Lieber....
das kalte und mit Schneeregen durchsetzte Osterfest war geradezu prädestiniert
für die Kunsthalle. Auf dem Weg durch das Museumsquartier ... Die Kunsthalle
selbst empfing uns dann mit bekannten Bildern, so wie von Ihnen im Internet
eingespielt. Allerdings vermag die wirklich erlebte Atmosphäre ein viel
bedeutenderes Erleben auszulösen - das künstlerische Klima kann ein
PC nicht vermitteln. Im Eingangsbereich waren gute Bildschirmhinweise auf alle
Tagesveranstaltungen nachzuvollziehen (Sonntags 15.00 Uhr kostenlose Einführung
in Ihr Werk, Filme und Installation selbst). Die große Clever-Syberberg-Nacht-Leinwand
ist raumbeherrschend in der Halle und hat unendlich viel Kraft. Leise Kraft. Über
einen so langen Zeitraum habe ich Edith Clevers Stimme noch nicht wahrgenommen
und ..... das Hören macht süchtig. Wenn sie unter diesem von oben
gesetzten Lichtkegel steht, ist es, als ob sie unter der Erde, fast in einer
Höhle oder einem dunklem Raum wandelnd, ihre Zitate und Botschaften sendet.
In die Ferne, zu dem, der es hören will. Ihr den Raum füllendes schönes
Gesicht ist ohnegleichen. Nicht eine Sekunde langweilend, trotz sparsamster,
aber sehr bewußt gesetzter Gesten, Blicke und Handlungen. Isoldes Liebestod,
von ihr gesungen mit konzertanter Aufführung, hat mich irritiert. Das
kenne ich in anderen Dimensionen. Hingegen ihre Kinderlieder und Schlafgesänge
waren wunderbar und so treffend kontrapunktisch.
Edith Clever oder die platzierte Leinwand an dieser Stelle oder die Nacht inmitten
der Kunsthalle hatten für mich aber auch noch einen anderen Stellenwert.
Auf den Emporen recht und links hatten Sie Schwerpunkte zu Oskar Werner und
Einar Schleef eingerichtet. Beide sind für mich irritierende, schwer erschließbare
Künstler; Einar Schleef wohl der schwierigste. Würde ich also aus
großer Distanz die Kunsthalle sehen, käme mir die Gewichtung der
Aussagen so vor, als ob die Nacht inmitten des Raumes ausgleichend, ruhig und
verbindend zu den flankierenden Schleef- und Werner-Seiten wirkt. Edith Clever
empfand ich wie eine Balance zwischen diesen beiden Seiten, sie hält die
Zerrissenheit in der Schwebe. Die Nacht als Regulator aller Unruhe und Aufgewühltheit.
Die Nacht als Blick auf ein ruhiges Meer, das Alles birgt.
Die Auswahl der vielen Texte, die sie sprach (ganz so wie auch Ihr Hitler-Film
angefüllt ist mit unzähligen mannigfachen Anspielungen der Zeit)
habe ich so verstanden, daß es für Sie die größtmögliche
Aussage all dessen bringt, was überhaupt gesagt werden kann. Die Zusammenführung
in der Nacht ist ein mögliches Exposeé aller Worte schlechthin. "So
ist es" habe ich einen Dirigenten nach einer Bruckner-Sinfonie sagen hören.
In dem Sinn verstehe ich die Zusammenführung und Auswahl Ihrer ausgewählten
Texte. Bach (u.a.) als Hintergrundmusik spricht für sich.
Die Raumkonzeption fand ich also äußerst gelungen....
Die Möglichkeit, vor Ort ins Internet auf Ihre Seite zu gehen, haben leider
nicht viele Besucher in Anspruch genommen. Überhaupt, selten wurde ein
Kopfhörer aufgesetzt (wenigstens nicht für lange Zeit); die Ausstellung
selbst war gut besucht und die meisten Menschen blieben vor der großen
Nacht-Leinwand stehen. Es ist einfach das Expressive, was wirkt. Die versteckten
Dinge, die man sich erschließen muß, haben es immer schwerer.
Für mich persönlich war(en) Ihre "heimliche(n) Aufnahme(n)" der
Schleef-Aufführung das Bedeutendste. Ich bemerkte, wie ich nicht mehr
sitzen konnte und mit dem schnurlosen Kopfhörer vor der Leinwand auf und
ab ging, genauso, wie mich der von Schleef gesprochenen Nietzsche-Text auftrieb.
Das war eine Sternstunde für mich an diesem Ostersonntag.
Ich habe viele Fotos angefertigt, die ich Ihnen hoffentlich am Wochenende zusenden
kann. Sind Sie dann noch in München oder soll ich sie nach Nossendorf
schicken?
Soweit ein erstes Reflektieren mit den herzlichsten Grüßen von Ihrer
Anne Gaidies und Peter Müller-Heymer.