DER
SPIEGEL 35/2007 - 27. August 2007
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USA
So erloschen der Glanz
Von Hans Hoyng
Erbittert wird in den Vereinigten Staaten darum gestritten, wer die Schuld
am leidigen Krieg im Irak trägt. Nun behaupten zwei Buchautoren, neokonservative
Intellektuelle hätten leichtfertig israelische und amerikanische Interessen
gleichgesetzt - und lösen eine heftige Kontroverse aus.
Ein paar Tage lang lag das politische Zentrum der USA dort, wo Amerikas Herz
schlägt: im Bundesstaat Missouri, in Kansas City, der Prärie-Metropole
in der Mitte des Landes, sonst Welten entfernt vom monomanischen Politikbetrieb
der Hauptstadt.Vorige Woche waren fast alle nach Kansas City gekommen, die
ernsthaft ins Weiße Haus wollen: von den Demokraten die Senatorin Hillary
Clinton und ihr Rivale Barack Obama, von den Republikanern John McCain und
der ehemalige Schauspieler Fred Thompson. Alle warben sie um die Gunst eines
der mächtigen amerikanischen Veteranenverbände, der hier seine Jahresversammlung
abhielt. Ihre Reden fielen noch etwas patriotischer aus als sonst; Hillary
Clinton vorneweg pries Amerikas Soldaten. Sie weiß aus eigenem Erleben
nur zu genau, wie die Feindschaft der Veteranen, einer Macht von 24 Millionen
Ex-Soldaten etwa aus dem Zweiten Weltkrieg, aus Korea oder Vietnam, eine Präsidentschaft
in höchste Gefahr bringen kann. Bill Clinton, der Vietnam-Drückeberger,
schaffte das.
Keiner der Newcomer aber verfiel auf so kühne Thesen über Amerikas
Außenpolitik in Vergangenheit und Gegenwart wie ausgerechnet jener Oldie,
der nach zwei Amtszeiten nun nichts mehr werden kann: George W. Bush. An dem
Tag, an dem bei einem Hubschrauberabsturz im Irak 14 GIs starben - einer der
höchsten Tagesverluste im ganzen leidigen Krieg -, beschwor er die Erinnerung
an einen anderen Hubschrauber: den, der 1975 vom Dach der US-Botschaft in Saigon
die letzten Verbündeten aus einem verlorenen Krieg ausflog.MEHR ZUM
THEMANina Berman / Redux / laif
"
Ich verbrenne innerlich, ich verbrenne": Eine bewegende Fotoschau in New
York zeigt Porträts verstümmelter Irak-Veteranen. Die elegischen
Bilder, traurigen Stillleben gleich, und die Zitate der Soldaten sagen mehr über
Bushs Feldzug als jede Polit-Debatte.
Auch damals, so Bushs Lesart der Geschichte, hätte es geheißen,
ohne Amerikas Präsenz am Kriegsschauplatz nähme das Töten ein
Ende. In Wahrheit sei der Abzug der Auftakt für ein unvorstellbar großes
Massaker gewesen: in Kambodscha, im vom Norden eroberten Südvietnam und
unter jenen Hunderttausenden Flüchtlingen, die ihr Heil in seeuntüchtigen
Booten suchten. "Der Preis für Amerikas Abzug", so Bush als
Warnung, diesen Fehler nun nicht im Irak zu wiederholen, "wurde von Millionen
unschuldiger Bürger bezahlt."
Nach qualvollen Jahren der Aufarbeitung des Vietnam-Kriegs sind sich eigentlich
die meisten Amerikaner darüber einig, dass ihre Soldaten damals in Südostasien
nichts zu suchen hatten. Quer über das gesamte ideologische Spektrum gilt
eine Rechtfertigung für das Indochina-Desaster als politischer Selbstmord.
Bushs Rechnung, mit dem Hinweis auf Vietnam den Abzug aus dem Irak aufzuhalten,
kann deshalb nur dann aufgehen, wenn er seine Landsleute auch noch von der
Wahrheit eines Satzes überzeugen kann, den er ebenfalls den jubelnden
Veteranen vortrug. Die US-Truppen, sagte Bush, seien noch immer "die größte
Macht zur Befreiung des Menschen, welche die Welt jemals gekannt hat".
Da war es wieder, das Argument, die Streitkräfte seien Missionare der
Demokratie. Die große neokonservative Idee feierte unverhoffte Wiederauferstehung,
wonach es keine Sicherheit für die USA ohne Frieden im Nahen Osten geben
könne und keine Stabilität ohne Demokratien in der Region und der
Weg nach Jerusalem deshalb über Bagdad führen müsse.
Auf dem Höhepunkt ihres Einflusses war diese Dominotheorie zur Regierungsdoktrin
erhoben worden. Vor dem Kapitol gelobte Bush feierlich zu Beginn seiner zweiten
Amtszeit im Januar 2005: "Es ist die Politik der Vereinigten Staaten,
demokratische Bewegungen und Institutionen in jedem Land und in jeder Kultur
zu suchen und ihre Entwicklung zu fördern mit dem Endziel, die Tyrannei
in der Welt zu beenden."
Doch als Bush sein "In Tyrannos" ablegte, stand das Projekt schon
vor dem Scheitern. Amerikas Soldaten waren im Irak nicht als Befreier umjubelt
worden, sie verstrickten sich immer heftiger in den Kampf gegen einen hartnäckigen
Aufstand. Amerikanische Verluste häuften sich, und alsbald begann eine
bittere Abrechnungsdebatte: "Who lost Iraq?" Die Demokraten hoffen,
Bushs Scheitern in der Wüste werde im kommenden Jahr den Machtwechsel
garantieren. Das Weiße Haus beschimpft die Oppositionspartei als "Defätismokraten".
Kommende Woche dürfte eine besondere Spielart dieser Debatte mit neuer
Bitterkeit über das Land hereinbrechen: Genau eine Woche bevor - ausgerechnet
am 11. September - der amerikanische Oberbefehlshaber im Irak, General David
Petraeus, seine Bilanz des Irak-Kriegs aufmachen wird, erscheint in den USA
(und gleichzeitig auch in Deutschland) ein Buch von einiger Sprengkraft*. Unter
anderem versuchen zwei Autoren nachzuweisen, dass es einer kleinen Gruppe überwiegend
jüdischer Intellektueller und Mitglieder der Regierung gelungen sei,
Amerika in diesen Krieg hineinzutreiben, weil ihnen das Schicksal Israels
- mindestens
- ebenso sehr am Herzen liege wie das ihres Vaterlands.Die US-Neokonservativen:
Gescheiterte Ideologen
John J. Mearsheimer, Stephen M.
Walt:
"
Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird".
Campus Verlag, Frankfurt am Main; 504 Seiten; 24,90 Euro. Das Buch können
Sie hier im SPIEGEL-Shop kaufen.
Der Vorwurf ist nicht gerade neu. Dass eine "kosher nostra", bestehend
aus den üblichen Verdächtigen Paul Wolfowitz, dem einstigen Stellvertreter
von Pentagon-Chef Donald Rumsfeld, dessen Staatssekretär Douglas Feith,
dem Verteidigungsexperten Richard Perle, der sich seit Ronald Reagans Zeiten über
seinen Spitznamen "Fürst der Finsternis" freut, und etwa zwei
Dutzend weiteren Neocons, mit Hilfe bewusster Verdrehung der Tatsachen den
Sturz des Diktators Saddam Hussein betrieben hat, gehörte schon lange
zu den Washingtoner Gewissheiten an der Schnittstelle zwischen Verschwörungstheorie
und Tatsachenbericht.
Die Autoren der jüngsten Version dieses Vorwurfs möchten mehr. John
Mearsheimer, Politologe an der University of Chicago, und Stephen Walt, Professor
an der zur Harvard-Universität gehörenden John F. Kennedy School
of Government, wollen empirisch belegen, dass es einem effektiven Netzwerk
von Israel-Lobbyisten, neokonservativen Intellektuellen, aber auch christlichen
Fundamentalisten in den USA gelungen ist, Washingtons Außenpolitik so
weit zu beeinflussen, dass das nationale Interesse Amerikas zweitrangig geworden
ist, ja, dass etliche politische Entscheidungen, die zugunsten Israels gefällt
wurden, die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährden.MEHR
ZUM THEMANina Berman / Redux / laif
"
Ich verbrenne innerlich, ich verbrenne": Eine bewegende Fotoschau in New
York zeigt Porträts verstümmelter Irak-Veteranen. Die elegischen
Bilder, traurigen Stillleben gleich, und die Zitate der Soldaten sagen mehr über
Bushs Feldzug als jede Polit-Debatte.
Ihre Kernthese lautet: Der Israel-Lobby sei es gelungen, "die Außenpolitik
so weit von dem abzubringen, was die Rücksicht auf das nationale Interesse
eigentlich diktieren würde, und gleichzeitig viele Amerikaner davon zu überzeugen,
dass das amerikanische und das Interesse des anderen Landes - in diesem Fall
Israel - im Wesentlichen identisch ist".
Die Identität der Interessen aber bestreiten die beiden Autoren, und
damit ist ihr Buch ein Politikum.
Als die beiden Politologen die Kernthesen ihrer Recherche im vergangenen
Jahr als Essay in der "London Review of Books" veröffentlichten,
brach ein Sturm der Entrüstung los. Vertreter jüdischer Gruppen in
den USA bezeichneten die Wissenschaftler, die sich eigentlich im Mainstream
ihrer Zunft bewegen, als Antisemiten. An den Universitäten und in den
Medien vollzog sich eine Schlammschlacht aus wechselseitigen Vorwürfen
und Verdächtigungen.
Es ging damals und es geht heute darum, ob Intellektuelle an einem neuen
Verschwörungsmythos
weben - der Vergleich mit den rassistischen "Protokollen der Weisen von
Zion" tauchte schon mehrfach auf. Die angesehene Fachzeitschrift "Foreign
Affairs" hingegen hält es für möglich, dass die Thesen
von Mearsheimer und Walt einen "nützlichen Paradigmenwechsel in der
amerikanischen Nahost-Politik herbeiführen könnten".
Schon jetzt geht es hoch her: Gleich reihenweise wurden Lesetermine der
Professoren abgesagt. So luden sowohl die New Yorker City University als
auch das Chicagoer
Council on Global Affairs die beiden Autoren wieder aus. Universitätsverwaltungen
setzen sich vorsichtig von den Debattanten ab, weil sie um Zuwendungen
für
ihre Institutionen fürchten. Und die Autoren klagen, eine rationale
Debatte sei kaum noch möglich, weil genau jene Kräfte, die sie
in ihrem Buch beschreiben, den Angriff auf sie mit einem Angriff auf Israel
verwechselten
und nun versuchten, die Kritiker mundtot zu machen.
Die Sorge, nicht genügend Beachtung zu finden, ist allerdings unbegründet.
Was ihre Thesen zur israelischen Lobbyarbeit für den Nahen Osten und zum
neokonservativen Urheberrecht am Irak-Krieg betrifft, stehen Mearsheimer und
Walt längst nicht mehr allein da.Die US-Neokonservativen: Gescheiterte
Ideologen
Dass etwa der Irak-Krieg auch etwas damit zu tun hat, dass sich in Washington
zeitweilig die Hoffnung durchgesetzt hatte, den Kernkonflikt des Nahen
Ostens durch den Versuch zu umgehen, in den Staaten der Region eine demokratische
Modernisierung voranzutreiben, wird niemand mehr bestreiten. Auch nicht
die
These der beiden Politologen, wonach Amerikas Kriegsbefürworter den Sturz
Saddams als Verbesserung der strategischen Position Israels und Amerikas ansahen
und darauf hofften, dass beide Vorteile aus der regionalen Modernisierung ziehen
würden.
Dass Saddam keine wirkliche Bedrohung für Amerika darstellte, wohl aber
für Israel, ist eine Tatsache, die selbst Mitglieder der Bush-Regierung
zugegeben haben, wenn auch nur sehr selten in aller Öffentlichkeit. Und
dass sich die Parameter der amerikanischen Nahost-Politik ändern müssen,
ist keineswegs die exklusive Erkenntnis zweier Politologen. Die Einsicht teilen
so unterschiedliche Politiker wie ExPräsident Jimmy Carter oder Tony
Blair.
Und die Parameter, sie ändern sich ja schon: Auch bekehrte Neocons wie
Francis Fukuyama ("Das Ende der Geschichte") räumen ein, das
große missionarische Projekt der Neokonservativen sei einstweilen gescheitert.
Von einigen prominenten Kriegsbefürwortern ist bereits ein vorsichtiges "mea
culpa" zu vernehmen. Die Mehrheit ist allerdings der Überzeugung,
der strahlende Glanz ihrer Vision sei vor allem deshalb erloschen, weil
eine inkompetente Regierung sie so verheerend umgesetzt habe.
Schließlich hat sogar die Bush-Regierung selbst, allem Pathos à la
Kansas City zum Trotz, in ihrer Nahost-Politik den Umweg über Bagdad
aufgegeben. Außenministerin Condoleezza Rice pendelt wieder wie ihre
Vorgänger
zwischen Jerusalem und Ramallah, wenn auch noch nicht in der gebotenen
Frequenz. Dass sich Washington entschieden hat, die Gegner Irans aufzurüsten,
darunter auch so zweifelhafte Diktaturen wie Saudi-Arabien, ist ein - häufig
kontraproduktives - Mittel aus dem Arsenal traditioneller Außenpolitik,
auf jeden Fall aber eine Todsünde wider den Geist neokonservativer
Demokratielehre.
Ob deswegen Israel mehr oder weniger die gesamte Außenpolitik der USA
in "strategische Haftung" genommen hat, wie die Autoren behaupten,
ist allerdings eine ganz andere Frage. Die Isolation der Vereinigten Staaten
in der muslimischen Welt ist für die Autoren auch eine Folge der bedingungslosen
Unterstützung Israels.MEHR ZUM THEMANina Berman / Redux / laif
"
Ich verbrenne innerlich, ich verbrenne": Eine bewegende Fotoschau in New
York zeigt Porträts verstümmelter Irak-Veteranen. Die elegischen
Bilder, traurigen Stillleben gleich, und die Zitate der Soldaten sagen mehr über
Bushs Feldzug als jede Polit-Debatte.
Das ist, selbstverständlich, vermintes Terrain. Natürlich hüten
Mearsheimer und Walt sich, die Terroranschläge vom 11. September 2001
mit der Washingtoner Israel-Politik zu begründen. Ganz deutlich aber schreiben
sie, dass der Einfluss der Lobby "die terroristische Gefahr vergrößert".
Die USA hätten genau deshalb ein Terrorismusproblem, "weil sie so
eng mit Israel alliiert sind". Die Angst, dass eines nicht fernen Tages
die amerikanische Öffentlichkeit deshalb die Schuld am islamischen Terror
Israel oder den Interessenvertretern amerikanischer Juden geben könnte,
macht erklärlich, warum das Echo auf dieses Buch so alarmistisch ausfällt.
Am gleichen Tag wie Walts und Mearsheimers fleißig zusammengetragener
Indizienberg für die israelische Einflussnahme wird einer der Cheflobbyisten
und Hauptakteure ihres Buchs eine Replik auf den US-Markt bringen. Sie heißt: "Die
tödlichsten Lügen: Israels Lobby und der Mythos von der jüdischen
Kontrolle." Verfasser ist Abraham Foxman, seit 20 Jahren Chef der amerikanischen
Anti-Defamation League. Das Vorwort hat Reagans ehemaliger Außenminister
George Shultz geschrieben, und der nimmt sich das Werk der beiden Politologen
heftig vor: "Das ist eine Verschwörungstheorie, schlicht und einfach.
Wissenschaftler großer Universitäten sollten sich schämen,
so etwas zu verbreiten."
Die US-Neokonservativen: Gescheiterte Ideologen
Das werden die Beschuldigten nicht tun - und brauchen es wohl auch nicht.
Ihr Buch ist in erster Linie ein Indiz dafür, dass Washingtons Nahost-Politik
gegenwärtig einer Überprüfung unterzogen wird. Dass George W.
Bush deshalb in den verbleibenden Monaten seiner Amtszeit noch mit der Hamas
reden oder, wie von vielen Gegnern gefordert, einen möglichst vollständigen
Truppenabzug aus dem Irak anordnen könnte, ist kaum zu erwarten. Auch
nicht, dass irgendeiner seiner Nachfolger die enge Bindung an Israel lockern
wird.
Vorstellbar ist aber auch nicht mehr, dass der nächste US-Präsident
noch einmal einem israelischen Regierungschef Carte blanche geben könnte,
wie Bush es für Ariel Scharon und Ehud Olmert getan hat. Wenig wahrscheinlich
auch, dass es den Neocons noch einmal gestattet sein könnte, die amerikanische
Nahost-Politik zu kidnappen.
Auch das hat Bush im Irak bewerkstelligt.
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