Der Standard Wien
Die Rückseite des Traditionsspiegels: "Die Meistersinger
von Nürnberg"
In ihrem Bayreuth-Debüt gelingt Wagner-Urenkelin Katharina Wagner eine
intelligente und mutige Neudeutung der Künstleroper
... als Diskurs von Moderne und Tradition – und eine Aufarbeitung der
NS-Geschichte des Werks.
Bayreuth – Obligates Familienfoto-Posing am Rande der Begrüßung
von Bayreuth-Gästen. Danach aber wurde sie unsichtbar, hat ihre eigene
Premiere nicht gesehen. Zu nervös, so die zuletzt medial überdeutlich
sichtbare Katharina Wagner in einem der Statements im Vorfeld ihres Regiedebüts
am Grünen Hügel. Verständlich. Wiewohl sie selbst jeden Zusammenhang
zwischen Inszenierungserfolg und der vom Stiftungsrat bald zu klärenden
Frage, wer ihren Vater, Wolfgang Wagner, beerben soll, bestritt, hat sie selbst
den Konnex zur Nachfolgefrage hergestellt – durch eine Präsenz (an
die 160 Interviews), die sie als (vom Vater) unabhängige, dem Innovativen
verpflichtete Regisseurin mit Appetit auf die Übernahmen der Macht promoten
sollte.
Die Inszenierung musste da zwangsläufig in den Rang einer Bayreuth-Habilitation
aufsteigen. Und der Papa, der beredt schweigt, wird sich nicht wenig dabei
gedacht haben, als er seine Tochter (29) engagierte, nachdem er vor ein paar
Jahren seine Frau Gudrun beim Stiftungsrat nicht durchgesetzt hatte, stattdessen
die ungeliebte Tochter aus erster Ehe, Eva, als Nachfolgerin präsentiert
bekam. Diese Entscheidung demaskierte er als Wunsch und schob ihn durch ein
Nein auf die lange Intrigenbank – schließlich hat er einen Vertrag
auf Lebenszeit. Katharina, dermaßen zum Nachfolgerennen verdammt, hätte
aus alledem und den operntauglichen Beziehungen des Wagner-Clans durchaus ein
Meistersinger-Konzept drechseln können. Sie zog es allerdings zum Glück
vor, die Künstleroper als Diskurs um Tradition und Moderne ernst zu nehmen
und auf die unsympathische Rezeptionsgeschichte des Werkes einzugehen, das
Hitlers Lieblingsoper war und ob der finalen Beschwörung des Deutschen
entsprechend instrumentalisiert wurde.
Nun denn: Alle Folklore ist weginszeniert, man ist in einer Art Kunstinternat/Museum,
das Räume für Malerei, Bildhauerei, Instrumental- und Ballettunterricht
bietet. Die Zöglinge sind uniform gekleidet, sie vollführen maschinenhaft-dienstbar
Rituale, setzen Tische und Stühle für die auf Kunstregeln versessene
Meistergesellschaft zusammen. Es ist ein Ambiente der Tradition, des erstarrten
Akademismus. Nur Hans Sachs (Franz Havlata ist nur im Wahnmonolog souverän,
er bricht am Schluss vokal ein) ist da ein bisschen anders. Er geht barfuß,
raucht Kette und wirkt wie ein gelangweilter Existenzialist zwischen Malpinsel
und Schreibmaschine, der an der Herrenrunde, die sich an Reclamhefte klammert,
nur als skeptisch teilnehmender Beobachter mitwirkt.
Opernintoleranz ...
Für Ritter ist kein Platz. So schlüpft Walter von Stolzing (kantabel,
aber nicht immer sattelfest Klaus Florian Vogt) aus einem Klavier als impulsiv
malender Dandy, als alles mit Gestaltungszwang formende, übermalende Figur à la
Schlingensief. Katharina Wagner würzt das Ganze mit hübschen Pointen,
lässt Walter mit Beckmesser ein Puzzleduell absolvieren. Mitunter regnet
es Turnschuhe (den sonoren Norbert Ernst als David trifft einer auf den Kopf).
Und Sachs hat mit Eva (vokal eher blass Amanda Mace) ein sehr körperbetontes
Fastverhältnis.
Zwei Akte lang ist das eine keck angelegte Komödie, die in einen anarchischen
Akt der Befreiung von Regelzwängen mündet. Perücken fallen,
die Jungen rebellieren, mit Farben aus Warhol’schen Campbell-Suppendosen
wird kollektives Actionpainting zelebriert.
Sehr freundlicher Applaus, aber die Oper hat nun einmal einen dritten Akt, über
den Wandel der Charaktere wird plötzlich der Konnex zum Opernkonservativismus
und zur NS-Geschichte des Werkes hergestellt. Da wird aus Beckmesser (grandios,
die Entdeckung des Abends: Michael Volle) ein provokanter Kunstaußenseiter,
der mit dem Betrieb nichts mehr zu tun haben will. Aus Walter wiederum hat
seine Etablierung einen glatten Mainstreamtypen geformt, der – in der
Mitte der Ehegesellschaft angelangt – als eine Art Hansi Hinterseer harmlos
trällert. Am deutlichsten wird Katharina aber bei Sachs: Aus dem Liberalen
wird ein militanter Traditionalist.
... und Totalitarismus
Glänzend: Um ihn herum baut Wagner eine Verquickung zwischen Operintoleranz
des (auf die Bühne gebrachten) Publikums und politischem Totalitarismus.
Auf den Puppentanz deutscher Kulturgrößen (u. a. Goethe, Schiller)
samt Wagner (in Unterhosen) und Hitler (der sein Gesicht verkehrt trägt)
folgt die Simulation einer Verbeugungsszene von Regie und Dirigent. Als beide
in eine Kiste gesteckt werden, gibt es natürlich höhnischen Szenenapplaus.
Als Sachs dann aber die Kiste anzündet, die Künstler verbrennt und
aus der Kiste einen goldenen Hirschen zieht, herrscht eher wohl wütende
Ruhe. Ungestört kann Sachs zornig seinen finalen Deutschtum-Gesang im
sich langsam verdunkelnden Raum als gestisch Hitler nachempfundener Führer
absolvieren. Bayreuth hat erstmals seine Meistersinger-Geschichte thematisiert.
Klar, das musste Ärger geben. Als nach Sängerlob zur Sängerschelte
angesetzt wurde (Eva, Sachs), kam Katharina zu Hilfe und steigerte den Zornpegel
nur noch. Unangenehm. Aber langfristig wohl eine gute Investition für
die Nachfolgeschlacht. Da fiel Dirigent Sebastian Weigerle nicht mehr wirklich
auf, was allerdings auch seiner Performance entsprach. Alles klang transparent,
das Lyrische auskostend, aber auch nie über das Solide hinausragend.
(Ljubis¹a Tos¹ic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.7.2007)
Die Medienkampagne im Vorfeld der Premiere war flächendeckend und hat
wohl selbst den Rummel um Christoph Schlingensiefs «Parsifal»-Inszenierung übertroffen.
Denn diesmal ging es nicht nur um ein mit Spannung erwartetes Regiedébut,
sondern um eine mögliche künftige Festspielchefin: Die 29-jährige
Katharina Wagner, die jetzt mit den «Meistersingern» ihren Einstand
gegeben hat, ist die Tochter und Wunschkandidatin des bald 88-jährigen
Wolfgang Wagner, der die von seinem Grossvater Richard gegründeten Festspiele
seit 1951 leitet (NZZ 24. 7. 07.). Dass es ihr an Ambitionen nicht fehlt,
hat sie schon in ihren Medienauftritten deutlich gemacht, und ambitioniert
zeigt sie sich auch in ihrer ersten Regiearbeit am Grünen Hügel
(erst ihrer fünften selbständigen Inszenierung insgesamt). Doch
genügt das für eine schlüssige Lesart von Wagners monumentaler
Komödie?
Im musischen Gymnasium
Katharina Wagner und ihr Bühnenbildner Tilo Steffens lassen die ersten
zwei Akte im Innenhof einer Schule spielen – man denkt an Peter Konwitschnys
Hamburger «Lohengrin» und findet später immer wieder bestätigt,
dass die Wagner-Urenkelin, wie könnte es anders sein?, schon sehr viele
Wagner-Inszenierungen gesehen haben muss. Die Schule – mit seitlichen
Galerien und Kammern an der Rückwand – ist offensichtlich ein
musisches Gymnasium für Musik, Theater und Tanz, ein düsteres,
hässliches Gebäude.
Die Meister sind Lehrer; wenn sie sich an die umständlich montierten
Tische setzen, tragen sie Doktorhüte und Talare – bis auf den
kettenrauchenden Schuster Hans Sachs, der im schwarzen Hemd und barfuss daherkommt.
Eva und Magdalene (Carola Guber) erscheinen als kindische Zwillingsschwestern
im sprödem Grau (Kostüme Michaela Barth), der Lehrbub David macht
sich an einem Fotokopiergerät zu schaffen. Und hier soll der Junker
Stolzing vorsingen? Dieser schlaksige Lümmel, der die Hausordnung schon
während der Beratung der Meister gehörig durcheinander bringt (die
Malerei und das Theater scheinen es ihm besonders angetan zu haben?).
Seine Niederlage versetzt ihn in helle Wut, wild spritzt er zu Beginn des
zweiten Aktes mit Farbe um sich, bevor er seine Energie kreativ einsetzt
und Evas Kleid bemalt. Eine riesige Schwurfingerhand kippt gerade rechtzeitig
um, damit sie dem Paar als Podest dienen kann. Stolzings Wüten ist nur
das Vorspiel, in der Prügelszene bricht das Chaos aus, Schuhe fliegen
vom Bühnenhimmel, von den Galerien werden Campell-Büchsen ausgekippt – eine
Materialschlacht ohnegleichen. Dass die Bayreuther Festspiele sparen müssen,
sieht man diesen «Meistersingern» nicht an, wohl aber kann man
es hören (davon später).
Rätselhafte Wandlung
Die anarchische Prügelszene soll die eigentliche Schlüsselszene
der Inszenierung sein, doch wann und wie hier der Gesinnungswandel der drei
männlichen Protagonisten eintritt, das lässt sich nicht nachvollziehen.
Nach der zweiten Pause ist einfach alles anders: Sachs meditiert in einem
eleganten Salon, schlüpft in Schuhe, weisses Hemd und Anzug, hinter
ihm erscheinen die alten deutschen Meister, Richard Wagner natürlich
mit dabei, als riesige Masken, sie steigen aus ihren Kojen herab, fesseln
Sachs und drehen sich in einem grotesken Satyrtanz – eine ziemlich
rätselhafte Szene, bei der nur so viel klar wird: Sachs dankt ab und
mit ihm ein Künstlerteam, das sich pantomimisch der Applausordnung stellt.
Nach Stolzings Preislied gibt es dazu eine Parallelszene. Stolzing ist auf
den Mainstream eingeschwenkt, lässt sich von einem historisch kostümierten
Opernsängerpaar begleiten, empfängt zum Preis einen goldenen Hirsch
und posiert, vom «Leading Team» umrahmt, mit dem Check einer
imaginären Sponsor-Bank. Zwischen diesen beiden Applaus-Szenen gibt
es aber noch den Auftritt Beckmessers, und der gerät zum turbulenten
Happening eines Reaktionärs, der in der Prügelszene sein kreatives
Potenzial entdeckt hat und sich als Aktionskünstler outet.
Kopfgeburt
Sachs dankt ab, Stolzing passt sich an, Beckmesser wird zum Bilderstürmer,
der die Kunstszene neu aufmischt – ein Kommentar zum heutigen Opernbetrieb
im Allgemeinen und zu den Bayreuther Festspielen im Besonderen? So mag es
gemeint sein. Doch das Ganze bleibt zu sehr Kopfgeburt, einerseits überfrachtet
mit Einfällen und Requisiten, anderseits mit grossen Leerstellen – die
ganze ideologische Rezeptionsgeschichte der «Nazi-Oper» «Meistersinger» bleibt
ausgeblendet, Katharina Wagner beschränkt sich auf die Aufführungs-Ästhetik.
Interaktion zwischen den Figuren gibt es kaum (dass Eva den Witwer Sachs
mit einem Schal umgarnt, kann man kaum als solche bezeichnen), ob die Regisseurin
mit dem Chor umgehen kann, lässt sich nicht beurteilen, denn dieser
singt meist aus dem Off und tritt erst auf der Festwiesen-Tribüne in
Erscheinung, wobei er sich blitzschnell von einem Freizeit- in ein Premierenpublikum
verwandelt.
Was anders ist als gewohnt, wirkt allzu gesucht: zwei Nürnberg-Puzzles,
aber keine Merker-Tafel bei Stolzings Probelied, Sachs, der statt auf Schuhsohlen
auf die Tasten einer Schreibmaschine hämmert, das Blatt mit Stolzings
Preislied als Theaterprospekt, die Lied-Taufe als bürgerliches Familienidyll.
Und die beiden Frauen sind hier bloss lächerlich und haben nichts zu
bestellen, auch sängerisch.
Schriller Sopran
Amanda Mace ist als Eva mit ihrem resonanzarmen, schrillen Sopran die eine
der zwei grossen vokalen Schwachstellen dieser Produktion, die zweite ist
Franz Hawlata als Sachs, dessen Bariton es an Kraft, Wohlklang und Reichweite
gleichermassen mangelt. Da hilft es wenig, dass als Stolzing mit Klaus Florian
Vogt eine der Nachwuchshoffnungen im deutschen Tenorfach zu hören ist – er
konnte sich an der Premiere von Akt zu Akt steigern, erreichte aber mit seinem
leichten Ansatz nicht ganz die satte Strahlkraft, mit der er im vergangenen
Dezember in den Genfer «Meistersingern» begeistert hatte. Zu
den Pluspunkten zählen auch Michael Volles Beckmesser (gerade in dieser
ernsthaften Deutung der Partie), der als einziger der Solisten auch die Textverständlichkeit
pflegt, und Norbert Ernst als agiler, dabei keineswegs leichtgewichtiger
David.
Von der berühmten Bayreuther Akustik können die Sänger dieser
Aufführung kaum profitieren, denn der Dirigent Sebastian Weigle lässt
das Orchester wuchtig agieren. Seine Tempi sind frisch, unpathetisch, zügig,
wirken aber wenig durchgeformt und ausbalanciert, vor allem jedoch vermisst
man die klangliche Strukturierung, die instrumentale Feinarbeit. So setzte
es am Schluss der Premiere nicht nur für das Regieteam und einzelne
Sänger, sondern auch für den Dirigenten neben Beifall heftige Buhrufe
ab. Ob Katharina Wagner als Festspielleiterin geeignet wäre, lässt
sich aufgrund ihres «Meistersinger»-Débuts nicht entscheiden,
gewiss ist aber, dass sie als Regisseurin ihr künstlerisches Profil
noch finden muss.
Marianne Zelger-Vogt
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