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10.03.2009 Schrift
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Reise zu den Feinden
Vertreibung und Unterjochung gehören seit je zur Gründung einer Nation: Der Konflikt zwischen Israel und Palästina spaltet die politische Welt seit Jahrzehnten. Über nationale Identität, staatliche Gewalt, Ausgrenzung und einen Dauerkrisenherd

VON KLAUS BITTERMANN
Eigentlich könnte alles ganz einfach sein. Man teilt das Land auf und gründet zwei Staaten. Aber obwohl diese Lösung sowohl von der israelischen Regierung als auch von den Palästinensern (außer natürlich von der Hamas) präferiert wird, kommt man auf dem Weg der gegenseitigen Anerkennung kaum voran.

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Nach Tom Segev liegt das Problem in der "nationalen Identität", die im Unterschied zu früher immer nachhaltiger mit dem Anspruch auf bestimmte Gebiete einhergeht: "Israelis wie Palästinenser definieren sich über das ,heilige Land' - und zwar das ganze. Jeder territoriale Kompromiss würde beide Seiten zwingen, einen Teil ihrer Identität aufzugeben."
Dieser Anspruch auf das Land wird dabei in der Regel historisch begründet. Wer war zuerst da? Welche Stammeswurzeln reichen weiter zurück? Dieses "Gerede vom historischen Rechtsanspruch" hat auch die Religionen befallen, bemerkt der irakische Schriftsteller Najem Wali in seinem aktuellen Buch "Reise in das Herz des Feindes. Ein Iraker in Israel" und fügt sarkastisch hinzu, dass sich im mythenreichen Palästina immer ein paar Steine und ein altes Gemäuer, irgendeine Urkunde oder sonst irgendein Hinweis finden lassen, die angeblich das "historische Recht einer Religion und ihren Anspruch auf diesen Ort" beweisen.
Diese Funde können noch so absurd und fadenscheinig sein, die Vorschriften der vielen unterschiedlichen Religionen noch so kurios, egal auch, wie lächerlich sie sich dadurch eigentlich machen, unter den Gläubigen wird der Glaube geschürt, dass man das auserwählte Volk mit einem historischen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes Land sei. Dieses nationalistische und religiöse Schürfen nach den Ursprüngen und dem Rechtsanspruch auf das Land, welches die nationale Identität begründet, ist der tief liegende Grund nicht nur für Tom Segev, sondern für eine ganze heranwachsende Generation in Israel, warum inzwischen niemand mehr an Frieden glaubt.
Nichts schweißt eine Gemeinschaft besser zusammen als ein Feindbild, und das Ganze funktioniert umso besser, je ähnlicher sich die beiden Parteien sind. Um diese Aporie aufzulösen, hilft es nicht, sich aus Sympathie für die Unterlegenen des Konflikts mit der palästinensischen Sache zu identifizieren, deren historische Ansprüche gutzuheißen und den Israelis imperialistische Gelüste zu unterstellen, wie das nicht nur ein Teil der Linken in Deutschland tut, sondern es weltweit immer wieder passiert.
Es ist unsinnig, den Israelis vorzuwerfen, sie hätten einen Staat gegründet auf einem Territorium, das bereits von anderen Menschen bewohnt wurde. Ein Volk, das quasi sein ursprüngliches Heimatland innerhalb bestimmter Grenzen durch eine überirdische Instanz zugesprochen bekam, gibt es höchstens in irgendwelchen religiösen Mythologien.
"Jedes Volk hat sich irgendwann in der Geschichte seinen Platz mit Gewalt genommen", schreibt Wolfgang Pohrt in der taz schon 1982, wo es ihm darum ging zu begründen, warum die Linke der Krieg zwischen Juden und Palästinenser eigentlich ratlos machen müsste, da beide Parteien einen exklusiven Besitzanspruch auf das gleiche Stückchen Land erheben, dieser Anspruch sich historisch aber nicht legitimieren lässt.
Vertreibung, Eroberung, Unterjochung gehört zur Gründung einer Nation seit jeher dazu. Die Inbesitznahme eines Landes ist kein natürlich legitimer Akt, und es ist Unrecht, Menschen zu vertreiben, nur weil sie einer falschen Nationalität angehören.
Aber dieses Unrecht ist nicht etwa eine "Verfälschung der Nationalstaatsidee", sondern ihr "Wesen". In Palästina standen sich zwei gleiche Rechte gegenüber. Zwischen gleichen Rechten entscheidet oftmals die Gewalt, und Israel hatte in diesem Konflikt die bessere Armee und somit die besseren Karten. Das ist kein Zynismus, sondern die den meisten Nationalstaatsgründungen inhärente Bedingung.
Inzwischen spricht alles dafür, dass Israel mehr als nur eine Episode in der jüngeren Geschichte ist, weshalb es klug wäre, wenn sich die Palästinenser langsam mit der Situation arrangieren würden. Unter arabischer Herrschaft ging es ihnen zum Teil noch schlechter, während es denjenigen Palästinensern, die die israelische Staatsbürgerschaft angenommen haben, vergleichsweise gut geht. Gefahr droht ihnen weniger von den Israelis, sondern von Organisationen wie der Hamas, für die palästinensische Abweichler als Verräter an der heiligen Sache gelten.
Wenn schon fast jede Staatenbildung auf einem Gewaltakt beruht, der die Vertreibung anderer Menschen voraussetzt, so kommt es doch eher darauf an, welche Souveränität der Sieger im Umgang mit Menschen anderer Nationalitäten in der Folge aufbringt. Die Palästinenser mussten bislang nicht den Beweis antreten, wie sie mit Minderheiten und Flüchtlingen umgehen würden, wären sie in der Position Israels, aber man muss keine allzu große Fantasie aufbringen, um davon auszugehen, dass die Hamas ihre Drohung, die Israelis ins Meer zu treiben, auch umsetzen würde. Allein wie sie sich ihrer Konkurrenz von der Fatah entledigte, spricht dafür, dass die Durchsetzung ihres religiösen und nationalen Alleinvertretungsanspruchs nicht unblutig vonstatten gehen würde.
Israel hingegen hat zwar viele Fehler begangen, zu denen Vertreibung, Schikane und Massaker gehören, aber eine Staatsgründung ist selten mit weniger zu haben, schon gar nicht unter den Umständen, wie sie 1948 gegeben waren, als eine übermächtige arabische Allianz womöglich das Werk der Nazis vollendet hätte.
Die Israelis hatten für die Konstituierung eines Staates zudem triftige Gründe, denn als sich in der Diaspora begreifende Nation waren sie im Laufe ihrer Geschichte immer wieder dem antisemitischen Vernichtungswahn ausgesetzt, der in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern fast erfolgreich gewesen wäre.
Sicher wäre es gegenüber den Palästinensern gerechter gewesen, wenn den Juden für die Gründung Israels beispielsweise Bayern zur Verfügung gestellt worden wäre, aber es nützt nichts, dieser verpassten Gelegenheit nachzutrauern. Die entscheidende Frage ist: Wie geht Israel mit seinen Minderheiten um? Sicher nicht zur Zufriedenheit der Minderheiten, aber besser als jeder andere Staat, der sich von Rebellen oder vielleicht auch nur von einer imaginären Gefahr bedroht sieht, mit der die Repression und Ausrottung ethnischer Minderheiten üblicherweise begründet wird, die in etlichen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens in viel gravierenderem Maßstab stattfinden als in Israel. Dennoch wird immer wieder Israel von den Vereinten Nationen in 25 Prozent aller Resolutionen verurteilt, als ob auf einem Gebiet in der Größe Hessens 25 Prozent des Unrechts auf der Welt stattfinden würde.
Würde dieser Unrechtsstaat jedoch verschwinden, würde es im Nahen Osten nicht friedlicher werden. Die Palästinenser würden dann vermutlich immer noch keinen eigenen Staat bekommen. Nur die arabischen Staaten hätten ein Problem: Sie müssten sich ein neues Feindbild suchen. Wären das dann die Palästinenser?

wer ist Klaus Bittermann