Google zum 85. von WJ.

Er hätte in solchen Fällen gesagt:

die Erynnien schlagen mit Wahnsinn

oder Gottes Mühlen mahlen langsam...

oder anlässlich des niemanden etwas getan: auch die Wehrmacht ging nur voran, den Weg bahnend für die Schützen ganzen anderer Taten,

oder schöner Stoff für beliebte Säuberungsgeschichten der grossen Lebenslügen-Aufgedecker in öffentlichen Ämtern und Positionen, wie man zum Chef-Aufklärer wird aller kritiker in Deutschland nach 45.

 


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Walter Jens
Vaters Vergessen
Von Tilman Jens

Der gro§e Rhetor verstummt: Walter Jens im Mai 2007
04. MŠrz 2008ÊEs ist in keinem medizinischen Lehrbuch verzeichnet und scheint doch die Krankheit einer ganzen Generation, jenes Altersleiden, das in letzter Zeit auch KŸnstler und Schriftsteller erfasst. Manchmal genŸgt eine einzige vergilbte Karteikarte, um die Symptome, nach Jahrzehnten der UnauffŠlligkeit, zum Ausbruch zu bringen. Gestandenen MŠnnern versagt das GedŠchtnis. Virtuosen des Wortes beginnen zu stammeln. Erfolgsverwšhnte Vorbilder, moralische Instanzen dieser Republik, verdiente RuhestŠndler im neunten Jahrzehnt erstarren in Panik - vor einem Karriereknick.
Diese verfluchten KŠsten in einem tristen Keller des Bundesarchivs, Berlin-Lichterfelde! Ohne die Wende wŠren sie wohl noch immer unter Verschluss, im Besitz der amerikanischen Alliierten, und hŠtten das Geheimnis der elf Millionen Karteikarten, mag sein: fŸr immer, begraben. Elf Millionen Zettel, die elf Millionen NSDAP-Mitgliedschaften verzeichnen. Elf Millionen braune Flecken. Gro§e und kleine, manche sind winzig. So winzig, dass man sie eilends verga§, die Parteieintritte derer, die noch halbe Kinder waren, als sie sich einreihten in die Bewegung.
Unvermutete Namen
Aber peinlich muss es doch gewesen sein, von der eigenen VerfŸhrbarkeit zu erzŠhlen, spŠter, als der Krieg zu Ende war. Also machten es die Jungen wie die Alten. Sie schwiegen. Die meisten sind lang schon schweigend gestorben. Niemand hat sie behelligt. Und wer noch lebt, der hat mit dem winzigen braunen Flecken seinen Frieden gemacht. Es wird schon keiner daran rŸhren. Aber dann, Mitte der neunziger Jahre, šffneten sich die knarzenden KarteikŠsten und offenbarten unvermutete Namen. Unsere Besten: Siegfried Lenz, Dieter Hildebrandt, Hermann LŸbbe, den Denker, den gŸtigen Erhard Eppler. Unterschiedliche Charaktere, die eines verbindet: Sie alle hŠtten es sich leisten kšnnen, freimŸtig und ohne Angst vor šffentlicher Schelte Ÿber ihre postpubertŠren Verwirrungen zu reden. Doch ach!

 

 

 

So viele der souverŠn Geglaubten haben Ÿber der spŠten EnthŸllung, die kaum den Namen verdient, die Fassung verloren, reklamierten ErinnerungslŸcken und redeten sich um Kopf und Kragen. Das vermaledeite Altersleiden, das eine bewegende Krankengeschichte minutišs dokumentiert. Der achtzigjŠhrige Verleger Alfred Neven DuMont hat 26 prominente Zeitgenossen der JahrgŠnge 1926/27 - sie waren also nicht einmal zwanzig, als das ãTausendjŠhrige ReichÒ unterging - dazu ermuntert, ihre persšnlichen Erinnerungen an die Nazi-Zeit aufzuschreiben, bevor es zu spŠt ist und sie, die letzten Zeugen, unter der Erde sind (ãJahrgang 1926/27. Erinnerungen an die Jahre unter dem HakenkreuzÒ. Hrsg. von Alfred Neven DuMont, DuMont Buchverlag). Er hat ihnen Mut gemacht, sich in einem noblen Vorwort gegen jede Aburteilung der Berichterstatter in eigener Sache verwahrt.
Zum Thema

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Es ist zum Heulen
Welch eine Chance. Doch wie enttŠuschend - und wie signifikant! - sind zumeist die Texte der Beteiligten. Dieter Hildebrandt - ein ErinnerungskŸnstler, er hat es in seiner RŸckschau ãWas bleibt mir Ÿbrig?Ò bewiesen - ergeht sich in launischen Kameradschaftsberichten aus dem schlesischen SchŸtzengraben. Der berlinernde Feldwebel hei§t Wei§derteufel, der Oberstleutnant Wei§ichnichtmehr. Das ist Programm. Das gro§e Vergessen. Der begnadete Spštter nimmt sich nicht in die Mangel. Er sagt nicht, wie das denn war mit der Partei. Er geht nicht einmal in die Offensive, sondern zieht eine Nummer ab, die weit, weit hinter seinen Mšglichkeiten bleibt. Es ist zum Heulen.
Und Siegfried Lenz? Der hat dem Herausgeber eine abgestandene, lang vor dem Fund der abgegriffenen Parteikarte publizierte ErzŠhlung geschickt. ãMit Goethe und Schiller im HerzenÒ habe er, gerade einmal achtzehn, Hitlers Marine gedient. Ein frŸher KulturkŠmpfer also, nach dem 20. Juli vollends gelŠutert, ãda mieteten sich Kafka und Ionesco in meinen Krieg einÒ. Keine Fragen. Keine BrŸche. Ein letztes Mal werden Nebelkerzen gezŸndet.
Vergessener Fontane
Ich denke an den alten Mann in TŸbingen, der nachts durchs eigene Haus irrt und sein Bett nicht mehr findet. Er hat die Orientierung verloren. Vor etwa vier Jahren fing es an. Erst kam die gro§e Traurigkeit. Dann hat er eines Morgens sein liebstes Bild im Wohnzimmer, das PortrŠt seines Hausheiligen, nicht mehr erkannt. BeschŠmt und verzweifelt hat er auf den Mann mit dem dicken Schnauzer geguckt, auf Liebermanns Fontane. ãWer war das noch mal?Ò Die Fragen hŠuften sich, und die lichten Momente wurden seltener. Vor einem Vierteljahr, an einem Abend, als ihm die Dunkelheit, die ihn umgibt, noch einmal fŸr Momente bewusst war, hat er gesagt: ãMir ist die Sprache gestorben.Ò
Der Mann mit den wei§grauen Haaren, Jahrgang 1923, ist nur wenig Šlter als die Zeugen, deren ErinnerungsstŸcke Neven DuMonts Band versammelt. Sein GedŠchtnis ist taub, die Sprache versiegt. Die Blicke sind hohl und verloren. Die Computertomographie zeigt im Hirn dŸstere Schatten. Warum fŠllt es so schwer, die Krankheit beim Namen zu nennen? Walter Jens, mein Vater, ist dement. Meine Mutter, mein Bruder und ich sind uns einig, wir wollen, wir werden sein Leid nicht verstecken.
Sich selber ein RŠtsel
Mit der Anamnese beginnen die Fragen. Im SpŠtherbst 2003 hat ihn sein phŠnomenales Erinnerungsvermšgen zum ersten Mal verlassen. Er sei sich selber ein RŠtsel geworden. Da geisterte die Karteikarte mit der Ordnungsnummer 9265911 durch die Medien, die seinen NSDAP-Eintritt im Sommer 1942 dokumentierte. Mein Vater war damals neunzehn Jahre. Warum hat er nie einen Ton gesagt? HŠtte er daheim am Mittagstisch nicht wenigstens von der unstrittigen Mitgliedschaft im nationalsozialistischen Studentenbund erzŠhlen kšnnen? Siehst du, auch ich. So kann es passieren.
Stattdessen die aufrechten Legenden, fast zwanghaft zelebriert. Wenn mein Vater - nachzulesen in Marcel Reich-Ranickis Anthologie ãMeine Schulzeit im Dritten ReichÒ - Ÿber den NS-Staat schrieb, dann gedachte er seines antifaschistischen Deutschlehrers Ernst Fritz, dann erinnerte er sich an seine jŸdischen MitschŸler Weinstein und Teitelbaum. Alles im grŸnen Bereich, alles politisch korrekt. Wie oft habe ich mit immer neuem Erstaunen die Geschichte gehšrt, wie mein wegen eines Asthmaleidens frontuntauglicher Vater Hamburger Prostituierte in die dršge Materie des Luftschutzes eingefŸhrt und diese, trotz Verdienstausfalls, fŸr das Anliegen begeistert habe. Da sei er zum Rhetor, zum listigen †berzeugungskŸnstler geworden.
Zum Abschied eine Vertršstung
Erst als er achtzig war, kamen die bitteren Fragen. Ein paar Wochen hat er sich wie ein ertappter SŸnder gewunden, hat nach AusflŸchten gesucht, die er, im Vollbesitz seiner KrŠfte, anderen gewiss um die Ohren geschlagen hŠtte: ja, er habe immer gesagt, er sei nicht in der Partei gewesen, aber das kšnne ein Irrtum sein, vielleicht habe er irgendwann einmal ãso einen Wisch unterschriebenÒ; mit gebotenem Abstand werde er sich vielleicht einmal erinnern - und Šu§ern. Aber bittschšn nicht jetzt. Zum Abschied eine Vertršstung (siehe: Walter Jens: Ich wu§te von nichts). Ein paar Mal ist er noch aufgetreten. Publikum, Kamera-Rotlicht taten gut, noch immer. Am Neujahrsabend 2005 hat er in Aachen seinen letzten gro§en Vortrag gehalten - Ÿber die Freude. Von Angst gequŠlt, hat er sich aufs Podium geschleppt. Wer dabei ist, sein GedŠchtnis zu zertrŸmmern, der kennt keine Freude mehr.
Das Parteimitglied Walter Jens hat, da bin ich mir sicher, keinem Menschen auf dieser Erde geschadet. Mein Vater hat den Beginn seiner spŠter hšchst aufrechten Biographie nur ein wenig retuschiert. Mag sein, das war feige. Er wollte nach oben. Also unter den Tisch mit der dŠmlichen Nazi-Geschichte. Er war doch ohnehin lŠngst auf der anderen Seite. Am Ende aber hat er sich in Grund und Boden geschŠmt - und ist, als der kleine Schwindel aufflog, an dieser Scham zerbrochen. Er hat gewusst, dass er, um der Redlichkeit wegen, hŠtte frŸher und aus eigenen StŸcken reden sollen. Als kein Tavor, keine Psychopharmaka mehr halfen, ist ihm sein Fontane fremd geworden.
Umzingelt von Helden
Es gibt gnŠdigere Wege, sich selbst zu vergessen. TŸnche tut's auch. In Neven Dumonts nicht zuletzt wegen der Auslassungen und Amnesien der BeitrŠger so aufschlussreichen Pathographie des Jahrgangs 26/27 werden die Facetten deutscher Schšnrednerei aufgeblŠttert. Sie waren doch, tief im Herzen, schon immer dagegen, kleine WiderstandskŠmpfer. Hans-Dietrich Genscher entsinnt sich der ãWut, in das HJ-Lager zu mŸssenÒ, und betont, er sei lieber zur Wehrmacht als zur Waffen-SS gegangen. Graf Lambsdorff hatte schon frŸh Spa§ an regimekritischen AbzŠhlreimen: ãSechs kleine Meckerlein, die sahen einen Pimpf. Der eine sagte LauselŸmmel, da waren's nur noch fŸnf.Ò Auch Hans-Jochen Vogel, die ehrliche Haut, legt Wert auf die Feststellung, dass ihn der Brand einer Synagoge bereits 1938 ãnachdenklich machteÒ. Wir sehen uns umzingelt von Helden.
Gab es in der Flakhelfer-Generation denn gar keine kleinen Nazis, die - fŸr Minuten zumindest - ans ãTausendjŠhrige ReichÒ glaubten? Wir mŸssen lange suchen. Immerhin, der Germanist Karl Otto Conrady hat im einundachtzigsten Lebensjahr das GlattbŸgeln satt, die SŠuberungsŸbungen der Seinen, anstatt endlich ans Gro§reinemachen zu gehen. Er ist gewillt, mit sich zu hadern: Warum nur habe ich stets gern von meinem Dasein als PimpfenfŸhrer geredet, meine Parteimitgliedschaft aber Ÿber Jahrzehnte verschwiegen? ãFragen bleiben, die das Leben des Einzelnen bis ins hohe Alter beschweren kšnnen.Ò
Die fatale Schweige-Krankheit
Der einprŠgsamste Text freilich stammt, nein: von keinem Schriftsteller, von keinem intellektuellen Dickbrettbohrer, sondern von einer Schauspielerin. Barbara RŸtting. Endlich eine Selbstauskunft ohne Politur. Jawohl, mit siebzehn war ich von Kopf bis Fu§ Nazisse und hŠtte ãalle Geschwister fŸr FŸhrer und Vaterland geopfertÒ. Als die Mutter einst sagte, dass sie sich das Ende des Krieges herbeiwŸnsche, da wŠre Barbara RŸtting nach eigenem Bekunden am liebsten zur Polizei gerannt - um Anzeige zu erstatten. Sie erzŠhlt, wie sie ihrem Vater - ãwar ein wunderbarer Lehrer, ist aber Nationalsozialist gewesenÒ - auf den Leim ging. Bis heute ist sie nicht fertig mit diesem Kapitel.
Auch GŸnter Grass, wie RŸtting Jahrgang 1927, hat von Alfred Neven DuMont Ÿbrigens eine Einladung bekommen, er mšge doch seine Geschichte, sein spŠtes Bekenntnis, als gro§es Kind der Waffen-SS gedient zu haben, noch einmal mit Abstand, ohne Werbetrommel fŸr ein neues Buch, kommentieren. Er hat nicht geantwortet. Auskunft verweigert! Die fatale Schweige-Krankheit, an der viele Kšpfe zerbrachen. Mein Vater wei§ heute nicht mehr, wer er ist.

Text: F.A.Z., 04.03.2008, Nr. 54 / Seite 37
Bildmaterial: AP, picture-alliance/ dpa, picture-alliance/ dpa/dpaweb

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Lesermeinungen zum BeitragÊ[1]
Er hat Jehova gesagt 04. MŠrz 2008, 11:27

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