SPIEGEL ONLINE - 21. Februar 2007, 19:34
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UNO-KLIMARAT
Menschheit muss Trendwende bis 2020 schaffen
Von Volker Mrasek
Nur gigantische Investitionen und ein radikaler Politikwechsel können den Klimakollaps noch abwenden. Bis 2020 muss die Trendwende geschafft sein - das ist nach Informationen von SPIEGEL ONLINE die alarmierende Analyse des Weltklimarats. Die Uno-Experten sagen, was getan werden müsste.
Es geht um 16 Billionen Dollar - Sie lesen schon richtig. 16.000.000.000.000 Dollar sollen bis 2030 vornehmlich in CO2-arme Technologien gesteckt werden. Diese gewaltige Summe veranschlagen die Forscher des Weltklimarats der Uno als Kosten für jene Vollbremsung, welche die Menschheit noch vor dem Klimakollaps retten kann.Treibhausgas-Sektoren: Die dreckigen Sieben



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Die Katastrophe lässt sich noch verhindern. Doch die Zeit ist knapp. Das ist die Botschaft, die der dritte Teil der 2007er-Studie des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) enthalten wird.
Anfang Mai wollen die Uno-Experten zunächst eine Zusammenfassung des mehr als 1000 Seiten starken Konvolutes in der thailändischen Hauptstadt Bangkok vorstellen. Erstmals gehen sie in ihrem neuen Report detaillierter auf unterschiedliche Sektoren der Wirtschaft ein - und bewerten spezifische Reduktionsmaßnahmen. Eine vollständige Entwurfsfassung, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, zeigt, dass die Experten darin niemanden gut wegkommen lassen:
Nicht nur die Industrie-, auch die Schwellenländer stecken längst im großen Umfang hinter dem Anstieg des Treibhausgas-Ausstoßes.
Verkehrs- und Energiesektor haben diese Entwicklung im ganz besonderen Maße vorangetrieben.
Die Weltgemeinschaft dürfe sich nicht mehr nur auf klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) konzentrieren. Stattdessen müsse eine "Multi-Gas-Strategie" auch die Zunahme von Methan, Lachgas und anderer Treibhausgase in der Atmosphäre eindämmen.
Der Vorteil an letzterem Punkt: Damit seien "Klimaziele flexibler und bei substanziell niedrigeren Kosten zu erreichen als mit reinen CO2-Strategien", bilanziert das IPCC.
Damit sind nicht mehr bloß Autos und Kraftwerke im Fadenkreuz der Klimaforscher, Diplomaten und Politiker. Methan und Lachgas stammen zu einem Großteil aus Viehhaltung, Nassreisanbau beziehungsweise Stickstoffdüngung in der Landwirtschaft. Wenn sie stärker reduziert werden sollen, sind insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer in der Pflicht.
US-Pläne zu Geo-Engineering abgekanzelt
Doch auch die USA werden wohl nicht gut auf die Verantwortlichen der IPCC-Arbeitsgruppe III zu sprechen sein. Die britische Zeitung "Guardian" berichtete kürzlich, dass sich die USA als Land mit dem höchsten Treibhausgas-Ausstoß für das sogenannte Geo-Engineering stark gemacht haben.
DER WELTKLIMARAT IPCC
Ziele

ESA 2004
Das Intergovernmental Panel on Climate Change, zu Deutsch der zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaveränderungen mit Sitz in Genf, wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) und der World Meteorological Organization (WMO) gegründet, die ebenfalls zur Uno gehört. Der Inder Rajendra Kumar Pachauri ist seit Mai 2002 Vorsitzender des IPCC.
Das auch als Weltklimarat bezeichnete IPCC soll umfassend, objektiv und ergebnisoffen die wissenschaftlichen, technischen und sozioökonomischen Informationen über den von Menschen verursachten Klimawandel bewerten. Das Gremium, dem Hunderte von Wissenschaftlern in aller Welt zuarbeiten, soll die Folgen und Risiken der Klimaveränderung abschätzen und ausloten, wie man sie abschwächen oder sich an sie anpassen kann.
Der IPCC führt keine eigenen Forschungsprojekte durch, analysiert die Ergebnisse wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die dem Peer-Review-Verfahren - der Prüfung von Fachartikeln durch unabhängige Gutachter - gefolgt sind.
Arbeitsgruppen
Das IPCC hat bisher 1990, 1995 und 2001 Berichte über den Stand der Klimaforschung abgegeben. Am 2. Februar wird der erste Teil des neuen Reports vorgestellt, die Teile zwei und drei werden im Lauf des Jahres folgen.
An dem Bericht sind drei Arbeitsgruppen beteiligt: Arbeitsgruppe eins stellt den Stand der Klimaforschung dar, fasst Daten und Computersimulationen zusammen und trifft Aussagen über die künftige Entwicklung. Arbeitsgruppe zwei berichtet über die möglichen Folgen der Erwärmung für Mensch und Umwelt, Arbeitsgruppe drei über mögliche Gegenmaßnahmen
Bisherige Ergebnisse
Im ersten Klimareport des IPCC von 1990 war noch von einem natürlichen Treibhauseffekt die Rede, der von Emissionen des Menschen verstärkt werde. Der Report von 2001 ging wesentlich weiter: Er besagte, dass die Treibhausgas-Emissionen des Menschen für den größten Teil der Erwärmung verantwortlich sind. Auch Computersimulationen, die zur Prognose der zukünftigen Entwicklung eingesetzt werden, räumte das IPCC 2001 steigende Glaubwürdigkeit ein. Beides brachte dem Klimarat teils harsche Kritik von Regierungen und Industrievertretern ein.
Der IPCC-Report von 2001 sagte voraus, dass die Temperatur an der Erdoberfläche im globalen Schnitt bis 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad steigen werde. Der neue Bericht engt diesen Rahmen auf 2 bis 4,5 Grad ein und nennt drei Grad als wahrscheinlichsten Ausgang.
Experten gehen inzwischen davon aus, dass eine Erwärmung von weniger als zwei Grad zwar zu einer deutlichen Zunahme von extremen Wetterphänomenen führen, insgesamt aber noch beherrschbar sein wird. Bei einer Erwärmung von deutlich mehr als zwei Grad werden katastrophale Folgen befürchtet.
Darunter sind technokratische Konzepte im Kampf gegen die globale Erwärmung zu verstehen, zum Beispiel der gezielte Eintrag von gigantischen Mengen Schwebstaub in die Erdatmosphäre, um einfallendes Sonnenlicht zurückzuwerfen. "Die Sonneneinstrahlung zu modifizieren könnte eine bedeutende Strategie sein, falls die Vermeidung von Emissionen aus dem einen oder anderen Grund scheitert" - dieser Satz war laut "Guardian" ein Wunsch der US-Regierung für den dritten IPCC-Teilreport in diesem Jahr.
Die Uno-Sachverständigen zeigten sich von derlei Ansinnen offenbar aber unbeeindruckt. Unter dem beiläufigen Punkt "Weiteres" im Entwurf ihrer Zusammenfassung verwenden sie zweieinhalb dürre Zeilen auf die Pläne der US-Technokraten: "Möglichkeiten des Geo-Engineerings bleiben weitgehend spekulativ und unkalkulierbar in ihren Kosten." Außerdem seien mögliche Nebeneffekte der großtechnischen Eingriffe in den Strahlungshaushalt unbekannt. Nicht einmal die Empfehlung aus den USA, wenigstens die Risikoforschung auf diesem Feld voranzutreiben, findet sich im Berichtsentwurf.
Nur noch Zeit bis 2020
Die Analyse der Forscher: Nur wenn die Menschheit den Ausstoß von Klimagasen eiligst drosselt, könnte sie die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch abwenden. Industrie- und Schwellenländer haben nicht mal mehr 15 Jahre Zeit für eine nachhaltige Trendumkehr beim Treibhausgas-Ausstoß. Spätestens bis 2020 muss das fossile Zeitalter seinen Zenit überschritten haben - sprich, der Ausstoß von Klimagasen dürfte nicht mehr von Jahr zu Jahr steigen, sondern müsste substanziell abnehmen.
Den Forschern zufolge sollte die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau von höchstens 420 Anteilen pro einer Million Luftmoleküle (ppm) stabilisiert werden. Aktuell beträgt dieser Wert aber schon 383 ppm, und jährlich kommen aktuell weitere 2,5 hinzu. Die Warnung des Weltklimarats: Die Zielmarke ist "nur in den stringentesten Szenarien" noch zu erreichen - und damit ein Stopp der globalen Erwärmung bei maximal zwei Grad Celsius (verglichen mit vorindustrieller Zeit).
Ein Überschreiten dieser Temperaturschwelle muss nach Ansicht vieler Klimaforscher vermieden werden, weil die Folgen des globalen Wandels dann unbeherrschbar würden.
Die IPCC-Autoren zitieren sogar Studien, nach denen die CO2-Emissionen schon 2015 zurückgehen müssen, damit die Temperatur im Laufe des Jahrhunderts nicht über zwei Grad Celsius Plus hinausschießt. Das tolerierbare Höchstniveau für Kohlendioxid wird in diesen Arbeiten mit 400 ppm angegeben - und damit noch niedriger. Die Autoren der insgesamt sechs Studien nennen Werte zwischen 48 und 86 Prozent, um die der Klimagasausstoß bis 2050 im Vergleich zum Jahr 2000 gedrosselt werden müsste. Knapp die Hälfte - oder mehr als vier Fünftel? Das ist ein gewaltiger Unterschied. Doch in ihrem Entwurf enthalten sich die IPCC-Autoren überraschend einer Bewertung und sprechen nur vage von Emissionsreduktionen "über 50 Prozent", die bis 2050 nötig seien, um die Kurve noch zu kriegen.
Gegenwind für Luxusschlitten
Auch der deutschen Autoindustrie wird der dritte IPCC-Bericht weiteren Gegenwind verschaffen. Seit Wochen wehrt sich diese vehement gegen scharfe gesetzliche Limits für den CO2-Ausstoß von Pkw, wie die EU-Kommission sie vorgeschlagen hat. Der neue Klimareport unterstreicht nun, dass die Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs "schneller gestiegen sind als in jedem anderen Energieverbrauchssektor". 2004 waren sie mehr als doppelt so hoch wie noch 1970. Den weitaus größten Anteil an diesem Trend hatte der Autoverkehr: rund 75 Prozent. Deutlicher geht es kaum.
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In seiner ökonomischen Bewertung deckt sich Teil III des Weltklimareports mit dem, was der frühere Chefökonom der Weltbank Sir Nicholas Stern im Herbst für die britische Regierung ermittelt hatte.
Auch der IPCC kommt zu dem Schluss, dass frühzeitiges Handeln beim Klimaschutz "relativ niedrige Kosten" verursacht. Unter anderem empfiehlt er:
Verstärkte Verwendung von Biokraftstoffen
Anbau von Trockenreissorten
Hybridfahrzeuge
Neue Atomkraftwerke
CO2-Abscheidung bei konventionellen Kraftwerken
Hausmodernisierung und besseres Gebäudemanagement
Strikte Maßnahmen, wie sie die Einhaltung der Zwei-Grad-Schwelle erfordert, würden nach aktuellen Projektionen dann umgesetzt, wenn sich der Preis für eine ausgestoßene Tonne CO2 bis 2030 auf 30 bis 120 Dollar verteuern würde. Damit verschlinge der Kampf gegen den Treibhauseffekt dann ein bis fünf Prozent des Bruttosozialproduktes, schätzen die IPCC-Analytiker nach eigenen Angaben"grob". Die ökonomischen Verluste durch den Klimawandel taxieren sie höher. Mit der Zeit könnten die Schadensummen von Jahr zu Jahr um zwei bis vier Prozent steigen, steht im betreffenden Kapitel.
Noch lange nicht auf dem richtigen Weg
Auf dem richtigen Weg, mit einem blauen Auge durch den Klimawandel zu kommen, sei die Menschheit jedenfalls noch mitnichten: Beim Kohlendioxid "sind die mittleren jährlichen Zuwachsraten im Zeitraum von 2000 bis 2005 höher als in den neunziger Jahren", schreiben die IPCC-Autoren. Sie legen dar, dass der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen seit 1970 um mehr als 50 Prozent zugenommen hat. Die Emissionen von CO2 sind seither sogar um rund zwei Drittel gestiegen. Knapp 60 Prozent Anteil haben daran die Industrieländer - obwohl sie nur ein Fünftel der Weltbevölkerung stellen.
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Alle bisherigen Klimaschutzmaßnahmen, auch die im Rahmen des Kyoto-Protokolls, seien "inadäquat, um die allgemeinen Treibhausgas-Emissionstrends umzukehren", schreiben die Experten.
Der IPCC hatte schon Anfang Februar Schlagzeilen gemacht, als er in Paris Ergebnisse aus dem ersten Teil des neuen Weltklimaberichts vorstellte ("Die physikalische Basis des Klimawandels"). Die Autoren verkündeten, es könne nun kein Zweifel mehr daran bestehen, dass menschliche Aktivitäten maßgeblich hinter der globalen Erwärmung von knapp 0,8 Grad Celsius seit 1850 stecken. Im April will der IPCC in Brüssel zwischenzeitlich Ergebnisse aus dem zweiten Teil seiner neuen Expertise zu den ökologischen und gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels veröffentlichen.

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