"Wir haben die Barrikade des Hasses durchbrochen"
VON VOLKER TARNOW13. Januar 2009, 01:32 Uhr
Statt im Nahen Osten traf sich Daniel Barenboims Orchester aus Israelis und Arabern in Berlin. Erst wurde geprobt, dann diskutiert

Ramzi Aburedwan hat als 14-Jähriger Steine gegen israelische Panzer geschleudert, heute spielt er Bratsche im West-Östlichen Diwan-Orchester. Für Daniel Barenboim ein Beweis, dass sein humanistisches Projekt schon Erfolge zeigt. Im Kleinen. Aber vieles Große hat klein angefangen. "Die Musik rettete sein Leben und seinen Geist", sagt Barenboim über Aburedwan. "Ramzi hat auch eine wunderbare Musikschule in Ramallah gegründet, er bringt Musik zu armen Leuten, in die Flüchtlingslager."

Doch wenn man aufhört, mit Steinen zu werfen, bricht im Nahen Osten noch lange nicht der ewige Friede aus. Das weiß Ramzi Aburedwan nur zu genau. Ihm liegt daran, den Kolleginnen und Kollegen im Orchester seine Sicht der Dinge zu erklären: "Palästina ist seit 60 Jahren okkupiert und wird seit drei Jahren belagert. Die Katastrophe ist nicht erst zwei Wochen alt."

Die jüngsten Vorkommnisse in Gaza haben dazu geführt, dass das West-Eastern Diva Orchestra, der ebenso bewunderte wie misstrauisch beäugte Botschafter friedlichen Zusammenlebens, seine Auftritte in Katar und Kairo absagen musste. Man spielte stattdessen am Montag in der Staatsoper Berlin. Beide Konzerte waren sofort ausverkauft. Die Vorkommnisse haben aber auch dazu geführt, dass die aus arabischen Staaten, aus Israel, Spanien und der Türkei stammenden Orchestermitglieder enger zusammenrücken. Es gibt eine neue Reife, stellt Mariam Said fest, die Witwe des palästinensischen Literaturwissenschaftlers Edward Said, der zusammen mit Barenboim dieses Projekt 1999 ins Leben rief. "Wir haben die Barrikade des Hasses durchbrochen", sagt sie.

Die Oboistin Meirav Kadichevski, in Argentinien geborenes Mitglied des Philharmonic Orchestra Israel, wird konkreter: "Während des Libanon-Konflikts 2006 hatten wir etliche Musiker, die nicht zum Workshop kommen konnten oder wollten. Diesmal sind es nur zwei."

Guy Braunstein, der in Tel Aviv geborene 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, leugnet nicht die Konflikte im "Divan". Aber so etwas erlebe jede Familie. Man müsse nur ein gemeinsames Verständnis darüber finden, welche Mittel akzeptabel und welche inakzeptabel seien. "Das Projekt hat unsere Herzen verwandelt", sagt er gelassen - auf Englisch klingt es nicht ganz so pathetisch.

Das Orchester ist vor zwei Tagen in Berlin zu den Proben zusammengekommen. Man hat erst gespielt und dann lange diskutiert. Natürlich gibt es nach wie vor erhebliche Differenzen in der Bewertung; "unser schrecklicher Konflikt ist immer präsent", so Barenboim. Doch je irrsinniger, unlösbarer sich die politische Szene entwickelt, desto intensiver und überzeugender präsentiert sich die Diwan-Idee - sie ist ohne Alternative.

Immer und immer wieder hat Daniel Barenboim in kleinem Kreis und in der Öffentlichkeit betont, die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern sei weder diplomatisch noch kriegerisch zu lösen. Gern zitiert er den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber mit dem Satz, es gehe darum, die Geschichte und Gegenwart des Anderen zu akzeptieren. Jetzt ist diese Idee endlich zum - einzigen - Glaubensartikel im Diwan-Orchester geworden.

Dies bestätigt auch Nabeel Abboud Ashkar, ein Palästinenser, der in Berlin studiert hat und zurzeit im israelischen Nazareth ein Konservatorium leitet. "Wir haben jetzt eine andere Situation als 2006. Jeder ist offener, bereit zu sehen, was auf der anderen Seite geschieht."

So geht das Diwan-Orchester ideell gestärkt aus der aktuellen Krise hervor. Und eine Idee von solcher Tiefe ist ohnehin nicht zu töten. Die Europäer wissen ein Loblied davon zu singen. Denn auch sie kannten Völkerhass, Glaubenskriege, Nationalkriege - und konnten doch nach über 2000 furchtbaren Jahren die Barrikaden des Hasses durchbrechen. "Ob ich es mit einem Franzosen oder Tschechen zu tun habe, ist heute für mich nur noch in einem Punkt relevant", spaßt Daniel Barenboim: "Biete ich ihm Wein an oder Bier?"

So ähnlich könne das auch im Nahen Osten funktionieren. Barenboim berichtet von einem jungen Musiker, den die Arbeit im Diwan-Orchester gelehrt habe, im Gegenüber zuerst immer den Menschen zu sehen, dann die Nationalität. Zu idealistisch gedacht das Ganze? Überhaupt nicht. Schließlich haben nicht nur Morde und Kriege den Weltlauf geprägt, sondern auch Ideen.

Zum Barenboim'schen Experiment gibt es Fragen, die niemand stellt?

wieviel von der einen, wieviel von der andren Seite, wie verteilt sich die Begabung.

was ist die momentane Situation der am Orchester Beteligten in den Heimatländern. Niemand aus den Familien unter Waffen, schiessen sie dort aufeinander, die hier Musik machen? wenn anders, ist Karriere oder anderes Wissen, denken, tun. Wie reden sie miteinander, Sprache, Leben. Soll man nicht fragen, aber wenn, die wichtigsten.