Bei
der Attacke wurden 20 Palästinenser getötet und mehrere Menschen
verletzt. "Wir zogen die Leichen aus den Trümmern", sagt Sanitäter
Klaed Abu Saada, "alles Frauen und Kinder, zum Teil ohne Glieder oder
ohne Kopf." Die ganze Stadt sei derzeit damit beschäftigt, sich um
die Toten und um die Verletzten zu kümmern, berichtet er, "zwischen
Blutlachen und herumliegenden Körperteilen". Oft sei es schwierig,
die Leichen zu identifizieren - so entstellt seien sie.
Viele Häuser in Bet Hanun sind beschädigt. Das vierstöckige
Gebäude der Brüder Saed und Sadi Al-Athamneh wurde dem Erdboden gleich
gemacht. Die Eltern und die Kinder erwischte es im Schlaf. Die Großfamilie
wurde auf einen Schlag ausgelöscht, darunter auch die ein Jahr alte Dima.
Im Nachbarhaus kamen die Freunde der Großfamilie ums Leben. "Wir
schliefen und wurden vom Krach der Granaten geweckt, die im Haus meines Onkels
einschlugen", berichtet die 14-jährige Asma Athamna. "Wir verließen
das Haus fluchtartig. Die Granaten töteten meine Mutter, meine Schwester,
und sie verwundeten alle meine anderen Geschwister."
Die Krankenhäuser von Gaza stünden vor dem Kollaps, sagt Jumaa Squa,
der Direktor des Schifa-Spitals von Gaza: "Uns fehlen viele Medikamente,
und die Stromversorgung ist unregelmäßig. Wir haben zwar das medizinische
Personal, aber zu wenig Mittel." Es fehlen zum Beispiel sterile Ausrüstungen
oder Sauerstoff für Patienten.
DRUCK-VERSION 08.11.06
„
Ein Preis, der nicht zu leisten ist“
VON INGE GÜNTHER, 06.11.06, 07:00h
Tel Aviv - Mehr als 100 000 Israelis versammelten sich am Wochenende in Tel
Aviv zum Gedenken an den ehemaligen Premier Jitzchak Rabin, der am 4. November
1995 ermordet wurde. Diesmal hielt kein Politiker eine Rede, sondern der
Schriftsteller David Grossman, der seinen Sohn Uri in den letzten Tagen des
Libanon-Krieges verloren hat. Seine Ansprache geriet zu einer moralischen
Standpauke, gerichtet an Regierung und Armee. Der Krieg im Sommer habe das „verstörende
Gefühl“ erzeugt, dass „unsere Führung hohl ist“.
Sie habe die „militärischen Muskeln“ vorgeführt, aber
dahinter versteckten sich Schwäche und Unzulänglichkeiten. „Letzten
Endes wurde klar“, so Grossman, „dass Militärmacht allein
unser Überleben nicht garantieren kann.“ Nicht nur der Tod junger
Soldaten sei eine „schreckliche Verschwendung“, auch die Chancen,
Israels Zukunft im Einklang mit jüdischen und demokratischen Werten
zu sichern, blieben so ungenutzt.
Rabin hatte den Friedensweg eingeschlagen. Auch damals wurde eingewandt,
auf palästinensischer Seite gebe es keine akzeptablen Partner. Doch
Rabin „verstand früher als viele andere“, so Grossman, „dass
das Leben in einem permanenten Klima von Gewalt, Besatzung, Terror, Angst
und Hoffnungslosigkeit auch Israel einen Preis abverlangt, der nicht zu leisten
ist“
.
Vor der Menge appellierte der israelische Autor an Premier Ehud Olmert, sich
nicht von der islamistischen Hamas abhalten zu lassen: „Gehen Sie zu
den Palästinensern! Unterbreiten Sie einen Vorschlag, den die Moderaten
dort akzeptieren können.“ Nötiger als Militärschläge,
bei denen auch unschuldige Palästinenser in Gaza ums Leben kämen,
sei es, ihre „tiefen Wunden, ihr andauerndes Leiden“ anzuerkennen.
So, wie manche Kriege keine Wahl ließen, verhalte es sich mit der Notwendigkeit,
Frieden zu schließen. „Weil es eine andere Alternative mehr gibt.“
Grossman erreichte die Menschen, sie spendeten ihm nachhaltig Beifall. Aus
dem Abseits vernahm auch eine Reihe von Politikern, vorwiegend aus der Arbeitspartei,
der Rabin angehörte, Grossmans Rede. Zumindest einen Abend lang riss
sich das israelische Friedenslager aus seiner Apathie. Dem Sichabfinden mit
den politischen Verhältnissen, in denen erst kürzlich ein Rechtspopulist
wie Avigdor Lieberman zum Minister für Strategische Bedrohung ernannt
wurde.
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08. November 2006
GAZA-STREIFEN
Israel löscht Großfamilie aus - Hamas erklärt Waffenruhe für
beendet
Bilder des Schreckens im Gaza-Streifen: Bei einem israelischen Angriff wurden
18 Familienmitglieder getötet. Premier Olmert hat das "tragische Ende" der
Attacke bedauert. Die radikal-islamische Hamas ruft zu Attentaten in Israel auf
und auch zu Angriffen auf US-Ziele.
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Jerusalem/Gaza/Damaskus - Chaled Maschaal, politischer Führer der Hamas-Bewegung,
erklärte in Damaskus die Waffenruhe mit Israel wegen des Angriffs der israelischen
Armee auf ein Haus in Bet Hanun im Norden des Gaza-Streifens für beendet.
Die radikal-islamische Bewegung forderte eine Wiederaufnahme von Selbstmordanschlägen
in Israel. Der militärische Arm der Palästinenserorganisation rief
gar zu Anschlägen auf US-Ziele im Nahen Osten auf.AP
Verzweiflung und Trauer in Gaza:
18 Mitglieder einer Familie wurden getötet
In einer in Gaza verbreiteten Erklärung wurden die USA beschuldigt, "politischen
und logistischen Schutz für Verbrechen der zionistischen Besatzung" zu
geben. "Erteilt dem amerikanischen Feind eine gnadenlose Lektion, die er
nicht vergisst", hieß es in dem Aufruf.
Am Ort des Angriffs bot sich ein Bild des Schreckens. Verkohlte Fragmente von
Kleidern, eine Mädchenunterhose und abgerissene Körperteile lagen in
einer Blutlache auf der Straße. Die Häuser dahinter weisen klaffende
Löcher auf.
Akram al-Athamna, ein Verwandter der Toten, der im palästinensischen Polizeidienst
steht, sagte, er sei im Morgengrauen von dem Knall einer explodierenden Granate
geweckt worden. "Ich schaute hinaus und sah, wie aus dem 50 Meter entfernten
Haus meines Onkels Saad Rauch herauskam." Offenbar sei das Obergeschoss
getroffen worden. "Mein Bruder und ich liefen auf die Straße." Dort
habe er etwa 15 Einschläge von Granaten gezählt. Viele Opfer seien
Hausbewohner gewesen, die nach den ersten Explosionen ins Freie gelaufen seien.
"
Alles war voller Blut"
"
Die Granatsplitter trafen direkt die Menschen, die aus dem Haus eilten",
sagt al-Athamna. "Alles war voller Blut. Ich sah, wie mein Nachbar Sacher
Adwan zu seiner Schwester wollte und dabei getötet wurde."
Auf der anderen Seite der Straße lebt der 35-jährige Rahwi Hamad.
Auch er wurde von der Explosion und dem Schreien der Anwohner geweckt. "Ich öffnete
das Fenster und sah, wie eine Granate im Nachbarhaus einschlug. Als ich herauskam,
hatte eine weitere Granate das Haus getroffen. Wir bargen verstümmelte Körper
aus den Häusern.
Wir sahen Beine, Hände, an die Wand geschleuderte
Kopfteile, es war abscheulich. In der Luft hing der Geruch von Blut und verbranntem
Fleisch." Vor den zerstörten Häusern sitzen am Vormittag überlebende
Mitglieder der Familie und schluchzen still vor sich hin. Ein Mann taucht seinen
Finger in eine Pfütze Blut ein und wischt sich damit über das Gesicht. "Gott
möge uns rächen, Gott möge uns rächen", ruft er aus.
Feuerwehrleute spritzen das Blut mit Wasser von der Straße, während
Sanitäter Körperteile aus Gärten und Seitenstraßen bergen.
Das israelische Heer erklärt, Ziel des Artillerieangriffs sei nach einer
ersten Untersuchung ein offenes Gelände gewesen, das von militanten Palästinensern
zum Abschuss von Raketen genutzt worden sei.
asc/AP/dpa/Reuters/AFP
9.November
Israelische
Soldaten hatten zuvor binnen weniger Stunden im Gaza-Streifen und im Westjordanland
27 Palästinenser getötet. Allein bei einem Granatenangriff auf Bet
Hanun in der Nacht zu gestern starben 19 Menschen, darunter sieben Kinder und
fünf Frauen. Die Angriffe lösten international scharfe Reaktionen
aus.
Israelische
Soldaten hatten zuvor binnen weniger Stunden im Gaza-Streifen und im Westjordanland
27 Palästinenser getötet. Allein bei einem Granatenangriff auf Bet
Hanun in der Nacht zu gestern starben 19 Menschen, darunter sieben Kinder und
fünf Frauen. Die Angriffe lösten international scharfe Reaktionen
aus.
Der
Schriftsteller David Grossmann, dessen Sohn am letzten Tag des Libanonkriegs
gefallen ist, war der Redner des Abends. Er hielt eine beeindruckende Ansprache,
eine schonungslose Abrechnung mit der israelischen Führung, die dem Volk
keinen Ausweg aus dem blutigen Konflikt biete.
"
Der Tod von jungen Leuten ist eine furchtbare, eine schreiende Verschwendung",
so Grossmann. "Aber nicht weniger schlimm ist das Gefühl, dass der
Staat Israel schon viele Jahre lang auf verabscheuungswürdige Weise nicht
nur das Leben seiner Söhne verschwendet, sondern auch das Wunder, das
ihm zuteil wurde, die Gelegenheit, die die Geschichte uns gewährt hat,
hier einen aufgeklärten demokratischen Staat zu schaffen, der sich an
jüdischen und universellen Werten orientiert."
Grossmann appelliert an Olmert
Grafik: Der Schriftsteller David Grossmann bei seiner Rede]
Scharf kritisierte Grossmann Ministerpräsident Ehud Olmert, der es zulasse,
dass Israel immer mehr in Korruption und Brutalität abrutsche. "Natürlich
versinke ich im Kummer. Aber noch mehr verärgert und schmerzt mich mein
Land und das, was Sie und Ihre Freunde hier anrichten." Und unter dem Beifall
der 100.000 Demonstranten rief Grossmann Olmert dazu auf, die Friedensangebote
der Syrer anzunehmen und mit den Palästinensern zu verhandeln. "Wenden
Sie sich an die Palästinenser, Herr Olmert, über die Hamas hinweg.
Sprechen Sie mit den gemäßigten unter ihnen, denen die wie Sie und
ich gegen die Hamas sind. Wenden Sie sich an das palästinensische Volk,
sprechen Sie zu ihrem tiefen Schmerz und erkennen Sie ihr andauerndes Leid an."