Zygmunt Bauman in der Kritik
Liberaler Soziologe und früherer kommunistischer Geheimdienstmitarbeiter

Zygmunt Bauman - Lücken in der Biografie entdeckt Zygmunt Bauman hat sich international einen Namen gemacht als feinsinniger Philosoph und Soziologe. Er ist ein Vordenker der westlichen Demokratien - in Deutschland wie in Europa und den USA eine Ikone. Die moderne Gesellschaft und die Menschen, die von ihr ausgegrenzt wurden, sind sein Thema. Durch Archivrecherchen sind jetzt polnische Historiker auf die Geschichte von Baumans Jugend gestoßen. Danach ließ er sich als überzeugter Stalinist für den berüchtigten militärischen Spionagedienst in Polen anwerben.
Der Soziologe und Philosoph Zygmunt Baumann ist ein international anerkannter Vordenker der Postmoderne. Seit 1970 lebt der jüdisch-polnische Intellektuelle im englischen Leeds. Mit Büchern wie "Verworfenes Leben - Die Ausgegrenzten der Moderne" wurde er zur Ikone der neuen Linken. Er ist ein Moralist, der sich für die Armen der Gesellschaft, für die Globalisierungsverlierer einsetzt. "Ich befürchte, es ist der erste Fall in der Geschichte, dass arme Leute keine nützliche Rolle zu spielen haben", ist Bauman überzeugt. "So wird die so genannte Unterklasse als Störfaktor wahrgenommen. In der brutalen Formulierung heißt es dann, anscheinend wäre die Welt besser, wenn es diese Menschen nicht mehr gäbe."
Politoffizier des Staatsicherheitsdienstes
Jetzt wurde eine Lücke in der Biografie des renommierten Soziologen gelüftet. Es geht um die Zeit der Stalindiktatur, die die polnische Nachkriegswirklichkeit bis 1956 geprägt hat. Im Archiv des Instituts für das Nationale Gedächtnis - der polnischen Entsprechung der Gauck-Behörde - wurden von dem Historiker Piotr Gontarczyk Aufsehen erregende Akten zur Person Zygmunt Baumans gefunden. Der Vorwurf lautet: "Zygmunt Bauman war ein Politoffizier - Politkommissar in den Einheiten des Staatssicherheitsdienstes", so Gontarczyk. "Diese Offiziere sorgten für die richtige Moral der Truppe, waren der ideologische Unterbau. Sie motivierten die gemeinen Soldaten zur Niederschlagung des politischen Untergrundes, zu Mordtaten. Außerdem gibt es in den Akten von Zygmunt Bauman konkrete Informationen über seine direkte Beteiligung an Aktionen gegen die Banditen, so nannte der Staatssicherheitsdienst Soldaten des polnischen Untergrundes, die gegen die Kommunisten kämpften."
Aus den Akten geht hervor, dass der 19-jährige Bauman unmittelbar nach dem Krieg eine Karriere in den berüchtigten Einheiten des Korps für Innere Sicherheit machte, dem bewaffneten Arm der Kommunistischen Partei. Bauman wurde Major und Chef der Propaganda und Agitation in der Verwaltung des Korps. Gleichzeitig arbeitete Bauman bis 1948 für den militärischen Nachrichtendienst, unter dem Pseudonym Semion. Für seinen Einsatz wurde Bauman mit der "Tapferkeitsmedaille" ausgezeichnet. "Viele Informationen aus seinen Akten weisen darauf hin, dass Herr Baumann seine Tätigkeit engagiert ausgeführt hat", sagt Gontarczyk. "Es gibt Lob über seine politisch-erzieherische Arbeit, eine gute Beurteilung der Erfüllung seiner Dienstpflichten."
Gläubiger Kommunist in den 40er und 50er Jahren
Aus den Akten kann man folgern, dass Zygmunt Bauman in den 40er und 50er Jahren ein gläubiger Kommunist war. In einem Beförderungsantrag wird gelobt, dass er sehr wachsam gegenüber ideologischen Fehlern sei. Weiterhin sagt ein Aktenvermerk, dass er die zionistischen Ansichten seines Vaters verurteile und ihn von der Emigration abgebracht habe. Bauman wolle gegen den Willen des Vaters, der Kommunistischen Partei das Geld aus dem Verkauf des Elternhauses schenken. Die Akten legen nahe, dass Bauman eine stalinistische Gehirnwäsche durchgemacht hat.
"Wir wissen, dass damals viele junge Leute daran geglaubt haben, und im Glauben für eine bessere Zukunft bereit waren, das Alte zu vernichten, Neues aufzubauen, und möglicherweise vieles deutet darauf hin, dass Bauman das getan hat", meint der Historiker Bogdan Musial. "Nur das als Jugendsünde abzutun, das ist verharmlosend. Dafür hat er das zu lange gemacht. Fast 20 Jahre hat er sich damit befasst. Das ist zu viel. Wenn das wie bei Günter Grass wäre, der mit 17 Jahren bei der SS gelandet ist, und nicht wusste, was eigentlich los ist, aber wenn man das schon Jahre gemacht hat und sich nie damit auseinandergesetzt hat, sich nie öffentlich entschuldigt hat. Er hat darüber geschwiegen, als wenn nie etwas passiert wäre. Das halte ich für problematisch."
Als 14-Jähriger in die Sowjetunion geflohen
Um die Haltung Zygmunt Baumans zu verstehen, muss man seinen Lebensweg zurückverfolgen. Er ist als 14-jähriger Junge mit seiner jüdischen Familie während des Überfalls von Nazideutschlands auf Polen 1939 in die Sowjetunion geflüchtet. Dort trat er mit 18 Jahren in eine polnische Einheit ein, die an der Seite der Roten Armee gegen Hitlerdeutschland kämpfte. "Es gibt zwei Gründe dafür, warum Vertreter der jungen jüdischen Generation sich dem polnischen Geheimdienst zur Verfügung stellten", meint der Publizist, Journalist und Korrespondent der "SZ" in Polen, Thomas Urban. "Der Hauptgrund war die Erfahrung des Holocaust. Man sah die Rote Armee, die Sowjetunion hat den Nationalsozialismus zerschlagen und sie gerettet. Das zweite Argument sorgt hier für heftige Kontroversen. In der Vorkriegszeit, in den 30er Jahren, war die polnische Führung antisemitisch eingestellt, das steht außer Zweifel. Und diese jungen jüdischen Intellektuellen, die den Holocaust überlebt haben, wollten sich dem anderen Lager zur Verfügung stellen. Sie wollten nicht, dass diese Formation noch einmal an die Macht kommt."
Neben Bauman gibt es noch einige andere jüdische Intellektuelle, die nach dem Krieg im Dienste des Stalinismus tätig waren. So arbeitete zum Beispiel der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki für den kommunistischen Nachrichtendienst in London. Als Spion am Sitz der polnischen Exilregierung war er für das Regime in Warschau sehr nützlich. Anders als Reich-Ranicki, der die deutsche Besatzung in Warschau überlebt hat, kam Bauman durch seine Flucht in die Sowjetunion schon 1939 mit dem Sowjetkommunismus in Berührung.
In die Emigration gezwungen
Zygmunt Baumans Dienst am Stalinismus ist kein kurzes Intermezzo. 1953 wird Bauman an die Warschauer Universität versetzt, die ideologisch gesäubert wird, und steigt zum Leiter der soziologischen Fakultät auf. Das Jahr 1956 markiert eine Zäsur. Nach der Abrechnung mit dem Stalinismus gerät Bauman ins Visier des Sicherheitsapparats. 1968 wird er von seinen Parteigenossen im Zuge der so genannten antizionistischen Kampagne als Jude zur Emigration gezwungen.
Die Aktenlage zeichnet eine tragische Verwicklung eines Menschen des 20. Jahrhunderts, der an eine neue, bessere Gesellschaftsordnung glaubte und zum Werkzeug eines menschenverachtenden Systems wurde. Seine persönlichen Erfahrungen mit dem Totalitarismus hat Bauman später in seinen Theorien zu Nationalsozialismus und Kommunismus auf meisterhafte Art produktiv verarbeitet. Zygmunt Bauman hat auf eine Anfrage einer polnischen Zeitung seine Mitwirkung bei der Staatssicherheit bestätig, unsere Anfrage blieb bisher ohne Antwort.
Kulturzeit: montags bis freitags, um 19.20 Uhr
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27.03.2007 / Andrzej Klamt für Kulturzeit / hs
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