SPIEGEL ONLINE - 26. September 2007, 06:34
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UNO-AUFTRITT
Was Ahmadinedschad wirklich sagte
Von Marc Pitzke, New York
Er wurde dämonisiert, beschimpft, ignoriert - aber bei seinem Trip durch New York wurde Irans Staatschef Ahmadinedschad auch wohlwollend beklatscht. Dabei ging in all dem Trubel fast unter, welche Unsäglichkeiten er wirklich von sich gab.
New York - Irgendwann fehlen auch dem Wortgewandtesten mal die Worte. Mahmud Ahmadinedschad passierte das gestern Abend, am Ende seines New-York-Aufenthalts, tief in den Uno-Katakomben am East River. Da wurde der erschöpfte Präsident Irans auf seiner letzten US-Pressekonferenz erneut von einem Reporter mit seiner alten Drohung konfrontiert, Israel auszulöschen. Ob er dem etwas hinzuzufügen habe? Der Meister der weitschweifigen Nicht-Antwort guckte den Journalisten müde lächelnd an und sagte: "Nächste Frage, bitte."

AP
Ahmadinedschad: Er fühlt sich ständig falsch verstanden
Zweieinhalb Tage verbrachte Ahmadinedschad in New York. Er wurde dämonisiert - die "Daily News" nannte ihn "Hitler" und "das Böse". Er wurde als "engstirniger und grausamer Diktator" bezeichnet - von Lee Bollinger, dem Präsidenten der Columbia University Er wurde ignoriert - Tony Blair kehrte ihm in der Uno-Lobby den Rücken zu, Amerikas First Lady Laura Bush rauschte wortlos an ihm vorbei. Und er wurde wohlwollend beklatscht - nach seiner überlangen Rede vor der Vollversammlung, bei der er die USA als "arrogante Macht" schimpfte - immer ein Publikumsrenner im Uno-Plenum.
Doch bei all dem Gebrüll, Gezeter und schrillen Polit-Theater, das Ahmadinedschad allein durch seine Anwesenheit provozierte, ging schnell unter, was er denn wirklich gesagt hat. Erst zum Ende seiner Reise bot sich die Gelegenheit, dies ungeschminkt zu erleben, bei einer geradezu rabaukenhaften Pressekonferenz im Uno-Untergeschoss.
" Woher kommen Sie?"
Der Saal war grell erleuchtet, die Nerven lagen blank. Beide Seiten, die Korrespondenten wie Irans Präsident, waren spürbar erschöpft. Und wer erschöpft ist, der lässt nun mal leichter die Maske fallen. Es war Ahmadinedschad unplugged - direkt, live und ohne Manuskript.
Zu den Drohungen gegen Israel: Nachdem Ahmadinedschad die erste Frage danach unbeantwortet gelassen hatte, unterbrach er den Fragesteller beim zweiten Mal barsch: "Woher kommen Sie?" Der Reporter war vom konservativen US-Kabelsender Fox News. Daraufhin sagte Irans Präsident: "Wir sind der Meinung, dass das zionistische Regime eine usurpatorische, illegale Besetzung ist." Jemand rief laut dazwischen: "Beantworten Sie die Frage!" Ahmadinedschad verwies auf das bekannte Schicksal der Sowjetunion: "Wo ist sie heute? Sie ist verschwunden."
AHMADINEDSCHAD-BESUCH: WÜTENDE PROTESTE IN NEW YORK



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Zur Atom-Debatte: "Irans Nuklearfrage ist nunmehr abgeschlossen", hatte Ahmadinedschad vor der Vollversammlung erklärt - seine Redezeit von 15 Minuten überzog er dabei um gut 30 Minuten. Irans Atomforschung gehe "friedlich" weiter, fügte er auf der Pressekonferenz hinzu. Iran kooperiere mit der Uno-Atomaufsichtsbehörde IAEA: "Wir meinen wirklich, was wir sagen."
Tatsächlich hatte IAEA-Chef Mohamed ElBaradei erst kürzlich festgestellt, dass Iran seine "Anreicherungsaktivitäten nicht eingestellt" und "seinen Bau des Schwerwasserreaktors in Arak fortgesetzt" habe. ElBaradei nannte das "bedauernswert". Darauf angesprochen, bestätigte Ahmadinedschad dies gestern nach einigem Hin und Her doch noch - aber mit dem Zusatz: "Beide diese Aktivitäten sind legal."
" Die Fragen sind überhaupt nicht wahr"
Zur Rolle Irans im Irak: "Der Irak und Iran repräsentieren zwei große Nationen, die Freunde sind. Unsere Freundschaft ist historisch." Wenn jemand im Irak Schmerz empfinde, schmerze das auch in Iran. "Wir sind gegen jegliche Art von Unsicherheit im Irak." Berichte über eine Unterstützung schiitischer Terroristen im Irak bezeichnete er als "Lügen".
Tatsächlich ignoriert Ahmadinedschads Freundschaftsgeschichte mit dem Irak den ersten Golfkrieg zwischen beiden Staaten (1980-1988), bei dem schätzungsweise eine Million Menschen starben, die meisten auf iranischer Seite. Und eine aktuelle Verbindung Teherans zu Milizen im Irak kristallisiert sich nach Berichten von US-Medien inzwischen immer stärker heraus. General David Petraeus und Botschafter Ryan Crocker beschuldigten Iran vor dem Kongress, die Terroristen im Irak aktiv zu unterstützen, um so "einen Stellvertreterkrieg gegen den irakischen Staat und die Koalitionstruppen im Irak zu führen".
Zur Unterdrückung kritischer Wissenschaftler in Iran: Eine Reporterin sprach Ahmadinedschad auf die Inhaftierung und Verfolgung politisch unliebsamer Dozenten und Studenten in Iran an. Ahmadinedschads Reaktion: "Die Fragen, die Sie aufwerfen, sind überhaupt nicht wahr." Im Gegenteil: Alle fraglichen Personen seien weiter "aktiv". Und, kryptischer: "Die Freiheit, die man heute in Iran genießt, ist Freiheit."
AHMADINEDSCHAD-BESUCH: WÜTENDE PROTESTE IN NEW YORK



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Tatsächlich verweist die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) auf mehrere prominente Fälle, die dem widersprechen. "Die zunehmende Inhaftierung und Internierung von iranisch-amerikanischen Gelehrten in Iran deutet auf eine Kampagne der iranischen Regierung hin, kommunale Bürgeraktivisten davon abzuschrecken, mit Iranern im Ausland zu interagieren", heißt es in einer Erklärung der HRW. HRW-Nahostdirektorin Sarah Leah Whitson fügte hinzu: "Geheimdienstagenten versuchen, diese Inhaftierten dazu zu zwingen, falsche Geständnisse abzulegen, um die breitere Gemeinschaft iranischer Aktivisten und Gelehrten zu belasten." Ahmadinedschad beschrieb diese Verhöre gestern so: Die Akademiker seien "von der Polizei eingeladen worden, eine Unterhaltung zu führen".
" Geben Sie mir die Adressen!"
Zur Verfolgung von Minderheiten in Iran: "In Iran haben wir keine Homosexuellen wie in Ihrem Land", hatte Ahmadinedschad am Montag an der Columbia University behauptet, als er nach der Hinrichtung Schwuler in Iran gefragt wurde. Die Frage wurde ihm gestern erneut gestellt. Er wand sich etwas und sagte dann: "Im Ernst? Ich kenne keine." Die Reporterin entgegnete, sie kenne aber welche. "Homosexuelle?", sagte Ahmadinedschad mit kaum verhohlenem Unwillen. "Geben Sie mir die Adressen!"
Tatsächlich ist Homosexualität in Iran strafbar. Küssen unter Männern wird mit Peitschenhieben bestraft, Sodomie mit dem Tod. Menschenrechtsgruppen, darunter Amnesty International, haben über die Jahre etliche Exekutionen iranischer Schwuler dokumentiert. "Das beharrliche Leugnen unserer Realität durch den iranischen Präsidenten reflektiert die andauernde Weigerung seiner Regierung, die grundlegenden Menschenrechte lesbischer, schwuler, bisexueller und transsexueller Menschen anzuerkennen", erklärte Paula Ettelbrick, die Chefin der International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC).
Zur Verbindung Irans mit der Hisbollah: Karnit Goldwasser, die Ehefrau des israelischen Soldaten Ehud Goldwasser, der im Juli 2006 von der iranisch unterstützten Hisbollah verschleppt worden war, fragte Ahmadinedschad gestern nach dem Verbleib ihres Mannes: "Warum erlauben Sie dem Roten Kreuz nicht, ihn zu besuchen?" Ahmadinedschad ignorierte sowohl die Frage wie auch die Frau, die vor ihm in der ersten Reihe saß, und wandte sich stattdessen einer Frage nach der Erderwärmung zu.
Zu allen Zweifeln an seinen Antworten sagte er: "Ich lade Sie ein, einzeln nach Iran zu kommen, Sie alle, und sich mit uns zusammenzusetzen."

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