BIZ
Schafe statt Fernsehen
Wie der Medienmann Dieter Moor zum Bio-Bauern in Brandenburg wurde
Von Susanne Frömel
Der kurze Regen ist vorüber, der Boden naß und schwer. Der Hürlimann-Traktor
schiebt sich stotternd durch den Schlick, ächzt dabei wie ein alter Gaul.
Braune Spritzer sammeln sich auf dem kirschroten Lack. Zwischen den Wolkenbergen
blitzen Streifen von Blau, Sonne wäre jetzt gut. Dieter Moor schiebt den
Hut in den Nacken, Typ Indiana Jones, altes speckiges Leder, das vom Motor
des Traktors vibriert. Zusammengekniffene Augen suchen ungeduldig den Himmel
ab. Die Erde auf den Feldern ist sandig und arm, sie braucht alles, was sie
kriegen kann, Licht, Wasser, Luft. Vor allem Licht. Die Felder sind immer noch
bräunlich. Normalerweise steht um diese Zeit das Gras knöchelhoch,
der Sommer kommt fünf, sechs Wochen zu spät. Die Schafe nagen an
blassen, trockenen Halmen.
Dieter Moor lenkt den Hürlimann durch den Morast, als hätte er nie
etwas anderes gemacht. Sein kantiges, eindringliches Gesicht ist dunkel von
der Arbeit an der frischen Luft, die Haare grau und struppig wie eine Stahlbürste.
Er trägt eine ausgebeulte Lederhose und ein buntes Holzfällerhemd.
Um den Hals hat er sich ein rotes Tuch gebunden. Die Finger spielen an einer
Zigarette, ein urbaner Cowboy, auf dem Weg, ein richtiger zu werden. Die Landschaft
ist surrealistisch hier draußen, wie aus einem Lynch-Film. Ein paar hundert
Meter hinter der Schafweide beginnt die Landebahn eines ehemaligen Militärflughafens,
Hunderte von Betonplatten mitten im Grün, daneben stehen ein paar Hangars,
die zur Tarnung mit Gras überwuchert sind. Früher hat die russische
Armee dort ihre MIGs abgestellt, heute lagert Dieter Moor hier sein Stroh. "Schwerter
zu Pflugscharen", sagt er, "genauer kann man es nicht nehmen." Die
Schafe blöken ungeduldig, hoffen auf mehr Hafer, aber der Bauer Moor richtet
nur die Umzäunung ein wenig aus und rammt die Metallstangen tiefer in
den Boden. Die Lämmerzeit ist vorbei, 26 Stück sind da, und anders
als im letzten, im ersten Winter, gab es bisher keine Verluste. Damals war überraschend
eine Kältewelle hereingebrochen. Minus 17 Grad waren es plötzlich
in der Nacht, die Kälte hat ihn zwei Lämmer gekostet, alle Wiederbelebungsversuche
waren umsonst. Dieses Jahr läuft es besser, Routine, wenn man so will.
Das jüngste Lamm steht bebend neben seiner Mutter, ein schwarzweißes
Tier, winzig wie ein Kätzchen.
Er ist jetzt 48 Jahre alt. Er ist als Moderator bekannt geworden, durch die
Sendung "Ex - Was die Nation erregte" etwa oder durch das Medienmagazin "Canale
Grande", in dem er die Zuschauer stets mit den Worten "Liebe Zielgruppe" begrüßte.
Vor einiger Zeit ist der Schweizer Moor dann nach Deutschland umgezogen, um
im Nebenberuf Bio-Bauer zu werden. Der Schritt paßt in seine Biographie.
Das Bedürfnis, jedem zu gefallen, war nie so stark wie das Bedürfnis,
sich selbst zu gefallen. "Ich bin jemand, der vor allem Dinge tun möchte,
die ich vor mir selbst rechtfertigen kann", sagt er von sich. Er sei nie
ein eitler Mensch gewesen, zumindest, so weit man uneitel sein kann, wenn man
den Wunsch hat, Schauspieler zu sein, eine Person der Öffentlichkeit.
Auch die Entscheidung, von Wetzikon in der Nähe Zürichs nach Hirschfelde
in der Nähe Berlins zu ziehen, ist auf den ersten Blick schwer zu begreifen.
Der Haberacher, jener Hof bei Zürich, auf dem er mit seiner Frau Sonja,
zwei Hunden, zwei Enten, vier Eseln, einem Pferd und einer Handvoll Katzen
gelebt hat, war ein liebliches Gehöft inmitten sanfter Hügel und
Wälder voll saftigem Grün. Es war ein schicker Hof, wie er für
Städter geeignet ist, die Landwirtschaft Light haben wollen, ein bißchen
Mist, aber bloß nicht zuviel.
Der Hof Hirschfelde, wo er jetzt lebt, ist rustikaler. Grobes Gestein in den
Mauern, die Rückwand der Scheune zerbrochen und ausgebleicht, alles ist
im Werden. Der Hof liegt in Brandenburg, jenem deutschen Bundesland, in dem
so ziemlich jeder deutsche Politiker "die Lichter ausgehen" sieht,
eine von der Landflucht gebeutelte Region. Vorher beinahe städtisches
Umfeld, jetzt tiefste Provinz. Vielleicht kann man es auch so sehen: der Haberacher
paßte zum Medienmenschen Moor, gehobener Standard, und bei aller Abgelegenheit
eine Satellitenschüssel auf dem Dach. Und der Hof Hirschfelde paßt
zu Moor, wie er sich privat sieht. Unluxuriös. Bodenständig. "Diese
Dumpfheit in der Region, die ihr von so vielen nachgesagt wurde, spüre
ich immer noch nicht", sagt Moor. "Im Gegenteil. Ich spüre den
Willen, die Dinge zu verändern, neu anzupacken. In der Schweiz habe ich
immer das Gefühl gehabt, das alles schon fertig ist. Hier können
wir noch etwas mitgestalten."
Etwas Irritation bleibt. Nicht viele kehren der Medienwelt den Rücken,
um Bio-Bauer zu werden. "Ich habe plötzlich ein so starkes Bedürfnis
gehabt, Einfluß auf das zu nehmen, was wir in uns hineinstopfen",
sagt Dieter Moor. "Ich wollte immer schon Landwirtschaft machen. Und ich
wollte nicht bis ins hohe Alter von der Medienwelt abhängig sein. Es ist
mir klar, daß das hier ein sehr langfristiges Projekt ist. Gleichzeitig
ist es auch sehr nachhaltig. Und die Medienprojekte ruhen ja nicht. Ich habe
eine feste Nebenrolle in der Serie "Alles außer Sex". Im Radiosender "100,6" werde
ich ab Sommer wieder mit Anrufern über Gott und die Welt und die Sensationen
des Alltags talken. Und für die "Umschau" vom MDR bin ich bald
unterwegs als "der Mann vor Ort". Ich sehe das ganz pragmatisch:
Jeder Euro, den ich verdiene, fließt hier in die Landwirtschaft."
Er möchte etwas verändern, das war immer sein Antrieb. Hier, in Hirschfelde,
hat er beschlossen, die Begriffe "Bio und "Öko" so nachhaltig
zu verändern, daß der Geruch nach Sandalen und Batik-Leibchen abfällt
und etwas entsteht, daß von den Menschen als natürliches Ideal wahrgenommen
wird. "Wir traditionellen Bauern müssen aggressiver werden in unserer
Politik. Die Leute wachrütteln. Die wahre Umweltkatastrophe findet nämlich
nicht auf den Autobahnen oder in der Industrie statt, sondern auf den Landstücken
der Industrie-Bauern mit ihren Giften."
Er kann sich gut in Rage reden. Steht auf, holt ein paar Hefte, knallt sie
auf den Tisch der Wohnküche. Die "Bauernzeitung". Er schlägt
ein paar Seiten auf, blättert weiter. "Da drin herrscht Krieg",
sagt er, "ich empfehle jedem Konsumenten, sich die Anzeigen mal anzuschauen." Sein
Finger fährt auf und ab, verharrt, klopft auf das Papier. Auf einer der
Anzeigen prügelt sich eine Faust durch ein Getreidefeld. "Durchbruch
an der Pilzfront!", steht dort. "Qualität und Ertrag sichern." Dieter
Moor knüllt das Papier. "Zynisch", nennt er die Anzeigen. "Sie
nennen es Pflanzenschutzmittel, in Wahrheit ist es aber Pflanzenvernichtungsmittel.
Die industriellen Bauern sind alle abhängig von der Chemie. Mit genügend
Kunstdünger kann man auch auf Altpapier Gemüse anbauen. Viel mehr
wert ist der Boden auch nicht." Wenn er so redet, ist der Moderator und
Schauspieler plötzlich fort. Es gibt dann nur noch den Bio-Bauern.
Aber so ist es natürlich nicht. Dieter Moor ist mit den Medien verwachsen
und er ist bereit, seinen Einfluß für seine Zwecke zu nutzen. Er
hat eine große Fangemeinde. Vielleicht, weil man spürt, daß er
kein großmäuliger Trottel ist, sondern jemand, der meint, was er
sagt. Auch wenn es nicht immer das ist, was die Leute hören wollen. So
ist er zum Außenseiter geworden. "Ich bin aber nicht deshalb zum
Außenseiter geworden, weil mir die Rolle so wahnsinnig gut gefällt",
hat er einmal gesagt. "Es ist einfach so passiert."
Die Schafe sind nervös. Dieter Moor läuft auf den Hof hinaus, um
mit dem Hürlimann neues Stroh zu bringen. Seine Frau Sonja, die als Filmproduzentin
gearbeitet hat und inzwischen die Landwirtschaftsschule besucht, mistet das
Gehege aus. Die Arbeitsteilung klappt ohne große Diskussionen. "Sie
schafft den Spagat besser als ich", sagt Dieter Moor. "Erst die Lämmchen
bei Nacht hegen und sie dann zum Schlachter fahren, daran muß ich mich
noch gewöhnen." Das "Hirschfelder Premium Lamm" ist köstlich,
heißt es, sein Fleisch unvergleichlich zart, mit einer sanften Note von
Kräutern. Sein Hof hat den "Demeter"-Standard erreicht, es ist
das strengste Richtmaß der biologischen Landwirtschaft. Das war ihm wichtig. "Man
muß als Landwirt einen Kreislauf anstreben, in dem Natur und Mensch Hand
in Hand arbeiten. Geben und Nehmen, im ständigen Wechsel. Ich könnte
nicht Lämmer züchten, wenn ich nicht wüßte, daß wir
ihnen vorher das bestmögliche Leben ermöglicht haben."
Ä
hnlich sehe er auch seine mediale Arbeit, sagt er. Man müsse dem Zuschauer
etwas geben, sonst verfehle das Fernsehen seine Funktion und diene nur noch
als Beschallungsinstrument. "Ein Horror" sei, was momentan im Fernsehen
liefe, "nur noch Telenovelas und Gerichtsshows, da kann man nur dumm werden." Der
Landmann Moor hat den Medienmann Moor dahingehend erzogen, daß der das
Fernsehen nicht vermißt. Und statt dessen lieber die Schafgehege säubert "Die
Befriedigung ist so groß", sagt er. "Das hatte ich nicht erwartet."
Es ist jetzt Abend. Die Wolken am Himmel haben sich an den Horizont zurückgezogen
und Platz gemacht für lilafarbene Dämmerung. Morgen wird die Sonne
scheinen, dann beginnt das Gras endlich zu wachsen. Die Hunde bellen aufgeregt.
Irgend etwas ist bei den Schafen los. Dieter Moor springt auf den Traktor und
wirft den Motor an. Er fährt los, an der Scheune vorbei, seitlich am Acker
entlang, wo die Esel stehen. Man sieht noch sein kantiges Gesicht, sein eckiges
Kinn, für das er berühmt ist. Dann hat ihn das Land verschluckt.
Aus der Berliner Morgenpost vom 4. Juni 2006
21. Januar 2008, 09:55 Uhr
KLIMASTUDIE
Ostsee-Region erwärmt sich schneller als Erde insgesamt
Im 20. Jahrhundert sind die Temperaturen im Ostsee-Raum um ein Zehntel Grad
mehr gestiegen als auf der gesamten Erde im Durchschnitt. Klimaforscher gehen
davon aus, dass sich die Werte in der Region bis 2100 um vier bis sechs Grad
erhöhen könnten, sofern die Menschheit ihr Verhalten nicht ändert.
Geesthacht - Die Erwärmung im vergangenen Jahrhundert habe 0,85 Grad betragen
und liege damit um 0,1 Grad über der mittleren globalen Temperaturerhöhung,
teilte der Leiter des Instituts für Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum
Geesthacht, Hans von Storch, in Hamburg mit. Die Erwärmung der Luft sei
im nördlichen Ostsee-Bereich mit einem Grad stärker gewesen als mit
0,7 Grad im südlichen Bereich.
AP
Strandkörbe an der Ostsee (Timmendorfer Strand): Weniger Regen im Sommer
Die Ergebnisse stammen aus dem am heutigen Montag veröffentlichten BACC-Berichts(Assessment
of Climate Change for the Baltic Sea Basin), mit dem der Klimawandel in der
Ostsee-Region dokumentiert und untersucht wird. "Der BACC-Bericht ist
eine regionale Variante des vom Weltklimarat veröffentlichten IPCC-Reports
zur globalen Klimaänderung", sagte von Storch, der das Projekt
mit initiiert hat. 80 Wissenschaftler aus 13 europäischen Ländern
waren an der Ausarbeitung beteiligt.
"
Sofern deutliche Klimaschutzmaßnahmen nicht gelingen sollten, wäre
es plausibel, dass die Lufttemperaturen am Ende dieses Jahrhunderts um maximal
vier bis sechs Grad Celsius im nördlichen Ostsee-Raum und um drei bis
fünf Grad Celsius im südlichen Gebiet - dazu zählen große
Teile Polens und Ostdeutschlands - steigen werden", heißt es in
einer Pressemiteilung des GKSS-Forschungszentrums. In der Folge würde
die winterliche Eisbedeckung der Ostsee um möglicherweise 50 bis 80
Prozent abnehmen.
Für das Wasser der Ostsee zeigen die Simulationen einen möglichen
Anstieg der Oberflächentemperatur um zwei bis vier Grad Celsius bis
zum Jahr 2100. Der IPCC rechnet mit einem Anstieg des Meeresspiegels um 20
bis 60 cm zum Ende des Jahrhunderts, manche Forscher prognostizieren jedoch
auch 1,8 Meter. Im Falle der Ostsee werde der Anstieg aber überlagert
von Landsenkung und -hebung. Im Süden rechnen die Forscher tatsächlich
mit einer Erhöhung der Wasserpegel, im Norden werden diese laut BACC-Bericht
jedoch teilweise von natürlichen Landhebungen kompensiert.
Die Experten erwarten auch eine Veränderung der Niederschläge.
Im Winter können diese zwischen 25 und 75 Prozent zunehmen, im Sommer
ist mit einer Abnahme um bis zu 45 Prozent zu rechnen. Folgen hätten
die Veränderungen auch für Tiere und Pflanzen. So könnte ein
abnehmender Salzgehalt sommerliche Algenblüten verschärfen. Das
Bundesamt für Naturschutz hatte erst vor wenigen Tagen gewarnt: Der
Klimawandel könnte 30 Prozent der in Deutschland lebenden Tier- und
Pflanzenarten verschwinden lassen.
Von Storch mahnte einen sensiblen Umgang mit wissenschaftlichen Ergebnissen
an: "Klimaszenarien sind plausibel, aber oftmals vereinfachte Beschreibungen
möglicher Zukünfte. Eindeutige Vorhersagen sind dies jedoch nicht".
Es gebe weiteren Forschungsbedarf für den Ostseeraum. In fünf Jahren
ist eine Aktualisierung des BACC-Berichts geplant.
hda/dpaURL:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,529833,00.html
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