Der Tagesspiegel, 27.07.2007
Ziemlich beeindruckt, aber nicht ganz überzeugt zeigt sich Christine Lemke-Matwey von Katherina Wagners "Meistersingern" in Bayreuth: "Diese Frau ist als Kämpferin, Blutsschwester und Verbündete, als Hebamme, Nanny und eventuell sogar als feste Größe in einer wie auch immer konstruierten Festspielleitung der Zukunft unbedingt wünschenswert. Denn so viel Bauch am rechten Fleck, ein solch rasendes Tigerinnenherz macht ihr so schnell keine nach. Katharina Wagner graust es vor nichts: weder vor der ranzigen Rezeptionsgeschichte der 'Meistersinger' auf dem Grünen Hügel noch vor den einschlägigen Ingredienzien des Regietheaters. Die 'Kathi' ist ein Kind ihrer Zeit. Kennt alles, kriegt alles. Und weiß dann aber auch nicht weiter. Ein Vorwurf? Eine Diagnose. Die 29-Jährige mag Kraft haben, Courage, einen Willen zur Macht - die Mutter Neu-Neu-Bayreuths ist sie nicht."
Berliner Zeitung, 27.07.2007
Einfach bieder findet Peter Uehling Katharina Wagners "Meistersinger": "Dass vom Schuhemachen und von der Liebe nicht unprominent die Rede, auf der Bühne jedoch nichts davon zu sehen ist, lässt weite Teile der Musik sinnlos vorüberziehen. Vor allem werden auf diese Weise Ambivalenzen kassiert. Lösen die Schuhe und das Schustertum im Stück weitverzweigte Anspielungen aus, so stehen sie hier lediglich für Anpassung, zudem in einer dramaturgisch unvermittelten Symbolhaftigkeit. Katharina Wagner setzt negative Vorzeichen vor Momente, die bei ihrem Urgroßvater gar nicht so eindeutig positiv gemeint waren, jetzt aber jede Mehrdeutigkeit eingebüßt haben. Ihre schlichte Lösung des Kunstdiskurses ist sauberer und damit spießiger als die des Stücks: Hier der dumme Mainstream, dort der gute Avantgardist. Der Klamauk, den sie statt einer Komödie inszeniert, ist dabei selbst der grässlichste Mainstream."

Der Standard Wien

Die Rückseite des Traditionsspiegels: "Die Meistersinger von Nürnberg"
In ihrem Bayreuth-Debüt gelingt Wagner-Urenkelin Katharina Wagner eine intelligente und mutige Neudeutung der Künstleroper
... als Diskurs von Moderne und Tradition – und eine Aufarbeitung der NS-Geschichte des Werks.
Bayreuth – Obligates Familienfoto-Posing am Rande der Begrüßung von Bayreuth-Gästen. Danach aber wurde sie unsichtbar, hat ihre eigene Premiere nicht gesehen. Zu nervös, so die zuletzt medial überdeutlich sichtbare Katharina Wagner in einem der Statements im Vorfeld ihres Regiedebüts am Grünen Hügel. Verständlich. Wiewohl sie selbst jeden Zusammenhang zwischen Inszenierungserfolg und der vom Stiftungsrat bald zu klärenden Frage, wer ihren Vater, Wolfgang Wagner, beerben soll, bestritt, hat sie selbst den Konnex zur Nachfolgefrage hergestellt – durch eine Präsenz (an die 160 Interviews), die sie als (vom Vater) unabhängige, dem Innovativen verpflichtete Regisseurin mit Appetit auf die Übernahmen der Macht promoten sollte.
Die Inszenierung musste da zwangsläufig in den Rang einer Bayreuth-Habilitation aufsteigen. Und der Papa, der beredt schweigt, wird sich nicht wenig dabei gedacht haben, als er seine Tochter (29) engagierte, nachdem er vor ein paar Jahren seine Frau Gudrun beim Stiftungsrat nicht durchgesetzt hatte, stattdessen die ungeliebte Tochter aus erster Ehe, Eva, als Nachfolgerin präsentiert bekam. Diese Entscheidung demaskierte er als Wunsch und schob ihn durch ein Nein auf die lange Intrigenbank – schließlich hat er einen Vertrag auf Lebenszeit. Katharina, dermaßen zum Nachfolgerennen verdammt, hätte aus alledem und den operntauglichen Beziehungen des Wagner-Clans durchaus ein Meistersinger-Konzept drechseln können. Sie zog es allerdings zum Glück vor, die Künstleroper als Diskurs um Tradition und Moderne ernst zu nehmen und auf die unsympathische Rezeptionsgeschichte des Werkes einzugehen, das Hitlers Lieblingsoper war und ob der finalen Beschwörung des Deutschen entsprechend instrumentalisiert wurde.
Nun denn: Alle Folklore ist weginszeniert, man ist in einer Art Kunstinternat/Museum, das Räume für Malerei, Bildhauerei, Instrumental- und Ballettunterricht bietet. Die Zöglinge sind uniform gekleidet, sie vollführen maschinenhaft-dienstbar Rituale, setzen Tische und Stühle für die auf Kunstregeln versessene Meistergesellschaft zusammen. Es ist ein Ambiente der Tradition, des erstarrten Akademismus. Nur Hans Sachs (Franz Havlata ist nur im Wahnmonolog souverän, er bricht am Schluss vokal ein) ist da ein bisschen anders. Er geht barfuß, raucht Kette und wirkt wie ein gelangweilter Existenzialist zwischen Malpinsel und Schreibmaschine, der an der Herrenrunde, die sich an Reclamhefte klammert, nur als skeptisch teilnehmender Beobachter mitwirkt.
Opernintoleranz ...
Für Ritter ist kein Platz. So schlüpft Walter von Stolzing (kantabel, aber nicht immer sattelfest Klaus Florian Vogt) aus einem Klavier als impulsiv malender Dandy, als alles mit Gestaltungszwang formende, übermalende Figur à la Schlingensief. Katharina Wagner würzt das Ganze mit hübschen Pointen, lässt Walter mit Beckmesser ein Puzzleduell absolvieren. Mitunter regnet es Turnschuhe (den sonoren Norbert Ernst als David trifft einer auf den Kopf). Und Sachs hat mit Eva (vokal eher blass Amanda Mace) ein sehr körperbetontes Fastverhältnis.
Zwei Akte lang ist das eine keck angelegte Komödie, die in einen anarchischen Akt der Befreiung von Regelzwängen mündet. Perücken fallen, die Jungen rebellieren, mit Farben aus Warhol’schen Campbell-Suppendosen wird kollektives Actionpainting zelebriert.
Sehr freundlicher Applaus, aber die Oper hat nun einmal einen dritten Akt, über den Wandel der Charaktere wird plötzlich der Konnex zum Opernkonservativismus und zur NS-Geschichte des Werkes hergestellt. Da wird aus Beckmesser (grandios, die Entdeckung des Abends: Michael Volle) ein provokanter Kunstaußenseiter, der mit dem Betrieb nichts mehr zu tun haben will. Aus Walter wiederum hat seine Etablierung einen glatten Mainstreamtypen geformt, der – in der Mitte der Ehegesellschaft angelangt – als eine Art Hansi Hinterseer harmlos trällert. Am deutlichsten wird Katharina aber bei Sachs: Aus dem Liberalen wird ein militanter Traditionalist.
... und Totalitarismus
Glänzend: Um ihn herum baut Wagner eine Verquickung zwischen Operintoleranz des (auf die Bühne gebrachten) Publikums und politischem Totalitarismus. Auf den Puppentanz deutscher Kulturgrößen (u. a. Goethe, Schiller) samt Wagner (in Unterhosen) und Hitler (der sein Gesicht verkehrt trägt) folgt die Simulation einer Verbeugungsszene von Regie und Dirigent. Als beide in eine Kiste gesteckt werden, gibt es natürlich höhnischen Szenenapplaus. Als Sachs dann aber die Kiste anzündet, die Künstler verbrennt und aus der Kiste einen goldenen Hirschen zieht, herrscht eher wohl wütende Ruhe. Ungestört kann Sachs zornig seinen finalen Deutschtum-Gesang im sich langsam verdunkelnden Raum als gestisch Hitler nachempfundener Führer absolvieren. Bayreuth hat erstmals seine Meistersinger-Geschichte thematisiert.
Klar, das musste Ärger geben. Als nach Sängerlob zur Sängerschelte angesetzt wurde (Eva, Sachs), kam Katharina zu Hilfe und steigerte den Zornpegel nur noch. Unangenehm. Aber langfristig wohl eine gute Investition für die Nachfolgeschlacht. Da fiel Dirigent Sebastian Weigerle nicht mehr wirklich auf, was allerdings auch seiner Performance entsprach. Alles klang transparent, das Lyrische auskostend, aber auch nie über das Solide hinausragend. (Ljubis¹a Tos¹ic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.7.2007)

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26. Juli 2007, 18:34, NZZ Online Zürich
Tradition, Revolution und Reaktion
Katharinas Wagners ambitioniertes Bayreuth-Début mit den «Meistersingern»

Hans Sachs und die deutschen Meister (Bild: Enrico Nawrath)
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Die Medienkampagne im Vorfeld der Premiere war flächendeckend und hat wohl selbst den Rummel um Christoph Schlingensiefs «Parsifal»-Inszenierung übertroffen. Denn diesmal ging es nicht nur um ein mit Spannung erwartetes Regiedébut, sondern um eine mögliche künftige Festspielchefin: Die 29-jährige Katharina Wagner, die jetzt mit den «Meistersingern» ihren Einstand gegeben hat, ist die Tochter und Wunschkandidatin des bald 88-jährigen Wolfgang Wagner, der die von seinem Grossvater Richard gegründeten Festspiele seit 1951 leitet (NZZ 24. 7. 07.). Dass es ihr an Ambitionen nicht fehlt, hat sie schon in ihren Medienauftritten deutlich gemacht, und ambitioniert zeigt sie sich auch in ihrer ersten Regiearbeit am Grünen Hügel (erst ihrer fünften selbständigen Inszenierung insgesamt). Doch genügt das für eine schlüssige Lesart von Wagners monumentaler Komödie?
Im musischen Gymnasium
Katharina Wagner und ihr Bühnenbildner Tilo Steffens lassen die ersten zwei Akte im Innenhof einer Schule spielen – man denkt an Peter Konwitschnys Hamburger «Lohengrin» und findet später immer wieder bestätigt, dass die Wagner-Urenkelin, wie könnte es anders sein?, schon sehr viele Wagner-Inszenierungen gesehen haben muss. Die Schule – mit seitlichen Galerien und Kammern an der Rückwand – ist offensichtlich ein musisches Gymnasium für Musik, Theater und Tanz, ein düsteres, hässliches Gebäude.
Die Meister sind Lehrer; wenn sie sich an die umständlich montierten Tische setzen, tragen sie Doktorhüte und Talare – bis auf den kettenrauchenden Schuster Hans Sachs, der im schwarzen Hemd und barfuss daherkommt. Eva und Magdalene (Carola Guber) erscheinen als kindische Zwillingsschwestern im sprödem Grau (Kostüme Michaela Barth), der Lehrbub David macht sich an einem Fotokopiergerät zu schaffen. Und hier soll der Junker Stolzing vorsingen? Dieser schlaksige Lümmel, der die Hausordnung schon während der Beratung der Meister gehörig durcheinander bringt (die Malerei und das Theater scheinen es ihm besonders angetan zu haben?).
Seine Niederlage versetzt ihn in helle Wut, wild spritzt er zu Beginn des zweiten Aktes mit Farbe um sich, bevor er seine Energie kreativ einsetzt und Evas Kleid bemalt. Eine riesige Schwurfingerhand kippt gerade rechtzeitig um, damit sie dem Paar als Podest dienen kann. Stolzings Wüten ist nur das Vorspiel, in der Prügelszene bricht das Chaos aus, Schuhe fliegen vom Bühnenhimmel, von den Galerien werden Campell-Büchsen ausgekippt – eine Materialschlacht ohnegleichen. Dass die Bayreuther Festspiele sparen müssen, sieht man diesen «Meistersingern» nicht an, wohl aber kann man es hören (davon später).
Rätselhafte Wandlung
Die anarchische Prügelszene soll die eigentliche Schlüsselszene der Inszenierung sein, doch wann und wie hier der Gesinnungswandel der drei männlichen Protagonisten eintritt, das lässt sich nicht nachvollziehen. Nach der zweiten Pause ist einfach alles anders: Sachs meditiert in einem eleganten Salon, schlüpft in Schuhe, weisses Hemd und Anzug, hinter ihm erscheinen die alten deutschen Meister, Richard Wagner natürlich mit dabei, als riesige Masken, sie steigen aus ihren Kojen herab, fesseln Sachs und drehen sich in einem grotesken Satyrtanz – eine ziemlich rätselhafte Szene, bei der nur so viel klar wird: Sachs dankt ab und mit ihm ein Künstlerteam, das sich pantomimisch der Applausordnung stellt.
Nach Stolzings Preislied gibt es dazu eine Parallelszene. Stolzing ist auf den Mainstream eingeschwenkt, lässt sich von einem historisch kostümierten Opernsängerpaar begleiten, empfängt zum Preis einen goldenen Hirsch und posiert, vom «Leading Team» umrahmt, mit dem Check einer imaginären Sponsor-Bank. Zwischen diesen beiden Applaus-Szenen gibt es aber noch den Auftritt Beckmessers, und der gerät zum turbulenten Happening eines Reaktionärs, der in der Prügelszene sein kreatives Potenzial entdeckt hat und sich als Aktionskünstler outet.
Kopfgeburt
Sachs dankt ab, Stolzing passt sich an, Beckmesser wird zum Bilderstürmer, der die Kunstszene neu aufmischt – ein Kommentar zum heutigen Opernbetrieb im Allgemeinen und zu den Bayreuther Festspielen im Besonderen? So mag es gemeint sein. Doch das Ganze bleibt zu sehr Kopfgeburt, einerseits überfrachtet mit Einfällen und Requisiten, anderseits mit grossen Leerstellen – die ganze ideologische Rezeptionsgeschichte der «Nazi-Oper» «Meistersinger» bleibt ausgeblendet, Katharina Wagner beschränkt sich auf die Aufführungs-Ästhetik. Interaktion zwischen den Figuren gibt es kaum (dass Eva den Witwer Sachs mit einem Schal umgarnt, kann man kaum als solche bezeichnen), ob die Regisseurin mit dem Chor umgehen kann, lässt sich nicht beurteilen, denn dieser singt meist aus dem Off und tritt erst auf der Festwiesen-Tribüne in Erscheinung, wobei er sich blitzschnell von einem Freizeit- in ein Premierenpublikum verwandelt.
Was anders ist als gewohnt, wirkt allzu gesucht: zwei Nürnberg-Puzzles, aber keine Merker-Tafel bei Stolzings Probelied, Sachs, der statt auf Schuhsohlen auf die Tasten einer Schreibmaschine hämmert, das Blatt mit Stolzings Preislied als Theaterprospekt, die Lied-Taufe als bürgerliches Familienidyll. Und die beiden Frauen sind hier bloss lächerlich und haben nichts zu bestellen, auch sängerisch.
Schriller Sopran
Amanda Mace ist als Eva mit ihrem resonanzarmen, schrillen Sopran die eine der zwei grossen vokalen Schwachstellen dieser Produktion, die zweite ist Franz Hawlata als Sachs, dessen Bariton es an Kraft, Wohlklang und Reichweite gleichermassen mangelt. Da hilft es wenig, dass als Stolzing mit Klaus Florian Vogt eine der Nachwuchshoffnungen im deutschen Tenorfach zu hören ist – er konnte sich an der Premiere von Akt zu Akt steigern, erreichte aber mit seinem leichten Ansatz nicht ganz die satte Strahlkraft, mit der er im vergangenen Dezember in den Genfer «Meistersingern» begeistert hatte. Zu den Pluspunkten zählen auch Michael Volles Beckmesser (gerade in dieser ernsthaften Deutung der Partie), der als einziger der Solisten auch die Textverständlichkeit pflegt, und Norbert Ernst als agiler, dabei keineswegs leichtgewichtiger David.
Von der berühmten Bayreuther Akustik können die Sänger dieser Aufführung kaum profitieren, denn der Dirigent Sebastian Weigle lässt das Orchester wuchtig agieren. Seine Tempi sind frisch, unpathetisch, zügig, wirken aber wenig durchgeformt und ausbalanciert, vor allem jedoch vermisst man die klangliche Strukturierung, die instrumentale Feinarbeit. So setzte es am Schluss der Premiere nicht nur für das Regieteam und einzelne Sänger, sondern auch für den Dirigenten neben Beifall heftige Buhrufe ab. Ob Katharina Wagner als Festspielleiterin geeignet wäre, lässt sich aufgrund ihres «Meistersinger»-Débuts nicht entscheiden, gewiss ist aber, dass sie als Regisseurin ihr künstlerisches Profil noch finden muss.
Marianne Zelger-Vogt


URL: http://www.welt.de/kultur/article1056671/Die_Meistersinger__Sexpuppen_und_Musikanten.html
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26. Juli 2007, 14:33 Uhr
Von Manuel Brug
Bayreuth
Die "Meistersinger" – Sexpuppen und Musikanten
Bühnentreiben mit Hang zur Plattheit, freudlos abgespulte Musik. Auf Komponisten-Urenkelin und Regisseurin Katharina Wagner wartet nach ihrem Bayreuther „Meistersinger"-Debüt einiges an Feinarbeit. Bis zum zweiten Akt inszeniert die 29-Jährige noch mutig.
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Foto: DPA
Mit der beliebten Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" sind in diesem Jahr die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth eröffnet worden. Die Oper erzählt die Geschichte eines wahren Intrigantenstadls im Musiker-Millieu.

„ Bereue“ – „Nein“ – „Bereue“ – „Nein!“ Dann fahr zur Hölle“. Das ist kein Purgatorium, welches nun etwa hinter der Bayreuther Festspielbühne für das so gefeierte wie erwartungsgemäß bebuhte Regiedebüt von Katharina Wagner auf dem Grünen Hügel abgehalten worden wäre.
Das fand schon mehr als zweihundert Jahre vorher zum ersten Mal statt und beschallt jetzt an diesem sonnigen, zum Bayreuther Schicksalstag ausgerufenen Sommermittag die Toilette der Cafés neben dem markgräflichen Opernhaus: Dort, wo das Finale von Mozarts „Don Giovanni“ zumindest akustisch tobt, scheint augenblicklich die einzige wagnerfreie Zone vor Ort.
Katharina Wagner, die 29-jährige Vatertochter, die sich von ihm, dem legendären wie längst umstrittenen Leiter, der nur noch schemenhaft, aber aufrecht im Eingangstor des Königsbaus beim Begrüßungsdefilee zu sehen war, längst abgenabelt und ihren eigenen, ziemlich konsequenten Regieweg geht, sie braucht auch nicht zu bereuen. Eher nachzubessern.
Denn dafür war die Werkstatt Baryeuth schließlich einmal gut. Ähnliches scheint ihr Angela Merkel auf dem Staatsempfang im Bayreuther Schloss vergnügt zugeflüstert zu haben, nachdem Edmund Stoiber Walter (!) Genscher begrüßt, und die die Inszenierung als „interessant“ feige übersprungen hatte.
Dabei gab es hier nichts zu überspringen und von Regiefeigheit kann schon gar nicht die Rede sein. So manchem mag es sogar gegruselt haben, als da nach sechseinhalb Stunden der Sachs fies von untern beleuchtet vor einem konform applaudierenden Festspielpublikum auf der Bühnentribüne einen golden röhrenden Hirschen als Siegespreis für den schönsten Tenorschlager überreichend die „heil’ge deutsche Kunst“ beschwor - und aus dem Bayreuther (!) Boden zwei kolossale Arno-Breker-Statuen schossen.
Die Musik bleibt im Ungefähren
Selten sah man eine so konsequente und – paradox – gleichzeitig so inkonsequente „Meistersinger“-Inzenierung. Die so spitz in den Nerv dieses Stückes aus Typenkomödie und deutscher Nabelschau, Kleinstädterei und Weltbehauptungsanspruch trifft.
Die so zwingend den Streit zwischen Tradition und Aufbruch am Beispiel des Gesangs ganz aktuell in ein Duell der boomenden Bildenden Künste zwischen restaurativen und avantgardistischen Tendenzen verwandelt. Die Sachs, Stolzing, Beckmesser und Eva so eindeutig miteinander auch ideologisch in Beziehung setzt. Die sich dann aber auch wieder kindisch verhaspelt, pubertär im Ungefähren bleibt und anfängerhaft ungeschickt hantiert.
Wobei es zumindest zu Beginn den Anschein hat, als ob die Musik hier auch eine entscheidende Rolle mitspielen würde. Sebastian Weigle, ebenfalls Hügel-Debütant, aber kein Wagner-Anfänger, gelingt eine heiter und licht dahinspazierende Ouvertüre, den Holzbläsern gilt seine besondere Aufmerksamkeit. Schon der Schluss des ersten Aktes verpufft freilich im Ungefähren. Und dann werden die Klänge aus dem unsichtbaren Graben immer unauffälliger, glanzloser, nicht nur weil die Bühne so dominant war.
" Meistersinger" anno 1951 - Butzenscheiben-Nostalgie
Da wurde weitgehend abgespult, selbst im vollen C-Dur-Ornat trat die Partitur nicht mehr in die erste Reihe. Was nur zum Teil an der bei diesem Stück ungebührlich dämpfenden Bayreuther Spezialakustik liegt. Mehr Vehemenz, mehr Gespanntheit, mehr klanglicher Spaß sind durchaus möglich.
1924, nach dem verlorenen Krieg, nahm das Bayreuther Festspielpublikum die Schlussansprache stehend entgegen und antwortete mit dem Deutschlandlied. Ab 1943 wurden hier für Kriegsverwundete nur noch die „Meistersinger“ als musikalisches Reichsparteitag gespielt.
In Neubayreuth 1951 wurde diese Oper sofort wieder als ungebrochene Butzenscheiben-Nostalgie mit Karajan und Elisabeth Schwarzkopf gegen Wielands Wagners szenische Entrümplung gesetzt. Der selbst kam in zwei Inszenierungen (1956 und 1963) nicht gegen den scheinbar übermächtigen Realismus dieser nicht nur konischen Stücks an, ab 1968 war es in drei Varianten die harmlos tümelnde, höchstens den Beckmesser neu bewertenden Tanzfestwiese für Wolfgang Wagner.
Zwischen Adolf Hitler und Harry Potter
Das konnte und wollte die aufmüpfige Katharina Wagner nicht so stehen lassen. Sie sagt vehement, wie schon Onkel und Vater 1951: „Hier gilt’s der Kunst“. Aber einer, die nicht wegschaut, die sich nicht klein macht und die nicht versöhnlich ist.
Tilo Steffens souveränes Einheitsbühnenbild ist vieldeutig wandelbar. Zunächst zeigt es einen nussbraun getäfelten Saal als Mischung aus Museum, Kunstkirche und Akademie, auch Anklänge an Wohnhallen in den Villen Hügel und Wahnfried stellen sich ein. Der Raum ist noch nicht fertig, an seinem Freskenprogramm – vorn schauen Dürers Augen herab – wird noch von einem Gerüst aus gepinselt.
Die Lehrbuben und -Mädchen, mit ihrem grauen Ornat und ihren Einheitspagenköpfen eine Mischung aus Harry Potters Hogwarts- und Hitlers Napola-Belegschaft, tragen kerzenartige Stangen herein, die sich als Tischbeine entpuppen. In einem so absurden wie komisch umständlichen Ritual werden sie zur Meistersinger-Tagungstafel zusammengebaut, auf der Talare und Stapel gelber Reclamheften als Urtextversicherung und Werktreuegarantie bereitliegen.
Der wackere Ritter malt Blumen
Später wird hier ein schusselig-alter Veit Pogner (unsalbungsvoll: Arthur Korn) präsidieren und ein detailpusseliger Fritz Kothner (schön kleinbürgerlich: Fritz Eiche) assistieren. David (präziser Duckmäuser: Norbert Ernst) kopiert fleißig die Tagungsordung, während Eva und Magdalene (schwach: Carola Gruber) als drall rothaarige Zwillingsschwestern kindisch um den Ritter Stolzing balzen.
Der wurde von Michael Barth (wie alle anderen auch diffus zeitgenössisch) als Künstlerdandy eingekleidet. Er taucht aus einem Flügel auf, der wie weiteres Kunsthandwerkszeug samt zwölf Statuen deutscher Meister von Bach bis Wagner, von Nietzsche bis Einstein auf den beiden Galerien steht.
Dieser Stolzing ist ein tumber Selbstverwirklicher. Katharina Wagner lässt ihn rücksichtslos seine Farbkreise ziehen, seine alberne Aktkunst wird von den entrüsteten Meistern mit ihren englischen Doktorkappen verhüllt. Unbekümmert richtet Stolzing einen Scheinwerfer auf sich selbst statt auf ein Theatermodell und pinselt einfältig Prilblumen.
Die Regie-Probleme beginnen im zweiten Akt
Sieht so die moderne Kunst aus? Die Regisseurin bleibt hier zweideutig, man weiß nicht, was sie wirklich kritisiert. Oder hält sie es mit Karl Valentin? „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Hans Sachs dem barfüßig rauchenden Nonkonformist im offenen Hemd scheint die Stolzing-Kunst zu gefallen. Er sichert sich eine der beschmierten Tischplatten, während das versungene Antrittslied Walters optisch zu einem Puzzle nach einem Nürnberg-Stich verändert wurde, den der Merker Beckmesser korrekt zusammensetzt, während Stolzing frei Schnauze variiert.
Bis hierher sind diese „Meistersinger“ witzig, aufgeräumt, intelligent und präzise gearbeitet - und gar nicht skandalträchtig. Die Probleme beginnen mit dem zweiten Akt, wo sich hinter Kaffeehaustischen mit Blümchendecken eine Wohnwabenwand mit Geranienkästen auftut. Dort hausen als Schatten die Meister, der Nachwächter (Friedemann Röhling), vorher noch abstaubender Marthaler-Museumswärter, sammelt akribisch Müll auf.
Die langen Szenen zwischen Eva und Stolzing, Eva und Sachs, Sachs und Beckmesser sind zu wenig durchgestellt. Wenn sich Eva sehr unvermittelt an Sachs ranmacht, dann ejakuliert der mit einer Sektflasche: ein inzwischen abgeschmacktes Bild, das auch nicht besser wird, wenn im dritten Akt impotent der Korken drin bleibt und die Flasche schließlich in Scherben gehauen wird.
Buhrufe für den schwachen Bassbariton
Nix mehr los in Sachsens Hose. Deshalb auch wird er, der Schriftsteller an der altmodischen Schreibmaschine, der von Stolzings Turnschuhen aus dem Schnürboden umregnet wurde, jedes Mal, wenn Beckmesser einen Fehler beim Ständchensingen macht, allmählich zum Renegaten.
Aber auch weil die Prügelfuge als surreales Pandämonium und wüste Schlacht der Künste anhebt, die nur zerrissenen Wände als nacktes Gerüst und die Meister in Unterhosen mit Andy Warhols Cambell’s Suppendosen auf dem Kopf zurücklässt. Die Meisterbüsten werden lebendig, Farbe kleckert, das Jungvolk tanzt anarchisch Pogo-Polonaise. Beckmesser aber reißt sich befreit den Anzug vom Spießerleib, während ein geläuterter Stolzing die von ihm bekleckerte Riesenkulpturenhand (die der Fliederbusch-Ersatz war) säubert und Sachs die Reclams neu stapelt.
Wirklich genial die Schusterstube, in der sich die begonnne Wandlung aller manifestiert. In dem schicken Loft erscheint Sachs in neuem Anzug und Schuhen. Der später ausgebuhte Franz Hawlata, durchaus an allen berühmten Opernhäusern zu Hause, offenbart allerdings spätestens hier erschreckend, dass diese anspruchsvollste Bassbaritonpartie vor allem seine voluminösen Möglichkeiten weit übersteigt.
Sexpuppen-Eva trifft Musikantenstadl-Stolzing
Die farblich Angela Merkels Bayreuther Schweißfleckenkostüm angenäherte Amanda Maces Eva singt mit so unfreier Stimme und unsicherer Intonation den Quintett-Anfang, dass man sich fragt, wie sie es nach Bayreuth geschafft hat. Sie alle werden jetzt zum doppelt mausgrauen, noch dazu hausmusizierenden Familienbild im Goldrahmen gruppiert, zwischen dem Sachs präsidiert.
Platt dann wieder der Beginn der zunächst volklosen Festwiese, wo die schon im „Wahn“-Monolog zu Karnevalsmasken samt kleinem Statisten darunter gewachsenen Meisterstatuen einen albernen Cancan tanzen und mit nackten Puppenmädels aus Fürth bacchanalisch poussieren.
Dann aber schwenkt das Bild noch einmal um: die Künste, in Gestalt von Dirigent und Regisseur werden (allzu selbstreferenziell) entsorgt und verbrannt, die Bühne ist für das Preissingen frei. Der wunderbare, kluge und satt tönende Beckmesser Michael Volles, nun der barfüßige Anarchist, führt eine dämliche Performance für einen nackten Adam, eine Sexpuppen-Eva und viele Lufballons aus, während der als Hansi Hinterseer entlarvte Stolzing, der die Kunst für Eva verraten hat, in einer Musikantenstadlkulisse sein Preislied als süßlichen Tenorhit zelebriert (und ein wenig denunziert).
Es bleibt noch viel Feinarbeit in Bayreuth
Klaus Florian Vogt, der wenig Schmelz, aber ein verführerische Stahlbeimischung in seinem hinreißend eigenwilligen Chorknaben-Timbre hat, wird so, genau wie auf der Bühne, zum endgültigen Sieger es Abends, während das nun geistig sehr finstere Nürnberg mit Eberhard Friedrichs machtvollen Chören und seinen überflüssigen Katharina-Wagner-Blondklonen im Dunkel versinkt.
Da warten im nächsten Jahr noch viel Feinarbeit und das Können des Weglassens auf die Regisseurin und ihren übereifrigen Dramaturgen Robert Sollich.



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