06. Mai 2008, 06:13 Uhr
PROPAGANDA AUS PEKING
China lügt die Geschichte Tibets um

Von Andreas Lorenz, Peking
Die Bauern darben, während der Dalai Lama im Luxus lebt: So deutet eine Ausstellung im Pekinger Nationalitätenpalast die Geschichte Tibets um. Zentrale Botschaft der Propaganda-Offensive gegen die "Dalai-Clique": Erst mit China kam die Zivilisation nach Tibet.

Peking - Die Organisatoren achten streng auf Sicherheit. Auf dem Vorplatz stehen Polizeiwagen und zahlreiche Beamte. Die Besucher müssen an der Kasse ihre Ausweise zeigen. Auch drinnen patrouillieren Uniformierte und Zivil-Polizisten, einige fotografieren die Menge.

AP
Dalai Lama: Fortwährende Attacken Pekings gegen den Führer der Exil-Tibeter

So schaffen die Behörden ein Klima der Bedrohung, das zur Propaganda dieser Tage passt. Nach den Unruhen in Tibet und seinen Nachbarregionen Mitte März attackiert die chinesische Regierung unermüdlich die sogenannte "Dalai-Clique" und setzt sie einer Terrororganisation gleich – vor der man sich nun schützen muss.
"Die Ausstellung zeigt die Rückständigkeit und Dunkelheit des alten Tibets", heißt es auf einer Tafel am Eingang. Und sie zeigt "die lange unzertrennliche Geschichte zwischen Tibet und seinem Vaterland", denn von Alters her sei Tibet "chinesisches Territorium" gewesen.

Die Besucher, meist ältere Menschen, ziehen stumm an den Exponaten vorbei. Zu sehen sind Stempel und Dokumente, Pfeil und Bogen, primitive Pflüge, aber auch Ketten, mit denen einst Sklaven gefesselt wurden. Schon in der Ming-Dynastie (1368 bis 1644) habe der Pekinger Kaiserhof tibetische Beamte ernannt, die Tibeter hätten ihm Tribute gezahlt, steht auf einer Schautafel geschrieben.

Die Qing-Dynastie (1644 bis 1911) "verstärkte noch die Verwaltung über Tibet und kontrollierte die Reinkarnation der Dalai Lamas, der Panchen Lamas und wichtiger lebender Buddhas".

Vor der "demokratischen Reform" durch die Kommunisten habe die Familie des 14. Dalai Lama ein "luxuriöses und ausschweifendes Leben" geführt – mit 27 Gutshöfen und 6000 Leibeigenen. Nachdem das religiöse Oberhaupt der Tibeter 1959 nach Indien flüchtete, wird er nicht mehr erwähnt.

Stattdessen zeigen die Ausstellungsstücke in einer zweiten Halle den Aufschwung auf dem Dach der Welt unter der Fürsorge Pekings. Nachdem über 200.000 Bauern und Nomaden 1960 ihre alten Schuldscheine verbrannten, die sie in Abhängigkeit von Adligen, Leibherren und Klöstern hielten, und nachdem sie von der Kommunistischen Partei eigene Landtitel erhielten, "brachen viele in Tränen des Glücks aus", heißt es unter einem Foto.

Und so geht es weiter: 1979 hätten die Bauern und Nomaden nur 175 Yuan im Jahr verdient, 2007 waren es bereits 2788. Damals hätten sie zu Fuß laufen müssen, heute gäbe es moderne Busse. Damals seien die Menschen verhungert, heute könnten sie "reichlich essen". Allein im Jahr 2007 investierte die Pekinger Regierung rund 77 Milliarden Yuan (gut sieben Milliarden Euro) in die Autonome Region Tibet.

Die Schau im Nationalitätenpalast passt in eine Propagandakampagne, mit der die Partei die Bösartigkeit des alten Regimes in Tibet belegen will: Kein Tag vergeht derzeit ohne ausführliche Beschreibungen in den Zeitungen und im Fernsehen über die Grausamkeiten der alten Klosterherrschaft und ihrer Mönche, die in Gegensatz zum segensreichen Wirken der KP heute gestellt wird.

Große Teile der Geschichte bleiben allerdings ausgeblendet. Dass die KP die Ländereien, die sie an die Tibeter verteilt hatte, ihnen bei den großen Zwangskollektivierungen bald wieder wegnahm, wird ebenso verschwiegen wie die Kulturrevolution mit ihren grausamen Kampagnen gegen Tempel und Mönche. Gleiches gilt für die zerstörten Klöster, die Verhaftungen und Aufstände.

Was der Dalai Lama von der Pekinger Regierung für die Tibeter fordert, worüber seine Abgesandten mit KP-Funktionären – wie zuletzt am Sonntag – in den vergangenen Jahren gesprochen haben, erfahren die Besucher nicht.

Die Darstellung des schwierigen Verhältnisses Pekings zu Tibet bleibt schwarz-weiß, wie die Filme aus den alten Zeiten auf der Ausstellung.