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ONLINE - 08. Februar 2006, 22:43
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Genfood
EU-Staaten empört über WTO-Beschluss
Die Welthandelsorganisation hat die EU mit einem Beschluss zu genetisch veränderten
Lebensmittel gegen sich aufgebracht. Danach verstößt die in der Europäischen
Union geltende Einfuhrbeschränkung gegen internationale Handelsgesetze.
Genf - Nach Einschätzung der WTO hat die Europäische Union mit ihren
Einfuhrbeschränkungen für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel
und Saatgut gegen internationale Handelsgesetze verstoßen. Auch die Importverbote
der EU-Mitgliedsstaaten Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Luxemburg
und Griechenland seien nicht zulässig gewesen. Die USA, die gemeinsam mit
Kanada und Argentinien vor gegen die EU geklagt hatten, begrüßten
die Entscheidung.
Die österreichische Regierung kündigte umgehend Widerstand gegen die
Entscheidung an. "Der Schutz der Konsumenten und der Umwelt haben absolute
Priorität, und die jüngsten wissenschaftlichen Forschungen rechtfertigen
unsere vorsichtige Herangehensweise in dieser Angelegenheit", sagte Gesundheitsministerin
Maria Rauch-Kallat. Sie werde alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Österreichs
Landwirtschaft frei von gentechnisch verändertem Produkten zu halten und
die Sicherheit der Verbraucher zu garantieren. EU-Gesetze sehen vor, dass solche
Einfuhrverbote dann rechtmäßig sind, wenn sie wissenschaftlich begründet
werden können.
EU erwägt Widerspruch
Ein EU-Kommissionssprecher erklärte, der Bericht sei zum Großteil
von historischem Interesse. An der Art, wie die Europäische Union mit gentechnisch
veränderten Nahrungsmitteln und Saatgut in Zukunft umgehen werde, ändere
sich nichts. Er betonte auch, dass es sich nur um einen vorläufigen Zwischenbericht
handle. Eine endgültige WTO-Entscheidung, die noch angefochten werden kann,
wird in rund einem Monat erwartet. Ein EU-Vertreter sagte, es sei noch nicht
entschieden, ob die Staatengemeinschaft formell Widerspruch einlegen werde. EU-Experten
seien nach wie vor damit beschäftigt, den Bericht im Einzelnen durchzuarbeiten.
Die EU hat im Mai 2004 damit begonnen, ihre Zulassungspraxis für zumindest
einige der umstrittenen gentechnisch veränderten Produkte zu lockern. Die
Welthandelsorganisation untersuchte daher lediglich einen davor liegenden Zeitraum.
In dem Bericht erklärte die Organisation Diplomaten zufolge, die EU habe
zwischen Juni 1999 und August 2003 de facto die Einfuhr solcher Produkte gestoppt.
Dies sei nach WTO-Regelungen grundsätzlich nicht zulässig. Ein EU-Vertreter
sagte hingegen, ein solches Moratorium habe es nicht gegeben. "Das bestreiten
wir."
Eine Sprecherin des Verbraucherschutzministeriums sagte in Berlin, der Bericht
sei vertraulich. Daher werde sich die Bundesregierung derzeit nicht offiziell
dazu äußern.
"Wir müssen mit Brüssel und wissenschaftlichen Sicherheitsbehörden
beraten, bevor wir das Einfuhrverbot aufheben", sagte ein Vertreter des
griechischen Landwirtschaftsministeriums. "Griechenland ist gegen gentechnisch
veränderte Nahrungsmittel. Der italienische Landwirtschaftsminister Giovanni
Alemanno kritisierte den WTO-Beschluss als unausgewogen. "Wir wollen nicht,
dass das Urteil einen Versuch darstellt, die legislative Souveränität
der Europäischen Union zu untergraben."
Die Vereinigten Staaten forderten die EU in einer ersten Reaktion auf, nun umgehend
ihre Märkte für in den USA hergestellte gentechnisch veränderte
Nahrungsmittel zu öffnen. Vertreter der Biotech-Industrie, die die Entscheidung
mit Spannung erwartet hatten, äußerten die Hoffnung auf einen steigenden
Absatz entsprechender Produkte in Europa.
US-amerikanische Landwirte, die durch das EU-Einfuhrverbot jährliche Umsatzeinbußen
von rund 300 Millionen Dollar beklagen, zeigten sich jedoch skeptisch, ob die
Nachfrage in der EU etwa nach gentechnisch veränderten Mais tatsächlich
steigen werde. "Wir glauben nicht, dass die EU jetzt ein großer Importeur
von US-Mais wird", sagte der Präsident der Vereinigung von Maisanbauern
in den USA. Die WTO-Entscheidung sei aber symbolisch wichtig. "Diese Botschaft
zeigt der Welt, dass wir die Verletzung der Regeln durch die EU nicht hinnehmen."
agö/reuters
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