Ingmar Bergman
"Das meiste, was im deutschen Theater auf mich einstürzt, ist nicht totale Freiheit, sondern totale Neurose. Was soll den armen Teufeln denn auch noch einfallen, um das Publikum und vor allem die Kritik dazu zu bringen, auch nur die Augenbraue zu heben? Ein junger Regisseur erhält den Auftrag, Kleists 'Zerbrochenen Krug' zu inszenieren. Er selbst hat das Stück siebenmal in verschiedenen Fassungen gesehen. Er weiß, dass sein Publikum von Kindesbeinen an 21 Versionen gesehen und dass die Kritik sich durch 58 Fassungen durchgegähnt hat. Jetzt kommt es also darauf an, frech zu sein, wenn man sich profilieren will. Freiheit ist das nicht."
Als
Edith Clever den Parsifal aufgenommen sich vorstellte, war sie eher
enttäuscht,
ihn anders als Bergmans Zauberflöte zu wissen. Später
erst wurde ihr erkannte sie, was der Unterschied war und seine Folgen. Für
die Monologe. Im Theater. Und für den Film. In Deutschland Und Europa.
Aber damit gewinnt man keine Privatflugzeuge auf Inseln irgendwo im Norden. Am Ende des Lebens.
"Die Dämonen nehmen mit den Jahren nur zu", sagte er. Und: "Erzähl
von deiner Mutter. Wer war sie?" Es wurde ein leises langes Gespräch
in seiner neuen Bibliothek, das Morgenlicht vom nahen Meer fiel durch die
hohen Fensterschächte. Ich genoß seine und Ingrids Gastfreundschaft
in dem Flachbau auf Fårö. Ringsum militärisches Sperrgebiet.
Er hatte mir ein Privatflugzeug nach Tempelhof geschickt und holte mich zu
Hause auf der benachbarten Insel ab.
Er habe mehrere Valium-Tabletten genommen, aus Angst vor meinem Besuch, sagte
er freundlich. Auf der Fahrt zur Fähre zeigte er auf eine kleine Kirche:
Dort lese er manchmal die Kritiken. Er hatte am Dramaten in Stockholm gerade "Die
Zeit und das Zimmer" inszeniert. Ich wollte eine Penelope-Version für
ihn schreiben. Jeden Nachmittag gegen drei Uhr stieg er in seinen Jeep und
fuhr zu seinem Kino. Es war die umgebaute Mühle, in der die "Szenen
einer Ehe" gedreht wurden. Er zeigte mir eine Rarität, eine frühe
Verfilmung von Strindbergs "Vater", lauter Außenaufnahmen
im Winter, die Schauspieler mit Atemfahnen vor dem Mund. Bildstrecke Ingmar
Bergman: Szenen einer Karriere
Anschließend eine Tour zu den verschiedenen Drehorten seiner Filme, dort "Stunde
des Wolfs", hier der "Abend der Gaukler". Überall die gleiche
steinerne Grauheit. Für mich ist er der Dostojewskigleiche in der Kunst
des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein Atheist, der vom Glauben wie von Dämonen
heimgesucht wurde. Der stets von Angesicht zu Angesicht filmte und den Menschen
sah wie in einem dunklen Spiegel.
Von Botho Strauß erschien zuletzt "Mikado", eine Sammlung von
41 kurzen Texten (Hanser Verlag, München 2006).
(SZ vom 31.7.2007)