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27. Juni 2007, 00:00 Uhr
Von Rolf Schneider
Theodor Fontanes Urtext seiner Ballade "Herr Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" wurde
in Berlin für 130 000 Euro versteigert
Die Hand des Dichters
In Karl Eduard Haases Sammelwerk "Sagen aus der Grafschaft Ruppin",
1887 erschienen, steht eine Geschichte, die von dem 1759 verstorbenen Hans-Georg
von Ribbeck erzählt. Er sei gut zu den Bauern gewesen und habe mittags
den Dorfkindern Birnen geschenkt. Da ihm bewusst gewesen sei, wie knauserig
sein Sohn war, bat er auf dem Sterbebett, dass man ihm eine Birne ins Grab
lege. Aus dieser Frucht wuchs über der Familiengruft ein Baum, der auch
Früchte trug. Ein Flüstern in den Zweigen bot sie den Kindern an.
Die nämliche Geschichte druckte im Mai 1889 die brandenburgische Wochenschrift "Der
Bär". Aus beiden Quellen schöpfte der märkische Wanderer
Theodor Fontane, als er seine Ballade vom Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
schrieb. Es war der Sommer 1889.
118 Jahre später sind die drei Seiten, auf die Fontane seinerzeit mit
Tinte und Bleistift sein Werk schrieb, für 130 000 Euro im Berliner Auktionshaus
J. A. Stargardt verkauft worden. Ein Privatsammler erwarb das Manuskript, dessen
Schätzpreis lediglich 30 000 Euro betragen hatte. Kein Wunder, dass von
einem regelrechten Bietergefecht die Rede ist, um ein Werk, das um einiges
vor den großen Romanen entstand, mit denen er in die Weltliteratur eingegangen
ist.
1889 zählte der Dichter 70 Jahre. Man kannte seine Berichte aus England
und Schottland und aus dem deutsch-französischen Krieg 1870/71. Man kannte
von ihm Gedichte. Und die patriotischen Erzähltexte "Vor dem Sturm", "Grete
Minde" und "Schach von Wuthenow" lagen schon vor.
Fontane galt den Zeitgenossen als engagierter Anhänger der ostelbischen
Aristokratie. Der ist er bis an sein Lebensende tatsächlich geblieben,
doch mutierte seine Haltung von bedingungsloser Apologie zu linksliberalen
Vorbehalten. Letzteres prägt auch die Ribbeck-Ballade: Des Sterbenden "Misstraun
gegen den eigenen Sohn" zeigt an, wie es um künftige Generationen
des Preußenadels bestellt ist. Ein Halbjahrzehnt nach Niederschrift der
Ribbeck-Verse mokiert sich Fontane in einem Gelegenheitsgedicht zu seinem 75.
Geburtstag, alle hätten sie ihn vergessen: die Bredows, Groebens und Krachts,
die Thümens, die Pfuels und die Ribbecks eben auch. Stattdessen: "Meyers
kommen in Bataillonen", dazu "Abram, Isack, Israel".
Die Figur des fürsorglichen Vaters, wie ihn der alte Ribbeck verkörpert,
ist bei Fontane häufig. Es gibt ihn etwa als alten Briest und als Dubslav
im "Stechlin". Der Herr von Ribbeck redet mit den Dorfkindern, damit
sie ihn verstehen, im Dialekt. "Lütt Dirn, kumm man röwer, ick
hebb 'ne Birn." Dies ist märkisches Platt, ein inzwischen ausgestorbenes
Idiom.
In seiner Zeit wurde Theodor Fontane als Balladendichter geschätzt. "John
Maynard" und "Die Brück' am Tai" fanden Eingang in Schullesebücher.
Heute kennt man diese Verse kaum mehr.
Die jetzt versteigerte Urschrift des "Herr von Ribbeck" zeigt, dass
sich Fontane keineswegs leicht tat mit dem Setzen der Verse. Wurden die ersten
Zeilen noch in einem Zug niedergeschrieben, zeugen die vielen Korrekturen und
Streichungen von der Mühe, die sich ihr Schöpfer mit der Ballade
gab.
Dass sie Fontanes einziges populär gebliebenes Gedicht blieb, daran hat
vor allem der Fremdenverkehr Anteil. Wer sich etwa nach Bornstedt bei Potsdam
begibt, wo das ehemals königliche Latifundium prächtig wiederhergestellt
wurde als ein borussisches Disneyland, stößt unweigerlich auf Fontanes
Herrn von Ribbeck, obschon der mit Bornstedt gar nichts zu schaffen hat. Fontanes "Wanderungen" fungieren,
wo immer es sich anbietet, als beliebter Reiseführer durch Brandenburg.
Dabei lässt sich der originale Balladen-Birnbaum in dem 30 Kilometer westlich
Berlins gelegenen Ribbeck freilich nicht mehr besehen. 1911 hat ihn ein Sturm
geknickt. Bloß der Stumpf existiert noch und wird in der Dorfkirche aufbewahrt.
Das von Fontane erwähnte "Doppeldachhaus" stand zu Zeiten des
alten Hans-Georg noch nicht. Das Untergeschoss wurde erst 1822, der Oberstock
erst 1893 errichtet. Ab 1840 widmete sich die Herrschaftsfamilie der Schnapsbrennerei.
Nicht Birnenbrand wurde destilliert, sondern Kartoffelsprit: bis zu 114 000
Liter im Jahr. Das Brennhaus steht noch. Sein Schornstein misst 30 Meter.
Mit solcher Art der Werktätigkeit unterschieden sich die Ribbecks nicht
von anderen märkischen Junkern. Das Geschlecht ist übrigens alt:
Im Jahre 1237 wird mit Domherr Heinrich ein erster Ribbeck urkundlich erwähnt.
Bis 1943 war das Gut Stammsitz der Familie, dann nahm es Hitlers Luftwaffe
in Besitz. Der letzte Gutsherr Hans Georg Karl Anton war, wie andere märkische
Blaublüter, ein konservativer Nazi-Gegner. Er starb 1945 im nahen KZ Sachsenhausen.
Die DDR nutzte das Anwesen zu verschiedenen Zwecken. Sie hat auch, aus Respekt
vor dem Dichter, einen neuen Birnbaum gepflanzt. Nach der Wiedervereinigung
machte die Familie erfolgreich ihren Besitzanspruch geltend; zwei Ribbecks
wohnen nun wieder im Dorf, doch das Gutshaus steht zum Verkauf. Woher das Original-Manuskript
der Ballade kam, ehe es auf die Auktion gelangte, ist unklar. Ein freundliches
Märchen behauptet, Fontane habe es einst den Ribbecks vermacht, was falsch
ist; bis 1933 befand es sich im Besitz der Fontane-Erben. Dann wurde es dem
Berliner Auktionshaus Meyer & Ernst angeboten. Bei einer Versteigerung
am 9. Oktober 1933 fand es keinen Abnehmer.
Das war nicht erstaunlich insofern, als das öffentliche Interesse an Fontane
damals eher gering war. Das von den Erben unterhaltene Archiv erhielt keinerlei
staatliche Zuwendung. Als es schließlich von der Preußischen Staatsbibliothek übernommen
wurde, lautete die amtliche Schätzung auf 100 000 Reichsmark, doch gezahlt
wurden bloß 8000, gestückelt in Monatsraten zu 70.
Der Rang, den der Dichter heute ganz selbstverständlich einnimmt, ist
jüngeren Datums. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein galt er vielen als
märkischer Unterhaltungsschriftsteller vom Zuschnitt der Willibald Alexis
und Heinrich Seidel. Thomas Manns rühmendes Bekenntnis von 1910 - "immer
freier, immer weiser reifte diese seltene und liebenswürdige Natur" -
war die Ausnahme. Die deutsche Hochschulgermanistik hat ihn lange ignoriert.
Heute liegt ein Teil der Autographen in der Berliner Staatsbibliothek, während
andere dem Fontane-Archiv in Potsdam gehören. Beide Institutionen konkurrieren
miteinander und werden darin unterstützt von den jeweiligen Landesregierungen. "...
noch immer, die Hand, noch immer, die Finger, noch immer, fing alles, noch
immer, fängt an, im Land, im Land, im Havelland." So der aus Hessen
stammende Schriftsteller F. C. Delius in seinem 1991 erschienenen Büchlein "Die
Birnen von Ribbeck". Fontanes Obsternte geht weiter und, mit den Schlussworten
der Ballade, "spendet Segen noch immer".
Der Alte von Ribbeck
Hier ein Bild des Hans-Georg von Ribbeck. Er war gut zu den Bauern und verschenkte
mittags gerne Birnen an die Kinder des Dorfs. Er ist im hohen Alter 1759 gestorben
und bat angesichts seines knauserigen Sohns um eine Birne ins Grab. Er misstraute
seinem Sohn, dass er die Großzügigkeit fortführen werde und
griff zu dieser List, damit auch die Kinder nachfolgender Generationen wieder
Freude an den weit und breit leuchtenden Birnen haben sollten. Aus dieser Birne
wuchs über der Familiengruft ein Baum, der wieder Früchte trug
und sie durch ein Flüstern im Baume wieder den Kindern anbot...."So
spendet Segen noch immer die Hand des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland."
Ribbeck im Havelland
Ribbeck ist ein Dorf in der Mark Brandenburg, 30 km von der westlichen Stadtgrenze
Berlins entfernt, idyllisch in einer Senke an der Bundesstraße 5 nach
Hamburg gelegen.
Die Familie von Ribbeck wird mit dem Domherrn und Priester Heinrich von Ribbeck
in Brandenburg erstmals 1237 genannt. Ihre Präsenz im Dorf Ribbeck ist
im Landbuch Kaiser Karls IV seit 1375 urkundlich belegt.
Verfolgung und Enteignung
Hans von Ribbeck, ermordet 1945 im KZ Sachsenhausen, hatte sich oft mit Gutsbesitzern
und Intellektuellen der Mark Brandenburg zusammengefunden, die Hitler die Gefolgschaft
versagten. Seinen aufrechten Stolz behielt er auch nach seiner Verhaftung im
KZ. Das Verbot in der Haft einen Gürtel zu tragen, war für ihn so
entwürdigend, dass er seine Kinder bat, ihn nicht zu besuchen. Er war
gottesfürchtig und als Mitglied des Stahlhelm dem Kaiser treu.
Im Zusammenhang mit dem sogenannten Röhm-Putsch war er 1934 schon einmal
verhaftet worden, kam aber durch die Fürsprache des Reichspräsidenten
von Hindenburg wieder frei.
Er galt als überzeugter Gegner Adolf Hitlers und machte daraus keinen
Hehl, war undiplomatisch, dabei aber auch provozierend witzig, was zu mancher
Anekdote führte, beispielsweise, dass er in Anwesenheit von hochrangigen
Parteiangehörigen mit seinem Spazierstock gerne Schweine mit großen
Ohren in den märkischen Sand malte.
Einmal hat er jene Offiziere mit deutlichen Worten aus dem Schloss komplimentiert,
die im Rahmen einer
von Wehrmachtsoffizieren durchgeführten Geldsammlung zugunsten des Geburtstages
Adolf Hitlers - ohne sich für die erste Rate zu bedanken - 14 Tage später
einen unangemessenen Nachschlag eingefordert hatten. Er soll auch einen geheimen
Sender betrieben und mit "dem Feind" korrespondiert haben.
Jedenfalls war dies eine der Begründungen für seine Verhaftung im
Mai 1944 durch die Gestapo.
Ein anderer Auslöser war ein Zwischenfall auf einem Ribbeckschen Feld.
Hans von Ribbeck hatte einen Wehrmachtsoffizier und eine "Kriegerfrau",
mit der Fahrpeitsche drohend, an ihre Pflicht erinnert, rund um die Absturzstelle
eines englischen Kampfbombers Schaulustige am Zertrampeln seines keimenden
Getreides zu hindern. Dies ergab ein heftiges Wortgefecht.
Kurz darauf wurde er dem Konzentrationslager Sachsenhausen (Oranienburg) zugeführt,
wo er im Februar 1945 ermordet wurde.
Gleich darauf wurde das Gut unter Verwaltung gestellt, womit die Familie, allen
voran seine Ehefrau Marie Agnes von Ribbeck, 1944 verfolgungsbedingt gänzlich
die Verfügung über ihre Güter Ribbeck und Bagow verlor.
Verfahren um die Rückgabe
Im Verfahren um die Rückgabe der Güter Ribbeck und Bagow schlug das
Brandenburgische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen 1994 die
Rückgabe vor. Hiergegen kam es jedoch zu Einsprüchen insbesondere
des Landkreises Havelland, woraufhin im Jahr 1997 die Bundesrepublik einen
Rückgabeanspruch nach dem Vermögensgesetz abwies.
Die Gesetzeslage sieht einen Anspruch nur vor, wenn ein Vermögensentzug vor
Kriegsende 1945 stattgefunden hat. Für Enteignungen durch die Bodenreform
1945-1949 sind Ansprüche auf Rückgabe ausgeschlossen. Eine
schriftliche Beurkundung der Enteignung durch die Nazis lag der Familie aber
nicht vor. Nach zähem Ringen gegen die Instanzen des Finanzministeriums
gelang der Familie 1999 dann aber doch eine befriedigende Lösung. Der
Ausgang des Rechtsstreit war ungewiss und mit einem hohen Prozessrisiko belegt.
Ein vor dem Potsdamer Verwaltungsgericht geschlossener Vergleich beinhaltete
den Verzicht auf die gerichtlich festgestellte Berechtigung zur
Rückgabe nach dem NS-Verfolgten-Entschädigungsgesetz und eine Entschädigung
nach dem Einheitswert von 1935.
Außer politischen Unbehagens in die Rechtssicherheit bringen die schleppenden
Verkäufe von BVVG und TLG im Übrigen nichts anderes als tausendfachen
Verfall schützenswürdiger Bausubstanz.
Eine frühzeitige Rückgabe von "Volkseigentum" der ehemaligen
DDR hätte das Kapital von Alteigentümern und Investoren mobilisiert
und den Verfall abertausender historischer Bürger- und Adelshäusern
aufhalten können.
Die Familie von Ribbeck und die Menschen im Ort
Viele der ideologischen Verunsicherungen der Ribbecker Bevölkerung gegen
die Rückkehr der Familie von Ribbeck sind inzwischen abgebaut. Die Familie
hat Sinn für dörfliche Schönheit gezeigt und dies mit eigener
Hände Arbeit umgesetzt. Die stetige Initiative für den Ort und die
Bereitschaft, selbst mit anzupacken, haben dazu geführt, dass die Bevölkerung
und die Familie von Ribbeck wieder zusammenwachsen.
Im Bild zu sehen sind Ute und Friedrich von Ribbeck (rechts). Der Sohn Janko
mit seiner Frau Nadja und deren 3 Kinder Luna, Leon und Maya.
Familienchronik der Familie von Ribbeck
Stammbaum der Familie von Ribbeck
Chronik zum download
kontakt impressum links gäste
Fontane-Gedicht
versteigert
Mit der Hand schreiben zahlt sich aus
Von Wolfgang Schneider
Ein echter Fontane, 130.000 Euro wert
26. Juni 2007
Im Oktober 1933 brachte der Verleger Friedrich Fontane den Nachlass seines
Vaters unter den Hammer. Der Verfasser von „Effi Briest“ und „Stechlin“ hatte
noch längst nicht das Renommee des bedeutendsten deutschen Romanciers
seiner Epoche. Gerade zu einer Zeit, als die „schollenhafte Verwurzelung“ nicht
nur in der Landwirtschaft, sondern auch von der Literatur gefordert war,
erschien Fontane vielen als zweitrangig - aufgrund seiner Urbanität,
seiner scheinbar bloß leichthändigen Art des Erzählens.
Deshalb gaben sich die Archive zugeknöpft, deshalb wurde bei jener traurigen
Versteigerung vieles verschleudert. Für das Manuskript von „Herr
von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ zahlte ein Privatmann 265 Mark.
Seitdem galt es als verschollen. Kürzlich nun tauchten die drei Blätter
unverhofft wieder auf und wurden jetzt vom Berliner Autographen-Auktionshaus
J.A. Stargardt angeboten.
Fontane sparte Papier
Fontane fuhr mit der geliebten Schwanenfeder übers Papier bis zur Sehnenscheidenentzündung.
Aber nicht nur Tintenschrift, auch Überarbeitungen mit Bleistift sind
auf den Manuskriptblättern zu erkennen. So lässt sich der Entstehungsprozess
des Gedichts stufenweise nachvollziehen. Auch die Rückseiten sind beschrieben.
Dort findet man Fontanes Entwürfe zu seinem letzten, Fragment gebliebenen
Werk über die havelländische Familie von Bredow. Offenbar sparte
der Schriftsteller Papier. Wer das eingehend betrachten wollte, konnte das
Manuskript bei der Auktion im Berliner Opernpalais ersteigern. Schätzwert:
30.000 Euro.
Wissen die Käufer, worauf sie sich einlassen? Nur die hohe Kanon-Würde
des Gedichts kann über seine inhaltliche Brisanz hinwegtäuschen.
Ein älterer „Herr“, der sich die Zutraulichkeit von Kindern
mit Freigiebigkeit erschleicht - kann ein Sujet aus heutiger Sicht heikler
sein? Gerade in der handschriftlichen Ur-Fassung des damals neunundsechzigjährigen
Fontane ist jetzt die beinahe manische Getriebenheit Ribbecks zu erleben: „Und
kam die goldene Herbsteszeit / Und die Birnen leuchteten weit und breit /
Da stopfte von Ribbeck rasch und toll / Mit Birnen sich beide Taschen voll.“ „Rasch
und toll“ - haben wir es etwa mit einem Humbert von der Havel zu tun?
Jedenfalls könnte sich ein älterer Herr, der heute am Rande eines
großstädtischen Spielplatzes sein Obst anböte, auf einiges
gefasst machen.
Benns trostloses Weihnachtsfest
Den Autographensammlern sind solche Problemstellungen vermutlich gleichgültig.
Im Eiltempo wechselten an diesem Dienstag Vormittag Hunderte von Literaten-Handschriften
die Besitzer. Ein Böll-Brief ging für die angesetzten zweihundert
Euro weg. Deutlich mehr wurde für eine Brecht-Epistel aus New York bezahlt
(„Es ist langweilig hier, meist spiele ich Schach mit Eissler“),
und immerhin siebentausend Euro erzielte ein Brief Gottfried Benns an die Ärztin
Marthe Loyson. Der Autor klagt darin über das trostlose Weihnachtsfest
1935, „zu dem ich stilgerecht am Heiligabend bei Glatteis am Autobus
fiel u. mit einem cigarrenkistengroßen Hämatom am Rücken
beschert wurde.“
Kurz werden die jeweils verhandelten Manuskripte in aufgeschlagenen Mappen
dem Publikum präsentiert, aber auf die Entfernung ist wenig zu erkennen.
Nummern werden hochgehalten, Bieterrufe erschallen, einige junge Damen stehen über
Handy mit zahlungskräftigen Sammlern in Kontakt: „700 im Saal
- möchten Sie mitbieten? 750 - geht jetzt an Sie! Herzlichen Glückwunsch!“ Für
ein Wilhelm Busch-Gedicht werden fünftausend Euro bezahlt: „Halt
dein Rösslein nur im Zügel / Kommst ja doch nicht allzu weit.“
Ende bei 130.000 Euro
Dann knistert plötzlich die Spannung im festlichen Saal. Ein gewisses
Pathos ist in der ansonsten neutralen Stimme des Auktionators zu spüren,
als er die Nr. 63 ankündigt, das „wunderbare Fontane-Manuskript“.
Wer jetzt sein Rösslein am Zügel hält, kommt wirklich nicht
weit. Rasch entbrennt ein Bieter-Wettstreit, und der Preis schießt
in die Höhe wie einst von Ribbecks prächtiger Birnbaum: „90.000
hinten!“ - „95.000 vorn!“ - „100.000 hinten!“ -
110.000 vorn!“ Als es bei 130.000 Euro schließlich vorbei ist,
entlädt sich die Anspannung im Gemurmel, so dass die nächsten Posten
fast untergehen.
Groß ist nun die Enttäuschung im Potsdamer Fontane-Archiv, wo
seit Wochen eine Art weihnachtlicher Vorfreude herrschte. Man verfügte über
einen finanzkräftigen Partner und war zuversichtlich, die Handschrift
aus dem Jahr 1889 erwerben zu können. Aber noch über den vierfachen
Schätzwert hinauszugehen - das könne eine öffentliche Einrichtung
nicht verantworten, sagt Hanna Delf von Wolzogen aus dem Archiv. Sie bedauert,
dass das Manuskript nun wohl nicht mehr für die Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden könne.
Unterschrift von Goethe
Die Potenz des unbekannten Privatbieters wurde deutlich, als er kurz darauf,
als kleinen Nachschlag sozusagen, für eine ebenfalls erhebliche Summe
eine Urkunde mit Goethe-Unterschrift erwarb - einen Gewährsschein über
einen „Kux oder Bergtheil an dem Ilmenauer Kupfer- und Silber-Bergwerk
für Sr. Excellenz, den Herrn Geheimenrath Carl Alexander von Kalb auf
Kalbsrieth“. „Von größter Seltenheit“, vermerkt
der Katalog.
Später wurden noch die Novalis-Briefe an Wilhelmine von Thümmel
für 105.000 Euro versteigert. An einer Stelle schreibt der Dichter dort: „Frühzeitig
habe ich meine precaire Existenz fühlen gelernt, und vielleicht ist
dieses Gefühl das erste Lebensgefühl in der künftigen Welt.“ Für
manche Autoren der Generation Laptop würde sich die Lage freilich etwas
weniger „precair“ gestalten, wenn sie entschlossen zur Tintenfeder
zurückkehrten. Wer, wie der alte Ribbeck, das Glück der nächsten
Generationen im Sinn hat, schreibt mit der Hand. Das zahlt sich irgendwann
aus.
Text: F.A.Z., 27.06.2007, Nr. 146 / Seite 36
Bildmaterial: dpa