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Die anarchischen „Meistersinger”-Momente
25.07.2007 19:19
Katharina Wagner stellt bei ihrem Regie-Debüt im Festspielhaus Tradition
und Moderne auf den Prüfstand Folgt 2013 der „Ring”?
Frage: Frau Wagner, in ihrer ersten Inszenierung auf der Bayreuther Bühne
gehen Sie Ihrem Ur-Großvater ganz schön an die Wäsche. Fürchten
Sie, dass man Ihnen Respektlosigkeit vor dem Werk Wagners vorhalten wird?
Wagner: Natürlich werden mir das Einzelne vorwerfen. Ich empfinde das
aber ganz anders. Weil ich weiß, dass ich extrem nahe an dem Stück
bin. Die Meister stehen für ein überliefertes Gut sehr regelhaft,
sehr traditionell. Und in diese heile Welt platzt plötzlich Stolzing.
Das habe ich visualisiert. Und zugegebenermaßen etwas geschärft.
Frage: Tradition und Moderne spielt bei Ihrer Inszenierung eine zentrale
Rolle. Zunächst: Wie halten Sie‘s mit der Tradition, mit Geschichte,
mit den „deutschen Meistern”.
Wagner: Das ist so eine Sache mit den Traditionen. Zunächst: Auch Traditionen
sind ja irgendwann aus etwas entstanden. Also muss da mal, am Anfang, etwas
Neues gewesen sein. Es gibt -sicherlich Traditionen, die durchaus richtig
sind. Dann gibt es aber auch -Traditionen, die zur Konvention ver-kommen
sind. Die man nur hochhält, weil sie im Kopf hängen. Und weil das
im Kopf hängt, will man es gar nicht mehr anders sehen. Und sich gedanklich
auch nicht auf Neues einstellen. Weil man es anders gewöhnt ist. Genau
an der Stelle wird die Konvention zum Problem. Ich bin da sehr nah an der
Sachs-Figur. Der sagt, im ersten Akt, explizit, dass es sinnvoll wäre,
die Gewohnheiten oder Regeln zu überprüfen. Nicht anders die Erwartungshaltung
gegenüber Inszenierungen. Etwa, wenn man, zum Beispiel bei den Meistersingern
immer nur Dirndl und Lebkuchen-Nürnberg er-wartet.
Frage: Tradition und Moderne das gilt natürlich auch für das idealtypische
Verhältnis Vater-Tochter und für die Meistersinger Ihres Vaters
und die Inszenierung, die heute die Bayreuther Festspiele eröffnet.
Hatten Sie auch diese Konstellation im Kopf, als Sie sich an die Inszenierung
in direkter Nachfolge der Meistersinger Ihres Vaters machten. Es war ja seine
letzte Inszenierung in Bayreuth und Ihre erste…
Wagner: Natürlich ist mir die Inszenierung meines Vaters noch sehr präsent
ich habe dabei ja assistiert. Aber das sind zwei Welten, auch zwei ästhetisch
völlig unterschiedliche Ansätze. Ich denke aber, dass mein Vater
mich nicht engagiert haben würde, wenn er nicht gewollt hätte,
dass da jetzt ein anderer Ansatz sichtbar wird.
Frage: Wo wir schon bei den Wechseln sind: Sie hatten unlängst geäußert,
dass Sie ein Konzept für die Nachfolge in Bayreuth schon fertig im Kopf
hätten. Die Nachfolgefrage war ja zuletzt ein Riesenthema. Sie haben
zuletzt geäußert, dass Sie sich zu der Frage nicht mehr äußern
werden. Gilt das weiterhin?
Wagner: Ja.
Frage: Ich versuche es dennoch: Sie haben ja, wie Sie sagten, ein Konzept
für Bayreuth im Kopf. Stellt sich denn aktuell die Frage, ob Sie das
Konzept zu Papier bringen und sich bewerben?
Wagner: Nein. Weil man Vater ja noch keinen Rücktritt erklärt hat.
Da ist zuletzt auch wieder vieles durcheinander geraten.
Frage: Belastet Sie diese Diskussion?
Wagner: Nein. Ich konzentriere mich auf die „Meistersinger”.
Da gibt es genug zu tun.
Frage: Sie haben in den letzten Wochen mit Fotos für Aufsehen gesorgt,
die ein Berliner Fotograf geschossen hat. Warum die Bilder? Lieben Sie die
Verkleidung? Das Versteckspiel? Sie sind doch ansonsten bekannt dafür,
dass Sie gerne ungeschminkt auf die Straße gehen.
Wagner: Ich schätze und schütze mein Privatleben sehr. Und die
Fotos helfen mir, dass das ein stückweit so bleibt. Da erkennt man mich
nicht so schnell wieder. Man hat als Frau ja viele Seiten. Und die kann man
durchaus auch zeigen. Wenn ich am 25. Juli vor das Königsportal gehe,
erkennt man mich ja auch nicht gleich. Weil ich da ganz anders auftrete als
sonst.
Frage: Sie haben da also nicht das Spiel mitgemacht, das ansonsten mit Ihnen
gerne gespielt wird. Wenn man Sie, ab und an, als Bayreuth-Barbie tituliert?
Wagner: Mich ärgert es, wenn man nicht in einer bestimmten Art und Weise
aussehen darf. Und dann gleich wieder das übliche Ausschluss-prinzip
hervorkramt: Wenn man so oder so aussieht, kann man dieses und jenes nicht.
Das ist Schwachsinn! Übrigens nicht nur im Bereich Kunst.
Frage: Man hatte bis vor kurzem gedacht, dass es sicherlich niemanden geben
würde, der den Schlingensief-Hype von vor ein paar Jahren würde
toppen können. Sie haben es locker geschafft. Wissen Sie eigentlich,
wie viele Interviews Sie geführt haben?
Wagner: Keine Ahnung. Da müssen Sie mal die Pressestelle fragen. Aber
es waren sehr viele. (Anmerkung: Der „Tagesspiegel” hat mal von
159 Interviews gesprochen).
Frage: Böse Zungen behaupten, dass diese neue Öffentlichkeitsarbeit
Teil des Wagnerschen Masterplans sei, um Sie endgültig auf den Intendantensessel
zu hieven. Was sagen Sie?
Wagner: Ich habe nur auf Anfragen reagiert. Und das waren so viele, dass
ich niemanden bitten musste, mit mir ein Interview zu führen. Aber im
Ernst: Da war natürlich nichts lanciert oder gesteuert. Ich finde nur,
dass es zum Beruf des Regisseurs gehört, auch über seine Arbeit
zu reden.
Frage: Haben Sie gedacht, dass es so schlimm wird?
Wagner: Offen gestanden nicht. Ich habe mich auch immer wieder gefragt: Wen
interessiert das eigentlich! Gut, ein Fachzeitschriftenpublikum wird da sicherlich
angesprochen. Oder die Menschen in Bayreuth. Aber ansonsten ist Oper ja doch
ein eher kleiner Kosmos, in dem man sich bewegt. Andererseits freue ich mich
natürlich über die Chance, eine breitere Masse zu erreichen und
es geht ja nicht nur um die „Meistersinger”. Darüber zu
reden, was Image und Tradition bedeuten. Und dass in diesem Metier natürlich
nicht nur irgendwelche durchgeknallten Regisseure operieren, die Plüschdamen
im Samtkostüm auf die Bühne stellen. Wenn da dann, auch bei einem
Nicht-Opern-Publikum, rüberkommt, dass man nicht 60 sein muss, um sich
für Oper zu interessieren und dabei auch noch normal bleiben kann, dann
ist doch schon etwas erreicht worden.
Frage: heraushängendes Hemd, Kettenraucher geht zunächst barfuß.
Und statt mit seinem Hämmerchen Leder zu bearbeiten, haut er auf die
Tasten seiner Schreibmaschine. Auch er vollzieht eine auffällige Wandlung.
Und schließlich Beckmesser, der vom Spießer zum Outlaw wird.
Können Sie uns das erklären?
Wagner: Für mich ist das alles in der Musik angelegt. Wenn man sich
Walther im Ersten Akt anschaut, dann ist der extrem innovativ. Beckmesser
sagt: Fanget an! Und er fängt an. Wobei dieses einfache, fast anarchische „Fanget
an!” ja auch ein Prinzip der modernen Kunst ist. Im zweiten Akt regt
er sich darüber auf, dass er künstlerisch überhaupt nicht
geschätzt wird. Und ich zeige, wie er sich in diesem Aufregen künstlerisch
abreagieren muss. Kunst kommt bei Walther von innen: Er muss es einfach!
Es geht nicht um Regeln, um Können es ist ihm vielmehr ein inneres Bedürfnis.
Beckmesser ist da ganz anders gepolt. Zumindest im ersten Akt. Seine Gleichung:
Wenn ich die Regeln kenne, dann kann ich auch Kunst machen. Und Sachs kann
sich, obwohl Teil dieser Meisterriege, mit der sehr traditionalistischen
Welt der Meister nicht mehr identifizieren. Ganz Nürnberg hat die gleichen
Schuhe an nur Walther hat andere und Sachs geht, weil er sich mit all dem
nicht mehr anfreunden kann, barfuß. Er sucht nach dem passenden Schuhwerk.
Im zweiten Akt ist Beckmesser noch total in den Regeln verhaftet. Während
Sachs, im Flieder-Monolog, versucht, ob er in Stolzings Schuhe passt. Was
aber nicht funktioniert. Sachs, ein intuitiver Künstler, merkt natürlich,
dass man andere nicht kopieren kann. Es folgt, in der Prügelszene, ein
ziemlich anarchischer Moment. Der vor allem Beckmesser umtreibt. Der nämlich
merkt, dass es auch noch eine andere außer seiner Welt gibt. Und entdeckt
urplötzlich sein eigenes künstlerisches Potenzial. Während
der Sachs und das ist vor allem musikalisch im dritten Akt begründet
eine andere Wendung nimmt. Anstatt den Moment der Anarchie anzuerkennen und
nun weiterzugehen, wird ihm das alles zu viel. Er geht gleich mehrere Schritte
zurück. Und das alles gipfelt dann in seiner Schlussansprache, die für
mich richtiggehend reaktionär ist. Stolzing merkt fast zeitgleich, dass
es einerseits wahnsinnig anstrengend sein kann, den Revoluzzer zu spielen,
andererseits durchaus Vorzüge bietet, als Künstler dem Establishment
anzugehören. Das garantiert einen gefüllten Kühlschrank, das
bedeutet Gehaltsschecks, das Leben ist schön und man kann Autogramme
geben. Für mich ist es musikalisch völlig offensichtlich, dass
Walther in diesem dritten Akt schon den totalen Mainstream bedient. Schon
in der Sachsstube, wo ja alles musikalisch entwickelt wird, als auch auf
der Festwiese, wo er ja seine künstlerischen und musikalischen Ideale übern
Haufen wirft. Nur um der Masse zu gefallen. Das ist für mich eine Schlüsselfrage:
Ob man sich künstlerisch so anbiedern darf, nur um seine Kunst massenkompatibel
zu machen. Oder ob man an seinem künstlerischen Impetus in jedem Falle
festhalten sollte. Zugegeben: Eine schwierige Frage. Der Begriff brotlose
Kunst kommt ja nicht von ungefähr...
Beckmesser hingegen hat sich in der Prügelszene vollends befreit. Er
ist jetzt, im Prinzip, wie der Walther des ersten Aktes. David wiederum ist
ein Typ, der musikalisch praktisch das ganze Stück über gleich
bleibt. Der Typ hält Winterschlaf! Und genau so habe ich das auch gezeigt.
Insgesamt wird man mir schwer nachsagen können, dass ich nicht nahe
an der Musik wäre. Auch wenn mir sicherlich einige Leute in diesem Punkt
vehement widersprechen werden.
Frage: Mit dem Stolzing haben Sie doch eindeutig Christoph Schlingensief
ein Denkmal gesetzt. So wie der im ersten Akt agiert, stellt man sich doch
die Probenphase für den „Parsifal” vor...
Wagner: Er war sicherlich eine Inspiration. Weil Schlingensief genau die
Sorte Künstler ist wie Stolzing in den ersten beiden Akten. Wenn man
Schlingensief kennt von den Probensituationen, ist Kunst bei ihm auch etwas,
was von MÜSSEN kommt. Aber eben nicht aus einem Regelwerk.
Frage: Die Campbell‘s-Suppendose feiert Premiere auf der Festspielbühne.
Was hat Sie dazu veranlasst?
Wagner: Wahrscheinlich kennt jedermann dieses Warhol-Bild von der Suppendose.
Insofern steht diese Dose für die Kunst. Aber in der Prügelszene
kommen ja noch andere Bilder vor zum Beispiel das Nürnberg-Puzzle. Ich
wollte einfach nicht den Chor mit hunderten von Kunstgegenständen ausstatten.
Und da kam mir die Dose gerade recht, um das Thema Kunst mittels dieser Dose
zu vergegenständlichen. Außerdem kann man die Dose bespielen und
daraus etwas entwickeln. Erst ist es eine Suppendose, die geschüttelt,
aus der gelöffelt wird. Und plötzlich kommt da auch Farbe raus.
Und das ist ja durchaus auch ein Mittel der modernen Kunst: die Mehrdeutigkeit.
Frage: Es wurde ja zuletzt noch mal richtig eng mit der Probenphase. Liegt
das daran, dass Sie die Bayreuther Haustechnik ordentlich gefordert haben?
Wagner: Wir sind noch nicht fertig, nein. Aber das ist nichts Außergewöhnliches
bei einer solchen Produktion. Nur: Da bin ich jetzt gefordert, nachzulegen.
Frage: Haben Sie denn die Inszenierung so, wie sie jetzt wird, von Anfang
an im Kopf? Oder haben Sie im Lauf der Zeit viel nachgelegt?
Wagner: Das ist ein stetiger Prozess. Natürlich ist das Grundkonzept
geblieben. Aber wir justieren immer wieder nach.
Frage: Sind Sie da eher spontan und bereit neue Dinge schnell aufzunehmen?
In der Hauptprobe hat ja ein fliegender Turnschuh David zufällig auf
dem Kopf getroffen. Wird das bleiben?
Wagner: Nein, wird es nicht. Obwohl das nicht weh tut, wenn einen ein solcher
Schuh trifft. Ich habe mich da selber mal bewerfen lassen. Das sind nämlich
keine echten Turnschuhe, sondern Schuhe aus Gummimilch. Das x10war ein Versehen.
Und das soll auch nicht wieder vorkommen. Denn x10die Schuhe werden vom Schnürboden
aus geworfen. Und das wäre ziemlich schwer, jemand gezielt treffen zu
wollen. Aber eine Idee, die eher aus dem Zufall während der Proben entstanden
ist, wird bleiben: Da fahren im berühmten Quintett zwei große
Rahmen auf die Bühne. Und die „Familie Pogner” stand erst
falsch und bewegte sich dann in den Rahmen hinein. Das fand ich gut. Und
das wird auch bleiben, dass sie erst falsch stehen und nachrücken. Insofern
bin ich bisweilen schon auch spontan.
Frage: Dürfen bei Ihnen denn auch die Sänger mal Regisseur spielen?
Nehmen Sie Tipps von denen auch auf?
Wagner: Ich will zunächst mal dem ganzen Team ein Riesenkompliment machen.
Es ist eine große Ausnahme, dass Leute so mitdenken wie bei dieser
Produktion. Da sind Sänger wirklich nach der Generalprobe zu mir gekommen
und haben gesagt: Du, ich habe mich in der-undder Szene noch nicht ganz wohl
gefühlt kann man da noch weiter arbeiten. Oder sie kamen und meinten:
Wenn du da noch etwas ändern willst mach‘, ich habe kein Problem
damit. Das ist ein tolles Team, das im Interesse der Produktion echt wahnsinnig
gut gearbeitet hat. So, wie ich es noch nie erlebt habe. Das sind allesamt
mitdenkende Sänger. Die sich mit dem Thema auseinander setzen. Und von
denen nehme ich natürlich auch gerne mal Ratschläge an.
Frage: Zum Schluss nur noch diese Frage: Trifft es zu, dass Sie 2013 den „Ring“ in
Bayreuth inszenieren werden? Entsprechende Gerüchte machen schon die
Runde…
Wagner: Man hört so vieles in diesen Tagen. Im Moment inszeniere ich
noch die „Meistersinger”. Und bis 2013 ist noch ein ganzes Stück
hin.
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