10. April 2007
Kultur & Medien



Jenseits des Taghorizonts
VON PETER IDEN


Werk von Anselm Kiefer (Katalog)Auf dem Boden die beschädigten Bruchstücke eines Flugzeugs aus Blei. Ein Flügel ist abgelegt auf dem Fragment eines Triebwerks. Aus der Turbine quillt, wie dunkles Blut, ein Büschel tiefschwarzen Haares. Etwas Natürliches, Natur selber, bringt sich gegen die bleiernen Trümmer des abgestürzten Flugapparats zur Geltung. Berenice ist eine Arbeit Anselm Kiefers von 1989, sie eröffnet die Auswahl der Werke des Künstlers aus den letzten zehn Jahren, die das Guggenheim-Museum in Bilbao zu einer imposanten Ausstellung zusammengefasst hat.
Berenice ist auch ein Drama Racines aus der Periode der französischen Klassik. Der römische Kaiser Titus und die ägyptische Königin Berenice können ihre Liebe nicht leben, weil das Gesetz Roms dem Kaiser die Verbindung mit einer Fremden verbietet. Die Verpflichtung des Titus, Kaiser zu sein, verlangt die Trennung der beiden, "ein Mond und dann ein Jahr, wie grausam leiden wir, wenn so viel Land und Meer erst zwischen dir und mir". Kiefers Arbeit übersetzt den Konflikt in ein Trümmerbild, eine Metapher der Zerstörung, Unterdrückung, des Scheitern. Ausgeträumt der Traum vom Fliegen. Eine Anmutung von Verlust und Trauer geht von dieser Arbeit aus.
Es besteht kein Zweifel, dass Anselm Kiefer derzeit international so erfolgreich ist wie seit Robert Rauschenberg und Joseph Beuys kein anderer Künstler, auf dem Gipfel kommt nur Gerhart Richter ihm nahe. Zumal in den USA werden für Kiefer-Bilder von Museen und Sammlern märchenhafte Preise gezahlt. Auf den großen Kunstmessen muss er nicht einmal vertreten sein, um dennoch Gesprächsstoff zu liefern. Als er 1992 Wohnsitz und Werkstatt aus dem Odenwald nach Frankreich verlegen wollte, bot ihm der damalige französische Kultusminister Jacques Lang fast einhundert Grundstücke zur Auswahl an, Kiefer entschied sich für das Areal einer ehemaligen Textilfabrik im provenzalischen Barjac, nahe Avignon. Inzwischen hat ihm Paris unterirdische Hallen im Quartier Marais offeriert, die er sich gerade erschließt. Schon Ende Mai wird er im Grand Palais eine Ausstellungsfläche von fast zwei Hektar mit sieben "Häusern" bestücken.
Jetzt also Bilbao. Diese Ausstellung, betreut vom Künstler selbst und von dem italienischen Kurator Germano Celant, ist ein tatsächlich fulminanter Auftritt (der Katalog ist 530 Seiten stark und wiegt vier Kilo). Zur Eröffnung Mitte vergangener Woche traf sich die internationale Clique der den Kunstmarkt beherrschenden Händler, Sammler und Gogo-Girls in Gehrys Museumsbau, der im Verlauf der zehn Jahre seines Bestehens bereits zehn Millionen Besucher hatte. Galeristen aus London, Paris und New York, prominente Sammler auch aus Deutschland, ein russischer Baby-face-Oligarch mit eigenem Jet aus Moskau, Star-Mannequins aus Rom. Drei Tage lang war in den Sterne-Restaurants der Stadt mittags und abends kein Platz mehr frei. 400 Gäste erschienen anlässlich der Vernissage zu einem gesetzten Dinner in dem weitläufigen Foyer des Museums, ein wenig mürrisch begrüßt von Thomas Krenz, dem kürzlich teil-entmachteten Direktor des Guggenheim-Stammhauses in New York.
Was jedoch hat dieser ganze, zum Aberwitz tendierende Auftrieb des zur Zeit außer Rand und Band geratenen, forciert den eigenen Optimismus zelebrierenden, internationalen Kulturbetriebs mit der Kunst Kiefers zu tun? Wie unbeirrbar stehen die etwa 40 Werke dem Zirkus entgegen, der um sie und mit ihnen veranstaltet wird? Die Wirkung ist die einer Selbst-Entrückung der Einzelbilder wie manchmal der Installationen mehrerer Arbeiten, die zu raumfüllenden, vielteiligen Kompositionen gefügt sind. "Niemals handele ich unmittelbar von heute", sagt Kiefer. Die oft schwer entzifferbaren Motive entstammen mythischen oder mytholgischen Zusammenhängen, Quellen sind die Kabbala wie die Heilige Schrift, die Astrologie wie die Pflanzenkunde, literarische Texte von Ingeborg Bachmann oder Paul Celan, aber auch die Erinnerung an historische Prozesse radikaler Veränderungen, die Französische Revolution oder die großen Zerstörungen im 20. Jahrhundert.
Diese Stoffe entfalten sich in gewaltigen Formaten. Fast acht Meter hoch (bei einer Breite von mehr als drei Metern) ist das jüngste, von Kiefer eigens für die turmhohe Eingangshalle geschaffene Bildwerk Aschenblume, eine Hommage an Celan, mit Kreide sind Texte des Dichters einer wüsten, gleichsam schmerzdurchfurchten Landschaft eingeschrieben. Wie in diesem Fall erzeugt die Monumentalität, für deren Darstellung Gehrys Museum mit seinen enormen Raumhöhen ideale Voraussetzungen bietet, den Eindruck ausgreifender pathetischer Gebärden. Dass diese Gefahr laufen, die Bildmotive gelegentlich auch zu überwältigen, ist ein Risiko, das sich am gegenwärtigen Stand der Entwicklung Kiefers erkennen lässt.
Die Ausstellung zeigt diesen Künstler kaum mehr als Experimentator, sondern in der meisterhaften Beherrschung des von ihm über Jahrzehnte hin ausgebildeten Vokabulars. Mit gelassener Sicherheit inszeniert er seine Ikonographie in Bilbao zu überwältigenden Effekten. Die ursprünglich für das ehemalige katholische Krankenhaus Salpêtrière in Paris wie Kirchenfenster entworfenen, fünf riesigen Bildmetaphern zu Motiven der Kabbala bilden jetzt einen Raum, der einer Kathedrale gleicht.
Ist hier Erhebung die Absicht, so ist der halbdunkle Saal der Frauen der Revolution in der Wirkung eher bedrückend: Jeder von etwa dreißig, wie Betten eines Krankensaals arrangierten bleiernen Wannen ist der Name einer Frau zugeordnet, die 1789 in Paris eine Rolle spielte.
An anderer Stelle wird auf 29 Tafeln Das Geheimnis der Pflanzen verhandelt. Die poetische These ist, dass jedem natürlichen Phänomen auf der Erde ein Zeichen am Nachthimmel entspricht: So kommen in den Bildern die Zitate von Pflanzen zusammen mit den Konstellationen der Sterne. Es entsteht ein neuer Kontext der Verwandlung materieller Realität ins Spirituelle. Alles Physische wird Metaphysik. Dieses Transzendieren des Stofflichen wird in Bilbao, wie mit solcher Intensität nie zuvor, sichtbar als der essentielle Antrieb der Kunst des Anselm Kiefer. In allem Gelingen - aber auch als Wagnis mit für die weitere Entwicklung des Œuvres unsicherem Ausgang.
Guggenheim Museum Bilbao, bis 3.September. www.guggenheim-bilbao.es


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Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 09.04.2007 um 16:32:01 Uhr
Letzte Änderung am 09.04.2007 um 17:54:29 Uhr
Erscheinungsdatum 10.04.2007