SPIEGEL ONLINE - 22. März 2007, 06:24
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GENSCHERS GEBURTSTAGSSAUSE
Retro-Party mit gelben Pullundern
Von Carsten Volkery
Viele, viele gelbe Pullunder, Genscher-Witze und elf Ex-Außenminister aus aller Welt - die Party zum 80. Geburtstag des früheren Außenministers Hans-Dietrich Genscher geriet zur Show der Superlative.
Berlin - Am deutlichsten freut sich Guido Westerwelle über den Abend. Vor dem Zirkuszelt am Berliner Hauptbahnhof hat er große blaugelbe Plakate aufstellen lassen: "Deutschland gratuliert Hans-Dietrich Genscher". Wie ein Gummiball hüpft der FDP-Chef hinter dem Geburtstagskind her, wird abgedrängt von den Kameras, die Genscher umgeben, kämpft sich aber unverdrossen immer wieder heran, seinen Lebensgefährten im Schlepptau.

DPA
Genscher mit Merkel: Gerührter Dank des langjährigen Außenministers
Aufgedreht führt Westerwelle auch das Wort im Kreise der alten Recken, die es sich vor Beginn des Programms in den schweren Ledersesseln bequem gemacht haben. Henry Kissinger thront da, Roland Dumas, Jiri Dienstbier, gewichtige Namen aus lange vergangenen Zeiten.
Genscher, der Mann mit den großen Ohren und dem gelben Pullunder, bringt noch einmal alten Glanz und Größe zu der Partei, der er vor über 61 Jahren beigetreten ist. Zu Recht bedankt sich Westerwelle für die Erlaubnis, das Fest ausrichten zu dürfen. Eigentlich habe der Jubilar keine offizielle Feier gewollt, deshalb habe man "nur den engsten Freundeskreis" eingeladen, witzelt der FDP-Chef.
1500 Gäste füllen die drei Zelte des Zirkus Sarrasani. Zur Feier des Tages tragen alle Kellner gelbe Pullunder, Genschers Markenzeichen. Nur Ludwig Stiegler, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Bayern, tanzt aus der Reihe: Er trägt seinen Pullunder wie gehabt in Rot.
Voller Stolz verliest Westerwelle die Gästeliste. Neben Kissinger, Dumas, Dienstbier und Eduard Schewardnadse sind noch sieben weitere Ex-Außenminister aus Ost und West gekommen. Der frühere Staatschef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, wollte gratulieren, musste aber krankheitsbedingt absagen.
Dafür ist Kanzlerin Angela Merkel mit Vizekanzler Müntefering und sechs weiteren Ministern da. Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder feiert mit. Dazu zahllose Abgeordnete, Chefredakteure, Unternehmer und Schauspieler. Auch Oscar-Gewinner Florian Henckel von Donnersmarck ragt aus der Menge. Vermisst werden eigentlich nur die beiden noch lebenden Kanzler, unter denen Genscher Minister war: Helmut Schmidt und Helmut Kohl.
Nostalgierunde mit Christiansen
" Eine bemerkenswerte Feier", findet Merkel. Genscher selbst spricht von einem "schönen Fest". Es ist ein launiger Abend. Vor allem der Jubilar selbst liefert immer wieder Kostproben seines trockenen Humors. Dass er hier stehe, habe er nicht zuletzt den Vertretern des Ärzteberufs zu verdanken, die sich ja zahlreich im Zelt befänden, sagt Genscher unter Anspielung auf eine traditionelle FDP-Klientel.
In einer von Sabine Christiansen moderierten Nostalgierunde auf der Bühne erzählen vier der angereisten Ex-Außenminister von der Wendezeit, als man die Zwei-Plus-Vier-Verträge aushandelte. Der Franzose Dumas erinnert sich, wie "Anns-Diedrisch" die Beteiligten immer wieder in seine Heimatstadt Halle schleppte, um die Idee der deutschen Einheit greifbar zu machen. Schewardnadse sagt, Genscher sei "nicht nur ein großer Politiker, sondern ein echter Held".
Dem Geburtstagskind scheint so viel Lob fast peinlich. Er greift immer wieder zur Selbstironie, um das Ganze aufzulockern. Sabine Christiansen will wissen, wieso er sich 1991 zum Rücktritt entschlossen habe. Den letzten Ausschlag habe der "Ötzi" gegeben, erklärt Genscher ernst. Der habe nämlich, nachdem er aus der Gletscherspalte in eine warme Hütte gebracht worden war, die Augen geöffnet und gefragt: "Ist der Genscher immer noch Außenminister?"
Das Publikum amüsiert sich prächtig - auch als Kanzlerin Merkel redet. Sie erzählt von einer Genscher-Pressekonferenz, die sie gleich nach der Wende zur Übung als stellvertretende DDR-Regierungssprecherin verfolgt habe. Genscher habe nur unbestimmte Äußerungen gemacht, und dennoch seien die Journalisten rundum zufrieden gewesen. Das habe bei ihr eine "nachhaltige Wirkung entfaltet", grinst Merkel, die heute als Meisterin der vagen Aussagen gilt.
" Treffen sich zwei Flugzeuge. In beiden sitzt Genscher."
Natürlich darf auch der Klassiker unter den Genscherwitzen an so einem Abend nicht fehlen. Max Schautzer erzählt ihn Liselotte Pulver: "Treffen sich zwei Flugzeuge. In beiden sitzt Genscher". Pulver sieht Schautzer fragend an, daraufhin er: "Eigentlich wollte ich jetzt das typische Liselotte-Pulver-Lachen als Geschenk für Hans-Dietrich Genscher hören". Mit Verspätung begreift die Pulver und wirft ihren Kopf in den Nacken.
Unter drei Kanzlern hat Genscher gedient, davon allein 18 Jahre als Außenminister. "Mister Bundesrepublik", steht auf den Großbildleinwänden im Zelt. Die Feier ist eine Zeitreise zurück in das vergangene Jahrhundert. Immer wieder schallt die Scorpions-Hymne "Wind of Change" aus der Wendezeit durch die Zelte. Das Geburtstagsständchen wird auch nicht von Tokio Hotel dargebracht, wie Genschers Enkelinnen es sich angeblich gewünscht hatten, sondern von Udo Jürgens. "Das ist Dein Tag", singt der Schlagerstar am Klavier, und Genscher stehen die Tränen in den Augen.
Genscher und Jürgens haben sich in jener Nacht kennen gelernt, in der sich unzählige wildfremde Menschen in den Armen lagen. Am 9. November 1989 hätten sie zufällig im selben Berliner Lokal diniert, erzählt Jürgens. Der Außenminister winkte den Sänger an seinen Tisch, im Radio lief die Nachricht vom Mauerfall. Jürgens fragte: "Was machen Sie heute nacht?" Genscher antwortete: "Ich werde nach Hause gehen".
Immer wieder kommt die Rede auf den wohl emotionalsten Moment in Genschers Laufbahn - den Auftritt auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag im September 1989. Merkel beschreibt die Szene, als Genscher die Worte "Ihre Ausreise" aussprach und der Rest des Satzes im Jubel der DDR-Flüchtlinge unterging. Das habe sich eingebrannt in die Herzen von Millionen von Menschen, sagt die Kanzlerin, auch in ihres. "Dass ich heute hier als Bundeskanzlerin stehen kann, hat mit Politikern wie Ihnen ganz viel zu tun."
Genscher dankt gerührt, kann sich aber einen Seitenhieb auf die Regierung doch nicht verkneifen. Er erinnert an die erste Große Koalition von 1966 bis 1969, die von einer sozialliberalen Regierung abgelöst wurde. "Wir haben uns das drei Jahre angeguckt, und dann haben wir das beendet", sagt er. "Frau Bundeskanzlerin, Herr Vizekanzler, auch heute sind drei Jahre eine schöne Zeit."

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