SPIEGEL
ONLINE - 15. Mai 2007, 06:08
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,482818,00.html
GRÜNE LUNGEN
Wälder werden als CO2-Fresser schwächer
Von Christian Stöcker
Fußballfeldweise wird täglich tropischer Regenwald verbrannt. Das
setzt so viel CO2 frei, wie Millionen von Langstreckenflügen. Forscher
appellieren: Nur wer den Wald rettet, kann das Klima retten. Und nun fängt
die grüne Lunge an, ihre Reinigungsfunktion zu verlieren.
Der Regenwald ist fast zur Lachnummer geworden: "Rettet den Regenwald!" ist
ein Satz, den Sketch-Schreiber klischeehaft Ökobewegten auf deren imaginäre
Strickpullis schreiben. Wenigstens in der öffentlichen Debatte in den
reichen Industriestaaten fehlt der Sorge um die grünen Lungen des Planeten
jener ernste Eifer, den es in den neunziger Jahren einmal gab: Von Stings Rainforest
Foundation (1989) zu Günther Jauch und seinem Brauereiwerbespot (2003)
- spätestens als man beim Bierkauf den Urwald quadratmeterweise beschützen
konnte, wurde das Thema von kaum noch jemandem ernst genommen. Für einige
Zeit jedenfalls.
Entwaldung: Löcher in der grünen Lunge
Fotostrecke starten: Klicken Sie auf ein Bild (5 Bilder)
Die Debatte hat sich verlagert, von der Abholzung hin zu erneuerbaren Energien,
zu sparsameren Autos oder dem ökologisch korrekten Verzicht auf Langstreckenflüge.
Doch gerade in der Klimadebatte zeigt sich: Der Regenwald ist für das
Weltklima heute wichtiger denn je - viele Wissenschaftler sind sogar überzeugt,
dass Waldschutz die einfachste und realistischste Klimaschutzmaßnahme
ist.
Das Ausmaß der schleichenden Katastrophe lässt sich mit Zahlen verdeutlichen:
zum Beispiel der, dass Indonesien zwischen 1990 und 2006 ein Viertel seiner
gesamten Waldfläche verloren hat. Das Land hat bei der Entwaldung im Vergleich
zu den Staaten Südamerikas gewaltig aufgeholt - zwischen 2000 und 2005
wurde dort schneller abgeholzt als sonst irgendwo auf dem Planeten. Das Äquivalent
von 300 Fußballfeldern voll Wald verschwindet laut Greenpeace stündlich
auf Nimmerwiedersehen. Die anderen großen Waldvernichter auf dem Planeten
sind Brasilien und mehrere zentralafrikanische Staaten.
Als flögen täglich Millionen von London nach New York
Global gesehen sind so in den neunziger Jahren 1,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff
per annum in die Luft entwichen - aus Waldstücken, die in Südamerika,
Indonesien und Zentralafrika abgeholzt, meist brandgerodet wurden. Jahr für
Jahr anderthalb Milliarden Tonnen, das seien etwa 20 Prozent der vom Menschen
verursachten Treibhausgas-Emissionen, rekapitulierte eine internationale Forschergruppe
vergangene Woche im Wissenschaftsmagazin "Science".
Man kann die Zahl auch noch drastischer formulieren: Jeden Tag verursacht die
globale Entwaldung soviel CO2-Emissionen, als würden zwei bis drei Millionen
Menschen in Düsenflugzeugen von London nach New York reisen - je nachdem,
welche Zahlen man zugrundelegt. Tatsächlich starten in Heathrow täglich
weit unter 200.000 Passagiere. Andrew Mitchell vom Global Canopy Programme
(Canopy heißt Blätterdach), vermutet sogar, dass die 1,5 Milliarden
Tonnen CO2 pro Jahr, von denen in "Science" die Rede ist, eine "eher
konservative Schätzung" sind. Oft würde gleich zweifach CO2
freigesetzt, wenn die Wälder brennen, so Mitchell im Gespräch mit
SPIEGEL ONLINE: weil torfhaltige Böden dabei gleich noch zusätzlichen
Kohlenstoff in die Luft entlassen. Torfböden gelten generell als unterschätztes
Klimarisiko.
Die Klimaforscher um Raymond Gulisson von der University of British Columbia
in Kanada formulierten es in "Science" positiv: "Emissions-Reduktionen
durch reduzierte Entwaldung könnten zu den kostengünstigsten Möglichkeiten
zur Abschwächung des Klimawandels gehören." Mit anderen Worten:
Sollte es die Menschheit schaffen, die mit zerstörerischen Riesenschritten
voranschreitende Entwaldung des Planeten aufzuhalten, könnte dies das
Weltklima vor dem Kollaps retten.
Toten Kohlenstoff sparen oder lebenden retten?
"
Wenn wir es schaffen, bis 2050 die Entwaldung um fünfzig Prozent abzubremsen,
würde das die Freisetzung von fünfzig Milliarden Tonnen Kohlendioxid
in der Atmosphäre einsparen", sagte Pep Canadell vom Global Carbon
Project. Andrew Mitchell, Chef des Global Canopy Programme, wird noch deutlicher:
Man konzentriere sich auf die Emissionen reicher Länder und auf technologische
Lösungen. "Wir müssen den Armen dieser Welt Anreize bieten,
mit dem Abbrennen der Wälder aufzuhören",sagt Mitchell. "Wir
zäumen das Pferd von hinten auf."
Nur habe er den Eindruck dass die Regierungen der Welt bislang nicht bereit
sind, die nötigen Milliarden zu investieren, um brandrodende Lebensmittelfarmer
in waldschützende "Kohlenstofffarmer", wie Mitchell das nennt,
zu verwandeln. Im Stern-Report, der die Kosten des Klimawandels quantifiziert,
ist von 10 bis 15 Milliarden US-Dollar pro Jahr die Rede - mit dieser Investition
könne die Entwaldung bis 2030 halbiert werden, prognostiziert der Ökonom.
Mitchell war vergangene Woche in Bonn bei der Vorbereitungskonferenz für
die nächste große Klimatagung in Bali. Dort soll im Herbst der Nachfolger
für das Kyoto-Protokoll auf den Weg gebracht werden, und Mitchell hofft,
dass die Wälder dabei eine größere Rolle spielen. Bislang hat
man sie aus den Kalkulationen weitgehend herausgehalten - aus Rücksicht
gegenüber den Entwicklungsländern. Die Industrienationen hätten
versucht, "toten Kohlenstoff zu sparen statt den lebenden zu retten",
sagt Mitchell. Die Wälder müssten schleunigst auf die Agenda.
Die Bäume werden als CO2-Fresser schwächer
Eine weitere eben veröffentlichte Studie macht das Ausmaß des Dilemmas
deutlich: Nicht nur, dass der Wald mit seiner einmaligen Kapazität zur
Bindung von CO2 verschwindet. Nicht nur, dass dabei auch noch zusätzliches
CO2 freigesetzt wird. Der Wald, der noch übrig ist, wird auch immer schwächer:
Das legt Wolfgang Knorr von der University of Bristol in einem Beitrag für
die Fachzeitschrift "Geophysical Research Letters" (Bd. 34) nahe.
Im Augenblick nehmen die Pflanzen dieser Welt jährlich noch etwa die Hälfte
allen ausgestoßenen Kohlendioxids wieder auf - aber das könnte sich
bald ändern.
Die steigenden Welt-Temperaturen scheinen die Fähigkeit der Bäume
und anderer Gewächse zu reduzieren, CO2 aufzunehmen. Folglich bleibt mehr
Kohlendioxid in der Luft, was wiederum die Erwärmung fördert und
die Aufnahmefähigkeit der Pflanzen schwächt... - "Feedback" nennen
die Wissenschaftler so etwas. Man könnte auch von einem Teufelskreis sprechen:
Je trockener und wärmer es auf der Erde wird, desto weniger Kohlendioxid
binden Pflanzen und Mikroorganismen.
Es gebe eine "Verschiebung im Gleichgewicht zwischen der Kohlenstoff-Aufnahme
durch Bodenpflanzen und dem Kohlenstoff-Verlust durch Boden- und Pflanzenatmung",
schreibt das Team um Knorr. Der Wald schrumpft - und was davon noch übrig
ist, wird als CO2-Fresser schwächer.
Aus Sicht der Wissenschaftler, sagte Knorr der britischen Zeitung "Guardian",
sei das Ergebnis der Studie durchaus erfreulich: "Es zeigt, dass unsere
Modelle korrekt sind. Aber für alle anderen sind das schlechte Nachrichten." Das
Global Canopy Programme formuliert es in seinem aktuellen Bericht noch schlichter: "Wenn
wir die Wälder verlieren, verlieren wir den Kampf gegen den Klimawandel."
cis/rtr
© SPIEGEL ONLINE 2007
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbHZum Thema in
SPIEGEL ONLINE:
Britische Studie: Klimawandel bedroht die Weltwirtschaft (30.10.2006)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,445410,00.html
Treibhausgas: Biotope gegen den Hitzekollaps (14.11.2006)
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,448012,00.html
Zum Thema im Internet:
Jahresbericht des Global Canopy Programme
http://www.globalcanopy.org/vivocarbon/ForestsFirst.pdf