SPIEGEL ONLINE - 28. März 2007, 20:31
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KOMMENTAR
Böse Amis, arme Mullahs
Von Claus Christian Malzahn
48 Prozent der Deutschen halten die USA für gefährlicher als Iran
- nur 31 Prozent glauben das Gegenteil. Das Ergebnis entspricht der deutschen
Grundverlogenheit. Höchste Zeit für eine Neuauflage von Re-Education.
Die Deutschen haben im Laufe ihrer jüngeren Geschichte schon an vieles
geglaubt. An Kolonien in Afrika und an den Kaiser; dem glaubten sie sogar,
das es keine Parteien mehr gebe, sondern nur noch Frontsoldaten. Wenig später
glaubten sie, dass man Juden in Ghettos und KZs stecken sollte, weil sie Volksschädlinge
sind. Dann glaubten sie an die Autobahn und den Endsieg und wieder ein paar
Jahre später an die D-Mark. Sie glaubten daran, dass die Mauer noch ewig
steht und dass die Rente sicher ist. Sie glaubten an Mülltrennung und
Billigflüge, an Telekom-Aktien und den Fußball-WM-Sieg, sie glauben
sogar gleichzeitig an Peter Hahne und Harald Schmidt.
AFP
Die USA - Gefahr für den Weltfrieden? US-Flagge über dem ehemaligen
World Trade Center
Im Moment glauben sie, dass die USA für den Weltfrieden gefährlicher
sind als Iran. Das ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag des "Stern".
Besonders die jungen Deutschen - 57 Prozent der 18- bis 29-Jährigen -
erklärten, sie hielten die USA für bedrohlicher als das religiöse
Regime in Iran. Das Ergebnis kommt keineswegs überraschend. Die offizielle
deutsche Politik, die das Ergebnis der Umfrage heftig beweinen wird, hat den
Antiamerikanismus größtenteils verursacht. Jahrelang wurde den
Deutschen von ihren Außenministern das Märchen vom "kritischen
Dialog" zwischen Europa und Iran erzählt. Es ging etwa so: Wenn
wir nett zu den Ajatollahs sind, ein bisschen mit ihnen knuddeln und ab und
zu mit dem Finger "DuDuDu" machen, dann hören sie auf, ihre
Frauen wegen "unkeuschen Verhaltens" zum Tode zu verurteilen und
die Atombombe zu bauen. Irgendwie ging der Plan schief, was man in Washington
übrigens lange vorher ahnte. Iran bastelt unverdrossen am nuklearen Programm,
der Präsident Mahmud Ahmadinedschad reagiert auf Uno-Beschlüsse
mit demonstrativer Ignoranz. Die Uno ist dann böse und verfasst eine
Resolution.
Ansonsten wünscht sich der iranische Präsident die Auslöschung
Israels. Das dauert noch ein bisschen. Um nicht aus der Übung zu kommen
ließ das Regime vor ein paar Tagen 15 britische Soldaten kidnappen.
Aber schuld sind immer die Amis, ist ja klar. Über die wissen wir schon
lange Bescheid.
Den Wilden Westen kennen wir von Karl May, den wilden Kapitalismus von Karl
Marx. Außerdem waren wir alle schon mal da, im Urlaub, versteht sich.
Ob Kalifornien oder Florida (da sind die Mietwagen am billigsten): die Amis
haben wir durchschaut. Die Amerikaner sind uns Deutschen entweder zu fett
oder zu sportbesessen, zu prüde oder zu pornografisch, zu religiös
oder zu nihilistisch. Die Amis sind in der Geschichte entweder zu isolationistisch
oder zu imperialistisch aufgetreten, sie überfallen einfach fremde Länder
(was wir natürlich nie tun würden) - und hauen dann einfach wieder
ab, wie in Vietnam und demnächst im Irak. Besonders schlimm: Die Amerikaner
haben 1945 den Krieg gewonnen. (Wenn auch nur mit deutscher Hilfe, Einstein
und so). Den V-Day in Europa werden einige Deutsche den Amerikanern nie verzeihen;
denn der Nationalsozialismus war ja bloß ein Betriebsunfall, der Ami
aber an sich ist böse. Sieht man ja bei Präsident Bush, der, daran
glauben auch manche unserer Leser täglich felsenfest, "schlimmer
ist als Hitler". Da schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Denn
wenn Bush der neue Hitler ist, dann sind wir Deutschen Hitler endlich los.
Wir brauchen ihm dann nicht mal mehr nachträglich die deutsche Staatsbürgerschaft
abzuerkennen, wie das gerade die SPD-Landtagsfraktion in Niedersachsen vorgeschlagen
hat. Unseren Symbolismus macht uns keiner nach!
Antiamerikanismus ist das Wundermittel der deutschen Politik. Wenn Dir keiner
mehr was glaubt - hau einfach auf die Amis drauf, dann fährst Du in den
Beliebtheitsumfragen nach oben wie im Turbolift. Das Praktische daran ist:
Man kann sich als SPD-Chef mit antiamerikanischem Unsinn ins Herz der Partei
schrödern und wird trotzdem wieder nach Washington eingeladen. Man kann
sich dabei sogar als militärische Doppel-Nulll outen, der von einem Ex-Nato-General
"nahezu unglaubliche Unkenntnis" bescheinigt wird - macht nichts.
Es geht ja um Glauben, nicht um Wissen.
Antiamerikanismus ist prima bigott. Man kann sich abends die neuesten Folgen
von "24" reinziehen und am nächsten Morgen über Guantanamo
klagen. Man kann behaupten, die Amis seien am Terrorismus selber schuld -
und gleichzeitig eine restriktive Einwanderungspolitik gegenüber Muslimen
in Deutschland fordern. Man kann den amerikanischen Präsidenten einen
Massenmörder nennen und am nächsten Tag einen Flug nach New York
buchen, man kann über die vermeintliche Kultur- und Bindungslosigkeit
des amerikanischen Durchschnittsbürgers lamentieren und sich am nächsten
Tag die Unterlagen für die Green-Card-Lotterie kommen lassen. Es vergeht
kein Tag in Deutschland, an dem über die USA nicht die wildesten Behauptungen,
die übelsten Schmähungen, die wahnsinnigsten Verschwörungstheorien
verbreitet werden - aber das ist alles kostenlos und dient vor allem der deutschen
Selbstgerechtigkeit.
Mit Iran ist das anders. Als beim letzten Mal im deutschen Fernsehen ein Scherz
über eine iranische Führungsfigur gemacht worden ist, ging das böse
aus. Vor genau 20 Jahren produzierte der holländische Entertainer Rudi
Carell einen kurzen TV-Gag, in dem Ajatollah Khomeini in Damenunterwäsche
herumwühlte. Carell bekam Morddrohungen. Der nur wenige Sekunden dauernde
Spot führte zur Ausweisung deutscher Diplomaten aus Teheran, Flüge
wurden gecancelt. Carell entschuldigte sich. Witze über dicke Amis sind
einfach sicherer.
Der amerikanische Historiker Daniel Jonah Goldhagen, der den Deutschen vor
etwa elf Jahren den Glauben raubte, sie hätten damals weiter nix gewusst,
beschäftigt sich zur Zeit mit der Geschichte von Genoziden im 20 Jahrhundert.
Dabei fiel ihm auf, dass diejenigen Politiker oder Militärs, die einen
Völkermord planten und in die Tat umsetzen ließen, ihre Absichten
vorher selten verheimlicht hatten. Ob Hereros, Armenier, Kulaken, Juden oder
später Bosniaken die Opfer waren - die Täter sahen sich meist im
Recht und keinen Grund, ihre Mordlust zu verschleiern. Wenn der iranische
Präsident Achmadinedschad heute von einer Welt ohne Israel und gleichzeitig
einer Atombombe träumt, könnte man - gerade als Deutscher - eigentlich
eins und eins zusammenzählen. Warum sollte Achmadinedschad eigentlich
nicht meinen, was er sagt? Aber wir Deutschen wissen nur, was wir glauben.
Die Amis gefährlicher als die Ajatollahs? Vielleicht sollten die Amerikaner
die Deutschen zur Abwechslung beim Wort nehmen. Höchste Zeit für
eine neue Runde Re-Education. Die letzte hat nicht gereicht.
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