FRANKFURTER RUNDSCHAU, 2.7.08
"Projekt Nossendorf"
Der Film nach dem Film
VON OLIVER REHLINGER


Ein karg eingerichtetes Esszimmer im frühen Morgenlicht, streng symmetrisch arrangiert - Blumen auf dem Tisch, Kerzenständer, eine Anrichte, vielleicht aus den 30er Jahren - oben in der Mitte ein Kronleuchter und an der weißen Wand ein Gemälde, das an Rubens erinnert. Durch dieses Zimmer sieht man eine Schwalbe fliegen. "Nachhause" steht in kleinen Lettern über dem Photo geschrieben.

Das Bild hat der Filmregisseur Hans Jürgen Syberberg im Mai dieses Jahres aufgenommen und auf seiner Internetseite veröffentlicht. Es zeigt das Speisezimmer jenes Hauses, in dem er vor 72 Jahren geboren wurde und heute wieder lebt. Zehntausende solcher Photos gibt es mittlerweile im Universum der Syberberg-Homepage, jeden Tag kommt eine neue Webseite dazu, weit über 3000 sind es bis heute, und alle haben letztlich ein Thema: Die Heimkehr nach Nossendorf.

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Nossendorf, das ist ein kleiner Flecken im äußersten Nordosten Deutschlands, rund vierzig Kilometer von Greifswald entfernt, fast mitten im Nirgendwo. Hier hatte der Vater ein kleines Landgut, nach 1945 fiel Junkerland in Bauernhand, Vater und Sohn zogen fort, das Gutshaus blieb zurück. Syberberg machte in München Karriere als Filmemacher und wurde in den 60er und 70er Jahren zu einem der eigenwilligsten und außergewöhnlichsten Protagonisten des Neuen Deutschen Films. 1975 drehte er ein vielstündiges Portrait über "Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried", zwei Jahre später sein siebenstündiges Opus Magnum "Hitler - ein Film aus Deutschland". Der Film ist der Versuch assoziativer Vergangenheitsaneignung mit den Mitteln der Montage, ein melancholisches Statement über das Scheitern des deutschen Idealismus, das weit über Hitler hinausreicht und das viele Kritiker verstörte. Sie argwöhnten einen mitleidigen Blick, eine kaum verbrämte Apotheose des Diktators, sahen Syberberg in einer unheilvollen Tradition von deutschem Irrationalismus gefangen.

Später kamen die Inszenierungen mehrstündiger Monologe mit Edith Clever auf dem Theater, und schließlich band Syberberg sein Gesamtwerk ein in immer neue Bild-Raum-Ton-Installationen für Kunst-Events in den Metropolen dieser Welt (wo er bekannter ist als in Deutschland) - Nossendorf als Subtext immer präsent.

Als die Mauer fiel, fuhr Syberberg zum ersten Mal wieder zurück in seinen Heimatort. Er fand das Haus bewohnt von mehreren Familien, wurde als Gast durch Zimmer geführt, in denen er seine Kindheit verbracht hatte. Zehn Jahre später kam er noch einmal wieder - diesmal war niemand mehr da: Das Innere des Hauses ramponiert, Fenster und Türen zugemauert, das Dach voller Löcher. Er beschloss zu retten, was zu retten ist, kaufte Geburtshaus und Grundstück zurück und nahm im Jahre 2003 den Wiederaufbau der Ruine in Angriff. Es begann das "Projekt Nossendorf", das bis heute andauert.

Warum macht einer das? Was wird hier gerettet? Syberberg selber hat einige Antworten gegeben. Er schreibt von der "Ernte des Lebens", die hier vielleicht eingebracht werden kann und die er den Freunden der Kindheit nahe bringen und an ihnen prüfen will ("wie es besteht"); er schreibt vom Andenken des Vaters; und er schreibt vom kulturellen Projekt, das Dorf Nossendorf mit den Mitteln des Internets in einen virtuellen Ort zu verwandeln, eine globale Domäne.

Wer Hans Jürgen Syberberg in Nossendorf besucht, findet von all dem etwas. Dennoch entsteht der Eindruck, dass hier mehr am Werk ist als nur Restauration. "Wiederherstellen kann man nichts", sagt der Hausherr, "man muss transformieren", und er zeigt auf eine Stelle im Garten hinter dem Haus, vielleicht zwanzig Meter entfernt: Dort hat er sich ein Balkengeviert gebaut, ein "Tempelchen" aus vier Holzsäulen, oben mit Querbalken verbunden, luftig und leicht wie die Gestalt gewordene Skizze einer Idee. Im Garten seiner Kindheit wäre solch ein "Folly" undenkbar gewesen, darauf weist er hin - so etwas gehörte nicht hierher! Jetzt steht das Tempelchen da und ändert die Bezüge der Lokalität. Es schafft eine Sichtachse zwischen der künstlichen Kanzel im Garten und dem alten Haus, fast wie die Installation einer Rückschau von einem neu gewonnenen Standpunkt aus. Ein "neues Zeichen der Fassung" nennt es Syberberg in der elliptischen Sprache seiner Webseite. Eine "Fassung" sicherlich auch seiner selbst.

Auch das Bild vom Schwalbenflug im Esszimmer mit dem Zusatz "nachhause" schafft eine Sichtachse zwischen zwei Welten. Aus dem Bild-Kontext der Webseite ergibt sich, dass das Photo aus der Perspektive einer Statue aufgenommen wurde, die dem Gemälde an der Wand genau gegenüber steht. Die Statue - eine Nachbildung der bekannten Marmor-Gruppe der Preußen-Prinzessinnen Luise und Friederike von Johann Gottfried Schadow - hat Syberberg in den 80er Jahren bei der Inszenierung seiner Kleist-Monologe eingesetzt, sie ist Reminiszenz seines Werks. Das Gemälde, auf das die steinernen Prinzessinnen blicken, ist dagegen eine Erinnerung der Kindheit - es hing auch damals an dieser Wand und hat sich den Augen des Kindes hier eingebrannt. So werden Kindheit und Werk miteinander in Beziehung gesetzt, das eine blickt auf das andere, aber in einer Gleichzeitigkeit, die dem historischen Kontinuum entrissen ist.

 

 


"...believed that it was his calling to succeed where the theatre had failed."

engl subt.version
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"...this P. remains one of the most extraordinary interpretations ever inspired by a work of Wagner's."

 

"...believed that it was his calling to succeed where the theatre had failed."
"...this P. remains one of the most extraordinary interpretations ever inspired by a work of Wagners's."

Wagner and the Art of the Theatre
Patrick Carnegy,
Yale Univ.Press 2oo6

BESETZUNG/SÄNGER
FILMDATEN



Es fällt schwer, hier nicht eine tiefe Nostalgie zu vermuten, ein Festhalten am Verlorenen, aber Syberberg wehrt das ab. Er zeigt mir sein früheres Kinderzimmer: Dort steht ein Bett, das er hat bauen lassen, groß genug für einen Erwachsenen, aber nach dem Vorbild eines nur streichholzschachtel-großen Modells seines Kinderbetts, das seinerzeit wiederum ein Requisit im Monolog "Die Nacht" mit Edith Clever war. Nicht das originale Kinderbett also diente als Vorbild, sondern dessen künstlerische Verwendung in einer Filminszenierung. Darauf legt Syberberg wert: Was er in Nossendorf versucht, sagt er, ist "etwas wieder real machen nach der Artifizialität eines Artefakts."

Sätze wie diese erinnern an die Gestalten seiner Filme, an die "Deutsche Trilogie" über Ludwig II., Karl May und Hitler. In deren Leben hatte etwas Imaginäres Raum gegriffen, das mit solcher Gewalt an die Grenzen einer als widerständig empfundenen Realität anrannte, dass es in der Grenzüberschreitung zur Katastrophe führte. Wenn die künstlichen Welten des Einzelnen keinen Ort in der realen Welt des Gesellschaftlichen finden, droht Kreativität in Destruktion umzuschlagen. Dass es an dieser Grenze dennoch einen prekär bewahrbaren Zustand von Identität geben könnte, dessen kulturelle und geistesgeschichtliche Voraussetzungen das Nachspüren lohnt - dies zu zeigen könnte Syberbergs Anliegen sein.

Vielleicht deshalb sucht er nach einem Ort für Künstliches, vielleicht deshalb nimmt er auch das Scheitern dieser Suche relativ unerschrocken auf.

Es ist in jedem Fall ein Spiel mit dem Feuer. Einige sehen Syberberg als Exponenten einer angstvoll rückwärts gewandten, nationalistischen Reaktion auf die Globalisierung, mit der Bezugsgröße "Preußen". Andere bringen ihn in die Nähe eines primitiven Blut-und-Boden-Ethos mit gefährlichem Nährpotential. Und viele verzeihen ihm seine Sprache nicht, die - geschrieben - tatsächlich "hehr" klingt, allzu privat und skizzenhaft, oft kryptisch, so als bekräftige hier jemand einen elitären Anspruch durch Ausschluss Anderer.

Im persönlichen Gespräch verblassen diese Verdächtigungen. Beim Gang durch sein Haus spricht Syberberg von den Jahrzehnten, in denen er Filme gemacht hat, als einer Zeit des Exils. Ist sein Werk also in einer Art gefühlter Verbannung entstanden? Der Drang nach "Repatriierung", nach Anbindung der Filme an einen Ort, an dem sie endlich ihren Platz haben können, liegt nahe. Auf einer der Tagebuchseiten im Web zeigt Syberberg sein Archiv, das noch in München lagert: Man sieht eine Menge alter Koffer mit Material - geradezu ein Sinnbild für die Existenz eines Heimatlosen, der darauf wartet, dies alles irgendwo endlich auspacken zu können. Die Filme selbst haben inzwischen nach Nossendorf zurückgefunden: Auf DVD gebrannt stehen sie gesammelt in einer Vitrine - in Syberbergs Geburtszimmer.

Es stellt sich der Verdacht ein, hier könnte jemand doch einen Beweis antreten wollen: Dass es trotz aller Widerstände möglich ist, einen Platz für das Imaginäre in der Realität zu finden, das schön Gewollte stattfinden zu lassen. Dafür spricht Syberbergs geradezu handwerklicher Einsatz in Nossendorf: Er arbeitet für die Restaurierung des Kirchturms, den Erhalt des Baumbestands, kümmert sich um Bewässerung, manchmal gegen, manchmal zusammen mit Nachbarn und Dorfjugend. Er bemüht sich, das Gemeinwesen wieder stimmig zu machen, geleitet von den Bildern der Zeit vor seinem Exil. Was er in der Erinnerungsarbeit seiner Filme über die Zeit gerettet hat, soll hier wieder anwachsen. Dennoch bleibt Nossendorf ein poetischer Ort, seine Realität fraglich: "Ob dies N. je entsteht", hatte er zu Beginn seines Projekts geschrieben, "noch einmal, zurückgeholt wird, real, ist zum Gelingen seiner Virtualitätsmöglichkeiten egal."

Das Medium dieser "virtuellen, artifiziellen Möglichkeiten" ist das Internet geworden - ortlos, aber mit einem unüberschaubaren, kaum zu identifizierenden, potentiell emphatischen Publikum. Mehrere tausend Besucher klicken sich jeden Tag auf der Syberberg-Homepage ein, rund 5 Millionen sind es bis heute. Diese Menschen haben offenbar ein Interesse daran, den Aufbau einer Realität aus der Vorstellungskraft heraus dokumentiert zu sehen. Zugleich aber bekommen sie zu sehen, wie der Prozess selbst fragwürdig gemacht wird.

Sicher, die Bilder, Texte und Töne, die Syberberg seit Beginn des "Projekts Nossendorf" vor acht Jahren tagtäglich auf seiner Webseite zu einem Geflecht der Zeichen und Bezüge montiert - diese "Dokumentarteilchen" überlagern und kommentieren sich gegenseitig auf ähnliche Weise wie früher in seinen Filmen und Theaterprojekten. Und sicher, man kann auch dieses Internet-Universum als fortlaufenden Film lesen - mehrschichtig, assoziativ; mit Rückblenden, Zwischentiteln und Bildsprüngen über die Zeit hinweg. Dennoch unterscheidet sich das neue vom alten Medium in einem entscheidenden Punkt: Hier ist kein Abschluss in Sicht, hier wird kein "Wer" vollendet. Dieser "Film" läuft einfach, immer weiter fort. Es ist ein Film ohne Ende.

frisch für Bayreuth 2008
und Amazon USA
wo noch immer unrechtmässige Angebote nicht-authorisierter Fassungen mit tausenden Gewinnen auf dem Markt sich drängen.