Diedrich Diederichsen

Geburtsdatum und -ort
1957 Hamburg, Deutschland

Berufliche und wissenschaftliche Ausbildung
1975-1982 Studium der Hispanistik, Neuere deutsche Literatur, Linguistik, Philosophie an der Universität Hamburg. Voraussetzung zur „Promotion ohne Examen“ erworben. Promotion abgebrochen.

Position an der Merz Akademie
Seit 1998 Hauptamtlicher Professor
Seit 1992 Festangestellter Dozent
Co-Leader des Bereichs Theorie

Andere berufliche Aktivitäten
Autor, Kritiker, Kurator

Seit 2005 Mitglied des Beirates der Freunde der deutschen Kinemathek/Arsenal, Berlin | Seit 2005 Mitglied des Kunstbeirates des Landes Baden-Württemberg | Seit 2002 Mitglied des Beirates des ZMI – Zentrum für Medien und Interaktivität an der Justus Liebig Universität Giessen | 2002-2005 Mitglied der Jury der Bundeskulturstiftung | Seit 2000 Mitglied des „Klangrats“ des Fachs „Sound Studies“ an der UdK Berlin | Seit 1998 Mitglied des Beirates von "Texte zur Kunst" | 1988-2000 Mitherausgeber von Spex | 1985-1991 Berater, Texter bei KKG (später: Michael Schirner Werbeagentur) | 1985-1990 Verantwortlicher Redakteur bei Spex | 1984 Texter bei GGK | 1983 -1985 Regie der TV-Sendung "s-i-w", Kabelpilotprojekt Ludwigshafen | Seit 1981 freie journalistische und publizistische Tätigkeit in den Bereichen Kunst, Musik, Design, Theorie, Politik. Veröffentlichungen von Schallplatten, Videos, Übersetzungen und Künstlerbüchern | 1979-83 Redakteur der Zeitschrift "Sounds".

Regelmäßige Mitarbeit bei:
Seit 2000 Tagesspiegel, Berlin
Seit 2000 Theater heute, Berlin
Seit 1999 Die Zeit, Hamburg
Seit 1995 tageszeitung, Berlin
1994-1998 Die Beute, Frankfurt, Berlin, Amsterdam
Seit 1988 Art Forum, New York
Seit 1990 Texte zur Kunst, Köln
1986-1990 artscribe, London
1983-1994 Konkret, Hamburg
1982-1990 Der Spiegel, Hamburg

Andere Lehraktivitäten:
Seit 2006 Professur, Institut für Gegenwartskunst an der Akademie der Bildenden Künste, Wien | 2006 Distinguished Visiting Professor, Washington University in St. Louis, Department of Germanic Languages and Literatures | 2006 Writer in Residence, University of Florida, Department of Germanic and Slavic Studies | 2001 Lehrauftrag an der Universität Bremen (Kulturwissenschaften) | 2000/2001 Lehrauftrag an der Universität Wien (Musikwissenschaften) | 2000 Gastprofessur Justus-Liebig-Universität, Gießen (Angewandte Theaterwissenschaft) | 1997/98 Vertretungsprofessur an der Bauhaus-Universität, Weimar (Moden und öffentliche Erscheinungsbilder) | 1996/97 Vertretungsprofessur an der Hochschule für Gestaltung, Offenbach (Sprache/Ästhetik) | 1996 Vertretungsprofessur an der Akademie der Bildenden Künste, München | Seit 1993 Visiting Professor am Art Center - College of Design, Pasadena | 1991-1992 Gastdozent an der Städel Hochschule Frankfurt a.M.

Veröffentlichungen
Seit 1983 Zahlreiche Beiträge zu Anthologien, Readern, Katalogen | 2007 Critique electroacustique de la societe, Le Press du reel, Dijon | 2006 Golden Years – Materialien und Positionen zu queerer Subkultur zwischen 1959 und 1974, Camera Austria (Mitherausgeber) | 2005 Musikzimmer – Avantgarde und Alltag, Kiepenheuer & Witsch, Köln | 2005 Personas en loop, Interzona, Buenos Aires | 2002 Sexbeat (Neuausgabe mit neuem Vorwort), Kiepenheuer & Witsch, Köln | 2000 2000 Schallplatten, Hannibal Verlag, St.Andrä-Wörden | 1999 Der lange Weg nach Mitte - Der Sound und die Stadt, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1999 | 1998 Loving The Alien, ID-Verlag, Berlin, 1998 (Herausgeber) | 1996 Politische Korrekturen, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1996 | 1993 Das Madonna-Phänomen, KleinVerlag, Hamburg, 1993 (mit Dormagen, Penth & Wörner) | 1993 Yo! Hermeneutics - Schwarze Kulturkritik: Pop, Medien, Feminismus, Edition ID Archiv, Berlin und Amsterdam, 1993 (Herausgeber) | 1993 Freiheit macht arm 1990-1993, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1993 | 1989 Popocatepetl, Forum Stadtpark & Galeria Juana de Aizpuru, Graz und Madrid, 1989 | 1989 1500 Schallplatten, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1989 | 1987 Herr Dietrichsen, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1987 | 1986 Elektra - Schriften zur Kunst, Meterverlag, Hamburg 1986 | 1985 Sexbeat - 1972-heute, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1985 | 1983 Schocker - Stile und Moden der Subkultur, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1983 (mit Dick Hebdige und Olaf Dante Marx) | 1982 Staccato - Musik/Leben, Kübler Verlag, Heidelberg, 1982 (Herausgeber)

Ausstellungen/Events (Auswahl)
2002 Kraft der Negation. Dreitägige Veranstaltung in Köln, Theater der Welt (u.a. mit Zeitkratzer, Black Dice, Mutter, Verein mit Zukunft, Bernadette Corporation, Jeder Mensch ist ein Experte, Micha Brumlik, Chantal Mouffe, Stephen Prina, Ekkehard Ehlers, Pinky Rose, Markus Schmickler, Felix Klopotek, Angela Melitopulos, Mark Terkessidis, Brigitte Weingart, DeRijke/DeRooij, Bas Jan Ader, Stephan Geene/Judith Hopf u.v.a.), sowie in Berlin, Volksbühne (mit Zeitkratzer, Black Dice, René Pollesch, Astrid Meyerfeldt, Albrecht Wellmer, Holger Schulze, Mercedes Bunz u.v.a) | 2000 Bild Schirm Auge - Zur Kritik der Visuellen Kultur (Ausstellung mit Arbeiten von Studierenden der Merz Akademie) Bauhaus-Archiv, Berlin (Katalog) | 1999 Cross Gender/Cross Genre. Einwöchige Veranstaltung beim Steirischen Herbst mit u.a. Mike Kelley, Terre Thaemlitz, Douglas Crimp, einer Retrospektive der Filme von Jack Smith etc. (Co-kuratiert) (Katalogbuch) | 1997 Loving The Alien. Dreitägige Veranstaltung an der Volksbühne, Berlin mit u.a. Kodwo Eshun, Dietmar Dath, Paul Gilroy, Crooklyn Dub Cnsortium, Sun Ra Arkestra, Edward George u.v.a. (Buchveröffentlichung) | 1995 Superintellectuals (Ausstellung mit mit Arbeiten von Studierenden aus Pasadena aus dem Projekt "Does society exist?)", "Three Day Weekend" Galerie, Los Angeles | 1994 Zuzüglich (Ausstellung mit Arbeiten von Studierenden der Merz Akademie), Three Day Weekend Galerie, Los Angeles | 1993 Situationismus, HipHop, Avantgarden. (Mit Roberto Ohrt, Paschutan Buzari, Haraldur Jonasson und Steingrimur Eyfjord) Reykjavik, Island (Museum und Akademie) | Beitrag zu Zeitachsenmanipulationen, Museum für Gestaltung Zürich (Tape, Text: "Toaster und Selecter", (gemeinsam mit Studierenden der Merz Akademie) (Katalog)

Vorträge/Veranstaltungen (Auswahl seit 2003)
2006 „Veiling and Unveiling. The Culture of the Psychedelic", University of Florida, Gainesville. | „Sampling and Montage. German Aesthetic Theory After The Digital Divide", Washington University, Saint Louis. | „Jazz and Concept Art", San Francisco Art Instiute, San Francisco. | „Painting in Tongues", MOCA, Los Angeles. | „Leben im Loop", Reihe Vereinsdenker I.1., Hamburger Kunstverein Museum Ludwig, Köln. | Bob-Dylan-Konferenz, Podiums-Diskussion, Hessischer Rundfunk und Institut für Sozialforschung, Frankfurt a. M. | „Erfahrungen, Bewegungen, Multitude", Reihe Vereinsdenker I.2., Hamburger Kunstverein. | „Helden und Verwandlungen", Reihe Vereinsdenker I.3., Hamburger Kunstverein. | „Osiris und die Götter der Performance: Bob Dylan´s „Renaldo & Clara“, Reihe Vereinsdenker I. 4., Hamburger Kunstverein. | „Wasser gegen Objekthaftigkeit. Über Pop-Musik und ihre Ontologie“, Zentrum Paul Klee, Bern. | „Vorgeschichten. Gegenkultur, Avantgarde & Underground. USA in den 60ern", Reihe Vereinsdenker, II.1, Kunstverein Hamburg | „Okay, okay – Der moderne Tanz“, Einführung zu Christoph Dreher und Heiner Mühlenbrock, Kino Arsenal, Berlin. | „Aufräumen“, Beitrag zu Dictionary of War, Steirischer Herbst, Graz. „The Cockettes und Salvador Dalí”, Beitrag zur Vorstellung von Golden Years, Künstlerhaus Graz und in Köln, Museum Ludwig. | „United Nations Plaza“, Seminar, United Nations Plaza, Berlin | „Staring at Sound“, Sonic Focus Symposium, Brown University, Providence, Rhode Island. | „German HipHop. A Success Story”, Goethe House, Boston. | 2005 „Berlin Psychedelic Enlightment“, Neuroaesthetics Conference, M.E.C.H. Academy, Goldsmith College, London. | „Keine Sorge wegen der Regierung: Songtext/Stadttext”, Projekt Ersatzstadt, Volksbühne, Berlin. | „Der letzte Metro“, Podiumsdiskussion, Projekt Ersatzstadt, Volksbühne Berlin. | „Das ungerechte Erhabene“, Fassbinder Veranstaltung, Keiner ist gut, keiner ist böse, Volksbühne Berlin. | „Gegen den Anlass“, Händel-Festspiele, Electric Renaissance, Halle a. S. | „Revolver Live - Über Filmkritik“, Diskussion mit Manfred Hermes und Enno Patalas, Prater, Berlin. | „Neue Gedenkpolitik“, Podiumsgespräch mit Isolde Charim, Galerie Charim, Wien. | „Die Nackten und die Toten“, Keynote, Medienforum NRW, Cologne Conference, Köln. | „Metamorphosen: Poser, Götter- und Heldensagen“, MARTa, Herford. | „Ich bin ein Mensch, der… Der Genuss an der Selbstrezeption“, Tagung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik, Hannover. | „Jazz als Concept-Art“, Jazz-Institut Darmstadt. | „Liste und Intentsität, Pop-Literatur-Tagung, Sonderforschungsbereich Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste, Freie Universität Berlin. | „Die Zukunft der Kunst“, Tagung der Landesregierung Baden Württemberg im ZKM Hauptsache Kunst, Karlsruhe. | "Intensität und Neutralität. Über wilde Malerei, Punk und 80er-Jahre-Theorie“, Kunstmuseum Basel. | „Exotika als Genre der Pop-Musik“, Goethe Institut, München. | „Spiegelsounds in Goldenen Headphones“, Festvortrag, 15 Jahre Texte zur Kunst, Roter Salon, Berlin. | 2004 „Theater und neue Medien“, Eröffnungsvortrag zu Schnittstelle Theater, Symposion der Dramaturgischen Gesellschaft, Roter Salon Berlin. | „Massen und Monumente“, Vortrag im Rahmen des Projekt Migration, Kölner Kunstverein. | „Pop-Theorie an der Schnittstelle von Bild und Ton“, Hochschule für Gestaltung Leipzig. | „Endloser Diskurs. Gesprächsperformance mit Carl Hegemann“, Festival Theaterformen, Hannover. | „Stehende Heere, wandernde Arbeiter. Bilder von Massen und Migranten in Kino und Bildender Kunst des 20. Jahrhunderts“, Kunstraum Innsbruck. | „Wem gehört Pop? Die politischen Implikationen der Popkultur“, Podium mit Hermann Glaser, Ulrike Kreimeier und Daniel Bax, Kulturforum der Sozialdemokratie, Podewil, Berlin. | „Black Brand. Repräsentationen von Techno“, Podium mit Justin Hoffmann, Michael Bauthe, Markus Müller, Schrumpfende Städte, Volkspalast, Berlin. | „Die Technologie musikalischer Reisen“, Podium mit Kodwo Eshun und George Lewis, Black Atlantic Festival, Haus der Kulturen der Welt, Berlin. | „HipHop in Europa“, Podium mit Murat Güngör, Alain-Philippe Durand, Black Atlantic Festival, Haus der Kulturen der Welt, Berlin. | „Das glamouröse Erhabene“, Vortrag bei Doin Glamour Symposium, Zürich. | „Geologie der Einzelleistungen“, O.K. Centrum, Linz. | „Politik der Künste“, Podium mit A. Creischer, C. Hegemann, R. Jaeggi, C. Mencke, T. Tykwer, Kunstwerke Berlin. | „Das, was zu mir passt. Geschmacksurteil und Neoliberalismus“, Tagung Imaginationen des Kapitalismus, Brecht-Haus Berlin. | „Kunst als Unterbrechung der Entspannung“, Vorlesungsreihe Das Außen der Kunst, UdK Berlin. | „Flutschfinger und Hakenkreuz“, Heil dich doch selbst. Die Flick-Collection wird geschlossen, HAU 2, Berlin. | 2003 „Politik und elektronische Musik“, Podiumsdiskussion bei der Transmediale, Berlin. | „Geschmacksurteil und Paranoia“, Verein mit Zukunft, Literaturhaus, Köln. | „Die musizierende Horde“, Reihe Under Construction, Tat-Depot. Frankfurt a. M. | Diskussion mit Klaus Theweleit und Holger Schulze, Volksbühne, Berlin. | „Musik bei Rodney Graham“, K 21, Düsseldorf. | „Der Selbstdarsteller. Über das Frühwerk von Martin Kippenberger“, Museum für neue Kunst, Karlsruhe. | „Generation – Multitude – Leben“, Zatopek, Club Voltaire, Tübingen. | „Freie Improvisation und Lebensformen“, Hochschule für Musik, Stuttgart. | „Bezugspunkte von Bewegungen“, Club Hi, Stuttgart. | „Montage, Sampling, Morphing“, Hochschule für bildende Künste Hamburg. | „Loops und Aufbrüche“, Postplatz Dresden. | „Doonesbury. Serializing the political", Internationales Comic Festival/Symposion, Brotfabrik Berlin. | „Adorno y el Jazz“, Vortrag sowie Teilnahme an La jerga de lo banal. La industria cultural revisitada“ (Podiumsdiskussion) im Rahmen von Theodor W. Adorno y la promesa de felicidad del arte, Goethe-Institut, Buenos Aires. | „Neue Musik und Pop-Musik“, Beitrag zu einem Workshop von A. Wellmer und R. Sonderegger im Rahmen des SFB-Projektes Kunst und Kritik, Freie Universität Berlin. | „Klangidentitäten“, Vortrag an der Universität der Künste Berlin im Rahmen des Projektes Sound Studies. | „Diebstahl und Fälschung“, Tagung des Zentrum für Literaturforschung Berlin. | „Sounds“/“Horden“, Musikvortrag (mit E. Ehlers) in der Shedhalle, Zürich. | „Sample Culture“, Symposion, Tate Modern, London. | „Arbeit am Leben“, Symposion, Kunstverein Graz. | „Grenzen der Interaktivität“, ZMI, Justus Liebig Universität, Giessen. | „Total vergessen: die Solidarität“, bei Ex-Argentina: Pläne zum Verlassen der Übersicht“, Veranstaltung von Alice Creischer und Andreas Sieckmann, Hebbel am Ufer, Berlin. | „Die Werke, die keine Werke sind, sind auch Werke“, Beitrag zu einem Workshop von Ruth Sonderegger und Romane Pocai im Rahmen des SFB-Projekts Kunst und Kritik, Freie Universität Berlin. | „Sampling und Modernität“, Sound & Vision Symposion und Ausstellung von CENART und Labor Alameda, Mexico City. | „Techno und Copyright“, Goethe-Institut, Barcelona. | „Qualities and Qualifications“, in Burn & Consume Festival, DAF/Platonique, Barcelona.

 

DEUTSCHE TRILOGIE
D 1972-77
20.06.2008, 18:00, Text: Martin Büsser

Hans-Jürgen Syberberg schrieb Bücher über "Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege".


Jetzt liegt seine 13 Stunden lange Trilogie über Ludwig II., Karl May und Hitler vor. Für Martin Büsser zeigt sich darin Syberbergs infamer Ästhetizismus.

Diedrich Diederichsen ist kein Autor, der sich allzu leicht zu einer persönlich werdenden Polemik hinreißen lässt. In "Freiheit macht arm" platzte ihm dann aber doch der Kragen. Grund dafür war Hans-Jürgen Syberbergs 1990 beim Matthes&Seitz-Verlag erschienenes Buch "Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege", eines der vielleicht dreistesten Zeugnisse der Neuen Rechten. Darin behauptet und beklagt Syberberg, die Linken und Juden hätten nach dem Krieg alle kulturelle Macht an sich gerissen und so zu einem kulturellen Zerfall Deutschlands beigetragen. "Wer mit den Juden ging wie mit den Linken", so Syberberg, "machte Karriere und hatte es nicht unbedingt mit Liebe oder Verständnis oder gar Zuneigung zu tun."

Die alles beherrschende Kultur der Linken und Juden sei nämlich eine "Ästhetik des Kleinen, Schmutzigen, Kranken", dem man Werte wie Schönheit, Nation und Provinz entgegenhalten müsse. Diederichsen war entsetzt, dass "Witzfiguren wie dieser windige Wagnerianer" im Post-Wende-Deutschland wieder ernst genommen wurden. Aber wurde er das? Während Botho Strauß mit seinem Essay "Anschwellender Bocksgesang", in dem der Autor Verständnis für brandmordende Neonazis andeutete, für eine heftige öffentliche Debatte sorgte, ging Syberbergs wirres Geraune sang- und klanglos unter.


Immerhin wird der "windige Wagnerianer" inzwischen wieder so ernst genommen, dass seine geschlagene 13 Stunden lange "Deutsche Trilogie" über Ludwig II., Karl May und Hitler nun als DVD-Box vorliegt. Kino im herkömmlichen Sinne ist das nicht, sterbenslangweilig wird auf Theaterbühnen jenes tiefsinnige Gefasel an den Tag gelegt, das Adorno einmal "Jargon der Eigentlichkeit" nannte.


Aus dem Geist der Romantik und Gegenaufklärung heraus will Syberberg Hitler fassen und verheddert sich dabei: Nicht erst in seinem Buch von 1990 liest sich fast jeder Satz wie eine Adaption von Hitlers berüchtigter Rede zur "Großen Deutschen Kunstausstellung" von 1937, schon in seinen Filmen aus den 1970ern erliegt Syberberg seinem Objekt der Begierde. Die Opfer des Nationalsozialismus sind ihm ziemlich egal, vielmehr bedauert er, dass Hitler - laut Syberberg "ein genialisches Medium des Weltgeistes" - durch seine Taten jene Kulturtradition zunichte gemacht habe, der Syberbergs Filme nachtrauern. Dieser reine Ästhetizismus ist ebenso zynisch wie infam. Umso verwunderlicher, dass Syberberg mit seinem "Hitler"-Film in den USA prominente Fans wie Martin Scorsese und Susan Sontag fand. Dann doch lieber Trash und Camp statt solch einen verschwurbelten Schwanengesang.




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San Domingo

Ein verkannter Film von Hans-Jürgen Syberberg, der sich trotz seines Potenzials in keiner 68er-Retrospektive findet. Die eigenwillige Mischung aus Kleist-Adaption und Dokumentation über junge Außenseiter ist nun endlich auf DVD erhältlich.

In Deutschland blieb Hans-Jürgen Syberberg bis heute die Anerkennung verwehrt, die ihm für sein umfangreiches und vielseitiges Œuvre gebühren würde. Im Gegensatz zu Frankreich und den USA, wo besonders die aus Ludwig – Requiem eines jungfräulichen Königs (1972), Karl May (1974) und Hitler – Ein Film aus Deutschland (1977) bestehende „Deutsche Trilogie“ begeistert aufgenommen wurde, fühlte sich Syberberg in seiner Heimat stets missverstanden. Sein Misstrauen gegenüber der deutschen Kulturindustrie brachte ihn sogar dazu, die Veröffentlichung seines Gesamtwerks selbst in die Hand zu nehmen. Wo im DVD-Zeitalter Specials und Restaurierungen sonst längst selbstverständlich sind, geht es hier also darum, die Filme überhaupt erst verfügbar zu machen. Mit San Domingo (1970) ist nun ein bis heute selten aufgeführter und dadurch leider weitgehend unbekannter Film des Regisseurs erhältlich, der sowohl unschätzbares Zeitbild wie auch ungewöhnliches Beispiel des Neuen Deutschen Films ist.

Mit San Domingo offenbart sich bereits Syberbergs Interesse an deutscher Hochkultur und insbesondere an Heinrich von Kleist, dem er in den achtziger und neunziger Jahren noch zwei stilisierte Filmadaptionen mit Edith Clever widmete. Die tragische Liebesgeschichte aus Kleists Erzählung Die Verlobung in St. Domingo (1811) siedelt Syberberg jedoch nicht in einer künstlichen Bühnenwelt an, sondern im politisch aufgeheizten Klima des Jahres 1970. Michi (Michael König) flieht vor dem dekadenten Reichtum seiner Eltern in eine von Rockern, linken Studenten und anderen Freigeistern bevölkerte Kommune in der Münchner Vorstadt. Als die Rocker aus der Anwesenheit des neuen Gastes Profit schlagen und Lösegeld von seinen Eltern erpressen wollen, setzten sie Alice (Alice Ottawa) auf den etwas naiven jungen Mann an.

Die sich zwischen Michi und Alice entwickelnde Liebe bildet allerdings nur den roten Faden des Films. Dazwischen widmet sich San Domingo auf jene analytisch-dokumentarische und weitgehend undramatische Weise, wie man sie aus Syberbergs frühen Filmen kennt, dem Alltag seiner jungen Protagonisten. Der Film zeigt etwa, wie sich Alice als Fotomodell bewirbt und wegen ihrer dunklen Hautfarbe abgelehnt wird, wie Rocker und Studenten über die ständigen Schikanen der Polizei und eine geplante Revolte diskutieren und schließlich, wie jeglicher revolutionärer Geist während einer Drogenparty in Lethargie umschlägt. Auf der Tonspur rumpeln dazu die Improvisationen der legendären Krautrockband Amon Düül II als musikalische Entsprechung für Syberbergs ungewohnt freie filmische Form.

Abgesehen von Michael König und seinen Filmeltern stehen in San Domingo ausschließlich Laiendarsteller vor der Kamera, die sich mehr oder weniger selbst spielen. Dass der Film trotz seiner technischen Unzulänglichkeiten und rohen Form durchaus unterhaltsam ist, liegt vor allem an der Unbefangenheit und Natürlichkeit einiger Laien vor der Kamera. Neben der Wienerin Alice Ottawa als Heldin des Films beeindrucken besonders Rocker Hasi (Wolfgang Haas), der mit Lederweste und breitem Bayrisch den jungen Wilden gibt, sowie der auch heute noch als Schriftsteller und Haschpropagandist tätige Hans-Georg Behr, der mit seiner Idee für ein „deutsches Krüppelspiel“, dem Faible für ritualisierten Drogenkonsum und selbstgedichteten, grotesken Liedern für unvergleichlich absurde Momente sorgt.

In diesem undurchsichtigen Spannungsverhältnis aus Realem und Fiktivem ist nie so ganz klar, wo die Grenzen zwischen Dokumentation und Inszenierung liegen. Der vermeintliche Naturalismus einiger Szenen wird immer wieder durch artifizielle Augenblicke gebrochen. In stilisierten Zwischenspielen werden etwa Michis sich sorgende Eltern mit affektierter Gestik und vor der realitätsfernen Kulisse eines Schlosses als Überbleibsel einer vergangenen Ära inszeniert. Den absoluten Höhepunkt bei der Konfrontation zwischen verschiedenen Realitätsebenen erreicht der Film aber, wenn Michael König während einer Partyszene plötzlich aus seiner Rolle fällt, sich an die Kamera richtet und seinen Unmut über das mangelnde politische Bewusstsein seiner Figur äußert.
Wie in den meisten Filmen aus dieser Zeit wirkt die politische Gesinnung der Figuren aus heutiger Perspektive etwas naiv. Was San Domingo hinsichtlich seiner Entstehungszeit so bemerkenswert macht, ist die relativ neutrale Haltung Syberbergs gegenüber seinen Darstellern. Heute eckt der Regisseur zwar immer wieder mit rechtskonservativen Äußerungen in Feuilletons und eigenen Publikationen an, jedoch scheint die mangelnde Zugehörigkeit zur linken Szene damals Grund für seinen unverklärten Blick gewesen zu sein. Ohne seine Figuren vorzuführen, zeigt der Film schließlich eine Jugend, die völlig unfähig ist, sich für eine Revolution zu organisieren. Eine zwanzigminütige, ungeschnittene Szene in San Domingo zeigt, wie Mitglieder der Roten Zellen versuchen, mit den Rockern zu kooperieren, diesen jedoch mit ihren intellektuellen Phrasen nicht einmal annähernd ihren Standpunkt vermitteln können. Hier lässt sich auf geradezu schmerzhafte Weise beobachten, wie eine Revolution scheitert.

Kritik von Michael Kienzl

Fotos: © Syberberg Filmproduktion

Veröffentlicht am 04.06.2008

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San Domingo sowie sämtliche Filme von Hans Jürgen Syberberg sind über die Homepage des Regisseurs erhältlich. Einzeln kostet San Domingo 15 Euro zzgl. Versandkosten.

Weiterführender Link:

IMDB-Eintrag zum Film

>> Bildergalerie

Film-Angaben:
Titel: San Domingo (San Domingo)
Deutschland 1970
Laufzeit: 143 Minuten
Regie: Hans-Jürgen Syberberg
Basierend auf Die Verlobung in San Domingo von: Heinrich von Kleist
Produktion: Hans-Jürgen Syberberg
Darsteller: Michael König, Alice Ottawa, Wolfgang Haas, Hans-Georg Behr, Carla Aulaulu, Peter Moland
Kamera: Christian Blackwood
Musik: Amon Düül II
Schnitt: Ingrid Fisher
Kinostart: 10.11.1970

DVD-Angaben:
Titel: San Domingo
Vertrieb: Syberberg Filmproduktion
Bild: 1,33:1, 4:3
Sprache(n): Deutsch
Untertitel: keine
Altersfreigabe: keine Angabe
Spieldauer: 138 Minuten

Extras: keine

Verleih ab: k.A.
Verkauf ab: 20.02.2008

 

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Die erste Besprechung der Box mit Ludwig/Karl May/Hitler in Deutschland seit Ende Februar herausgekommen. Wo wir herkommen. Deutschland west. Als ich das Projekt N. bei der Kulturstiftung in ersten versuchen auf der Suche nach Hilfe und als Artefact mit sozialen Komponeneten vorstellen wollte, gab es in der Jury auch diesen Herrn D. Seitdem nie mehr. Dorthin. Gegen diesen übermächtigen Sumpf entstand alles von Ludwig bis Hitlerfilm und alle Monologe oder Parsifal. Das ist mehr als in früheren Zeiten Zensur, was sie Freiheit nennen. Die wahre Helder-Tat unserer Zeiten. Hölderlins Klage ist nichts dagegen.