DPA
Genscher mit Merkel: Gerührter Dank des langjährigen Außenministers
Aufgedreht führt Westerwelle auch das Wort im Kreise der alten Recken,
die es sich vor Beginn des Programms in den schweren Ledersesseln bequem
gemacht haben. Henry Kissinger thront da, Roland Dumas, Jiri Dienstbier,
gewichtige Namen aus lange vergangenen Zeiten.
Genscher, der Mann mit den großen Ohren und dem gelben Pullunder, bringt
noch einmal alten Glanz und Größe zu der Partei, der er vor über
61 Jahren beigetreten ist. Zu Recht bedankt sich Westerwelle für die
Erlaubnis, das Fest ausrichten zu dürfen. Eigentlich habe der Jubilar
keine offizielle Feier gewollt, deshalb habe man "nur den engsten Freundeskreis" eingeladen,
witzelt der FDP-Chef.
1500 Gäste füllen die drei Zelte des Zirkus Sarrasani. Zur Feier
des Tages tragen alle Kellner gelbe Pullunder, Genschers Markenzeichen. Nur
Ludwig Stiegler, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Bayern, tanzt aus der Reihe:
Er trägt seinen Pullunder wie gehabt in Rot.
Voller Stolz verliest Westerwelle die Gästeliste. Neben Kissinger, Dumas,
Dienstbier und Eduard Schewardnadse sind noch sieben weitere Ex-Außenminister
aus Ost und West gekommen. Der frühere Staatschef der Sowjetunion, Michail
Gorbatschow, wollte gratulieren, musste aber krankheitsbedingt absagen.
Dafür ist Kanzlerin Angela Merkel mit Vizekanzler Müntefering und
sechs weiteren Ministern da. Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder feiert
mit. Dazu zahllose Abgeordnete, Chefredakteure, Unternehmer und Schauspieler.
Auch Oscar-Gewinner Florian Henckel von Donnersmarck ragt aus der Menge.
Vermisst werden eigentlich nur die beiden noch lebenden Kanzler, unter denen
Genscher Minister war: Helmut Schmidt und Helmut Kohl.
Nostalgierunde mit Christiansen
"
Eine bemerkenswerte Feier", findet Merkel. Genscher selbst spricht von
einem "schönen Fest". Es ist ein launiger Abend. Vor allem
der Jubilar selbst liefert immer wieder Kostproben seines trockenen Humors.
Dass er hier stehe, habe er nicht zuletzt den Vertretern des Ärzteberufs
zu verdanken, die sich ja zahlreich im Zelt befänden, sagt Genscher
unter Anspielung auf eine traditionelle FDP-Klientel.
In einer von Sabine Christiansen moderierten Nostalgierunde auf der Bühne
erzählen vier der angereisten Ex-Außenminister von der Wendezeit,
als man die Zwei-Plus-Vier-Verträge aushandelte. Der Franzose Dumas
erinnert sich, wie "Anns-Diedrisch" die Beteiligten immer wieder
in seine Heimatstadt Halle schleppte, um die Idee der deutschen Einheit greifbar
zu machen. Schewardnadse sagt, Genscher sei "nicht nur ein großer
Politiker, sondern ein echter Held".
Dem Geburtstagskind scheint so viel Lob fast peinlich. Er greift immer wieder
zur Selbstironie, um das Ganze aufzulockern. Sabine Christiansen will wissen,
wieso er sich 1991 zum Rücktritt entschlossen habe. Den letzten Ausschlag
habe der "Ötzi" gegeben, erklärt Genscher ernst. Der
habe nämlich, nachdem er aus der Gletscherspalte in eine warme Hütte
gebracht worden war, die Augen geöffnet und gefragt: "Ist der Genscher
immer noch Außenminister?"
Das Publikum amüsiert sich prächtig - auch als Kanzlerin Merkel
redet. Sie erzählt von einer Genscher-Pressekonferenz, die sie gleich
nach der Wende zur Übung als stellvertretende DDR-Regierungssprecherin
verfolgt habe. Genscher habe nur unbestimmte Äußerungen gemacht,
und dennoch seien die Journalisten rundum zufrieden gewesen. Das habe bei
ihr eine "nachhaltige Wirkung entfaltet", grinst Merkel, die heute
als Meisterin der vagen Aussagen gilt.
"
Treffen sich zwei Flugzeuge. In beiden sitzt Genscher."
Natürlich darf auch der Klassiker unter den Genscherwitzen an so einem
Abend nicht fehlen. Max Schautzer erzählt ihn Liselotte Pulver: "Treffen
sich zwei Flugzeuge. In beiden sitzt Genscher". Pulver sieht Schautzer
fragend an, daraufhin er: "Eigentlich wollte ich jetzt das typische
Liselotte-Pulver-Lachen als Geschenk für Hans-Dietrich Genscher hören".
Mit Verspätung begreift die Pulver und wirft ihren Kopf in den Nacken.
Unter drei Kanzlern hat Genscher gedient, davon allein 18 Jahre als Außenminister. "Mister
Bundesrepublik", steht auf den Großbildleinwänden im Zelt.
Die Feier ist eine Zeitreise zurück in das vergangene Jahrhundert. Immer
wieder schallt die Scorpions-Hymne "Wind of Change" aus der Wendezeit
durch die Zelte. Das Geburtstagsständchen wird auch nicht von Tokio
Hotel dargebracht, wie Genschers Enkelinnen es sich angeblich gewünscht
hatten, sondern von Udo Jürgens. "Das ist Dein Tag", singt
der Schlagerstar am Klavier, und Genscher stehen die Tränen in den Augen.
Genscher und Jürgens haben sich in jener Nacht kennen gelernt, in der
sich unzählige wildfremde Menschen in den Armen lagen. Am 9. November
1989 hätten sie zufällig im selben Berliner Lokal diniert, erzählt
Jürgens. Der Außenminister winkte den Sänger an seinen Tisch,
im Radio lief die Nachricht vom Mauerfall. Jürgens fragte: "Was
machen Sie heute nacht?" Genscher antwortete: "Ich werde nach Hause
gehen".
Immer wieder kommt die Rede auf den wohl emotionalsten Moment in Genschers
Laufbahn - den Auftritt auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag im
September 1989. Merkel beschreibt die Szene, als Genscher die Worte "Ihre
Ausreise" aussprach und der Rest des Satzes im Jubel der DDR-Flüchtlinge
unterging. Das habe sich eingebrannt in die Herzen von Millionen von Menschen,
sagt die Kanzlerin, auch in ihres. "Dass ich heute hier als Bundeskanzlerin
stehen kann, hat mit Politikern wie Ihnen ganz viel zu tun."
Genscher dankt gerührt, kann sich aber einen Seitenhieb auf die Regierung
doch nicht verkneifen. Er erinnert an die erste Große Koalition von
1966 bis 1969, die von einer sozialliberalen Regierung abgelöst wurde. "Wir
haben uns das drei Jahre angeguckt, und dann haben wir das beendet",
sagt er. "Frau Bundeskanzlerin, Herr Vizekanzler, auch heute sind drei
Jahre eine schöne Zeit."
© SPIEGEL ONLINE 2007
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbHZum Thema in
SPIEGEL ONLINE:
Genscher wird 80: Vielflieger und Meister der Unschärfe (17.03.2007)
http://www.spiegel.de/politik/debatte/0,1518,471279,00.html