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ONLINE - 20. Januar 2006, 16:10
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Israel und Iran
Der Point of no Return rückt näher
Von Pierre Heumann
Wie wird Israel angesichts der iranischen Drohungen reagieren? Bisher setzt
die Staatsführung auf internationale Kooperation gegen Teheran. Doch die
Uhr tickt - in der Region droht ein Szenario des nuklearen Schreckens.
Jerusalem - Die israelischen Geheimdienste schlagen Alarm: In den unterirdischen
Anlagen des Gottesstaates Iran werden Raketen mit nuklearen Sprengköpfen
zum Abschuss auf Tel Aviv bereit gemacht. Innerhalb der nächsten 48 Stunden
sei ein iranischer Angriff auf Israel zu erwarten. Der israelische Regierungschef
handelt schnell und kaltblütig. Er setzt auf die Karte des atomaren Zweitschlags
und lässt sowohl die atomar bestückten "Jericho"-Raketen
als auch die "Dolphin"-Unterseeboote in Bereitschaft versetzen.
Dieses Grusel-Szenario existierte bisher bloß in der Phantasie des Autors
Schabtai Schoval, der in seinem Roman "Ich, der Auserwählte"
vor einigen Jahren die Folgen eines nuklearen Angriffs auf sein Land in Romanform
beschrieb. Doch Schovals Plot fürs Jahr 2009 könnte bald von der Wirklichkeit
überholt werden. Iran lässt sich von den internationalen Protesten
gegen seine nukleare Aufrüstung nicht beeindrucken. Und mit einer Verbesserung
der Mittelstreckenrakete "Schahab 3" wird er in absehbarer Zeit in
der Lage sein, Tel Aviv zu erreichen.
AP
Iranische Soldaten bei Militärparade: Kohorten der Mullahs gegen IsraelIsrael
werde sich mit mit der Existenz eines nuklearen Iran nicht abfinden, warnt der
amtierende Premier Ehud Olmert. Generalstabschef Dan Halutz spricht von einer
"existentiellen Bedrohung" des Landes. Mit solch scharfen Worten hoffen
Politiker und Generäle in erster Linie, den Westen gegen Iran zu mobilisieren.
Gleichzeitig wird Teheran von Jerusalem einmal mehr zum Schurkenstaat abgestempelt,
der den internationalen Terror unterstützt. Der israelische Verteidigungsminister
Schaul Mofas macht deshalb Iran und Syrien für den jüngsten palästinensischen
Selbstmordanschlag in Tel Aviv verantwortlich. "Das Attentat wurde von
Teheran finanziert, von Syrien geplant und von den Palästinensern ausgeführt",
zitiert ein Sprecher des Verteidigungsministeriums Mofas. Um die nukleare Aufrüstung
Irans zu stoppen, setzt Israel auf eine internationale Koalition. Der Atomstreit
soll vor dem Uno-Sicherheitsrat landen und der Sicherheitsrat dann Sanktionen
gegen Iran beschließen.
Militärschläge können Iran wahrscheinlich nicht stoppen
In Jerusalem ist man zwar skeptisch, ob sich der Sicherheitsrat zu Sanktionen
durchringen kann. Dennoch haben israelische Diplomaten ein ganzes Paket von
Sanktionen vorbereitet, welche die Ajatollahs treffen sollen. Zum Arsenal müssten
laut israelischer Vorstellung der Boykott iranischer Ölexporte, ein Kooperationsstopp
der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) mit Teheran und Landerestriktionen
für Flugzeuge der Iran Air gehören. Auch ein Schlag gegen das sportliche
Image müsse erwogen werden: Das iranische Team solle für die Fußball-WM
in Deutschland gesperrt werden.
Offiziell wird es kein israelischer Sprecher zugeben: Aber die Mehrheit der
Experten sei der Meinung, dass Israel keine militärische Option gegen die
iranische Bombe hat, sagt "Haaretz"-Journalist Yossi Melman. Israel
konnte zwar im Jahr 1981 den irakischen Atomreaktor "Osiris" mit einem
Angriff zerstören. Doch die Iraner haben aus den Fehlern von Saddam Hussein
gelernt. Ihre Atomanlagen sind nicht nur übers ganze Land verteilt, sondern
teils auch in unterirdischen Anlagen abgesichert. "Jeder Versuch, das iranische
Nuklearprogramm zu zerstören, würde eine große Zahl von Angriffen
auf viele Ziele nötig machen", sagt der israelische Sicherheitsexperte
Schlomo Brom. Das überfordere die Kapazitäten der israelischen Luftwaffe.
Diese könne zwar Ziele in Iran erreichen, sei aber nicht in der Lage, über
mehrere Tage massive Angriffe durchzuführen, erklärt der israelische
Experte Reuven Pedatzur. Israels Kampfjets könnten höchstens einmal
hin und zurück fliegen.
Doch selbst wenn die Luftwaffe besser ausgerüstet wäre, würden
Militärschläge nicht zum Erfolg führen. Es gäbe nämlich
zu wenig präzise Informationen über die Standorte der Anlagen, so
Pedatzur. Zudem sei noch kein schlagender Beweis, keine "smoking gun",
gefunden worden. Nicht zu unterschätzen sei auch die Gefahr, dass Teheran
über seinen Statthalter im Libanon, die Hisbollah-Milizen, zurückschlägt.
Die von Iran finanzierte Schiiten-Armee verfügt über Raketen, welche
Haifa treffen könnten. Dieses Risiko wird heute als bedeutend gravierender
eingeschätzt als die Gefahr eines iranischen Atomangriffs.
Kein israelischer Alleingang
Weil ein Alleingang auf erhebliche Schwierigkeiten stieße, will die israelische
Diplomatie vorerst den Westen (und vor allem die USA) überzeugen, dass
die iranische A-Bombe nicht nur Israel, sondern auch Europa bedroht. Ein militärischer
Angriff, so die Überzeugung israelischer Politiker, müsste deshalb
von den USA ausgeführt werden.
Israel ist höchstens in der Lage, mit gezielten Einzelaktionen die iranischen
Atompläne zu verzögern. Schoval, der früher für den israelischen
Geheimdienst gearbeitet hat, denkt deshalb laut über verdeckte Sabotage-Operationen
des Mossad in Iran nach, mit denen der Zeitplan der iranischen Atomstrategen
durcheinandergebracht werden soll. So wird in Tel Aviv bereits darüber
spekuliert, ob der Mossad hinter dem Absturz eines iranischen Flugzeugs steht,
bei dem Mitte Januar General Achmad Kazemi, der Leiter der iranischen Revolutionsgarden
und Luftwaffenchef, zusammen mit hohen Offizieren ums Leben kam. Selbst wenn
die Mossad-These abenteuerlich anmutet, kann als sicher gelten, dass Israel
im Atomstreit mit Iran einen wichtigen Sieg in der Verzögerungsstrategie
verbuchen kann. Kazemi war verantwortlich für Produktion und Entwicklung
der iranischen Schihab-Raketen.
Noch sind sich die westlichen Geheimdienste uneinig, wann die Mullahs die A-Bombe
zu ihrem Arsenal zählen können. In wenigen Monaten werde es so weit
sein, behaupten die einen, es wird noch viele Jahre dauern, widersprechen andere.
Es drohen neue Spielregeln im Nahen Osten
Ein Studium der geheimdienstlichen Linguistik bringt Klärung in die widersprüchlichen
Angaben. Für Israels militärischen Geheimdienst ist der "point
of no return" entscheidend, und der könnte bereits in wenigen Monaten
erreicht sein. Dann wird Iran in der Lage sein, genügend spaltbares Material
für den Bau von Atomwaffen zu produzieren. Für andere Experten ist
aber die Frage relevant, wann das Land technisch in der Lage sein wird, die
A-Bombe zu bauen. Das werde noch zwei Jahre dauern, meinen israelische Iran-Spezialisten.
Dabei unterstellen sie aber die unrealistische Annahme, dass das iranische Atomprojekt
bis ins Jahr 2008 mit keinerlei Problemen konfrontiert sein wird. Bereits kleine
Pannen können aber zu erheblichen Verzögerungen führen.
Viele Experten richten sich deshalb nicht nach dem theoretisch kürzest
möglichen Zeitpunkt. Das Londoner International Institute for Strategic
Studies (IISS), das von fünf Jahren spricht, berücksichtigt eine Reihe
von technischen Hindernissen, die zu überwinden sind, um genug waffenfähiges
Nuklearmaterial herzustellen. Amerikanische Geheimdienstfachleute halten in
ihrem Lagebericht National Intelligence Estimate (NIE) angesichts der noch zu
erwartenden Schwierigkeiten allerdings auch diesen Termin für unrealistisch.
Sie nehmen an, dass Iran nicht vor dem Jahr 2015 über die A-Bombe verfügen
werde.
Aus Risikoüberlegungen betrachten Israels Politiker den frühestmöglichen
Zeitpunkt für relevant, auch wenn er kaum realistisch ist. Bereits die
Tatsache, dass Iran eines Tages zur Atommacht aufrücken könnte, sorgt
nämlich für neue Spielregeln in der Krisenregion Mittlerer Osten.
Mit der erwarteten Bombe im Rücken könnte der Gottesstaat versuchen,
seinen Einfluss bei den Nachbarn mit Drohgebärden zu erhöhen, in der
Opec noch höhere Ölpreise durchzusetzen oder seinen destabilisierenden
Einfluss auf den israelisch-palästinensischen Konflikt weiter zu verstärken,
um die Wiederaufnahme des Friedensprozesses zu torpedieren.
PIERRE HEUMANN
... schreibt als Nahostkorrespondent für die Schweizer "Weltwoche"
Optimisten setzen darauf, dass Iran als Atommacht die Spielregeln aus dem Kalten
Krieg akzeptieren und auf den Einsatz der Nuklearwaffe verzichten würde.
Es gebe allerdings zwischen Iran und Israel kein Gleichgewicht des Schreckens,
sagt Ephraim Sneh, ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister. Zwischen
den beiden Ländern gibt es keine Symmetrie - weder bezüglich der Zahl
der Bevölkerung noch der Größe des Landes. Anders als Israel
könnte Iran empfindliche Militärschläge hinnehmen, ohne in der
Existenz getroffen zu sein.
Aufgrund ausländischer Quellen ist zwar davon auszugehen, dass der jüdische
Staat über Zweitschlagkapazitäten verfügt. Kaum diskutiert wurde
gemäß Melman aber die Frage, ob Israel einen Nuklearangriff überleben
könnte. Die letzte bekannte Studie zu diesem Thema stammt aus dem Jahre
1982. Je nach Wetter und Windströmungen wäre mit bis zu 300.000 Toten
zu rechnen, hieß es damals.
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