterschaft von Margit Batthyány, behauptet sie nicht direkt, wortwörtlich. Aber nun weiß man, dass Frau Batthyány eine stramme Gefolgsfrau der Nazis war. Unwahrscheinlich ist das Ganze ja nicht, zumal Litchfield auch einige Hinweise dafür hat, dass die Thyssen-Familie und andere daran interessiert waren, dass kein Bezug zwischen diesem Massaker und der Party im Schloss hergestellt werden sollte?

Benz: Das ist ja nun ganz klar. Diese Party und dieses Massaker, wenn es denn so stattgefunden hat, wie Litchfield behauptet, daran muss natürlich die Familie Thyssen das größte Interesse haben, dass sie damit nicht in Verbindung gebracht wurde. Aber ich bin sehr skeptisch angesichts der fehlenden Beweise, ob das überhaupt so stattgefunden hat.

Schmitz: Dieser Fall ist in den historischen Forschungen auch bisher noch nicht bekannt?

Benz: Dieser Fall ist nicht bekannt, und es gibt auch keine oder kaum vergleichbare Fälle, dass jetzt eine Partybelustigung von Prominenten dazu gedient hat, Judenmord zu begehen. Weiter stimmt mich skeptisch der sehr, sehr späte Zeitpunkt. Am 24. März 1945 hatten auch die ganz unentwegten Fanatiker eigentlich anderes im Sinn, nämlich ihre Haut zu retten.

Schmitz: Einen Tag später war die Rote Armee schon im Ort selbst.

Benz: Das ist nicht unbedingt ein Beweis gegen das Massaker, aber gegen diese Form des Massakers spricht schon sehr die Vermutung, dass es zu spät war.

Schmitz: David Litchfield ist keine Koryphäe in der zeitgeschichtlichen Forschung. Sein Buch "The Thyssen Art Macabre", wo auch diese Rechnitz-Hintergründe dargelegt werden, ist 2006 in England erschienen. Was wissen Sie über Litchfield?

Benz: Über Litchfield weiß man gar nichts. Er ist kein Historiker. Wenn man mithilfe des Internets recherchiert, dann bekommt man Angaben seines spanischen Verlages. Er sei ein Autor, Historiker, Dokumentarist, Editor von Quellen. Aber es ist kein einziges seiner Werke außer diesem angegeben. Wenn man dann noch Rezensionen ließt, Besprechungen dieses Buches, auf das sich jetzt auch der Artikel in der heutigen "Frankfurter Allgemeinen" bezieht, da gehen einem die Augen über. Diese Kritiken von seriösen Historikern sind so vernichtend. Und da bleibt nichts anderes übrig, als dass ein Sensationsjournalist, der einmal den Auftrag des alten Baron Thyssen hatte, eine Hagiografie zu schreiben, offensichtlich aus Enttäuschung und Rachsucht eine Geschichte zusammenkolportiert hat, die mehr oder weniger an den Haaren herbeigezogen, abscheulich schlecht geschrieben ist und allen Regeln der biografischen und sonstigen Darstellungskunst widerspricht.

Schmitz: Hat der Konzern Thyssen-Krupp, wie er heute heißt, da genug geleistet?

Benz: Krupp sicherlich, aber die Familie Thyssen steht da noch ganz erheblich in der Bringschuld. Familie Thyssen hat sich überhaupt nicht mit Ruhm bedeckt oder auch nur Reue gezeigt. Die Familie Thyssen hat sich ja offensichtlich das Entrée-Billet in die Gesellschaft der Anständigen wiederzuerkaufen versucht durch ihre Kunstsammlungen und durch eine große Ausstellung und Dauerleihgaben an Museen. Aber das kann es natürlich nicht sein. Das ist nicht Aufarbeitung belasteter Vergangenheit.

 



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